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Im königsberger Hafen

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Textdaten
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Autor: Alexander Jung
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Titel: Im königsberger Hafen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, 44, S. 572–574; 587–590
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Im königsberger Hafen.

von Alex. Jung.
Erster Anblick des Hafens. – Die Nußschaalen der Skandinavier. – Ein Holländer. – Das Rülpsen und die Reinlichkeit der Holländer. – Englische Schiffe und Matrosen. – Ein Sonntag auf einem englischen Schiffe. – Amerikanisches Auswandererschiff. – Countess of Durham. – Die Schiffswerft und die Arche Noah eines königsberger Muckers. – Die Kornspeicher.

Das Leben aus dem Lande, in einer kleinen, in einer großen Stadt, jedes hat seine besondern Reize, und gewährt dem Beobachter, zumal wenn er alle Drei gegen einander auszutauschen versteht, reichen Ertrag. Das Land wird uns, ungeachtet der moderne Luxus auch hier schon in prächtigen Villen sich niedergelassen hat, doch immer auch den Urzuständen der Menschheit nahe bringen; die Kleinstädterei vermag uns, außer der behaglichen Einfriedigung in einem mittleren Vollglück, in den ewigen Figuren des Herrn Bürgermeisters und Stadtschreibers nebst Gemahlinnen und sonstigen Honorotionen, nicht wenig Nahrung für unsere Erheiterung, sogar für unsere Lachlust zu gewähren; die große Stadt endlich giebt uns das Weltganze nicht selten in einer Umrahmung, im Spiegel der Nationen, besonders wenn sie eine Hafenstadt ist. Nichts ist im Stande, uns das Schöpferische, die Macht, die alle Wesen verbindet, mehr zu vergegenwärtigen, als das Wasser, da es das Element der Beweglichkeit und Durchsichtigkeit ist.

Ich gestehe, daß in einer so ansehnlichen Stadt wie Königsberg in Preußen, die in sich selbst dem Beobachter stets neue Eindrücke gewährt, mein liebster Spaziergang nach den Schiffen gerichtet ist. Was ich hier zu jeder Tageszeit empfange, führt mich weit über den Continent hinaus, und verbindet mich im Moment mit allen überseeischen Ländern und deren Bewohnern. Der Hafen erstreckt sich, was man selten findet, mitten in die Stadt herein. Kaum daß man noch mit den Binnenländischen verkehrte, von den Ereignissen aus nächster Nachbarschaft Kunde erhielt, kann man auch schon mit Skandinaviern, Holländern, Engländern, Amerikanern, Franzosen Umgang pflegen, und alles was menschlich ist, freilich oft in sehr abweichender Weise, auch an ihnen in Erfahrung bringen.

Man kommt aus einer der imposantesten Straßen der Stadt, durch das sogenannte grüne Thor, auf eine Brücke, welche den Kneiphof mit der Vorstadt verbindet, und wird rechts hin sogleich von einem Anblicke überrascht, dessen sich wenig Orte des Festlandes zu erfreuen haben dürften. Eine neue Stadt, deren Häuser Schiffe sind, erstreckt sich in Straßen, Gassen und Gäßchen, die wieder durch freie Plätze, durch offene Quarré’s, unterbrochen werden, in eine Fernsicht, die bis an den Horizont reicht, und in bläulichen Tinten oder Abends im Sonnengolde magisch verschwimmt. Wir biegen am Ende der Brücke rechts um die Ecke und verfolgen den Prospekt auf dem Bollwerk. Welch’ ein Wimmelleben von Gerüchen, Sprachtönen, Trachten, Hantirungen, Stellungen und Bewegungen aller Art unter In- und Ausländern! Alle Farben des Prisma’s wehen und flattern uns von den Dächern und Spitzen dieser Schiffshäuser und Paläste in Tausenden von Flaggen, Fahnen und Fähnchen lebendig entgegen; sie zeichnen lustig den Verkehr und Handel aller Nationen in die blaue Luft, und wie sie sich von Kähnen und Gondeln bis zu den stattlichsten Kauffahrteifahrern erheben, dann wieder in die Weite hinaus allmälig absenken, könnten sie uns einen prächtigen Regenbogen abzubilden scheinen, der die Versöhnung und den Frieden der Völker signalisirt, welche die Bedingungen des Wohlstandes, des Handels und Wandels sind. Unter all’ diesen Flaggen von Weiß, Roth, Orange, Blau, Grün, ist doch besonders eine, welche auf hellblauem Grunde einen ganzen Sternenreigen vor uns entrollt. Es ist die stolze Flagge eines Amerikaners, der den Ocean durchmessen hat, und mit Recht die Sterne in seinem Banner führt, als die Sphären der Freiheit, die sich im Oceane am Vollständigsten abspiegeln.

Durchmustern wir nun unsere Schiffstadt noch näher, um auch mit den sonstigen Einrichtungen und Charakteren dieser Nationen Bekanntschaft zu machen, so sind es außer den Deutschen, zumal Königsbergern, Memlern, Stettinern und Hamburgern, die an Stattlichkeit und seemännischer Gravität den Ausländern nichts nachgeben, zunächst Dänen, Schweden und Norweger, welche unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Schon in den verschiedenen Schiffsnamen, die uns in goldenen Schriftzügen meist vom Vordertheil oder auch von den Seiten entgegenglänzen, prägt sich die abweichende Natur der in- und außereuropäischen Völker ab. Vom Borde selbst klingen dann auch sogleich die entsprechenden Zungen und Aussprachen lebendig herüber. Die Sprachen der Skandinavier haben ihren ganz aparten Wohllaut. Es heimelt uns aus ihnen sogleich das germanische Element an, welches hier freilich mit einem gewissen Etwas versetzt ist, das schwer zu deuten sein dürfte. Es ist eine Dehnung und Abplattung des Vokallauts, die uns nach der Strenge und Oede des Nordpols entrückt, aber durch Ausgleichung zwischen Vocal und Consonant unserm Ohr auch wieder angenehm wird. Die Schiffseinrichtungen haben unter diesen Nationen, wie es uns scheint, etwas Knappes, nur auf das Nothwendigste Berechnetes. Die Fahrzeuge sind oft überaus klein, an den Enden viereckt, und es will uns höchst keck bedünken, wie diese Schiffsleute, ungeachtet großer Behendigkeit ihrer selbst, mit solchen Wägelchen, Nußschaalen, sich über die Flüße, auf die Meere hinaus wagen dürfen. Diese Sicherheit und Dreistigkeit giebt ihnen wieder etwas Grandioses, trotz aller Winzigkeit, und wir denken an die kühnen Fahrten der alten Normannen, dieser Araber des Nordens, was Lust, auf Abenteuer auszugehen, und Kühnheit, die Fernen zu durchziehen, betreffen mag.

Einen ganz und gar andern Eindruck machen auf uns die Holländer. Sie sind in ihren Mannschaften wohlgenährt, aber langsam, fast phlegmatisch. Ihre Schiffe sind solid gebaut, von festem, kernigem Holze, massiv, an den Vorder- und Hintertheilen abgerundet, und man möchte sie den festen Käsen verglichen, welche sie mit sich haben. Man muß einen holländischen Kapitain in Mitte seiner Familie und Matrosen auf seinem Schiffe sehen, um sich ganz Niederland in dieser überreinlichen, üppigen Bequemlichkeit und pomadigen Zähigkeit vorzustellen. So ein Holländer macht die Reise nie mit seinen Matrosen allein, sondern er hat die ganze Familie bis auf Kindes Kegel, wieder großen und kleinen Käsen vergleichbar, an Bord, ja auch ein breiter Thierstand, in Hunden, Enten und Hühnern wird mitgeführt, ohne daß die Sauberkeit darunter litte, die bis zum Exceß aufrecht erhalten wird. Eine solche Familie muß man oben auf dem Verdeck, unter zierlichem Zelte, besonders nach dem Mittagsimbisse, in ihrer völligen Ungenirtheit beobachten, um die derbe Naivetät und den Geschmack der niederländischen Maler völlig der Wirklichkeit gemäß zu finden. Da sitzen Mann und Frau nebst Söhnen und Töchtern im Rundkreis und verdauen mit Behaglichkeit, was man sogar hören kann. Sie verführen nämlich öffentlich, ganz im Widerstreit mit dem, was wir unter Anstand und Schicklichkeit verstehen jenen Ton des Aufstoßens, den man Rülpsen zu nennen pflegt, und der da beweist, daß es im Magen nicht ganz richtig ist, oder doch erst richtig zu werden beginnt. So ein Holländer aber, ob Mann oder Weib, denkt sich gar nichts Uebles dabei, und findet das eben so natürlich wie etwa das Seufzen aus Empfindsamkeit oder Aufathmen, um zu leben. Ein hiesiger Arzt versicherte mich, er sei kürzlich auf ein holländisches Schiff gerufen worden, blos um Erleichterung zu gewähren; die Familie habe ihm Unisono theils unabsichtlich, theils künstlich entgegengerülpst; er habe sie im besten Wohlsein gefunden, sie habe nur jenes Aktes wegen ein Mittel der Beschleunigung gewünscht. Die Holländerin, die zum Nachtisch aus freier Hand vielleicht noch einige Waffeln genießt, ist malerisch genug angezogen. Sie ist in der Regel wohlbeleibt von Figur. Die Frauen tragen meist einen schwarzen Anzug, eine Art Jope, welche Kragen und Krägelchen, in der Weise der früheren Schanzeloper, entläßt, und der Gestalt viel Draperie und fremdländische Reize verleiht. Der Kopfputz vor allem ist höchst eigenthümlich. Eine knapp anliegende Haube, mit den zierlichsten Brabanterspitzen geschmückt, wird zu beiden Seiten von großen Goldschilden gehalten, welche wie ein heruntergeschlagenes Diadem weithin funkeln, und, nebst den Gold- und Brillantringen der Finger, der Dame den Ausdruck eines soliden Reichthums gewähren. Diese schwarzgekleidete Damenflora mit goldenen Lichtern, der sich die Männer im schwarzen Frack anschließen, läßt die im Vordergrunde thätigen Matrosen in rothen Blousen um so schärfer hervortreten. Worin besteht aber das Hauptthunm dieser Blousenmänner? Sie entleeren [573] ihre Kübel, um sie schon wieder zu füllen, und gießen das Wasser, wo es nur irgend gießbar ist, über das Schiff weg, daß alles und jedes blitzert und blänkert. Eine solche Reinigungswuth ist beispiellos. Ober- und Unterverdeck, Vorder- und Hintertheil, Herrschaftskajüte und Matrosenkoje, Fenster und Thüren, Boden und Decke werden Tag aus Tag ein gescheuert, durchspült, gebohnt, gewischt und gestriegelt. Es ist aber auch eine Spiegel-Blänke und -Glätte auf einem solchen Schiffe von Niederland wie auf dem Parquet keines Salons. Die hellblauen Wassertonnen, die auf dem Verdecke wohlgereiht stehen, mit rother Umbortung, blicken uns so appetitlich an, als hätte sie der Conditor so eben aus Zucker gearbeitet, und die Kajüte des Kapitains mit ihren Spiegelfenstern, voll Blumentöpfe und mit Alabastervorhängen, gemahnt uns wie ein Brautgemach.

Im stärksten Gegensatze zu diesem Holländer, blank wie ein Haus von Rotterdam mit Klinkern, ist sein Nachbar ein Dreimast von riesiger Größe, der sein schwarzes Bugspriet wie einen plutonischen Scepter weit über ihn hinaus erstreckt. An diesem Engländer ist alles geschwärzt von Steinkohlen, als wär’ er gerade aus dem Pulverrauch einer Seeschlacht oder gar aus der Unterwelt gekommen. Selbst die Segel sind düster angeflogen vom Kohlenstaube, und sehen uns unheimlich an wie jenes Schiff des rückkehrenden Theseus, der vergessen hatte, statt des schwarzen ein weißes Segel aufzustecken. Das Schiff des Engländers und alles auf ihm kündigt uns sogleich an, daß wir es hier mit dem Herrn der Meere zu thun haben. Durch alles und jedes, vom Spiegel bis zum Kiele, vom Hauptmast und dessen Korbe, bis zum kleinsten sauber geflochtenen Tauwerk, zieht sich der rothe Faden des Dauerhaften, des Zweckmäßigen, des Comfortablen. Da waltet nirgend kleinliche Geschäftigkeit, wohl aber Praxis, die reelle Zwecke hat und sie sofort erreicht, Ordnung, die jedem Nagel seine Stelle zuweist, der der Küchenjunge von jedem Scheuerlappen Rede zu stehen hat. Das ganze Schiff, von gewaltiger Ausdehnung, dem man trotz seiner gediegenen Einzelstücke die Leichtigkeit, ja Zierlichkeit seiner Bauart sogleich abmerkt, wird eben so behend bewegt, wie jede Segelstange. Wer könnte widerstehen, stets auf’s Neue die englischen Matrosen zu zeichnen, wie oft sie auch schon gezeichnet worden sind! Das ist eine Menschenklasse sonder Gleichen. Man sollte meinen, das Meer, und keine menschliche Mutter, habe sie geboren, so sehr sind sie mit dem Meere eins. Ewig ruhelos, behend, listig wie die Woge, ist der Matrose Albions im Geschäft; in der Erholung, am Sonntage dagegen, wenn er feiert, versinkt er in ein stummes Brüten wie das Meer, wenn es schweigt. Mit Wenigem ist er begnügt. Seine Ration Salzfleisch, Zwieback und sein bescheidenes Maaß gebrannten Wassers geben ihm ein Aussehen, als schwelgte er nur in Beefsteaks und Porter. In jenen beiden Positionen der Bewegung und der Ruhe muß man ihn sehen, um ihn leibhaft sich vorzustellen. Man muß ihn sehen, wie er, sogar wenn das Schiff fährt, oben im Tauwerk campirt. Diese Takelage eines segelnden Engländers ist ein wahres Labyrinth von Tauen, Stricken und Strickchen. Strickleiter lehnt sich an Leiter, Querleinen laufen dazwischen und werden von Stangen unterbrochen. Kein Seiltänzer fände sich hier zurecht, am Wenigsten wenn er oben angekommen wäre am Mittelmast von oft hundert Fuß Höhe, und nun um sich gebreitet fände dieses Strick- und Maschennetz von tausend und aber tausend Gewinden, und unter ihm die blaue Wassertiefe gähnte. Der englische Matrose dagegen läuft oder vielmehr fliegt durch diese Windungen mit einer Sicherheit und Leichtigkeit wie die Spinne durch ihr Gewebe. Oben angekommen, schaukelt er sich noch eine Weile, wie es scheint, aus purer Lust, nachdem er auf- oder angeknüpft hat, mit zusammengeballtem Körper an der äußersten Spitze des Mastes; er schwebt in der Luft sicher wie in einer Hangematte, und fährt dann eben so behend und wohlgemuth die geflochtenen Treppen wieder hinunter. Aber auch Sonntags in der Ruhe wollten wir ihn oben auf dem Verdeck in Augenschein nehmen.

Ein Sonntag ist auch auf einem englischen Schiffe ein Stillleben, in dem sich keine Maus und kein Bohrwurm regt, noch regen darf. Die Kajüte ist wie ausgestorben. Oben ist alles aufgeräumt, nur der Kohlenstaub liegt auf allem wie sonst, und auch der Sonntag ist mit diesem Sande festlich bestreut. Auch sitzt wohl ein Alter in der Ecke dort und liest in einem Gebetbuch der Hochkirche oder in der Bibel. Nachmittags kauern die Matrosen mit verschränkten Armen ober aufgestützt gruppenweise auf dem Verdeck und stieren gerade vor sich hin über Bord. Nichts sehen sie von dem, was an ihnen auf dem Verdeck und stieren gerade vor sich hin über Bord. Nichts sehen sie von dem, was an ihnen auf dem Bollwerke vorüberwandelt. Wie der Pariser flaniren geht, so flanirt der englische Matrose sitzend, d. h. er ergeht sich in sich, er spaziert in Gedanken in Alt-England. Es ist eine Situation behaglicher Selbstbeschauung, dem Behagen mancher Geschöpfe vergleichbar, wenn sie wiederkäuen. Der englische Matrose käut Tabak wieder, während er so brütet.

Die Mannszucht dürfte nirgend in der Welt strenger ausgeübt werden als auf einem englischen Schiffe, dennoch athmet alles das Gefühl der Selbstständigkeit, Sicherheit und Freiheit. Ist das Haus das unabhängige Reich jedes Engländers, so ist das Schiff das Haus jedes Kapitains, aber auch jedes einzelnen Matrosen. Die Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, die Freiheit, die Würde, der Stolz der Nation liegen diesen Leuten nicht blos auf dem Gesichte plastisch ausgeprägt, sie sprechen auch aus ihrer Haltung, ihrem Gange, aus jeder Bewegung. Ein hochherziges, wahrhaft humanes Zugeständniß ist es, daß jeder Mensch ein englisches Schiff betreten darf. Auch sieht man davon zahlreich Gebrauch machen. Den ganzen Tag tummelt es sich auf einem solchen Schiffe, zu dem man auf bequemer Stiege gelangt, von Hoch und Niedrig, Reich und Arm. Weder der Kapitain und der Steuermann, noch irgend ein Matrose oder Schiffsjunge nehmen davon die geringste Notiz, wie Frauen und Männer, unter diesen Offiziere, gemeine Soldaten, Civilbeamte, Studenten, Handwerker, Landleute, Arbeiter alle Räume des Verdecks, des Waarenlagers und der Kajüte durchwandern, alles sich auf’s Genaueste besehen. Wie gesagt, Niemand der Schiffsmannschaft scheint darauf auch nur im Geringsten zu achten, und doch ist sicher ein Auge da, das alles und jedes bemerkt, und es dürfte dem schlecht bekommen, der von so nobler Gestattung auch nur den geringsten Mißbrauch machte. Kurz, man fühlt am Borde eines englischen Schiffes sogleich den freien Boden Englands unter seinen Füßen, die großartigen Institutionen, die weltbewußte Sicherheit einer solchen Nation. – Die englischen Kapitaine geben in ihren Kajüten nicht selten Gastmahle in jenem amerikanischen Riesenstyle ausgeführt, mit dem sie uns Sealsfield in seinen Romanen so appetitlich beschreibt oder in der Weise der noch kürzlich so vielbesprochenen Napier’schen Bankets. Unsere mäkelsüchtigsten Feinschmecker sind entzückt von diesen Plumppuddings ächter Nationalität, dieser ganz aparten Sorte von Austern, diesen Rostbeefs pikantesten Geschmacks, diesen Hummern ohne Gleichen, diesen fremdländischen Weinen voll Feuer und Geist, diesen ausgelassensten Humoren der gastfreundlichsten Wirthe. Aber man muß auch etwas einzunehmen verstehen und etwas seemännische Natur mitbringen, sonst dreht sich der Boden noch Tage lang wie von Seekrankheit unter dem Fuße jedem, der an solchem Mahle Theil genommen hat. Die Gäste erhalten oft die herrlichsten Meermuscheln zum Angebinde, welche, in Silber gefaßt, die Glasschränke unserer Kaufmannsfrauen zu seltener Zierde bereichern.

Ein solch’ eben von uns beschriebenes englisches Segelschiff wird freilich an Gediegenheit des Baues, an ungeheuern Dimensionen, an Eleganz und Pracht der Einrichtung noch übertroffen von jenem gewaltigen Amerikaner, der ihm zu Häupten schaukelt. Auch er ist ein Segler, der diese Segel, wenn er fährt, wie der Condor seine Flügel ausbreitet, daß er damit ein weites Wogenfeld umschattet, jetzt aber hat er sie niedergelassen, und ein ganzem Bataillon Soldaten könnte gemächlich in diesem Zelte seiner Segel hausen. Dieser Amerikaner ist aus New-York und nimmt Auswanderer auf. Europamüde drängen sich massenweise nach diesem Asyle ihrer Wünsche, der Verheißung einer schöneren Welt. Masuren und Litthauer haben sich in ihrer Nationaltracht am Steuer häuslich bereits niedergelassen und verzehren ihr kärgliches Mittagbrot. Ein junger Tischlergeselle mit wohlkultivirtem Bart, aber ärmlichem Anzuge, wehklagt oben auf dem Verdeck, daß er für Ausübung seines Handwerks mitgenommen sein wolle, daß der Kapitain aber nicht barauf einzugehen erkläre. Dieser Kapitain steht so eben am Hintermaste unrührbar, wie eingepflockt. Es ist eine Figur wie aus Erz, wie aus Eisenguß. Der breitgekrämpte Filzhut sitz ihm tief im Nacken, damit der Mann um so besser gerade vor sich hinblicken könne; stechend ist sein Blick, er nimmt etwas auf’s Korn, wohlgenährt ist seit rothes, ernstes Gesicht, die Hände ruhen in den Seitentaschen. Matrosen mit blanken, platten Rundhütchen, von denen lange Bänder wehen, mit starken Backenbärten, die Brust entblößt, winden Taue auf. Eben zieht das [574] preußische Militär mit klingendem Spiel, im Blitz der Muhamedsfahne, unter dem Donner der großen Trommel, dem Schmettern der Hörner, über die Brücke hinüber; Regiment an Regiment, in Staatsuniform, in kerzengerader Haltung. Es ist ein Feuermeer, welches sich oben im Glanz der Sonne, im Wald der Bajonnette, entzündet, und über die unabsehlichen Rotten hinwegwallt, so daß unten die neuen Uniformen, bis auf jeden Knopf beleuchtet werden, und jeder Degengriff widerleuchtet, und die Farbe jeder Säbeltroddel zu erkennen ist. Die Matrosen und Führer aller andern Schiffe, selbst die Engländer, steigen auf die Tonnen, die Pumpen, die Strickleitern und die Masten, um besser ihre Neugierde an der fremden Soldateska zu befriedigen. Sie sind ganz Auge und Ohr. Den amerikanischen Matrosen kümmert das nicht, er arbeitet unbeirrt fort, am Wenigsten aber kümmert es den Kapitain, der mit einer grandiosen Gleichgültigkeit verharrt und seinen Falkenblick drüben nach der Börse schießt, wo er ihn in die offene Mittelthür einbohrt, und Militär Militär sein läßt.

Der Truppenmarsch ist vorüber und die Menge am Ufer drängt sich nach einer andern Stelle des Bollwerks, um den englischen Schraubendampfer zu besichtigen, der vor einigen Tagen angekommen ist und schon Waaren an Bord nimmt. Eine lebendige Zeile von Menschen hat sich gebildet, Männer und Weiber, von einem der Speicher bis in den untersten Schiffsraum. Sie werfen graugrüne, viereckte Tafeln einander zu, die als Dünger des Ackers gebraucht werden. Das Geschäft sieht sich lustig genug an, wie die Reihe entlang die Täfelchen fliegen, gleich wie die Ziegel beim Bau eines Hauses oder die Ledereimer beim Feuerlöschen. Unglaublich schnell kommt die idyllische Waare unten an, und das Schiff sinkt von der steigenden Last von Sekunde zu Sekunde tiefer. Dieser Dampfer ist ein Meister- und Musterstück der Schiffsbaukunst. Leichtgeschwungen, nett herausgearbeitet ist jeder Theil, aus pompösem Eisenblech, von unverwüstlicher Dauer das Ganze. Kein Bohrwurm vermag da einzudringen. Die Woge des Stroms spiegelt sich magisch in dem metallischen Glanze, aus dessen schwarzer Längenbreitung der rothe Schornstein, von seltener Dicke, wie ein Kirchthurm der Industrie und ihres Kultus hervorsteigt. Uns flammt der Name Countess of Durham wie ein gestandenes Feuerwerk aus der schwarzen Nacht des Eisens prächtig entgegen. Die festlich gekleidete Volksmasse, als ginge es hier wirklich zur Kirche, durchwallt die Gänge des Schiffs von hüben und drüben. Der Helm des weißen Kürassiers, und wär’ es ein Gemeiner, wird zufällig vom grünen Schleier der vornehmsten Dame zärtlich umweht, der polnische Jude, mit langer, orientalischer Gewandung, sieht sich neben den modernsten Stutzer placirt, alle treibt dieselbe Augenlust in’s Innere zu gelangen, und die Schraube dieses Meerwunders in Sicht zu nehmen. Der Flug dieses Dampfers auf seiner Reise ist so schnell, daß dagegen das schnellste Segelschiff wie eine Treckschuyte auf dem Schlamme eines holländischen Kanals blos schleicht. – Auch Franzosen, Portugiesen bemerken wir bisweilen in unserm Hafen, nur kommen sie seltener; sie bringen uns in nicht großen Fahrzeugen Weine; die ersten meistens aus Bordeaux. Die Azoren sogar schickten uns vor einiger Zeit einen Sendling, an dessen Borden sich nicht blos kupferrothe, auch schwarze Matrosen befanden.

Blicken wir wieder einmal um uns, wie wir dem Ende des Bollwerks schon nahe gelangen, so gewähren uns beide Ufer des stattlichen Stromes, auf dessen Fläche jenes Schiffslager aufgeschlagen ist, ebenfalls einen höchst mannigfaltigen Anblick. Dort in der Ferne von Nordwest, am jenseitigen Ufer, öffnet eben die berühmte Sternwarte, der der Name Bessel für ewige Zeiten eingravirt ist, ihre Thurmfenster. Sie schlägt, ungeachtet hell die Sonne scheint, ihre Dachluken wie Augen auf (als wäre sie das lebendige Wesen eines andern Planeten), und streckt aus diesen Oeffnungen Instrumente gleich Fühlhörnern hervor, die lüstern nach den goldenen Früchten des Himmels auch bei Tage langen. Näher dem Ufer zu liegt drüben der Hauptplatz für den Ballastauswurf. Das Sprüchwort sagt: Steine, Berge und Bäume entfernter Gegenden kommen nicht zusammen, wohl aber Menschen. Hier jedoch findet eine Ausnahme statt. Hier sehen sich allerdings die Mineralien und besonderen Erdarten der entferntesten Länder gemüthlich vereint, und können Zwiesprache mit einander führen, Vegetabilien mischen sich dazwischen; der Sand der Gironde verkehrt mit dem Kalkfelsen von Northumberland, der Schiefer von Schweden mit dem Rothholzstaube von Brasilien. Die Grabhügel des Sandes gleichen auch hier alle Unterschiede aus.

Weiter rechts kommt unser Schiffswerft. Da brennt und raucht es zu allen Jahreszeiten, da werden die Kiele gehauen, die Bretter gekrümmt, die Balken gerichtet, die Schiffe kalfatert und getheert und von Stapel gelassen. Das ist ein majestätisches Schauspiel, wenn so ein Schiff, für Amerika bestimmt, zum ersten Mal, mit Laubgewinden bekränzt, auf eingeseiften Walzen, unter dem wilden Aufjauchzen der Menge oben auf dem Verdeck, in’s Wasser rollt, zum ersten Male die jungfräuliche Woge berührt, daß diese scheu zurückbebt, und ihm dennoch wieder sehnsüchtig entgegen wallt. Hier war es auch vielleicht, wo der einst so berühmte königsberger Mystiker Schönherr sein Schiff unter dem Zulaufe des Publikums von Stapel ließ, das Schiff, welches er nach jahrelangem Sinnen und Studiren nach dem Modell der Arche Noah’s erbaut hatte, und mit dem er hinaus wollte, vielleicht um die einstige Lage des Paradieses zu entdecken. Aber das herausgekünstelte Schiff blieb am Ararat seiner eigenen Unhehülflichkeit stehen, schon als es in’s Wasser kam, und auch die Fahrt wurde zu Wasser. – Drüben in der Gegend des Licents, wo auch der Platz für die Dampfschiffe ist, wohnte einst der tiefsinnig geniale Johann Georg Hamann, der sich selbst den Magus aus Norden zu nennen pflegte.

Aber wir kehren uns nach dem diesseitigen Ufer des Pregels, wo auch außer den Schiffen immer noch viel zu beobachten ist. Da präsentirt sich dort von der Ecke her, in eigenthümlichen Verzierungen der Dachzinne, mit vorspringenden Balkons, das Haus des französischen Consuls. Da rücken Waarenlager vor, deren kolossale Behälter den Fortschritt des modernen Baugeschmacks in Vergleich mit den alten Speichern, die uns unheimlich ansehen, auf’s Erfreulichste bekunden. In dem Bereiche dieser riesigen Faktoreien wütheten zu verschiedenen Zeiten jene maßlosen Feuersbrünste, die man denen von Pera und dem alten Stambul vergleichen könnte, und brachen, wie aufrührerische, rothe Janitscharen sogar in die Vorstadt ein, welchem Unheil die massiven Bauten ein Ende gemacht haben. Näher unserm Standpunkt eröffnen sich Räume, welche dem Leben dieses ganzen Wasserprospekts eine muntere Seitenstaffage geben. Zartweiße Linnen sind ausgebreitet, auf deren reinlicher Fläche die goldenen Früchte der Ceres, Hafer, Gerste, Erbsen, Korn zu immer höher steigenden Bergen aufgeschichtet, gelüftet und gesäubert werden, um sie auf die Schiffe zu bringen. Männer mit Schaufeln werfen die Kornfontaine in die Luft, so daß der goldene Regen schwer wieder herunterströmt und die leichtere Spreu vom Winde hinweggenommen wird. Leuchtet die Sonne in diesen Kornsegen, der geradeswegs vom Himmel zu fallen scheint, so hat man ein Bild des reichsten Erntesegens vor Augen, um welches uns die Winzer des Rheins beneiden könnten. Diese Berge von Korn werden in Säcke gebracht, aber nicht darin gelassen, sondern drüben unmittelbar in die luftigen Kajüten geschüttet, was denn ein zweites höchst anmuthiges Bild veranlaßt.

Es läßt sich aber denken, daß in Mitte eines so mannigfaltigen Lebensverkehrs zwischen Einheimischen und Ausheimischen, wie ihn eine Hafenstadt bietet, und besonders auf dem Tummelplatz der Ausländer selbst, manches vorkommen wird, was dem komischen wie tragischen Interesse reichlichen Stoff gewährt. Sind doch Komik und Tragik, wie es die Wirklichkeit jedes Tages dem Beobachter zu erkennen giebt, auf’s Innigste mit einander verwandt, und es bedürfte nur einer geschickten Feder, um aus solchen Vorgängen die Bühne mit neuen Scenen zu beleben. Auch das bürgerliche Behagen sollte durch den Humor noch um vieles erweitert werden. Der Humor aber weiß es vor Allem, daß dem Reinen alles rein ist, und daß Ironie und alle Uebelstände unseres Erfahrens durch Heiterkeit und weise Nutzanwendung zu überwinden sind. In diesem Sinne theilen wie auch das Folgende mit. Die eine Geschichte bewährt es, daß die Völker der Erde auch unter dem Schutze des Friedens und freien Handels immer noch im Kriege mit einander leben, daß aber auch aus der Zwietracht Ergötzliches zu gewinnen ist. Die andere Begebenheit bringt es uns nahe, daß wir der Gefahr, wo sie uns von allen Seiten umlauert, entgehen können, daß sie uns aber da oft ereilt, wo wir sie am Wenigsten fürchteten, wo wir uns der Sorglosigkeit hingaben.

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Myne Heeren, öß dat mönslik? – Ein unbekanntes Völkchen. – Die Dzimken, ihre Fahrzeuge und ihr Leben darauf. – Dzimken auf dem königsberger Jahrmarkt. – Dzimken als Tänzer und Sänger. – Abschied von Königsberg.

Es ist eines Sommertags Nachmittag. Wir befinden uns auf dem mehrfach geschilderten Standpunkte des Bollwerks, auf der linken Seite des Pregelflusses. Plötzlich ein gewaltiger Auflauf von Menschen. Individuen der verschiedensten Stände drängen sich zusammen und bilden einen Kreis von nicht geringem Umfange. Wir dringen hindurch, und sehen im Mittelpunkte dieses natürlichen Circus nur eine Person agiren, aber in einem Affekt, in einer Verstörtheit, die unsere Theilnahme, unser Mitleid vollauf in Anspruch nimmt. Der Mann, der vor uns auf- und niederläuft, die Hand jetzt zusammenballt, jetzt vor die eigene Stirn schlägt, daß der Hut wegfliegt, ist offenbar ein Holländer, und zwar ein Schiffskapitain. Auch ragt von drüben der der Mast eines Niederländers mit breit flatternder Flagge herüber. Unser Kapitain steht still, droht nach den Schiffen hin, scheint in einen Monolog ausbrechen zu wollen, indem er sich nach dem Publikum wendet, das Blut aber steigt dem Manne zu Kopf, und er bringt es nur zu den Worten:

     Myne Heeren, öß dat mönslik?

was denn in unser ehrbares Hochdeutsch übersetzt lauten würde: Meine Herren, ist das menschlich? Dem Unglücklichen schien etwas begegnet zu sein, was nicht blos seltsam, nein, so unerhört wäre, alle Glaubwürdigkeit überträfe, alle menschliche Natur verläugnete, aber auch das Strafgericht aller besseren Menschheit herausforderte, daß solche Namenlosigkeit des Geschehenen alle anderen Gedanken und Worte bei dem armen Schiffsmanne erstickt hatte. Er stampfte jetzt mit den Füßen, er sprang, wie von einer Tarantel gestochen, umher, er rang die Hände, er schlug sie über den Kopf zusammen, und stieß, immer schneller ihn wiederholend, die Menge immer leidenschaftlicher anflehend, den Refrain aus: Myne Heeren, öß dat mönslik?

Welch’ Ungeheures, Rache Heischendes war hier denn vorgegangen? Wir sahen alle einander an, befragten uns, wollten helfen, Gerechtigkeit üben; Niemand jedoch wußte Rede zu stehen, wie sehr ihn der Verzweifelte auch jammern mochte. Das Volk umher murmelte, murrte und grollte tief, so daß es sich schauerlich anhörte. Das Volk sollte hier gleichsam als Chor, wie in der griechischen Tragödie, dazwischen treten, vermitteln, richten, und wußte doch nicht was, nicht wen. Schon hielten einige den Mann für irr, äußerten es laut, und wollten ihn fortbringen, einem Arzte übergeben lassen. Endlich klärte die Sache sich auf.

Tages vorher waren nämlich die Matrosen eines dänischen Fahrzeuges mit der Mannschaft eines Holländers, der in ihrer nächsten Nachbarschaft ankerte, in den heftigsten Hader und Wortwechsel gerathen. Sie beschlossen, natürlich ohne Wissen ihres Kapitains, es den Niederländern nachzutragen. Als diese am folgenden Tage fast alle nebst ihrem Herrn das Schiff verlassen hatten, und die Zurückgebliebenen wahrscheinlich in dem untern Raum sich befanden, rückten die Dänen ihr Schiff, abscheulich zu sagen, in eine solche Stellung zu dem Holländer, daß die Ausläufer einer gewissen Oertlichkeit, die Niemand zu nennen pflegt, in eine solche Tragweite und Nähe zum Niederländer zu stehen kamen, daß sie über die zierlichsten Wassertonnen, sage: Wassertonnen des spiegelblanken Amsterdam ausmündeten. Das Unglück wollte aber noch dazu, daß die Wasserbehälter heute alle offen standen, der Durchlüftung wegen. Wir haben aber oben beschrieben, was ungefähr holländische Wassertonnen auf sich haben. Das keuscheste, frischeste, lauterste Koch- und Trinkwasser, mühsam geschöpft und gesiebt, schaukelte sich in diesen Fässern, und sollte noch heute von seinen Besitzern gebraucht werden. Furchtbare Ironie und Schadenfreude der Umstände! Die Dänen konnten ihrem Schiffe um so fein berechneter auf den Treffpunkt die Situation geben, da dasselbe leicht war, noch nicht Waaren trug, und also hoch über dem Wasser stand, während der Holländer, schon durch seinen Bau schwerfällig, vermöge starker Ladung vollends niederdrückte, kaum über Wasser lag, um so gelassener also die Zielscheibe eines so schlechten Dänenwitzes werden mußte. Richtig und sicher fingen denn jene Mündungen auch zu spielen an. Die Holländer, an der Spitze ihr Kapitain, fanden auch wirklich nach einigen Stunden die Bescherung. Ein Witzbold und Citatenfreund konnte die bekannten Worte unseres großen Dichters mit einiger Veränderung hier citiren:

„Wem ein solcher Wurf gelungen,
Eines Feindes Feind zu sein!"

Daß nach so schnödem Begegniß der ehrlich-verschämte Schiffshauptmann Niederlands außer Fassung kommen mußte, daß er sich unmöglich dabei beruhigen konnte, besagte Tonnen nur ausgießen, einseifen, scheuern, durchräuchern und aufbrühen zu lassen, wer wollte das noch in Zweifel ziehen; sie mußten vielmehr – die Nationalreinlichkeit forderte es – zertrümmert, durch Feuer von der Erde vertilgt, das Schiff selbst, wenn auch an den Geringstbietenden veräußert werden. – Auf die oben von dem trefflichen Manne an uns gerichtete Frage aber, ob das ihm Angethane „mönslik“ sei, müßten wir freilich erwiedern: menschlich allerdings, jedoch leider nur zu menschlich. –

Der Mensch ist und bleibt ein seltsames, räthselhaftes Wesen, welches eben deshalb eine unendliche Zukunft hat, weil es durch bereits vorhandene Zustände der Civilisation nie völlig befriedigt wird. Aus aller Mannigfaltigkeit der Bildung zieht der Mensch das Verlangen nach neuen Entwickelungen, neuen Verhältnissen der Kultur, ja, er sehnt sich mitten aus dieser in die einfachen Urzustände der Natur wieder zurück, um einen neuen Bildungsgang zu beginnen. So hat es auch für den Beobachter einen besondern Reiz, der fast überreifen Bildung gegenüber solche Menschen zu betrachten, die eben erst im Begriffe sind, sich aus der Natur zu entpuppen und sich doch bewundernswerth zu helfen wissen. Sie tragen fast noch Spuren der Wildniß an sich und wachsen doch schnell in all’ das hinein, was sie sicher stellt, was ihnen Nutzen gewährt, ihnen Annehmlichkeiten bringt. Dieser rasche Uebergang von der Wildheit zur Bildung gewährt oft eine Scenerie, die uns auf der Bühne des Lebens wie des Theaters nicht wenig Unterhaltung verschafft, die aber auch in einem Genrebilde der Sprache uns durch die Contraste fesselt, welche daraus gewonnen werden.

Auch unser Wasserprospekt gewährt uns eine Anschauung, in welcher wir das Schiffswesen und seinen speciellen Betrieb fast noch im Naturstande erblicken. Ihr Hauptgegenstand ist ein Menschenschlag, der aus dem russischen Polen unter dem Namen Dzimken alljährlich zu uns herüberkommt, um seine Handelsinteressen in bescheidener Weise zu befriedigen. Man kann auf diese Nomaden des Wassers jeden Sommer eben so mit Sicherheit rechnen, wie auf das Eintreffen der Zugvögel im Frühlinge. Gerade so bestimmt halten sie die Zeit ihres Abzuges ein. Sie kommen im Juni und gehen am Anfange des September wieder ab. Sie stammen meist aus der Statthalterschaft Wilna, aus den Gegenden von Kowno, Troke, Miedniki, Jurburg, Smorgonie, Kjedany, Kroge, und sind wohl meistens armselige Landbewohner.

Ihre Zuzüge und Rastplätze gewähren eigengeartete und doch frische Naturbilder, denen man denn auch das Malerische der Wirkung, zumal im Gegensatz zu der höchsten Ausbildung der Schifffahrt unter Engländern und Amerikanern, nicht absprechen darf. Ihre Fahrzeuge heißen Witinnen. Eine solche Witinne – besonders das eigentliche Floß – hat nicht selten eine Länge von 5 bis 600 Fuß und darüber. Wenn man aus der Ferne diese Dzimkenkaravanen auf dem Wasser herankommen sieht, so glaubt man den feenhaftesten Märchentraum verwirklicht. Sieht es doch aus, als wenn eine Hügelreihe, ein Waldrücken, eine ganze Landschaft mit Häusern, Häuschen und deren Bewohnern angeschwommen komme. Die schwimmende Landzunge rückt und rückt vor und will gar kein Ende nehmen. Endlich schneidet sie sich ab, aber schon folgt eine neue Landstrecke von derselben Riesenlänge. Nun erkennt man die Gegenstände schon näher und glaubt eine Völkerwanderung auf dem Wasser vor sich zu haben. Man hört wilde, rohe Naturlaute, [588] von Menschen ausgestoßen. So mögen wohl die Hunnen gesprochen und gelärmt haben. Eine solche Witinne rückt oft so im Schneckengange fort, daß ihre Bewegung kaum zu bemerken sein dürfte, da das Ungeheuer, zwar mit einem Segel versehen, bei uns doch zu wenig Strömung und Tiefe findet. Die Argonauten der alten Griechen, wie unvollkommen ihre Fahrt auch noch gewesen sein mag, hatten doch den Vortheil, daß sie ihr Schiff stellenweise tragen konnten, aber Herkules selbst, der sich bekanntlich unter ihnen befand, würde es wohl haben bleiben lassen, eine Witinne von Kowno auf seine Schultern zu nehmen. Die längsten derselben dürfen in unsern Hafen nicht hinein, da sie einen Raum von vier bis fünf der größten Meerschiffe ausfüllen würden. Einige der mittleren liegen eben vor uns, und wir können sie und ihr Bewohner sogleich ganz gemächlich in Augenschein nehmen.

Der königsberger Hafen.

Das ist ein Bauwerk der sorglosesten, lockersten Naturart; alles was man daran Kunst oder vielmehr Handwerk nennen könnte, ist kaum zusammengenagelt, nur geschoben, und doch hält es vor und erreicht vollständig seinen Zweck, aber ohne jede Spur von Plan, von Verhältnissen, geschweige von durchgehender Symmetrie. Das Ganze hat zu seiner Unterlage einen halbangefangenen Koloß von Kahn oder Prahm, der aber fast überall durch bloßes Floßwerk unterbrochen ist, dessen Balken weit auseinanderstehen, so daß Flußwasser massenhaft hervorquillt, und man bei jedem Fehlschritt mitten auf dem Schiffe sehr bequem ertrinken kann. In der Mitte ist ein Ständer eingerammt. Er ist der höchste von allen andern, und der eigentliche Träger der gesammten Bedachung. Die andern Pfeiler sind bald hoch, bald niedrig, so daß auch das Dach zwar in der Mitte einen Höhepunkt hat, dann aber nach beiden Seiten höckerartig abläuft. Von Fenstern und Thüren läßt sich in diesem langgestreckten Behälter, aus Bretern und Latten gefügt, dessen Dach Bastmatten und Baumrinden überkleiden, gar nicht sprechen, sondern diese seinsollenden Fenster und Thüren sind kleine wie große offen gelassene Stellen, viereckte Löcher, aus denen hier und da wohl ein Dzimkenkopf hervorguckt; was in diesem Breterwulst in gesteigertem Grade so aussieht, wie wenn im Kleinen eine Gluckhenne sich aufgebauscht hat, und aus ihrem Gefieder da und dort ein Küchelköpfchen vorblickt. Die Luxusparthie einer solchen Witinne ist nach dem einen Ende, dem etwaigen Steuer zu, die Wohnung des Kapitains, d. h. eines polnischen Juden mit einem langen Bart, zweien Seitenlocken, die bis auf die Schulter fallen, einem bis zu den Schuhen langenden schwarzen Rock und einem langen Stecken in der Hand. Der Zimmerer hat an diesem Theile der ganzen Holzjurte alle Kunst bewiesen, die ihm nur zu Gebote stand. Er hat eine Art Stube hergerichtet, deren Wände baufällig nach allen Seiten her schief ragen, mit einem angeschmauchten Guckfenster versehen, von der Größe eines kleinen Rasirspiegels. Auch hier ist der Boden zum Theil bloßes Floß, rohe Baumstämme sind zusammengebunden, das Wasser dringt hier wie in die Spelunken der Dzimken fortwährend ganz gemüthlich ein und muß einige Male des Tages und der Nacht ausgepumpt werden. Die Mannschaft hat sich demnach, wie die Sclaven auf manchen Galeeren, durch Pumpen mühsam am Leben zu erhalten, um nicht plötzlich zu ertrinken. Die Dzimken nehmen solchen Uebelstand hin, als verstände er sich ganz von selbst und wäre dem gar nicht abzuhelfen. Sie betrachten den Tod überhaupt sehr gleichgiltig, und sind in ihrer vegetirenden Existenz, die dennoch einen höchst anstelligen Instinkt hat, so sorglos, daß mancher in der Dunkelheit, zumal unter der Nachwirkung des Branntweins, in die Zwischenräume der Floßhölzer tritt und rettungslos in die Tiefe des Wassers sinkt. Um so mehr ist der Heroismus ihrer Schiffsherrn zu bewundern. Man pflegt zu sagen, der Jude gehe nicht auf’s Wasser, da es keine Balken habe. Hier hat es Balken, aber auch nur Balken; gleichwohl begeben sich jene polnische Juden auf eine solche Wasserreise, auf so gebrechliche Fahrzeuge. Man sieht, was die Aussicht auf Handelsgewinn vermag. An dem andern Ende der Witinne ist ein freier Raum, wo die Pumpe angebracht ist; hier steht ein langer [589] Trog, aus dem die Dzimken mit langen Holzlöffeln oder auch mit bloßen Händen, vor vielen Zuschauern am Bollwerk, ihr Mahl verzehren, welches aus Wasser und Kleie, mit spärlichem Fette angemacht, vielleicht auch aus einer Erbsenzuthat zusammengesetzt ist, wobei die gewaltigsten Brotkloben, aus Mehl und Kleie gebacken, das Verschlagsamste sind. Dennoch ist es ein Mahl, dessen Gaumenkitzel sich auf den frohesten Gesichtern ausprägt. Dieses Kleienbrot dürfte das wirksamste Mittel sein, Zähne zu conserviren und in der herrlichsten Weiße zu erhalten, welches nur ausfindig gemacht werden könnte, und unsere Zahnärzte würden es auch sicher empfehlen, wenn sie auf den Geschmack und die Verdauungswerkzeuge unserer Damen und Herren noch zu rechnen hätten. Nichts übertrifft den natürlichen Alabasterperlenschmuck, den jeder Dzimke in seinem Munde trägt.

Betrachtet man dieses lustige Naturvölkchen des Wassers vom Ufer nun weiter, so scheint es anfangs, es sei auf seinen Witinnen wie eingenistet. Diese rührigen Gestalten, Männer und die jüngsten Bursche, wie sie auf ihren Floßholz-Baracken campiren, die ohnehin etwas vom Kindergeschmacke China’s bis auf Schnitzwerk und aufgesetzte Tempeldächelchen haben, vergegenwärtigen uns auf’s Lebhafteste jene chinesischen Familien auf den Kähnen und Flößen des Pekiang bei Kan-Beg, welche auf ihren Fahrzeugen geboren werden, heranwachsen, sich verheirathen, Kinder haben und sterben, ohne oft auch nur einmal an’s Land zu kommen. Tragen doch die Dzimken einen Rock, der just die Farbe hat, wie das Holz, wie die Bastmatte, auf der sie haften, nämlich braun; wie es ja auch Insekten giebt, welche dieselbe Farbe haben, wie das Blatt, auf dem sie wohnen. Unter dem Rocke trägt der Dzimke ein Hemde von einem grob-grauen Linnen, beide durch einen Gürtel zusammengehalten, weite Beinkleider desselben Stoffes; Kopf und Fuß geben ihm ein leichtes, fast südliches Aussehen; jenen schmückt ein leichter, weißer Strohhut, mit schwarzem Bande verziert, unter den Füßen hat er eine Art Sandalen. Freilich liebt er die Extreme, denn er zieht während der strengsten Hitze bisweilen auch einen dicken Schafpelz an, und vertauscht den leichten Strohhut mit einer Pelzmütze.

Wir sehen aber alsbald, daß es sich mit unsern Hinterwäldlern von Kowno ganz anders verhält, wie mit jenen chinesischen Schifferfamilien. Von Familienexistenz kann schon deshalb auf den Witinnen keine Rede sein, weil die Dzimken nie Weiber mit sich führen. Dann aber trachten sie auch schnellmöglichst darnach, an’s Ufer zu kommen, schon um ihre brennende Neugierde zu befriedigen. Eine Stadt wie Königsberg gesehen, durchwandert zu haben, ist in einem Dzimkenleben das Hauptereigniß. Wir sehen im Dzimken, und wäre er ein Greis, das Kind mit dem Wilden vereinigt. Ein lebhafter Tauschhandel beginnt, wie ihn die Seefahrer mit Wilden zu führen pflegen, nur daß hier die Eingeborenen die Civilisirten, die Schiffsbewohner die Unkultivirten sind. Alles Blanke, aller Tabuletkram, jedes Kinderspielzeug hat für den Dzimken unendlichen Reiz. Er bietet Matten, bunt geschnitzte Haselstöcke dar, und tauscht Sachen ein, deren Gebrauch er gar nicht kennt. Metallknöpfe, kleine Messer, Scheeren, Kinderspiegelchen, Schnarren machen ihn überglücklich, und er setzt Alles daran, sie in Besitz zu bekommen. Nun betreten diese seltsamen Naturmenschen schaarenweise das Ufer, und durchwandern die Straßen der Stadt. Es giebt barocke Scenen, die muntersten Kabinetsstücke der Wirklichkeit. Da kehrt ein alter Dzimke vom Jahrmarkt der Stadt Königsberg zurück. Er hat sich eine Kindervioline oder -Trompete oder gar eine Kindertrommel erkauft. Er hat sie umgehängt, schlägt sie mit den Stöcken, daß es eine Lust ist, und ein ganzer Halloh und Janhagel von Jungen und Kindern umringt ihn und folgt ihm unter dem ausgelassensten Lachen und Brüllen. Das genirt unsern Dzimken nicht. Er schlägt und wirbelt, so schlecht es auch ausfallen mag, sein Kalbsfell fort, und vollführt dabei ein gellendes Freudengeschrei und Jauchzen. Die Buben versperren ihm den Weg, lachen und schämen ihn aus, zupfen ihn von hinten, stoßen ihm an die Trommel, so daß er auf den Reifen oder gar vorbei schlägt, nie bringt es ihn außer Fassung, im Gegentheil, es macht ihm nun erst rechten Spaß, und er versucht sein Trommelstück immer wieder auf’s Neue.

Ein anderer dieser gutmüthigen und in ihrer Art sehr bildungsbeflissenen Naturmenschen, der auch in seinem grobbraunen Kittel, mit Strohhut, Hals und Brust entblößt, auf Sandalen ausging, kehrt wie verwandelt aus der Stadt zurück. Auch ihm folgt ein Straßenschwarm. Unser Dzimke ahnt nicht, wie er sich in geschmacklicher Hinsicht verschlechtert hat, und träumt von einem Fortschrittssiege ohne Gleichen. Er hat sich eine Tuchmütze erkauft, die ihm zu groß ist, und die ihm die Jungen noch tiefer in’s Gesicht rücken. Er trägt eine Halskravatte, die er aus Unkenntniß sich verkehrt angeschnallt hat, vor Allem aber entstellt ihn ein Leibrock oder sogenannter Frack aus blauem Tuche, dessen Aermeln der Mann längst entwachsen ist, dessen Taille nebst Knöpfen ihm hinten zwischen Nacken und Oberrücken sitzen, während die Schöße kaum decken, was sie doch decken sollen. Unglücklicher Weise aber erhielt der so urplötzlich Europäisirte im Trödel keine anständigen Beinkleider mehr, so daß die alten, graulinnenen Säcke um so mehr oberwärts sich bauschen, als der Hinterwäldler ein Paar Cavalleriestiefel sich erstand, die ihm auch wieder zu eng sind, was ihm allein dadurch vergütet wird, daß daran Sporen klirren. Wahrlich, unsere Modejournale könnten sich vorkommenden Falls aus solcher Geschmacksverbesserung, die keine ist, manches zur Warnung entnehmen. Oft gelingt sie aber auch an unserm Dzimken bis auf Ungestaltung des ganzen Menschen. Man erzählt von manchem jetzt wohlbemittelten, vielleicht sogar reichen Kaufherrn Königsbergs, er sei als der ärmste solcher Witinnenpolen nach unserer Stadt gekommen, habe mit dem Tauschhandel um Knöpfe und eine Kindertrompete angefangen, und mit dem Großhandel und einer Million aufgehört.

Neue Wunder und Poesieen der Wirklichkeit enthüllen sich, denen selbst die Langmuth und Schwerbeweglichkeit einer Dzimkenphantasie nicht gewachsen sind. Schon die Dampfschiffe machen ihr was zu schaffen, und geben ihr unlösbare Räthsel auf. Geräth aber ein solcher Natursohn der polnischen Hinterwälder nun gar auf unsern Eisenbahnhof, der sich in der Nähe des Hafens prächtig erhebt und ausbreitet, so kann der Beobachter wahrnehmen, wie fast sinnestörend und vernichtend die neuesten Errungenschaften der Civilisation auf einen Menschen wirken, der sich fast noch im Naturzustande befindet. Der Wilde ist schon außer sich, wenn er zum ersten Male einen Menschen zu Pferde erblickt. Er hält Beide für ein Wesen. Was wird aber hier dem Dzimken zugemuthet! Er soll es natürlich finden, oder sich doch erklären, daß eine Wagenreihe im Fluge ankommt, die nicht von Pferden gezogen wird. Zumal aber das Ungeheuer vorne mit seinen Feueraugen und glühenden Füßen unten, mit seinen keuchenden und ächzenden Athemzügen, seiner Rauchsäule, die wie ein dicker Wasserstrahl in die Höhe schießt, wirkt auf unsern Witinnenfahrer, als kämen der Teufel, seine Großmutter und der ganze Hofstaat der Hölle an, er windet und krümmt sich, als ginge die satanische Sippschaft schon über seinen Leib weg und kreuzigt sich, um sich in seinem Entsetzen zu helfen, wie er eben kann.

Auf seinem Floßschiffe selbst vergeht einem solchen Dzimken, wenn er nicht besondere Arbeiten zu verrichten hat, der Tag in aller Eintönigkeit eines noch dürftigen Seelenlebens, welches aber dennoch durch die Eindrücke des Hafens und der Stadt Königsberg schon um etwas bereichert worden ist. Abends indessen, nach dem Leckermahle seines Erbsengerichts, wenn die Tage noch lang sind, giebt es einen Tanz im Kreise der Seinigen, auf dem Bollwerk, vor vielen Zuschauern. Den Tanz und die Violine liebt der Dzimke leidenschaftlich. Gesang hört man fast nie aus seinem Munde. Er tanzt musterhaft gewandt nach der Natur und nach der ihm angeborenen Anstelligkeit seiner Nationalität, aber er entlockt den drei oder drittehalb Saiten seiner Geige dafür auch Laute, daß man der kratzenden Schärfe des Durtons entlaufen möchte, wogegen der Mollton uns mit Wehmuth erfüllt. Ist der Tanzlehrer des Dzimken auch der Naturinstinkt und die Schule, die er gehabt, die erste beste Dorfschenke seiner Heimath, so führt er seine Masurka, seine Varsovienne, seine Polka doch mit Anmuth und Selbsterfindung durch, die uns in Erstaunen setzen. Seine Sandale hat eine Elasticität, eine Sprungfederkraft, deren nicht leicht ein Damenschuh fähig ist; sein Körper eine Geschmeidigkeit, Anempfindung und Hingebung, die sogar einem Vestris[WS 1] und einer Donna Pepita nicht trefflicher gelingen dürften. Dabei beobachtet er die Grenze und Sitte des ihm Angestammten, seiner Urväter, bei jedem Schritte und Tritte. Ungeachtet die polnische Nation längst aufgehört, eine zu sein, und bereits in aller Herren Länder gedient hat, wird der Dzimke in seinem Tanz doch nie den Polen schuldig bleiben, und etwa in eine Kosacka überschweifen; zum besten Beweise, wie harmlos und naturfrisch, wie unangebrochen sich dieses [590] Völkchen noch erhalten hat. Man wird ordentlich gespannt, wie die Frauen und Mädchen, die hier leider fehlen, erst hüpfen und springen mögen, und vollends, wenn beide Geschlechter, wie daheim, im Tanz einander ergänzen. Aber an unserm Festabende wissen die Dzimken alles Fehlende zu ersetzen. Die Sprachtöne, die dann laut werden, tragen auch nicht wenig dazu bei, einen solchen Dzimkentanz zu beleben, und die etwas dünnen Töne der Violine zu schwellen. Es strömt uns aus diesen slavischen Schrei- und Lachlauten eine Fülle von Wohltönen, von Zierlichkeit, Liebreiz, Stattlichkeit und Hoheit entgegen, die uns entzücken. Die Consonanten, als die männlich kräftigen Elemente, werden in der Aussprache so geschnellt und den Vokalen so galant unterthänig gemacht, daß diese, als die weiblich zarteren Klänge, in aller Schönheit sich hervorthun dürfen, und ihre artigen Führer in jeder Bewegung beherrschen, so daß die Sprache der Dzimken selbst wieder zum Tanze wird, der den Tanz mit hörbarer Grazie begleitet. Kurz, man kann es, wenn man sich anders auf Beobachtung versteht, an diesen Tänzen der Natursöhne Polens recht wahrnehmen, wie liebenswürdig ein Volk oft auch noch in seinen letzten Ueberresten, wie das Volk als solches unter allen Umständen ist; wie alle Anmuth der Bildung, aller Liebreiz der Haltung und des Auftretens, alle Blüthen der Kultur im Volke selbst ihren Ursprung haben, wie verfeinert sie auch späterhin werden mögen, eine Verfeinerung, die dem tiefen Kenner oft gar nicht mehr genügt, weil er die Ueberfeinerung, das Anbrüchige darin schon wittert.

Es erfüllt den empfindsamen Königsberger immer mit einer gewissen Wehmuth, und mahnt ihn daran, daß der Spätsommer da ist, und die Störche in ferne Länder ziehen, wenn die ehrlichen Dzimken ihre Holzjurten des Wassers abbrechen. Schon haben sie das Dach abgetragen, traurig sehen uns die darunter stehenden Holzsparren an, ein Balken nach dem andern fällt, eine Latte löst sich nach der andern, jetzt nehmen sie auch den langen Prahm auseinander, und krabbeln nur noch über das Floß hin, bis auch dessen letztes Holzstück an’s Land gebracht wird. Ihr Schiffsführer macht auch dieses Holz noch zu Geld, entläßt seine Leute, und sie ziehen gruppenweise über Land in ihre Heimath, um in den langen Winterabenden, wenn die Violine klingt, den Ihrigen zu erzählen von den wunderbaren Dingen, die sie in Königsberg erfahren haben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Auguste Vestris, französischer Tänzer