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Im Paris des Waffenstillstandes

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Im Paris des Waffenstillstandes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 156
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[156] Im Paris des Waffenstillstandes. Wir erhalten von unserem Mitarbeiter Fr. Hofmann folgenden Vorläufer eines Berichtes über das dermalige Innere der französischen Hauptstadt, in welches vorzudringen demselben schon am siebenten Februar gelungen ist:

Paris, 8. Februar 1871.     

Ich kann mir die Freude nicht versagen, Ihnen einen Brief mit dem Poststempel von Paris zu senden, damit Sie amtlich davon überzeugt sind, daß ich wirklich im Kern der Stadt bin.

Wie ich hereingekommen, erzähle ich Ihnen morgen, wenn ich ebenso wieder hinausgekommen bin. Im Bahnhof von Orleans, am östlichen Ende des Boulevard de l’Hopital, stieg ich gestern aus dem Waggon.

Schon in den mächtigen Räumen dieses Bahnhofes fühlte ich mich in Paris, und der Contrast zwischen diesen für Tausende gemessenen Hallen und der verschwindend kleinen Anzahl von Reisenden, die sich darin verloren, ließ jetzt ahnen, was Paris seinem Wesen nach sein müsse und was es in diesem Augenblick ist: ein weites Galakleid, in welchem ein abgezehrter Körper steckt. – Immer noch Versailles im Kopfe, wohin ich eigentlich gehen wollte und auch noch zu müssen glaubte, weil ich nur deutsches Thalergeld bei mir hatte, schlug ich mich links am Boulevard de l’Hopital hinab, verließ aber schließlich die mit diesem zusammenhängenden Boulevards, auf denen nur der Kleinverkehr die Trottoirs belebte, verirrte mich in ein Gassengewirre, selbst eine Rue Humboldt passirte ich, und kam endlich bei dem Quai de la Tournelle wieder heraus – mit dem ersten Blick die weltberühmte Notre-Dame begrüßend, die mit der grauen Pracht ihrer wundervollen gothischen Glieder zur Linken jenseits der Seine emporragte.

„Hier bleiben!“ rief’s in mir. Vor Allem galt es nun eine vorsichtige Geldprobe. Wie wunderlich es mir dabei erging, muß ich Ihnen sogleich erzählen. Ich fing klein an. In einem Cigarrenladen legte ich ein Fünfgroschenstück auf den Tisch und bat um einige der besten Cigarren. Eine Frau verkaufte. Kaum hatte diese mein Geldstück in der Hand näher betrachtet, so warf sie’s mit einem Abscheu weg, als wenn’s plötzlich eine Kröte geworden wäre. „Fi-donc, d’argent prussien!“ Eiligst zog ich meinen armen Verschmähten zurück und empfahl mich. – Ich mußte höher hinauf; einige Häuser weiter fragte ich nach dem Preis eines Spazierstocks; „zwei und einen halben Franken.“ Der Zufall mußte es so wenden, daß der neue preußische Thaler, den ich hier auf die Tafel legte, das noch silbern glänzende Gesicht Wilhelm’s zeigte. Der Verkäufer – er trug rothe Streifen an den Hosen – berührte diesmal die Münze gar nicht. Mit außerordentlich verständlicher Gesticulation des Abscheus bat er mich, diesen „Prussien“ vom Tisch zu entfernen. Noch schlimmer fiel mein dritter Versuch aus. Ich hatte als Kaufstück einen Regenschirm zu zwölf Franken gewählt und legte zur Bezahlung einen preußischen Zehnthalerschein hin. Ganz habe ich die schöne Rede nicht verstanden, welche die schwarzgekleidete patriotische Dame mir hielt; der Schluß lautete, daß ich mich schämen solle, ein solches Papier des Feindes in dem unglücklichen Paris verwerthen zu wollen. Eine schöne Aussicht! – Ich wußte es nun haarklar, daß ich dastand mitten in der ergrimmten Franzosenhauptstadt ohne einen Pfennig Geld in der Tasche! Die Lage war um so störender, als Hunger und Durst ihr Recht forderten. Das nächste Beste erschien mir die Rückkehr nach Vitry; auf dem Wege zum Bahnhof von Orleans traf ich jedoch mit einem jungen Manne aus Paris zusammen, der sich mir zum Führer anbot und der mich in der That aus aller Verlegenheit gerettet hat. Wir gingen zunächst in ein Speisehaus, wieder am „Boulevard de l’Hopital“, und hier setzte ich meine Geldproben mit nun gedecktem Rücken fort. Der preußische Thaler erhielt auch hier keine Gnade, als ich aber einen österreichischen Vereinsthaler vorlegte und ihn durch Wappen, Kopf und Schrift als „Autrichien“ erklärte, – da war’s etwas anders, den nahm man sofort für drei und einen halben Franken. So tief greift hier der politische Haß in den Verkehr ein.

Mein Führer hatte mir gestern Abend ein einfaches, aber reinliches Schlafstübchen verschafft; beim Erwachen heute Morgen wollte mich allerdings der Gedanke schütteln, ob das Bett nicht im Dienste des jetzt in Paris so vielfach und unheimlich geschäftigen Todes gestanden; mit einer deutschen Cigarre dampfte ich ihn fort; seit halb Acht habe ich nun Paris in seinen wichtigsten Theilen durchlaufen und das blasse Bild der alten Prachtstadt gründlich genossen. Allen, welche dieselbe in den Tagen ihres Glanzes gesehen, wird es kaum möglich sein, die Straßen, Boulevards und Quais sich ohne die zwei Hauptstücke des Pariser öffentlichen Treibens vorzustellen: ohne Pferde und ohne Fremde! – Denken Sie sich die breiten Fahr- und Reitwege der endlos langen Häuserlinien ohne das Rasseln der Equipagen eines Kaiserhofes und all der diplomatischen, militärischen, finanziellen Hof- und Haushaltungen, ohne die stattlichen Reiter und Reiterinnen, ohne die schweren Güterwagen und die rastlosen Fiacres! – Als ich im Bahnhof von Orleans gestern hier ankam, stand ein, sage ein Fiacre da, welchen sofort drei Damen in Beschlag nahmen; bis jetzt habe ich noch kein Dutzend derselben zusammengezählt. Nur die Omnibuslinien gehen wieder ihren Gang, aber jedenfalls nur in einfachster Zahl. (Eben, während ich dies in dem „Restaurant à John Bull“ in der Rivolistraße schreibe, wird draußen ein Zug von mindestens zweihundert aufgeschirrten Pferdepaaren vorübergeführt, begrüßt vom Jubel des Volks. Das wird das jetzige Straßenbild bald verändern.)

Die Luxusläden hängen zwar ihre Siebensachen aus, aber der Käufer fehlt, der Fremde mit der vollen Börse. Die Einheimischen sind in Masse nur da zu finden, wo man Nahrungsmittel verkauft, also vor den Bäckerhäusern und in den großen Markthallen. Auch die Wahlurne half heute in den verschiedenen Straßen größere Gruppen bilden; man beehrte mich mit der Ueberreichung von wenigstens einem Dutzend Wahlzetteln, die ich von allen Parteien huldvoll entgegennahm.

Aber die Zeit drängt, der Brief muß fort. Ueber meinen heutigen Rundgang das nächste Mal. Eben komme ich vom Invalidendome und vom Concordienplatz zurück. Der Eingang zu jenem war verboten, weil darin „restaurirt“ werde; mein Führer ließ mich durch einen finstern Seitengang dahin gelangen, und was ich sah, erklärt mir das Verbot: sämmtlicher Fahnenschmuck ist entfernt; die Mehrzahl waren deutsche Fahnen; man hat sie wahrscheinlich „sauvés“. Der Degen des alten Fritz ist wohl auch bereits „sauvée“. – Dagegen glänzt auf dem Concordienplatz der schwerste Verlust der Franzosen im Schmuck nationaler Trauer: die Statue von Straßburg ist ganz überdeckt mit umflorten Fahnen und Todtenkränzen! –

Da winkt das „Dejeuner“! – Mir graut vor Dir! Aber – Hunger thut weh. Also – drauf los mit Todesverachtung – Gruß! Ihr etc.