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Hohenschwangau (Meyer’s Universum)

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CCCXXXXV. Der Gollinger Fall und das Thal der Ache in Tyrol Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Achter Band (1841) von Joseph Meyer
CCCXXXXVI. Hohenschwangau
CCCXXXXVII. Der Caucasus
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HOHENSCHWANGAU

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CCCXXXXVI. Hohenschwangau.




Als Gott dem ersten Menschenpaare die Erde verlieh mit allem Zubehör, da sah er wohl voraus, daß jeder Mensch, der Tagelöhner mit seiner Kraft, der Bauer mit seinen Feldern, der Bürger mit seinen Gewerben, der Kaufmann mit seinen Schiffen, der Ritter mit seinem Schwerte etc. etc. Einer des Andern Diener seyn werde, und der Fürst sollte nach dieser Ordnung der Knecht von allen seyn. Aber im Laufe der Zeiten trennten sich die letzten Glieder los von der Kette; die Fürsten, die Diener Aller und die Hüter des Gesetzes, machten sich zu Herren Aller und stellten sich über das Gesetz, und es verwandelte sich des Ritters und Reisigen schirmendes Schwert in ein Schwert des Unterdrückers. Da wurden aus den Burgvögten Burgherren, und aus den Räubervertilgern selbst Räuber, schlimmer als alle, die sie zuvor bekämpft hatten. Fortan schützte nur Macht, nicht das Gesetz. Der Besitz mußte Bollwerke haben und da erstanden die Mauerkronen der Faustrechtszeit auf allen Höhen, bis sie wieder vergingen in spätern Zeiten mit der Ursache, die sie hervorgerufen; denn als das Recht des Stärkern ein so entsetzliches Uebel geworden war, daß es seine Begründer, die Fürsten selbst, bedrohte: da verbanden sich diese mit dem Volke zu seiner Zerstörung, und wie das Gesetz hernach wieder zu Ehren kam und der Besitz das beschwerliche Wehrzeug entbehren konnte, baute er sich auch wieder gesellig seine Wohnungen in die Tiefe. Die Burgen wurden leer, es verfiel eine nach der andern. So sind jene Trümmer entstanden, welche zu der Gegenwart von einer Zeit reden, vor deren Wiederkehr uns die Gesittung ewig bewahren wird. Bei dieser Gewißheit mögen wir lächelnd zuschauen dem ergötzlichen Spiel, das mit dem Staube des Mittelalters hie und da Resurrektionsversuche macht, und wenn nebenbei, wie es bei der Wiederherstellung seiner äußeren Erscheinungen, der Schlösser und Burgen auf unsern Höhen, der Fall ist, noch für Kunst und Gewerbe ein Gewinn abfällt, mag selbst der Tadel schweigen, wenn auch die Vernunft die Motive nicht billigen kann, welche im Widerspruch mit der Zeit und ihren Forderungen stehen.


Schloß Hohenschwangau liegt in der schönsten Gegend des bayerischen Hochlandes, in den Vorbergen der Tyroler Alpen, 1 Stunde oberhalb Füssen, dicht an der österreichischen Grenze. Es gehört dem Kronprinzen von [52] Bayern, und ist dessen gewöhnliche Sommerresidenz. Die Wiederherstellung des verfallenen Gebäudes geschah unter der Leitung von Dominik Quaglio vor einigen Jahren mit eben so viel Pracht, als Geschmack, im mittelalterlichen Style, und in seiner jetzigen Gestalt und Ausschmückung erhält es als Denkmal vaterländischer Kunst und Geschichte eine weit ernstere, höhere und würdigere Bedeutung, als ihm die Restauration allein jemals geben konnte.

Unser eben so schönes als treues Portrait giebt das Schloß und seine herrliche Umgebung als freundliches Frühlingsbild wieder. Ein Maimorgen war’s, als der sinnige Künstler mit der Mappe unter dem Arm aus dem Thore des Gasthauses des uralten Städtchens Füssen schritt, Hohenschwangau zu zeichnen. Durch üppigen Wiesgrund der rauschenden Lech entlang, zieht der Pfad erst gemach bergan. Enger wird allmählig das Thal, es wird zur Schlucht – und die Lech stürzt nun in großen Sätzen und wild rauschend zwischen Felsmassen von Stufe zu Stufe. Nur die zartesten Erstlinge des Jahres schmückten die Ränder des Bergstroms. Südwärts trugen die kahlen Alpengipfel noch die Wintermützen, nur den Waldschnee jagte der Frühlingshauch in brüllenden Strömen die Thaler hinab. Nahe und ferne Wasserfälle sangen dem Ewigen Morgengesang, und dazwischen dröhnte der Sturz losgerissener und zermalmter Felsstücke. Selten gewinnt das Auge einen Blick in’s Freie, und so weit er dringen kann, sieht er nur schwarze Waldungen. An einer weit vortretenden Höhe wendet sich der Weg rechts – noch einige hundert Schritte geht es fort im Dunkel des Forstes – da steht das Ziel. Ein paradiesisches Thal lacht heimlich und freundlich entgegen, und mitten in dieser arkadischen Einöde, auf der breiten Stirn eines Marmorfelsens, prangt die fürstliche Burg mit Mauerzinnen, Thurmfahnen, Wappenschilden und hochgewölbten Thoren, und unwillkührlich heischt eine längst entschwundene Zeit Erinnerung. Nichts tritt störend in das mittelalterliche Bild, als – die Menschen; aber auch diese stören den Lenzreisenden nicht, da der Hof vor dem Juli selten herkömmt. Die Kunst hat die herrliche Natur von Hohenschwangau’s Umgebung mit scheuer, zarter Hand berührt, und sich blos darauf beschränkt, Wege zum Genuß und zur bequemen Betrachtung seiner Schönheiten zu bahnen. Bald durch des Gehölzes dunkles Dickicht, bald durch lichten, majestätischen Urwald, bald an einzeln stehenden Riesenbäumen, an deren bemoosten Stämmen sich schmucklose Rasenbänke lehnen, vorüber, gelangt man zum Schloß. „Der innere Burghof“, so schildert der Künstler, „schien der Aufenthalt der Flora selbst zu seyn. All die zarten Blüthen des Frühlings, die ich selbst in Füssen erst knospen gesehen, waren hier, warm geküßt vom freundlichen Strahl der Sonne und vor jedem Luftzug geschützt, schon aufgebrochen, und kleine Singvögel hüpften und zirpten in allen Gebüschen umher. Ich setzte mich nieder und horchte zum erstenmale wieder am Busen des neuen Frühlings, und horchte still den gefiederten kleinen Sangkünstlern und dem fernen Rufe des Guckucks von der Waldeshöh. Erst als ich das Fest der Natur mitgefeiert, dachte ich meines Berufes und an Mappe und Bleifeder.“ – Zuerst fesseln wohl Jeden die geschmackvollen [53] Brunnen. Der erste quillt aus den Ringmauern unter dem Schatten von dreihundertjährigen Linden; der zweite entströmt einem colossalen, trefflich modellirten Schwan; der dritte, prächtigste, stößt aus einer, von vier eisernen Löwen getragenen, Marmorschaale einen 20 Fuß hohen Strahl empor. Die Löwengruppe ist Schwanthaler’s Werk, in Bodenwöhr gegossen. Ueber der Einfahrt prangen die Wappen des bayerischen Königshauses neben denen der Dynasten von Hohenschwangau, gehalten von zwei Rittern mit fliegenden Fahnen. Die Parterres des Schlosses nehmen die Stallungen, die Gemächer der Dienerschaft und das Gewächshaus ein. Eine prachtvolle Marmortreppe führt in’s erste Stock; zuerst in die Halle. Alte Waffen, Hüfthörner und Jagdspieße hängen an den Wänden und Glasmalereien leuchten in den hohen Bogenfenstern. In den Ecken stehen Ritter in ganzer Rüstung. – Aus der Halle tritt man in den Rittersaal. Alle Wände desselben sind mit Frescogemälden – vaterländischen historischen Compositionen, – von den Meisterhänden Nehers, Lorenz Quaglio’s und Albert Adams und dessen Söhnen nach den Kartons von Ruben bedeckt, und die Fenster schmücken Glasgemälde von Keller in Nürnberg. Herrlich ist die Aussicht aus diesem Saale nach allen Seiten. Rings erheben sich die Bergkronen des Thals, – der Degelberg, der Strausberg, der hohe Sailing mit dem Kreuze, der Pilgersteig, im Süden zieht der große Kitzelberger Forst den Rahmen, jenseits aber liegen die Tyroler Alpenfirnen, gleichsam angehörend einem andern Bilde einer andern Welt. An den Rittersaal stößt eine Reihe Zimmer und Säle, welche die eigentliche Wohnung des Kronprinzen ausmachen. Sie find alle al fresco mit vaterländischen Scenen, mehre mit Jagden, andere mit Landschaften als Erinnerungsbilder der Reisen des Fürsten im Oriente bemalt, lauter Werke guter Künstler der Münchener und Düsseldorfer Schule. Es halfen daran außer den bereits genannten: Lindenschmidt, Scheurer, Schwind, Glink u. A. In den Fenstern der Zimmer glühen Glasmalereien, theils alte, theils neue; und alle Verzierungen, alle Decorationen und das ganze Ameublement, letzteres theils aus Cederholz, sind dem Geschmacke des Mittelalters vollkommen angemessen. – Die zweite Etage des Schlosses nimmt der Heldensaal (mit Freskogemälden von Adam, Giesmann, Glink, Neher, Nilson, Schimon, Schneider etc.) ein,–- Scenen der den Nibelungen verwandten Wylkinasage. Der Geschichte der Hohenstaufen weihte die Kunst den Salon neben an; andere Räume der Geschichte der Welfen. Alle Fußböden sind von duftendem Cedernholz. Auf den Tafeln, Kamingesimsen etc. stehen und liegen eine Menge Kunstsachen des Mittelalters, – Pokale, Trinkhörner, Gefäße von kunstvoll getriebener Arbeit, Majolica, Schnitzarbeiten von Holz, Perlmutter und Elfenbein, alte Pergamentdrücke und Manuscripte, Missalen und Horen mit köstlichen Malereien et. etc., die allein schon den Kenner Tage lang beschäftigen können.

[54] Das Heiligthum der Natur in Hohenschwangau’s Umgebungen stellt aber noch weit größere, reizendere, mannichfaltigere Gemälde auf, als der Tempel der Kunst. Jede Berghöhe besitzt einen größern oder kleinern Cyklus von Schönheiten, und jeder Thalgrund führt zu gemüthlichen oder romantischen Naturscenen. Die Ausflüge nach dem Bannwaldsee, nach Garmisch, zu der Ruine Altschwangau, zur Burghöhe, nach der Gypsmühle, zum Schwansteig, nach Schwarzenberg und zum Sailing sollte kein Besucher Hohenschwangau’s unterlassen. Die interessanteste Wanderung ist aber den Degelberg hinan, wo man von den Felstribünen Brunterschroffen und Gratz die herrlichste Fernsicht genießt. Man überblickt die schwäbischen Gauen mit einem großen Theil Oberbayerns und die spiegelnden Flächen von mehr als 20 großen und kleinen Seen. Herrliche Aussicht bietet auch der Strausberg.