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Im Dienste des Halbmonds

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Titel: Im Dienste des Halbmonds
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 780–783
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Im Dienste des Halbmonds.
Reminiscenzen eines deutschen Arztes.

Auf dem Lloyddampfer, der uns von Triest nach Constantinopel brachte, lernten wir uns kennen, fünf Mediciner, welche sich dem Sanitätsdienste unter dem Halbmond widmen wollten: drei Deutsche, ein Ungar und ein Siebenbürger. Uns Deutsche führte das Schicksal weit aus einander und doch schließlich wieder zusammen, und ewig lieb und theuer bleiben wird mir die Erinnerung an meine Landsleute Dr. Schücking und Dr. Weiß.

Siehe Neapel und stirb! Siehe Stambul und schweig! denke ich und erlasse mir damit jede Beschreibung, die doch von der Pracht der orientalischen Residenz ein zu dürftiges Bild geben würde. Wir hielten, nachdem wir am frühen Morgen angekommen, noch selbigen Tages unsere feierliche Auffahrt im Seraskierat, dem Kriegsministerium. „Schön ist ein Cylinderhut, wenn man ihn besitzen thut,“ dachte der Altpreuße und erschien in angeborener Achtung vor hohen Ministerien und Excellenzen in Frack und Chapeau-claque, der Ungar hatte in seiner Sympathie für die muselmanischen Stammesbrüder bereits den communistischen Fez seinem gut entwickelten Hinterkopfe aufgedrückt, wir Anderen kamen in treuer Anhänglichkeit an das Alte – abgesehen von anderen Gründen – in unserem Reise-, Salon- und Gesellschaftsanzug.

Im Orient muß man sich an das stete Tragen von Ueberschuhen gewöhnen. Das Wohnzimmer des gewöhnlichsten Hauses kann man nicht mit denselben Schuhen betreten, die eben noch das Straßenpflaster berührt haben; wer keine Ueberschuhe trägt, der niedrige Mann, läßt überhaupt seine Schuhe draußen und macht seinen Besuch in Strümpfen.

Wir, mit dieser Sitte noch nicht bekannt, entgingen dem Ansinnen des Treppenhüters, unsere Stiefeln für die Dauer der Audienz in seiner Obhut zu lassen, nur durch die Intervention eines höheren türkischen Beamten, der in uns sofort Ausländer von nicht ganz obscurer Bedeutung erkannte. Er beschied uns auch zur Medicinalabtheilung des Seraskierats. Wir traten ein durch die rothe Portière – ein Lärm schallte uns da entgegen, ein Tabaksqualm legte sich uns vor die Augen wie beim Eintritt in ein besuchtes Wiener Kaffeehaus niederen Ranges.

Nachdem wir uns an Lärm und Dampf gewöhnt hatten, suchten wir unter den Anwesenden Seine Excellenz Nouri Pascha, an den wir unsere Accreditive abzugeben hatten; man zeigte uns ein dickes Männchen, das in der Ecke des Salons auf einem Sessel hockte und freundlich lächelnd die Perlen seiner Spielschnur durch die Finger gleiten ließ. Er bat uns Platz zu nehmen und lächelte weiter. Man brachte uns Kaffee, und da absolut von keiner Seite weiter uns irgend welche Beachtung geschenkt wurde, so folgten wir dem Beispiele der meisten Anwesenden und rauchten eine Cigarette nach der andern. Während dessen hatten wir Zeit und Gelegenheit, uns etwas umzusehen und das Treiben im hohen Seraskierat zu beobachten. An der einen Wand des Salons saßen auf Teppichen verschiedene Schreiber; neben jedem stand eine große Kiste, mit beschriebenen Papieren gefüllt. Bisweilen wurde von einem der Schreiber aus seiner Kiste ein bunter Haufen Schriftstücke hervorgeholt und so lange durchwühlt, bis er das Gesuchte fand. Von Zeit zu Zeit mußte Nouri Pascha untersiegeln, was mit großer Umständlichkeit und Wichtigkeit geschah. Dazwischen kamen Soldaten oder solche, die es werden sollten, aber vorzogen, sich gleich von der obersten Behörde für dienstuntauglich erklären zu lassen, Invalide, um die ihnen zugesagte Unterstützung erst noch zu erbetteln. Verwundete und Kranke kleideten sich ungenirt aus, um ihre Gebrechen ad oculos zu demonstriren. Selbst ein Bettler trat auf, mit unverschämt jämmerlicher Miene, und machte an uns Fremden einen guten Fang.

Endlich erschien die Hauptperson auf dem Schauplatze, Seine Omnipotenz der Secretär von Nouri Pascha. Er sah die Papiere nach und bat uns, nach zwei Tagen zur Empfangnahme unserer Ordres wieder zu erscheinen.

Mit Allah für Sultan und Vaterland! Als Dr. Schücking und ich – uns beide hatte die Ordre getroffen, auf den unmittelbaren Kriegsschauplatz und zwar zuerst nach Orchanie abzugehen – als wir nach zweitägiger Eisenbahnfahrt in Tatar Bazardjik, der damaligen Endstation der ottomanischen Bahn, ankamen, zeigten sich schon die Schwierigkeiten einer Reise durch diese Gegend bei Kriegszeiten. Nachdem wir die Nacht in einer widrig schmutzigen italienischen Locanda, dem einzigen Gasthause, wo wir noch Platz finden konnten, durchwacht hatten, begaben wir uns der Weisung des Seraskierats gemäß zum Kaimakam (Militärgouverneur) der Stadt, um denselben für unsere Weiterbeförderung zu interessiren. Ein armenischer Arzt, dessen Praxis und Apotheke wegen der Kriegsläufte nicht in gehörigem Zuge war, machte gegen den üblichen Bakschisch den Dolmetscher. Wagen, die wir wünschten, behauptete der Kaimakam beim besten Willen nicht auftreiben zu können, aber Pferde nach Belieben, jedoch nur mit den gewöhnlichen Packsätteln. Der Europäer, der zum ersten Mal sich einen solchen Türkensattel besieht, hält ein Reiten darauf, wenn nicht für unmöglich, so doch für höchst problematisch und unbequem. Also durchwanderten und durchmusterten wir den Bazar und kauften uns schließlich zwei alte lederne Sättel.

Gegen Mittag kam eine Heerde kleiner Pferde vor der Locanda angetrappelt, dahinter her mit Stöcken einige schmutzige rumelische Jungen. Bald erschien auch, sein Pferd am Zaum führend, ein türkischer Gensd’arm und machte uns nach der schuldigen Begrüßung durch grinsende Mimik begreiflich, daß er trotz seines schuftigen Aussehens ein famoser Kerl sei und uns begleiten solle. Er legte auf zwei Pferde unsere Sättel; auf drei andere wurde unsere Bagage vertheilt, und wir stiegen auf. Bei letzterem Unternehmen konnte ich mich bereits wegen des bedenklichen Wackelns meines zukünftigen Leibrosses einer dunklen Ahnung nicht erwehren.

Als wir zwei oder drei Stunden geritten waren und der Weg anfing steil und stellenweise uneben zu werden, wurde der Gang meiner Rosinante immer unsicherer, sie verfiel von einem Fehltritt in den anderen, zuletzt war sie nicht mehr, weder mit Gewalt noch Güte, fort zu bringen. Sie hatte aber kein Gesicht wie der Esel Bileam’s, sprach auch kein Wort; sie blieb stumm und – blind, auf beiden Augen stockblind, wie ich mich nach dem Absteigen überzeugen konnte. Die Treiber mit den Packpferden waren noch weit zurück, der Gensd’arm vorgeritten, um Quartier zu machen. So mußte ich denn das arme Thier fürsichtiglich über Stock und Stein geleiten, bis endlich der Gensd’arm zurück kam und mir sein Pferd zur Benutzung überließ. Wir erreichten in kurzer Zeit ein Dorf, fanden das bestellte Quartier ziemlich erträglich, und bald wob uns zum ersten Mal unter bulgarischem Dache der Traum seine lieben Bilder aus Vergangenheit und Zukunft.

Noch einen ähnlichen Ritt auf einem anderen Packpferde, noch eine zweitägige Fahrt von Ichtiman nach Sofia in einem Schubkarren, der von einem gaulähnlichen Viergebein ruckweise nach dem Tempo von Stockschlägen fortgeschoben wurde, und wir rasselten in die krummen Straßen von Sofia hinein. Hier ruhten wir einen Tag aus und bestellten uns auf den anderen Morgen Schnellpost, die allerdings eine schwere Menge Geld kostete, uns aber auch mit geradezu rasender Schnelligkeit über die Höhen des Balkan nach Orchanie, dem Schauplatze unserer zukünftigen Thätigkeit, beförderte, wo wir noch am Abend unser Quartier in eitler Bulgarenhütte aufschlugen.

An der Spitze des Militärhospitals und der Ambulanzen von Sofia bis Plewna stand Temple Bey, ein Mann, der alles Andere eher war, als Mediciner. Englischer Renegat, war er durch die Vermittelung einer einflußreichen Haremsdame zu diesem [782] Posten gekommen. Seine Hauptaufgabe schien es zu sein, die Confusion, welche so wie so in Lazarethen und bei Ambulanzen herrschte, durch tolle, meist in der Trunkenheit gegebene Befehle zu vermehren. Seine Autorität war zuletzt auch dermaßen erschüttert, daß wir ihm Alle offen erklärten, wir würden keine Ordre mehr von ihm berücksichtigen. Er wurde denn auch endlich im December abberufen.

Im Militärhospital zu Orchanie waren deutsche, ungarische, englische und amerikanische Aerzte neben den etatmäßig angestellten türkischen Aerzten. Hätte man nun deutsch-ungarische und englisch-amerikanische Abtheilungen gebildet und dieselben unter die Leitung eines deutschen oder ungarischen, eines englischen oder amerikanischen Arztes gestellt, so konnte man sich von der Wirksamkeit dieser Abtheilungen etwas versprechen. So war das Hospital und ganz Orchanie mit der großen Anzahl von Krankenhäusern in verschiedene Divisionen getheilt und jede Division hatte ihren Arzt, der dort die Visiten machen und die nöthigen Operationen, größere nur mit Zustimmung der Medschlis (Conferenz oder Versammlung der Aerzte), ausführen mußte. Da es aber in der Taktik des Chefarztes lag, keinen Arzt längere Zeit bei einer Division zu lassen, sondern bald den, bald den mit Truppenkörpern oder Verwundetentransporten eine Zeitlang auf Reisen zu schicken, so entstand natürlich durch den häufigen Personenwechsel die größte Verschiedenheit, ja Verwirrung in der Behandlung der Kranken, da oft schon die Unkenntniß der Sprache einen Deutschen und Engländer an dem hier doch nothwendigen Meinungsaustausch hinderte.

Mit einer solchen Taktik verfolgte unser würdiger Chef den Zweck, die ausländischen Aerzte keinen Einblick in die Verwaltung und die inneren Verhältnisse des Militärsanitätswesens gewinnen zu lassen. Welche Niederträchtigkeiten da vorgekommen sind, habe ich später mit Gewißheit erfahren. Die Bestechlichkeit griechisch-türkischer und levantinischer Aerzte war selbst dem gemeinen Soldaten bekannt und wurde von demselben benutzt, wenn er das Geld hatte, sich einen Invalidenschein zu kaufen. In Philippopel theilten bei Anrücken der Russen die türkischen Aerzte die sogenannten Todtengelder unter sich, das heißt diejenigen Gelder, welche in den Lazarethen gestorbene Soldaten bei sich getragen hatten, und solche, welche durch Verauctionirung der von den Todten hinterlassenen Effecten zusammen gekommen waren. Es waren das viele tausend Franken.

Einen unheilvollen Einfluß auf die armen Kranken und Verwundeten, welche durch ihre bewiesene Tapferkeit und ihre Ruhe im Leiden die vollste Sympathie verdienten, hatten die Veruntreuungen und Pflichtverletzungen der Apotheker, auch zumeist griechischer Türken. Chinin wurde in großen Quantitäten gestohlen und statt dessen den Kranken Zucker gegeben. In späterer Zeit wurde trotz der religiösen Bedenken als Stärkungsmittel Rothwein eingeführt, der zum größten Theile von den Apothekern getrunken wurde. Kam man nun diesen Niederträchtigkeiten auf die Spur, so wurde eine Anzeige bei dem Chefarzt entweder todtgeschwiegen oder endigte mit der Abcommandirung des Arztes, der die Anzeige machte; denn türkische Aerzte und Apotheker mußten unter einer Decke spielen. Der Apotheker mußte den Arzt bei der Morgenvisite begleiten und sogleich die Verordnungen aufschreiben; eine zu gründliche Untersuchung eines oder mehrerer Kranker, welche die Mahlzeit des Apothekers etwas hinausschob, genügte oft, um die Versetzung des Arztes zu einer anderen Division zu verursachen.

Meine Bewunderung für die Leistungen der türkischen Soldaten ist geradezu unbegrenzt. Ich habe den gemeinen türkischen Soldat kennen gelernt im Gefecht und auf dem Marsche, im Zeltlager am Kochkessel und im Lazareth auf dem Krankenbette und dem Operationstische, und immer als tapfer und ausdauernd, mittheilsam und mäßig ohne Ruhmrederei und Geschrei nach dem Siege, ohne Klage bei den größten Entbehrungen und Schmerzen. Der gänzliche Mangel an der nöthigsten Verpflegung, die Strenge des den Meisten ganz unbekannten Winters und die erdrückende Uebermacht der Russen haben endlich die Kraft und Ausdauer dieser braven Soldaten gebrochen. Doch Soldaten konnte man sie zuletzt gar nicht mehr nennen, diese Schatten von dem, was sie gewesen, erfrorene, verhungerte, zerlumpte Gestalten mit einem Rest von Leben unter den Rippen.

Und diese Reste von Menschenleben aus den Kämpfen bei Kamerli sollten wir am 28. December, als die Russen die Straße nach Sofia abgeschnitten hatten und Taskissi bedrohten, nach der Ordre Baker Pascha’s auf Fußwegen über den Balkan nach Ichtiman bringen. Von dreißig Wagen, die uns für die schwersten Kranken zur Disposition gestellt wurden, kamen vier, von mehr als tausend Kranken ungefähr dreihundert nach Ichtiman. Die übrigen liegen begraben in den Schluchten des Gebirges, in die sie die Schneestürme warfen, welche uns hoch oben mit solcher Heftigkeit überfielen, daß ich mich, obgleich gesund und kräftig, oft minutenlang an einem Baum festhalten mußte und drei- bis viermal kopfüber in den Schnee gestürzt wurde. Noch kommt mir oft das Jammergeschrei der Unglücklichen in Erinnerung, die uns flehend die Kniee umklammerten und die Schuhe küßten. Und es war nicht zu helfen, selbst mit Aufopferung des eigenen Lebens nicht.

Wenn nun meine Hochachtung für die Leistungen der regulären türkischen Soldaten eine unbegrenzte ist, dann möchte der Leser wohl auch gern meine Meinung über die „schrecklichsten der Schrecken“, über die Baschibozuks und Tscherkessen hören.

Man hat im letzten Kriege, in Zeitungen aller Nationen, zum Theil Entsetzen erregende Berichte von den Gräuelthaten dieser Leute gelesen. Ich will den Hang dieser irregulären Kämpfer für den Islam zu Grausamkeiten, zu Mord und Plünderung gar nicht in Abrede stellen; aber so schlimm, wie man sich Baschibozuks und Tscherkessen denkt und nach den Berichten denken muß, sind sie doch nicht, und vielleicht zwei Drittel der ihnen zur Last gelegten Gräuelthaten sind nie verübt worden. Der Tscherkesse ist stolz und tapfer, habsüchtig und grausam; seinen Nationalstolz verleugnet er nie, er mischt sich fast nie unter türkische Soldaten. Selbst in den Zeiten des größten Wirrwarrs hatten die Tscherkessen in Städten und Dörfern eigene, streng exclusive Theestuben, und höchstens ein Europäer von unserem Stande konnte es wagen in denselben einzukehren, ohne den Unwillen der Gäste hervorzurufen. Merkwürdig schlau ist der Tscherkesse in Geldsachen; er hatte immer den Cours des Papiergeldes im Kopfe, in zweifelhaften Fällen zu seinen Gunsten, wußte sehr gut Gold von Gold zu unterscheiden und machte alles, was er raubte, am liebsten so rasch wie möglich zu Napoleons und Sovereigns. Er ist gebildeter als der Türke, und wenn auch von der Natur nicht besser beanlagt, so doch geweckter und wißbegieriger.

Die Grausamkeit des Tscherkessen gegen die Bulgaren läßt sich, relativ wenigstens, rechtfertigen oder erklären. Die türkische Regierung hatte bekanntlich die muselmanischen Tscherkessen in Bulgarien zum größten Aerger der christlichen Einwohner angesiedelt. Nun wußten die Tscherkessen, daß sie nicht allein für den Glauben, für den Sultan und die Existenz der Türkeit, sondern vor allen Dingen für Haus und Hof, für Weib und Kind zu kämpfen hatten; und sie hatten es erfahren in den bulgarischen Aufständen und jetzt überall, wo sich die türkische Armee rasch zurückziehen mußte, daß die erste und größte Wuth der befreiten Bulgaren sich mit Mord und Brand gegen die Familien und Wohnungen der Tscherkessen richtete. Zwischen Bulgaren und Tscherkessen wüthete eben ein Racenkampf in des Wortes entsetzlichster Bedeutung.

Schöne, imposante Gestalten sind die Tscherkessen, mit scharf geschnittenen Gesichtern, in geschmackvoller, malerischer Tracht. Den langen, eng anschließenden, meist braunen Rock mit Silbereinfassung schmückten auf der Brust zwei Reihen von häufig kostbaren Patronkapseln. Der Tscherkesse gehört auf das Pferd, ohne das ist er gar nicht denkbar. „Er lebt und stirbt auf demselben“ ist eine banale Redensart, doch will ich hier einen kleinen Beweis bringen, daß sie bei den Tscherkessen ihre Anwendung finden kann. In Orchanie war’s. Wir waren eben mit dem Verbinden eines großen Verwundeten-Transportes fertig geworden, meine Collegen waren in die Locanda zum Essen gegangen; ich blieb allein zurück, da ich die garde hatte, und stand in der Hausthür des Hospitals. Eben nahm die Herbstsonne, ihren kühlen rosigen Gruß über den Kamm der steilen Gebirgswand schickend, Abschied, da ritt langsam in den Hof auf jungem schwarzem Hengst ein alter, uralter Tscherkesse mit schneeweißem Barte. Er saß aufrecht im Sattel, aber der Ausdruck im Gesicht fiel mir schon von Weitem auf; ich ging ihm rasch die Treppe hinab entgegen und fragte nach seinem Begehr. Da zeigte er nur auf seinen Oberschenkel, und als ihn zwei rasch herbeigerufene Krankenträger mit mir vom Pferde hoben, da sah ich schon in ein lächelndes sterbendes Gesicht. Kaum hatten wir ihn im Corridor niedergelassen, so war er [783] bei Allah. Die Wunde, die er zehn Stunden von Orchanie erhalten und selbst auf’s Beste verbunden hatte, wäre auch ohne den langen Ritt tödtlich gewesen. Und sicher hatte ihn sein Pferd so sanft wie möglich getragen, es kam „wie auf den Zehen“ über den Hof. Jetzt wieherte es laut nach einer Liebkosung, die es sich nur unwillig von fremder Christenhand gefallen ließ.

Vor den Baschibozuks hatte ich anfangs immer ein gewisses Grauen; die Kerle sehen auch zu unheimlich aus, wirklich bis an die Zähne bewaffnet. Im rothen Shawl, der um den Leib gewickelt ist, stecken zwei oder drei lange Pistolen und drei bis vier große Messer. Die Pistolen, deren Schäfte meist prachtvoll gearbeitet und mit Silber, Gold, sogar echten Steinen ausgelegt sind, können nur als Hauptschmuck an der Tracht des Baschibozuks angesehen werden. Ich habe wenigstens nie eine solche Pistole bei einem Baschibozuk getroffen, die man so hätte laden können, daß sie hernach losging; statt dessen tragen sie meist Flinten, die desto sicherer schießen. Und dann: je unschuldiger die Pistole als Mordgewehr, desto gefährlicher das Messer.

So schaudererregend mir diese mit Recht verrufenen Mordkerle anfangs auch waren, so habe ich doch mit dem Einen und dem Andern nähere Bekanntschaft angeknüpft, mit Einem sogar, ich möchte sagen Freundschaft geschlossen; einen Andern habe ich in der letzten Zeit als Diener engagirt und mich ganz wohl dabei befunden. Mein Freund wohnte in beschaulicher Ruhe in einem Dorfe zwischen Sofia und Taskissi und verwaltete, allerdings wohl ohne jeden Auftrag, das Besitzthum eines flüchtigen oder gehenkten Bulgaren. Er machte nur selten noch kriegerische Ausflüge und gab sich, bescheidener Natur, mit dem Erbe des Bulgaren zufrieden. Mein erster Besuch bei Mehmet war ein unfreiwilliger; ich wollte nach Sofia reiten, wurde aber, da mein Pferd lahmte, von der Nacht überrascht und suchte, hungrig und müde, das erste erleuchtete Haus abseits der Straße auf. Wie freute sich der biedere Bursche, einem Nekim Baschi (Arzt) seine Gastfreundschaft beweisen zu dürfen, als könnte er dadurch das Vorurtheil der ganzen europäischen Presse gegen seinen Stand umstimmen! Alles, was Haus und Stall liefern konnte, wurde aufgetischt; Gänsebraten, Hühnerragout, Hammelrisotto, Pilaff waren die Glanzpunkte des Menu. Nachdem wir nach dem Mahl etwas politisirt, über das Unglück der Türken und die schlechten Russen gesprochen hatten, mußte ich sein Lager einnehmen, wo er mich sorgfältig zudeckte. Er selbst wachte, am Kaminfeuer sitzend, über den Schlaf seines Gastes.

Die bulgarische Nation steht bei mir in unangenehmer Erinnerung; ich stelle sie weit hinter die Tscherkessen, die Baschibozuks und sogar die Kosaken. Die Bulgaren sind hinterlistig und heuchlerisch, grausam und herrschsüchtig, dabei von unglaublicher Selbstüberhebung, besonders dem Türken gegenüber. Während uns mit der Grausamkeit des Tscherkessen seine Tapferkeit, mit der Raublust des Baschibozuks seine Ehrlichkeit versöhnen kann, verbindet der Bulgare mit seinem Blutdurst Feigheit, mit seinem Eigendünkel die niedrigste Gesinnung.

Das Unglück, welches meinen Collegen Dr. Schücking traf, seine schimpfliche Behandlung von Seiten der Russen, die ihn zweimal dem Tode nahe brachte, hatte derselbe nur der beispiellosen Undankbarkeit und niederträchtigen Verleumdung der Bulgaren von Etropol zu verdanken.

Im November wurde Dr. Schücking[1] und ich mit einem griechischen Apotheker, welcher, der französischen Sprache mächtig, zugleich als Dolmetscher dienen sollte, zur Einrichtung eines Hospitals nach Etropol geschickt. Wir nahmen Wohnung im Konak der angesehensten bulgarischen Familie. Das Haupt dieser Familie, der Bürgermeister im christlichen Viertel von Etropol, war vor Kurzem, da er eben verhaftet werden sollte unter der Anklage, mit den bulgarischen Insurgenten und den Russen in Verbindung zu stehen, zur russischen Armee geflüchtet, und die Familie befand sich ob dieses Vorfalls noch in großer Aufregung.

Nun wurde der älteste Sohn des Hauses, ein hübscher, schlanker Mann, nicht viel über zwanzig Jahre alt, eines Tages auf Grund desselben Verdachtes, und weil er die Zahlung einer beträchtlichen Contribution verweigerte oder nicht leisten zu können erklärte, vom dem Gouverneur des Ortes, einem Bimbaschi (Major), verhaftet und sollte nach Sofia transportirt werden. Eine Abführung nach Sofia aber führte vor das dortige Kriegsgericht, und zu der Zeit gab es in Sofia viele Galgen, an denen wohl auch mancher Unschuldige hat baumeln müssen. Die Familie war außer sich vor Verzweiflung, Mutter und Schwestern rauften sich vor unseren Augen buchstäblich die Haare aus und umklammerten schreiend unsere Kniee. Ich ging zum Bimbaschi und versuchte die Freilassung des Bulgaren zu erwirken, fand aber, obgleich ich mich seiner ausnehmenden Gewogenheit erfreute, nicht das geringste Gehör. Der Arrestant saß im Hofe des Bimbaschi auf dem kalten Pflaster; in der Nähe hockten die türkischen Wachtsoldaten am Feuer. Er mußte es an meinem Gesicht merken, als ich den Bimbaschi verließ, daß er wenig zu hoffen hatte, denn er ließ den Kopf stumpfsinnig zwischen die Kniee sinken.

Nun gingen Schücking und ich zu dem Adjutanten des commandirenden Generals, Mustafa Pascha, der den eigentlichen Oberbefehl an Stelle des faulen Paschas führte. Derselbe war uns bekannt und für Geschenke und besonders Schmeicheleien sehr zugänglich. Wir stellten ihm vor, daß der Bulgare gewissermaßen unser Diener sei, und verbürgten uns für ihn und seine Dummheit, die ihn allein schon zu einem Verrath unfähig mache; dabei brauchten wir in verschwenderischer Weise die Anrede „Excellenz“ und erlangten wirklich die Freilassung des Bulgaren. Dem Bimbaschi ertheilte der Adjutant höchst eigenhändig in unserer Gegenwart einige Schläge mit dem Säbel für sein schlechtes Betragen.

So hatte uns die Familie, bei der wir wohnten, Freiheit und Leben ihres Sohnes zu verdanken, und wie bewies dieselbe ihre Dankbarkeit später gegen Schücking?!

Ich wurde leider von Etropol abcommandirt, wenige Tage vor der Einnahme des Ortes durch die Russen, und zwar kam ich wieder zur Armee von Orchanie. Als ich auf der Flucht unserer Armee von der Einnahme Etropols bestimmte Kunde erhielt, ritt ich nach Sofia, suchte und fand Soldaten von der Etropoler Armee und empfing von denselben die ziemlich bestimmte Nachricht, daß Schücking zurück geblieben und den Russen in die Hände gefallen sei. Ich schickte nun die für Dr. Schücking auf dem österreichischen Consulat liegenden Briefe an den Vater, mit der Benachrichtigung über das vermuthliche Schicksal seines Sohnes. Den Bemühungen des Vaters gelang es endlich, den Sohn ausfindig zu machen und seine Freilassung zu bewirken.

Dr. Schücking war bei der Flucht vom Pferd gestürzt, hatte sich, an allen Gliedern zerschunden und unfähig zu gehen, in seine Wohnung zurück geschleppt und erwartete die Ankunft der Russen im Vertrauen auf die Humanität einer Heeresleitung, die auf Civilisation Anspruch macht, und auf die Stipulationen der Genfer Convention.

Bei dem Einrücken der Russen wurde in der Straße, in der Schücking’s Wohnung sich befand, ein russischer Soldat erschossen, sei es absichtlich oder aus Irrthum. Um nun allen Strafen zu entgehen, gaben die Bulgaren den zurückgebliebenen türkischen Arzt, ihren Wohlthäter, als den Schuldigen an.

Zweimal entging Schücking der über ihn verhängten Execution nur durch eine glückliche Fügung, aber nicht den scheußlichsten Mißhandlungen, die ihn auf’s Krankenlager warfen und dem Tode nahe brachten, bis er endlich durch die Intervention der deutschen Reichsvertretung in Rumänien und mit Hülfe der Gesellschaft vom „Rothen Kreuz“ aus den Händen der russischen Militärjustiz befreit wurde.

Als er schon in Wien im Kreise der Seinigen verweilte, befiel ihn nochmals ein heftiger Typhus als Nacherinnerung an die mannigfaltigen Strapazen und Mißhandlungen.

Mit welcher Freude erfüllten mich die ersten Zeilen, mit denen mir mein Kriegscamerad, dessen Freundschaft ich so viel zu verdanken habe, seine Genesung melden konnte!

–r.
  1. Unsere Leser werden sich einer Notiz erinnern, welche seinerzeit die Nachricht vom Verschollensein des hier Genannten, eines Sohnes von Levin Schücking, durch die Tagesblätter trug, sowie einer nachfolgenden zweiten, welche das Wiederauftauchen desselben in russischer Gefangenschaft meldete. Hier das Nähere über die Angelegenheit.     D. Red.