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Hypochonders Mondlied (1836)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Nikolaus Lenau
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Titel: Hypochonders Mondlied
Untertitel:
aus: Morgenblatt für gebildete Stände, 30. Jahrgang, Nr. 240, S. 957–958
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 6. Oktober 1836
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Tübingen
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google = Commons
Kurzbeschreibung: Erstdruck des Gedichtes in Cottas Morgenblatt, dann aufgenommen in Lenau’s „Neuere Gedichte“. Stuttgart: Hallberg, 1838, siehe Hypochonders Mondlied
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[957]
Hypochonders Mondlied.


Singt ihr in eurem Freudenliede:
„Der heitre Mond am Himmel lacht,
Und ihm entstrahlt ein süßer Friede,“
So habt ihr nie den Mond bedacht.

5
Seht ihr ihn dort herüberschweben,

Bleich, ohne Wasser, ohne Luft?
Er zieht mit ausgestorbnem Leben,
Ein Todtengräber sammt der Gruft.

Dort dringt der Mond mit seinem Schimmer

10
Still dem Nachtwandler in’s Gemach,

Er winkt und lockt aus Bett und Zimmer,
Der Schläfer folgt ihm auf das Dach

Und huscht, geschlossner Augenlieder,
Hin, her des Daches steilsten Bug,

15
Als hielt’ ein geistiges Gefieder

Enthoben ihn dem Erdenzug.

Der Mond geht traurig durch die Sphären,
Denn all die Seinen ruhn im Grab,
Drum wischt er sich die hellen Zähren

20
Bei Nacht an unsern Blumen ab;


Darum durchschleicht er Fenster, Thüren
Auf Diebessohlen leis und lind,
Der Erde heimlich zu entführen
Im Schlafe dies und jenes Kind.

25
Den Schläfern um den Leib zu schlingen

Sucht er sein feines Silbernetz,
Und sie zu sich hinaufzuschwingen;
Doch seine Fäden reißen stets.

Und immer wird es ihm mißglücken,

30
Zu stehlen sich ein Spielgesind,

In seine Oede zu entrücken
Ein lebenwarmes Erdenkind. –

Der Mond wohl auch die Schlummerlosen
Der Erde zu entlocken sucht,

35
Er will mit schwärmerischem Kosen

Bereden uns zu früher Flucht.

Oft wenn ich ging durch Wald und Wiesen,
Log mir der Mondenschein so lang,
Ich sey auf Erden nur verwiesen,

40
Bis ich hinweg mich sehnte bang.


Weil er uns nicht vermag zu stehlen,
Nicht wachend, nicht in Schlafesruh,
Schickt er mit Blicken, stieren, scheelen,
Der Erde Todeswünsche zu.

[958]
45
Als Knabe schon konnt’ ich nicht schauen

Zum stillen, blassen Mond empor,
Daß nicht ein wunderliches Grauen
Mir heimlich das Gebein durchfror.

Nirgends auf Wald und Feld und Straßen

50
Frohlockt so hell des Mondes Licht,

Wie auf dem Kirchhof, wo verlassen
Ein armes Herz in Klagen bricht.

Ja, Gräber sind für ihn die Stelle,
Und an Ruinen Dorngesträuch;

55
Doch vor des Mondes schlimmer Helle

Bewahrt das Brautbett, rath’ ich euch.

Laßt ihr den Mond in’s Brautbett scheinen,
Ist euer künftig Kind bedroht,
Denn viele Stunden wird es weinen,

60
Und wünschen wird es sich den Tod. –


Wenn Schiffer Nachts das Meer befahren,
Umhüllen sie das Haupt genau,
Denn spielt der Mond mit ihren Haaren,
So färbt er sie frühzeitig grau.

65
Und bei Banditen geht die Kunde:

Ein Dolch, gewezt im Mondenschein,
Sticht eine ewig stumme Wunde,
Trifft mittendurch in’s Herz hinein.

Bergjäger, der kein Raubschütz, meidet

70
Den Mond; ein Wild, im Mondenstral

Geschossen oder ausgeweidet,
Verwest so frühe noch einmal.

Und eine Tann’ im Wald geschlagen,
Wenn hell der Mond am Himmel blinkt,

75
Als Mastbaum in das Meer getragen,

Zerbricht der Sturm, das Schiff versinkt.

Und jene losen, alten Weiber,
Die man nicht gern genauer nennt,
Weil ihnen sonst die dürren Leiber

80
Das tolle Volk zu Asche brennt,


Die ziehn auf mondbestralten Haiden
Und pflücken murmelnd Gras und Kraut,
Woraus zu manchen Zauberleiden
Manch böses Tränklein wird gebraut. –

85
Tief in den hohen Steyrerfelsen

Kenn’ ich ein Dörflein, wo man meint:
Der Mond wird schuld an dicken Hälsen,
Wenn er in einen Brunnen scheint.

Dort meint man auch, wenn Mondgefunkel

90
Die Spinnerin am Rad umspinnt,

Und niederglänzt von ihrer Kunkel,
Daß sie ein Leichenhemd gewinnt. – –

Weil mich der Mond, in’s Zimmer glotzend,
Nicht schlafen ließ in dieser Nacht,

95
Hab’ ich Poet, hinwieder trotzend,

Dies Lied zum Schimpf auf ihn gemacht.

Noch wüßt’ ich viel von ihm zu melden,
Doch seh’ ich jezt im Untergang
Hinunterducken meinen Helden,

100
Bevor ich noch das Schlimmste sang.


 Lenau.