Hyperion an Bellarmin XXV
[109] HYPERION AN BELLARMIN.
Wenn ich so, mit allen Huldigungen des Herzens, seelig überwunden, vor ihr stand, und schwieg, und all’ mein Leben sich hingab in den Stralen des Augs, das sie nur sah, nur sie umfasste, und sie dann wieder zärtlich zweifelnd mich betrachtete, und nicht wusste, wo ich war mit meinen Gedanken, wenn ich oft, begraben in Lust und Schönheit, bei einem reizenden Geschäfte sie belauschte, und um die leiseste Bewegung, wie die Biene um die schwanken Zweige, meine Seele schweift’ und flog, und wenn sie dann in friedlichen Gedanken gegen mich sich wandt’, und, überrascht von meiner Freude, meine Freude sich verbergen musst, und bei der lieben Arbeit ihre Ruhe wieder sucht und fand – Wenn sie, wunderbar allwissend, jeden Wohlklang, jeden Mislaut in der Tiefe meines Wesens, im Momente, da er begann, noch eh’ ich selbst ihn wahrnahm, mir enthüllte, wenn sie jeden Schatten eines Wölkchens auf der Stirne, jeden Schatten einer Wehmuth, eines Stolzes auf der Lippe, jeden Funken mir im Auge [110] sah, wenn sie die Ebb’ und Fluth des Herzens mir behorcht’ und sorgsam trübe Stunden ahnete, indess mein Geist zu unenthaltsam, zu verschwenderisch im üppigen Gespräche sich verzehrte, wenn das liebe Wesen, treuer, wie ein Spiegel, jeden Wechsel meiner Wange mir verrieth, und oft in freundlichen Bekümmernissen über mein unstet Wesen mich ermahnt, und strafte, wie ein theures Kind – Ach! da du einst, Unschuldige, an den Fingern die Treppen zähltest, von unsrem Berge herab zu deinem Hause, da du deine Spaziergänge mir wiesest, die Pläze, wo du sonst gesessen, und mir erzähltest, wie die Zeit dir da vergangen, und mir am Ende sagtest, es sey dir jezt, als wär’ ich auch von jeher dagewesen – Gehörten wir da nicht längst uns an? |