Hyperion an Bellarmin XXVIII
[122-123] HYPERION AN BELLARMIN.
Ich will die Brust an den Freuden der Vergangenheit versuchen, bis sie, wie Stahl, wird, ich will mich üben an ihnen, bis ich unüberwindlich bin. Ha! fallen sie doch, wie ein Schwerdtschlag, oft mir auf die Seele, aber ich spiele mit dem Schwerdte, bis ich es gewohnt bin, ich halte die Hand in’s Feuer, bis ich es ertrage, wie Wasser. Ich will nicht zagen; ja! ich will stark seyn! ich will mir nichts verhehlen, will von allen Seeligkeiten mir die seeligste aus dem Grabe beschwören. Es ist unglaublich, dass der Mensch sich vor dem Schönsten fürchten soll; aber es ist so. O bin ich doch hundertmal vor diesen Augenbliken, dieser tödtenden Wonne meiner Erinnerungen geflohen und habe mein Auge hinweggewandt, wie ein Kind vor Blizen! und dennoch wächst im üppigen Garten der Welt nichts lieblichers, wie meine Freuden, dennoch gedeiht im Himmel und auf Erden nichts edleres, wie meine Freuden. Aber nur Dir, mein Bellarmin, nur einer reinen freien Seele, wie die Deine ist, erzähl’ ich’s. So freigebig, wie die Sonne mit ihren Strahlen, will ich nicht seyn; meine Perlen will ich vor die alberne Menge nicht werfen. Ich kannte, seit dem lezten Seelengespräche, mit jedem Tage mich weniger. Ich fühlt’, es war ein heilig Geheimniss zwischen mir und Diotima. Ich staunte, träumte. Als wär’ um Mitternacht ein seeliger Geist mir erschienen und hätte mich erkoren, mit ihm umzugehn, so war es mir in der Seele. O es ist ein seltsames Gemische von Seeligkeit und Schwermuth, wenn es so sich offenbart, dass wir auf immer heraus sind aus dem gewöhnlichen Daseyn. [124-125] Es war mir seitdem nimmer gelungen, Diotima allein zu sehn. Immer musst’ ein Dritter uns stören, trennen, und die Welt lag zwischen ihr und mir, wie eine unendliche Leere. Sechs todesbange Tage giengen so vorüber, ohne dass ich etwas wusste von Diotima. Es war, als lähmten die andern, die um uns waren, mir die Sinne, als tödteten sie mein ganzes äusseres Leben, damit auf keinem Wege die verschlossene Seele sich hinüber helfen möchte zu ihr. Wollt’ ich mit dem Auge sie suchen, so wurd’ es Nacht vor mir, wollt’ ich mich mit einem Wörtchen an sie wenden, so erstikt’ es in der Kehle. Ach! mir wollte das heilige namenlose Verlangen oft die Brust zerreissen, und die mächtige Liebe zürnt’ oft, wie ein gefangener Titan, in mir. So tief, so innigst unversöhnlich hatte mein Geist noch nie sich gegen die Ketten gesträubt, die das Schiksaal ihm schmiedet, gegen das eiserne unerbittliche Gesez, geschieden zu seyn, nicht Eine Seele zu seyn mit seiner liebenswürdigen Hälfte. Die sternenhelle Nacht war nun mein Element geworden. Dann, wann es stille war, wie in den Tiefen der Erde, wo geheimnissvoll das Gold wächst, dann hob das schönere Leben meiner Liebe sich an. Da übte das Herz sein Recht, zu dichten, aus. Da sagt’ es mir, wie Hyperions Geist im Vorelysium mit seiner holden Diotima gespielt, eh’ er herabgekommen zur Erde, in göttlicher Kindheit bei dem Wohlgetöne des Quells, und unter Zweigen, wie wir die Zweige der Erde sehn, wenn sie verschönert aus dem güldenen Strome blinken. Und, wie die Vergangenheit, öffnete sich die Pforte der Zukunft in mir. Da flogen wir, Diotima und ich, da wanderten wir, wie Schwalben, von einem Frühling der Welt zum andern, durch der Sonne weites Gebiet und drüber hinaus, zu den andern Inseln des Himmels, an des Sirius goldne Küsten, in die Geisterthale des Arcturs - O es ist doch wohl wünschenswerth, so aus Einem Kelche mit der Geliebten die Wonne der Welt zu trinken! Berauscht vom seeligen Wiegenliede, das ich mir sang, schlief ich ein, mitten unter den herrlichen Phantomen. Wie aber am Strahle des Morgenlichts das Leben der Erde sich wieder enzündete, sah ich empor und suchte die Träume der Nacht. [126-127] Sie waren, wie die schönen Sterne, verschwunden, und nur die Wonne der Wehmuth zeugt’ in meiner Seele von ihnen. Ich trauerte; aber ich glaube, dass man unter den Seeligen auch so trauert. Sie war die Botin der Freude, diese Trauer, sie war die grauende Dämmerung, woran die unzähligen Rosen des Morgenroths sprossen. - Der glühende Sommertag hatte jezt alles in die dunkeln Schatten gescheucht. Auch um Diotima’s Haus war alles still und leer, und die neidischen Vorhänge standen mir an allen Fenstern im Wege. Ich lebt’ in Gedanken an sie. Wo bist du, dacht’ ich, wo findet mein einsamer Geist dich, süsses Mädchen? Siehest du vor dich hin und sinnest? Hast du die Arbeit auf die Seite gelegt und stüzest den Arm aufs Knie und auf das Händchen das Haupt und giebst den lieblichen Gedanken dich hin? Dass ja nichts meine Friedliche störe, wenn sie mit süssen Phantasien ihr Herz erfrischt, dass ja nichts diese Traube betaste und den erquikenden Thau von den zarten Beeren ihr streife! So träumt’ ich. Aber indess die Gedanken zwischen den Wänden des Hauses nach ihr spähten, suchten die Füsse sie anderswo, und eh’ ich es gewahr ward, gieng ich unter den Bogengängen des heiligen Walds, hinter Diotima’s Garten, wo ich sie zum erstenmale hatte gesehn. Was war das? Ich war ja indessen so oft mit diesen Bäumen umgegangen, war vertrauter mit ihnen, ruhiger unter ihnen geworden; jezt ergriff mich eine Gewalt, als trät’ ich in Dianens Schatten, um zu sterben vor der gegenwärtigen Gottheit. Indessen gieng ich weiter. Mit jedem Schritte wurd’ es wunderbarer in mir. Ich hätte fliegen mögen, so trieb mein Herz mich vorwärts; aber es war, als hätt’ ich Blei an den Sohlen. Die Seele war vorausgeeilt, und hatte die irrdischen Glieder verlassen. Ich hörte nicht mehr und vor dem Auge dämmerten und schwankten alle Gestalten. Der Geist war schon bei Diotima; im Morgenlichte spielte der Gipfel des Baums, indess die untern Zweige noch die kalte Dämmerung fühlten. Ach! mein Hyperion! rief jezt mir eine Stimme entgegen; ich stürzt’ hinzu; „meine Diotima! o meine Diotima!“ weiter hatt’ ich kein Wort und keinen Othem, kein Bewusstseyn. [128-129] Schwinde, schwinde, sterbliches Leben, dürftig Geschäft, wo der einsame Geist die Pfennige, die er gesammelt, hin und her betrachtet und zählt! wir sind zur Freude der Gottheit alle berufen! Es ist hier eine Lüke in meinem Daseyn. Ich starb, und wie ich erwachte, lag ich am Herzen des himmlischen Mädchens. O Leben der Liebe! wie warst du an ihr aufgegangen in voller holdseliger Blüthe! wie in leichten Schlummer gesungen von seeligen Genien, lag das reizende Köpfchen mir auf der Schulter, lächelte süssen Frieden, und schlug sein ätherisch Auge nach mir auf in fröhlichem unerfahrenem Staunen, als blikt’ es eben jezt zum erstenmale in die Welt. Lange standen wir so in holder selbstvergessener Betrachtung, und keines wusste, wie ihm geschah, bis endlich der Freude zu viel in mir sich häufte und in Thränen und Lauten des Entzükens auch meine verlorne Sprache wieder begann, und meine stille Begeisterte vollends wieder in’s Daseyn wekte. Endlich sahn wir uns auch wieder um. O meine alten freundlichen Bäume! rief Diotima, als hätte sie sie in langer Zeit nicht gesehn, und das Andenken an ihre vorigen einsamen Tage spielt’ um ihre Freuden, lieblich, wie die Schatten um den jungfräulichen Schnee, wenn er erröthet und glüht im freudigen Abendglanze. Engel des Himmels! rief ich, wer kann Dich fassen? wer kann sagen, er habe ganz Dich begriffen? Wunderst Du dich, erwiederte sie, dass ich so sehr Dir gut bin? Lieber! stolzer Bescheidner! Bin ich denn auch von denen, die nicht glauben können an Dich, hab’ ich denn nicht Dich ergründet, hab’ ich den Genius nicht in seinen Wolken erkannt? Verhülle Dich nur und siehe Dich selbst nicht; ich will Dich hervorbeschwören, ich will - Aber er ist ja da, er ist hervorgegangen, wie ein Stern; er hat die Hülse durchbrochen und steht, wie ein Frühling, da; wie ein Kristallquell aus der düstern Grotte, ist er hervorgegangen; das ist der finstre Hyperion nicht, das ist die wilde Trauer nicht mehr - o mein, mein herrlicher Junge! Das alles war mir, wie ein Traum. Konnt’ ich glauben an diess Wunder der Liebe? konnt’ ich? mich hätte die Freude getödtet. [130-131] Göttliche! rief ich, sprichst Du mit mir? kannst Du so dich verläugnen, seelige Selbstgenügsame! kannst Du so dich freuen an mir? O ich seh’ es nun, ich weiss nun, was ich oft geahnet, der Mensch ist ein Gewand, das oft ein Gott sich umwirft, ein Kelch, in den der Himmel seinen Nektar giesst, um seinen Kindern vom Besten zu kosten zu geben. - Ja, ja! fiel sie schwärmerisch lächelnd mir ein, Dein Namensbruder, der herrliche Hyperion des Himmels ist in dir. Lass mich, rief ich, lass mich Dein seyn, lass mich mein vergessen, lass alles Leben in mir und allen Geist nur Dir zufliegen; nur Dir, in seeliger endeloser Betrachtung! O Diotima! so stand ich sonst auch vor dem dämmernden Götterbilde, das meine Liebe sich schuff, vor dem Idole meiner einsamen Träume; ich nährt’ es traulich; mit meinem Leben belebt’ ich es, mit den Hoffnungen meines Herzens erfrischt’, erwärmt’ ich es, aber es gab mir nichts, als was ich gegeben, und wenn ich verarmt war, liess es mich arm, und nun! nun hab’ ich im Arme Dich, und fühle den Othem deiner Brust, und fühle dein Aug’ in meinem Auge, die schöne Gegenwart rinnt mir in alle Sinnen herein, und ich halt’ es aus, ich habe das Herrlichste so und bebe nicht mehr - ja! ich bin wirklich nicht der ich sonst war, Diotima! ich bin Deines gleichen geworden, und Göttliches spielt mit Göttlichem jezt, wie Kinder unter sich spielen. - Aber etwas stiller musst Du mir werden, sagte sie. Du hast auch recht, du Liebenswürdige! rief ich freudig, sonst erscheinen mir ja die Grazien nicht; sonst seh’ ich ja im Meere der Schönheit seine leisen lieblichen Bewegungen nicht. O ich will es noch lernen, nichts an Dir zu übersehen. Gieb mir nur Zeit! Schmeichler! rief sie, aber für heute sind wir zu Ende, lieber Schmeichler! die goldne Abendwolke hat mich gemahnt. O traure nicht! Erhalte Dir und mir die reine Freude! Lass sie nachtönen in Dir, bis Morgen, und tödte sie nicht durch Mismuth! - die Blumen des Herzens wollen freundliche Pflege. Ihre Wurzel ist überall, aber sie selbst gedeihn in heitrer Witterung nur. Leb wohl, Hyperion! Sie machte sich los. Mein ganzes Wesen flammt in mir auf, wie sie so vor mir hinwegschwand in ihrer glühenden Schönheit. O du! - rief ich und stürzt ihr nach, und gab meine Seele in ihre Hand in unendlichen Küssen. [132] Gott! rief sie, wie wird das künftig werden! Das traf mich. Verzeih, Himmlische! sagt’ ich; ich gehe. Gute Nacht, Diotima! denke noch mein ein wenig! Das will ich, rief sie, gute Nacht! Und nun kein Wort mehr, Bellarmin! Es wäre zuviel für mein geduldiges Herz. Ich bin erschüttert, wie ich fühle. Aber ich will hinausgehn unter die Pflanzen und Bäume, und unter sie hin mich legen und beten, dass die Natur zu solcher Ruhe mich bringe. |