Ilsabein
Es war einmal ein Mädchen, hieß Ilsabein, das hatte rothe Augen und konnte auch nicht zum Besten damit gucken; darum so wurde es alt und wartete lange vergeblich auf einen Freier, der es möchte unter die Haube bringen. Endlich ließ sich einer melden auf den Nachmittag, denkend: »es wird so schlimm nicht sein, wie's die Leute machen, du sollst dich selbst erst überzeugen, ob das Mädchen wirklich nicht gut sehen kann.« Da stellte Ilsabein beizeiten eine Leiter an die Hausthüre, nahm eine Nähnadel von der feinsten Sorte und steckte sie hoch oben in den Thürriegel. Nach Mittag kam der [13] Bräutigam richtig an, und Ilsabein, die ihn schon erwartet hatte, sprang ihm munter auf dem Hof entgegen und faßte ihn bei der Hand, daß sie ihn ins Haus brächte. »Sieh doch einmal, mein Schatz!« sprach sie da, »dort oben im Thürriegel steckt wahrhaftig eine Nähnadel.« »Ei wirklich!« sagte der Freier, der seine Augen ordentlich anstrengen mußte, um die Nadel in der Höhe zu bemerken, »das ist wirklich eine Nähnadel!« und dachte bei sich: »Das Mädchen sieht doch schärfer, als die Leute wohl denken mögen; die nimm nur!« So gingen sie denn ganz einmüthig zusammen in die Stube und setzten sich an den Tisch. Mit dem so brachte die Muhme das Vesperbrod herein, hatte auch eine schöne große Butterbemme beigelegt und stellte das alles vor die Brautleute auf den Tisch. Wie nun Ilsabein die große Butterwälze da so auf dem Tische stehen sah, meinte sie nicht anders, als ihre weiße Katze wär's, welche von dem Vesperbrode naschen wollte. »Schuh!« rief sie, »Katzut!« und klappte mit der Hand in die weiche Butter. Da merkte der Freier, daß das Mädchen doch nicht gut sehen konnte, stand auf, sah nach der Uhr und that, als ob er noch etwas Eiliges zu bestellen hätte. »Ich muß jetzt fort,« sagte er, »Adieu, mein Schatz, bis Morgen!« Damit ging er zur Thüre hinaus, kam aber niemals wieder, so daß die arme Ilsabein wieder warten und warten mußte; und wenn sie noch nicht gestorben ist, dann wartet sie heute noch.