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Hyperion an Bellarmin IV

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hölderlin
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Titel: Hyperion – Hyperion an Bellarmin IV
Untertitel: oder der Eremit in Griechenland – Erster Band
aus: Hyperion oder der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin.

Erster Band. Tübingen 1797; S. 16–27

Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: o. A.
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: J. G. Cotta'sche Buchhandlung;
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: www.hoelderlin.de
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[16-17]

HYPERION AN BELLARMIN.

     Weist du, wie Plato und seine Stella sich liebten?

      So liebt’ ich, so war ich geliebt. O ich war ein glüklicher Knabe!

     Es ist erfreulich, wenn gleiches sich zu gleichem gesellt, aber es ist göttlich, wenn ein grosser Mensch die Kleineren zu sich aufzieht.

     Ein freundlich Wort aus eines tapfern Mannes Herzen, ein Lächeln, worinn die verzehrende Herrlichkeit des Geistes sich verbirgt, ist wenig und viel, wie ein zauberisch Loosungswort, das Tod und Leben in seiner einfältigen Sylbe verbirgt, ist, wie ein geistig Wasser, das aus der Tiefe der Berge quillt, und die geheime Kraft der Erde uns mittheilt in seinem krystallenen Tropfen.

     Wie hass’ ich dagegen alle die Barbaren, die sich einbilden, sie seyen weise, weil sie kein Herz mehr haben, alle die rohen Unholde, die tausendfältig die jugendliche Schönheit tödten und zerstören, mit ihrer kleinen unvernünftigen Mannszucht!

     Guter Gott! Da will die Eule die jungen Adler aus dem Neste jagen, will ihnen den Weg zur Sonne weisen!

     Verzeih mir, Geist meines Adamas! dass ich dieser gedenke vor dir. Das ist der Gewinn, den uns Erfahrung giebt, dass wir nichts [18-19] trefliches uns denken, ohne sein ungestaltes Gegentheil.

     O dass nur du mir ewig gegenwärtig wärest, mit allem, was dir verwandt ist, traurender Halbgott, den ich meyne! Wen du umgiebst, mit deiner Ruhe und Stärke, Ringer und Kämpfer, wem du begegnest mit deiner Liebe und Weisheit, der fliehe, oder werde, wie du! Unedles und Schwaches besteht nicht neben dir.

     Wie oft warst du mir nahe, da du längst mir ferne warst, verklärtest mich mit deinem Lichte, und wärmtest mich, dass mein erstarrtes Herz sich wieder bewegte, wie der verhärtete Quell, wenn der Stral des Himmels ihn berührt! Zu den Sternen hätt’ ich dann fliehn mögen mit meiner Seeligkeit, damit sie mir nicht entwürdigt würde von dem, was mich umgab.

     Ich war aufgewachsen, wie eine Rebe ohne Stab, und die wilden Ranken breiteten richtungslos über dem Boden sich aus. Du weist ja, wie so manche edle Kraft bei uns zu Grunde geht, weil sie nicht genüzt wird. Ich schweiffte herum, wie ein Irrlicht, griff alles an, wurde von allem ergriffen, aber auch nur für den Moment, und die unbehülflichen Kräfte matteten vergebens sich ab. Ich fühlte, dass mir’s überall fehlte, und konnte doch mein Ziel nicht finden. So fand er mich.

     Er hatt’ an seinem Stoffe, der sogenannten kultivirten Welt, lange genug Geduld und Kunst geübt, aber sein Stoff war Stein und Holz gewesen und geblieben, nahm wohl zur Noth die edle Menschenform von aussen an, aber um diess war’s meinem Adamas nicht zu thun; er wollte Menschen, und, um diese zu schaffen, hatt’ er seine Kunst zu arm gefunden. Sie waren einmal da gewesen, die er suchte, die zu schaffen, seine Kunst zu arm war, das erkannt’ er deutlich. Wo sie da gewesen, wusst’ er auch. Da wollt’ er hin und unter dem Schutt nach ihrem Genius fragen, mit diesem sich die einsamen Tage zu verkürzen. Er kam nach Griechenland. So fand ich ihn.

     Noch seh’ ich ihn vor mich treten in lächelnder Betrachtung, noch hör’ ich seinen Gruss und seine Fragen.

     Wie vor einer Pflanze, wenn ihr Friede den strebenden Geist besänftigt, und die einfältige [20-21] Genügsamkeit wiederkehrt in die Seele - so stand er vor mir.

     Und ich, war ich nicht der Nachhall seiner stillen Begeisterung? wiederholten sich nicht die Melodien seines Wesens? Was ich sah, ward ich, und es war Göttliches, was ich sah.

     Wie unvermögend ist doch der gutwilligste Fleiss der Menschen gegen die Allmacht der ungetheilten Begeisterung.

     Sie weilt nicht auf der Oberfläche, fasst nicht da und dort uns an, braucht keiner Zeit und keines Mittels; Gebot und Zwang und Überredung braucht sie nicht; auf allen Seiten, in allen Tiefen und Höhen ergreift sie im Augenblik’ uns, und wandelt, ehe sie da ist für uns, ehe wir fragen, wie uns geschiehet, durch und durch in ihre Schönheit, ihre Seligkeit uns um.

     Wohl dem, wem auf diesem Wege ein edler Geist in früher Jugend begegnete!

     O es sind goldne unvergessliche Tage, voll von den Freuden der Liebe und süsser Beschäftigung!

     Bald führte mein Adamas in die Heroenwelt des Plutarch, bald in das Zauberland der griechischen Götter mich ein, bald ordnet und beruhigt er mit Zahl und Maas das jugendliche Treiben, bald stieg er auf die Berge mit mir; des Tags, um die Blumen der Haide und des Walds und die wilden Moose des Felsen, des Nachts, um über uns die heiligen Sterne zu schauen, und nach menschlicher Weise zu verstehen.

     Es ist ein köstlich Wohlgefühl in uns, wenn so das Innere an seinem Stoffe sich stärkt, sich unterscheidet und getreuer anknüpft und unser Geist allmählig waffenfähig wird.

     Aber dreifach fühlt’ ich ihn und mich, wenn wir, wie Manen aus vergangner Zeit, mit Stolz und Freude, mit Zürnen und Trauern an den Athos hinauf und von da hinüberschifften in den Hellespont und dann hinab an die Ufer von Rhodus und die Bergschlünde von Tänarum, durch die stillen Inseln alle, wenn da die Sehnsucht über die Küsten hinein uns trieb, in’s düstre Herz des alten Pelopones, an die einsamen Gestade des Eurotas, ach! die ausgestorbnen Thale von Elis und Nemea und Olympia, wenn wir da, an eine Tempelsäule des vergessnen Jupiters gelehnt, umfangen von Lorbeerrosen und Immergrün, in’s wilde Flussbett [22-23] sahn, und das Leben des Frühlings und die ewig jugendliche Sonne uns mahnte, dass auch der Mensch einst da war, und nun dahin ist, dass des Menschen herrliche Natur jezt kaum noch da ist, wie das Bruchstük eines Tempels oder im Gedächtniss, wie ein Todtenbild - Da sass ich traurig spielend neben ihm, und pflükte das Moos von eines Halbgotts Piedestal, grub eine marmorne Heldenschulter aus dem Schutt, und schnitt den Dornbusch und das Haidekraut von den halbbegrabnen Architraven, indess mein Adamas die Landschaft zeichnete, wie sie freundlich tröstend den Ruin umgab, den Waizenhügel, die Oliven, die Ziegenheerde; die am Felsen des Gebirgs hieng, den Ulmenwald, der von den Gipfeln in das Thal sich stürzte; und die Lacerte spielte zu unsern Füssen, und die Fliegen umsummten uns in der Stille des Mittags - Lieber Bellarmin! ich hätte Lust, so pünktlich Dir, wie Nestor, zu erzählen; ich ziehe durch die Vergangenheit, wie ein Aehrenleser über die Stoppeläker, wenn der Herr des Lands geerndtet hat; da liest man jeden Strohhalm auf. Und wie ich neben ihm stand auf den Höhen von Delos, wie das ein Tag war, der mir graute, da ich mit ihm an der Granitwand des Cynthus die alten Marmortreppen hinaufstieg. Hier wohnte der Sonnengott einst, unter den himmlischen Festen, wo ihn, wie goldnes Gewölk, das versammelte Griechenland umglänzte. In Fluthen der Freude und Begeisterung warfen hier, wie Achill in den Styx, die griechischen Jünglinge sich, und giengen unüberwindlich, wie der Halbgott, hervor. In den Hainen, in den Tempeln erwachten und tönten in einander ihre Seelen, und treu bewahrte jeder die entzükenden Accorde.

     Aber was sprech’ ich davon? Als hätten wir noch eine Ahnung jener Tage! Ach! es kann ja nicht einmal ein schöner Traum gedeihen unter dem Fluche, der über uns lastet. Wie ein heulender Nordwind, fährt die Gegenwart über die Blüthen unsers Geistes und versengt sie im Entstehen. Und doch war es ein goldner Tag, der auf dem Cynthus mich umfieng! Es dämmerte noch, da wir schon oben waren. Jezt kam er herauf in seiner ewigen Jugend, der alte Sonnengott, zufrieden und mühelos, wie immer, flog der unsterbliche Titan mit seinen tausend eignen Freuden herauf, und lächelt’ herab auf sein verödet Land, auf seine Tempel, seine Säulen, die das Schiksaal [24-25] vor ihn hingeworfen hatte, wie die dürren Rosenblätter, die im Vorübergehen ein Kind gedankenlos vom Strauche riss, und auf die Erde säete.

     Sei, wie dieser! rief mir Adamas zu, ergriff mich bei der Hand und hielt sie dem Gott entgegen, und mir war, als trügen uns die Morgenwinde mit sich fort, und brächten uns in’s Geleite des heiligen Wesens, das nun hinaufstieg auf den Gipfel des Himmels, freundlich und gross, und wunderbar mit seiner Kraft und seinem Geist die Welt und uns erfüllte.

     Noch trauert und frohlokt mein Innerstes über jedes Wort, das mir damals Adamas sagte, und ich begreife meine Bedürftigkeit nicht, wenn oft mir wird, wie damals ihm seyn musste. Was ist Verlust, wenn so der Mensch in seiner eignen Welt sich findet? In uns ist alles. Was kümmerts dann den Menschen, wenn ein Haar von seinem Haupte fällt? Was ringt er so nach Knechtschaft, da er ein Gott seyn könnte! Du wirst einsam seyn, mein Liebling! sagte mir damals Adamas auch, du wirst seyn wie der Kranich, den seine Brüder zurükliessen in rauher Jahrszeit, indess sie den Frühling suchen im fernen Lande.

     Und das ist’s, Lieber! Das macht uns arm bei allem Reichtum, daß wir nicht allein seyn können, dass die Liebe in uns, so lange wir leben, nicht erstirbt. Gieb mir meinen Adamas wieder, und komm’ mit allen, die mir angehören, dass die alte schöne Welt sich unter uns erneure, dass wir uns versammeln und vereinen in den Armen unserer Gottheit, der Natur, und siehe! so weiss ich nichts von Nothdurft.

     Aber sage nur niemand, dass uns das Schiksaal trenne! Wir sind’s, wir! wir haben unsre Lust daran, uns in die Nacht des Unbekannten, in die kalte Fremde irgend einer andern Welt zu stürzen, und, wär’ es möglich, wir verliessen der Sonne Gebiet und stürmten über des Irrsterns Gränzen hinaus. Ach! für des Menschen wilde Brust ist keine Heimath möglich; und wie der Sonne Stral die Pflanzen der Erde, die er entfaltete, wieder versengt, so tödtet der Mensch die süssen Blumen, die an seiner Brust gedeihten, die Freuden der Verwandtschaft und der Liebe.

     Es ist, als zürnt ich meinem Adamas, dass er mich verliess, aber ich zürn’ ihm nicht. O er wollte ja wieder kommen!

     [26-27] In der Tiefe von Asien soll ein Volk von seltner Trefflichkeit verborgen seyn; dahin trieb ihn seine Hoffnung weiter.

     Bis Nio begleitet’ ich ihn. Es waren bittere Tage. Ich habe den Schmerz ertragen gelernt, aber für solch’ ein Scheiden hab’ ich keine Kraft in mir.

     Mit jedem Augenblikke, der uns der lezten Stunde näher brachte, wurd’ es sichtbarer, wie dieser Mensch verwebt war in mein Wesen. Wie ein Sterbender den fliehenden Othem, hielt ihn meine Seele.

     Am Grabe Homers brachten wir noch einige Tage zu, und Nio wurde mir die heiligste unter den Inseln.

     Endlich rissen wir uns los. Mein Herz hatte sich müde gerungen. Ich war ruhiger im lezten Augenblikke. Auf den Knieen lag ich vor ihm, umschloss ihn zum leztenmale mit diesen Armen; gieb mir einen Seegen, mein Vater! rief ich leise zu ihm hinauf, und er lächelte gross, und seine Stirne breitete vor den Sternen des Morgens sich aus und sein Auge durchdrang die Räume des Himmels - Bewahrt ihn mir, rief er, ihr Geister besserer Zeit! und zieht zu eurer Unsterblichkeit ihn auf, und all’ ihr freundlichen Kräfte des Himmels und der Erde, seyd mit ihm!

     Es ist ein Gott in uns, sezt’ er ruhiger hinzu, der lenkt, wie Wasserbäche, das Schiksal, und alle Dinge sind sein Element. Der sey vor allem mit Dir!

      So schieden wir. Leb wohl, mein Bellarmin!