Iffland und Haydn
[174] Iffland und Haydn. Unter dem Titel: „Erinnerungen eines weimarischen Veteranen,“ hat der Theaterdirector Schmidt in Brünn so eben ein Büchlein erscheinen lassen, das seine persönlichen Erlebnisse mit den Heroen Weimars und Jena’s erzählt. Schiller, Goethe, Herder, Wieland , de Wette, A. W. Schlegel, L. Tieck etc. spielen darin eine Rolle. Die zweite Abtheilung enthält Mittheilungen aus seinem Theaterleben und auch darin treten die ersten Kunstgrößen der Vergangenheit, wie Iffland, Haydn, Hummel, Fürst Esterhazy in Eisenstadt, Zelter, Clemens Brentano etc. auf. Interessant ist eine bis jetzt noch ungedruckte Skizze Iffland’s: Ein Besuch bei Haydn, welche der Veteran mittheilt und die wir auszugsweise unsern Lesern hier wiedergeben.
Haydn wohnte damals (1807) in seinem kleinen Häuschen in Gumpendorf bei Wien, das er seines hohen Alters und seiner immerwährenden Kränklichkeit wegen fast niemals mehr verließ. Der Veteran begleitete Iffland, der später diese Erinnerung niederschrieb und sie seinem Freunde Schmidt zur Durchsicht übersandte, hinaus nach Gumpendorf. Iffland erzählt:
„Der Herr sei daheim, sagt die Magd, wir möchten nur oben etwas verziehen,“ [175] er komme eben mit dem Diener aus dem Garten. Sobald er heraufgekommen, wolle sie anfragen. Sein Gang sei aber etwas langsam. Wir möchten uns gedulden. Wir werden in ein Zimmer geführt, neben welchem ein Kabinett mit kleinen Notenstücken von seiner Hand und Komposition, mit Blumenkränzen jedes eingefaßt, verziert ist. Eine kostbare Wand, sagten wir schmerzlich, die einst einen noch höhern Preis haben wird. – Im Zimmer daneben war sein Gemälde zu sehen, wie er einst war. Ein durchdringender, weit hinausreichender Blick! –- Nach einer Weile tritt die Magd ein und sagt sehr freundlich, der Herr sei nun oben und warte unser. Wir treten in einen Saal: Haydn saß, das Gesicht nach dem Fenster gerichtet, völlig angekleidet, den Hut in einer Hand, den Krückstock und den Blumenstrauß in der andern. Der Diener stand hinter seinem Stuhle, vor welchem Stühle für uns gesetzt waren. Er machte eine Bewegung aufzustehen, der Bediente half ihm dazu, und so trat er uns, die Hand über die Augen gehalten, einige Schritte entgegen, wobei er die Beine etwas mühsam an dem Boden nach sich zog. Er reichte dann Herrn Schmidt die Hand und neigte den Kopf mit freundlicher Miene gegen mich, den er zu einem Sitze führte; wir nahmen alle Platz. Das Athemholen ward ihm schwer, wir suchten also ein gleichgültiges Gespräch anzufangen, worauf es seinerseits keiner Antwort bedurfte, damit er Zeit gewänne, sich zu sammeln. Er sah oft auf die Blumen in seiner Hand und nahm sichtbar Erquickung von ihrem Duft.
„Ich habe heute meine Andacht in der Natur gehalten,“ sagte er. „Ich kann nicht anders;“ hier zogen sich seine Augen zum Weinen zusammen. „Es ist auch so am Besten,“ setzte er mit zum Himmel aufgerichtetem Blicke hinzu. Unsere Antworten sind von keiner Bedeutung, aber bei dieser Stelle kamen wir darauf, wie er so innig und herrlich die Natur geschildert habe, wie treu er ihr gelebt haben müsse. „Die „Jahreszeiten,“ ja die „Jahreszeiten,““ fiel er mit einer Art Heftigkeit in die Rede, die „Jahreszeiten“ haben mir den Rest gegeben. Ich wollte doch, ich wollte doch“ – Hier suchte er nach Ausdrücken und bewegte sich lebhaft hin und her. „Aber die Worte sind auch gar zu wenig. Nein, sie sind wahrlich zu wenig. Ganze Tage habe ich mich mit einer Stelle plagen müssen und dann, dann, nein! das glauben Sie nicht, wie ich mich gemartert habe.“ Hier stieß er mit dem Stock auf den Boden, der Bediente sah ihn freundlich bittend an. „Hm! es ist wahr,“ sagte er, „Du hast Recht! Es ist vorbei und abgethan.“ Darauf setzte er sich wieder in seine vorige Lage. „Ja, ja, es vorbei! wie Sie sehen, und die „Jahreszeiten“ sind Schuld daran. Ich habe überhaupt in meinem Leben viel und schwer arbeiten müssen.“ Nach einer Weile: „Ich habe nicht leicht gearbeitet, nein, nicht leicht! Meine Jugend war schwer! sehr schwer!“ er erzählte dann, wie er in seinen frühern Jahren bei den Michaelern sehr hoch gewohnt und eine große Stiegenzahl, die er nannte, täglich gar oft habe auf- und niedersteigen müssen. Indem er auf die Brust deutete:„ Sehen Sie, das kommt nun nach und wirft mich nieder! Aber es ist eine Niederlage mit Ehre; es war sauere Arbeit, allein Gott hat geholfen!“ Er kam dann auf die Theater, wie es ihn schmerzte, nicht Neues mehr zu hören, aber es gehe durchaus nicht mehr an. Hierauf sagte er mir etwas Verbindliches, wie er mich vor acht Jahren gesehen habe, einige Worte über meine Schauspiele. Er sah mich eine Weile an und dabei nickte er mir etliche Male überaus freundlich zu. Ich bat ihn, zu gestatten, daß ich die geliebte Hand welche der verehrte Greis mir darreichte, auf mein Herz legen dürfte. Rasch reichte er mir beide Arme dar, küßte mich und weinte von Herzen. „Mir ist wohl! recht wohl!“ sagte er, „aber ich kann jetzt nicht mehr anders, wenn mich etwas erfreut, muß ich weinen, das will ich nicht; ich kann es aber nicht anders. Ehedem war es anders, ja ehedem!“ Dabei sah er wie in weite Ferne nach dem Fenster hin und seufzte. Wir kamen dann nach und nach auf eine vortreffliche Messe von Haydn, die wenige Tage zuvor in Eisenstadt von der fürstlich esterhazy’schen Kapelle trefflich ausgeführt worden war. Besonders hatte mich das Credo in dieser Messe hingerissen.
Haydn sprach mit großer Lebhaftigkeit von seiner Kirchenmusik überhaupt zu Herrn Schmidt, der ihm mit Kenntniß, Liebe und Gefühl antwortete. Der treffliche Künstler war unbemerkt in solche Lebendigkeit gerathen, daß er, ohne es zu wissen, Hut und Stock weggegeben hatte und mit so schnellen Gesticulationen redete, daß man hätte glauben sollen, man sehe ihn wieder an der Spitze seines Orchesters. Sein Auge glänzte vor Wonne, aber allmälig mahnte ihn seine Schwäche wieder, er sah den bekümmerten Diener an, nickte ihm zu, nahm Hut und Stock aus seinen Händen zurück, ließ uns dann eine Weile fortreden und sah indeß, sich wieder zu sammeln, ruhig an den Boden. Er kam dann auf die esterhazy’sche Kapelle zu sprechen, that Fragen nach diesem und jenem seiner Bekannten, nach den neuesten Musiken, welche in Eisenstadt gegeben worden wären, und hörte die Antworten mit besonderer Theilnahme. Er sprach von dem regierenden Herrn, von dem Wohlwollen, welches ihm dieser bewiese, von den Verdiensten des esterhazy’schen Hauses um die Künste. Was er über diesen Gegenstand sagte, hatte den Ausdruck inniger Erinnerung und Liebe. Ich erzählte ihm, welchen Beifall seine „Schöpfung“ in Berlin gefunden habe, daß sie mit Enthusiasmus aufgenommen worden sei und daß einst die Aufführung derselben für einen frommen Zweck über 2000 Thaler eingetragen. Er sah hoch auf und wiederholte langsam mit strahlender Freude: „Ueber 2000 Thaler! für die Armen! Ueber 2000 Thaler! Hörst Du das wohl?“ Hier wandte er sich wieder nach dem Bedienten um. „Meine Schöpfung hat in Berlin über 2000 Thaler eingetragen, und für die Armen!“ – Hier legte er sich ganz zurück in den Stuhl und ließ den Thränen freien Lauf: „Für die Armen! Meine Arbeit hat den Armen einen guten Tag gegeben! Das ist herrlich, das ist tröstlich!“
Nach einer Weile richtete sich Haydn wieder auf und sprach etwas trübe: „Das ist nun vorbei, ich wirke jetzt nicht mehr, aber“ – indem sah er freundlich auf jeden der Anwesenden hin – „es ist doch gut gegangen, nicht wahr? Wie viel hat die Schöpfung den Armen eingetragen? Merk’ es Dir! Ich werde mich noch oft daran erfreuen.“ Er war nun wieder eine Weile recht herzlich froh und sagte dann: „Sie werden wohl auch meine Ehrensachen sehen wollen? Hole sie herein!“ Der Bediente brachte die Medaillen herein, welche zu Paris, London und Petersburg auf ihn geschlagen worden waren. Er zeigte uns jede selbst und legte sie dann neben sich nieder. „Ich habe große Freude empfunden, da ich diese Beweise des Wohlwollens empfangen habe, und ich freue mich noch manchmal, wenn ich sie mit meinen Freunden betrachte. Sie werden sagen: das sind die Spielzeuge der alten Männer! – Für mich ist es aber doch noch mehr. Ich zähle daran mein Leben rückwärts und werde auf Augenblicke wieder jung. Alle diese Sachen sollen nach meinem Leben in werthen Händen bleiben.“ Wir erwiederten darauf nach unserm Gefühl für ihn und hielten dies zurück, so gut wir konnten. Nach einiger Zeit fuhr er fort: „Ich sollte Ihnen doch etwas vorspielen! Wollen Sie etwas von mir hören?“ Es war unser lebhafter Wunsch, aber wir wagten es nicht, ihn auszusprechen. Er sah sich nach dem Instrument um. „Ich kann freilich wenig mehr. Sie sollen meine letzte Komposition hören. Ich habe sie gesetzt, eben als die französische Armee vor drei Jahren auf Wien vordrang!“ Er stand auf, reichte dem Bedienten den Arm und wir geleiteten ihn alle Drei in unsern Armen zum Pianoforte. Er setzte sich dann nieder und sagte: „Das Lied heißt: Gott erhalte Franz den Kaiser!“ – Er spielte hierauf die Melodie ganz durch und zwar mit unverkennbarem Ausdruck mit einigen Haltpunkten, welche sein schimmerndes Auge ausfüllte. Nach Endigung des Liedes blieb er noch eine Weile vor dem Instrumente sitzen, legte beide Hände darauf und sagte mit dem Ton eines ehrwürdigen Patriarchen: „Ich spiele dieses Lied an jedem Morgen und oft habe ich Trost und Erhebung daraus genommen in den Tagen der Unruhe. Ich kann auch nicht anders, ich muß es alle Tage einmal spielen. Mir ist herzlich wohl, wenn ich es spiele und auch noch eine Weile nachher!“ Er zeigte an, daß er zu seinem Sitz am Fenster zurück wolle. Wir wollten ihn dahin geleiten, aber mit eigener Geschäftigkeit machte er vorher das Instrument wieder zu und es war deutlich zu sehen, daß er dabei keine Hülfe annehmen wolle. Still und mit etwas gesenktem Kopfe ging er alsdann in unsern Armen zu seinem Sitze zurück. Auf seinem Gesicht war viel Bewegung zu sehen, die er nicht ausbrechen zu lassen sich anstrengte. Der Bediente gab uns, ohne daß Haydn etwas gewahr werden konnte, freundlich und mit Gefühl der Ehrfurcht und Liebe für seinen Herrn ein Zeichen, daß wir abbrechen möchten. Wir traten einen Schritt zurück. Haydn sah uns an und sagte: „Gott sei mit Ihnen, ich tauge heute nicht viel mehr. Es gehe Ihnen gut! Adieu!“ Er stand auf, wir umarmten ihn und sagten wenig Worte. Er setzte sich nieder und griff nach dem Blumenstrauß, der vor ihm auf dem Stuhle lag. Ich bat ihn um eine Blume zum Andenken. Haydn sah mich gütig an, ließ sein Gesicht ganz in den Strauß sinken, reichte mir diesen dann mit beiden Händen dar und schloß mich fest in seine Arme. „Adieu!“ rief er mit sanfter, gebrochener Stimme, wandte sich ab, setzte sich und wir schieden mit Empfindungen von ihm, die Jeder mit uns theilen wird, ohne daß sie ausgesprochen werden. Wir konnten uns von den hohen Gefühlen nicht losmachen, die wir im Anblick dieser scheidenden Sonne empfangen hatten, und wir wollten es auch nicht.“
So weit Iffland’s Erzählung. Schmidt setzt hinzu, daß Alles der Wahrheit gemäß, nur habe Iffland seiner selbst darin zu wenig gedacht. Haydn bezeigte ihm eine Verehrung, die außerordentlich war. Auch war Iffland’s Benehmen dabei eben so rührend und ergreifend wie das Haydn’s.