Hessischer Verwaltungsgerichtshof - Entschädigung für Pflichtexemplare
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Kostenlose Abgabe von Pflichtexemplaren neu erscheinender Druckwerke
HessPresseG § 9; Verordnung über die Abgabe von Pflichtexemplaren vom 16. 2. 1970 § 1
Das Verlangen einer Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek, ein Verleger solle ein von ihm verlegtes Buch kostenlos abgeben, ist rechtswidrig, wenn das Druckwerk mit großem Aufwand und in kleiner Auflage hergestellt wurde. Von „einem großen Aufwand“ ist auszugehen, wenn die Herstellungskosten in den Jahren 1976/77 100 DM für das einzelne Buch überstiegen. Eine „kleine Auflage“ ist bei Druckwerken bis zu 500 Exemplaren anzunehmen.
VGH Kassel, Urt. v. 8. 12. 1987 – IX OE 46/82
[1] Zum Sachverhalt: Die Bet. streiten darüber, ob der Kl., der als Verleger tätig ist und im Rahmen seines Verlages bibliophile Bücher sowie Originalgraphiken verlegt, zur kostenlosen Abgabe von vier Druckwerken an die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt verpflichtet ist. Mit Lieferschein vom 9. 11. 1976 sandte der Kl. der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt folgende nach Auflage und Verkaufspreis näher bezeichnete Bücher „zur Ansicht“ zu:
- (1) Stephane Mallarmé, Nachmittag eines Fauns. Mit 12 handsignierten Farbradierungen von Wolff Buchholz. Buchgestaltung Otto Rohse.
Auflage: 70; Verkaufspreis 650 DM. - (2) Paul Wunderlich, Ein Skizzenbuch. Mit einer Original-Lithographie als Frontispiz, einem Text von Max Bense und Tafeln im [419] Lichtdruck. Im Druckvermerk vom Künstler handsigniert.
Auflage: 625; Verkaufspreis: 180 DM. - (3) Anton Tschechow, Rothschild's Geige. Mit 3 Farbholzschnitten von Esteban Fekete.
Auflage: 150; Verkaufspreis: 280 DM. - (4) Pär Lagerkvist, Der Fahrstuhl, der zur Holle fuhr. Mit 5 handsignierten Farbholzschnitten von Esteban Fekete.
Auflage: 100; Verkaufspreis: 280 DM.
[2] Die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek behielt die vier vom Kl. übersandten Werke ein und teilte dem Kl. mit Schreiben vom 21. 1. 1977 mit, nach § 9 HessPresseG i. V. mit der Verordnung über die Abgabe von Pflichtexemplaren vom 16. 2. 1970 (GVBl S. 195) sei der Kl. verpflichtet, seine Verlagserzeugnisse ohne Kostenerstattung abzuliefern. Mit der Einbehaltung der übersandten Werke sei diese Abgabepflicht erfüllt. Nach erfolglosem Widerspruch hat das VG das Verfahren zunächst nach Art. 100 I GG ausgesetzt und die Sache dem BVerfG zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob § 9 HessPresseG insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar sei, als der Hessische Kultusminister ermächtigt worden ist, zu bestimmen, daß von jedem im Geltungsbereich des Gesetzes erscheinenden Druckwerk ein Belegstück kostenlos an die vom Hessischen Kultusminister bestimmte zuständige Bibliothek abgeliefert werden müsse. Das BVerfG hat durch Beschluß vom 14. 7. 1981 (BVerfGE 58, 137 = NJW 1982, 633) entschieden, § 9 PresseG sei mit Art. 14 I 1 insoweit nicht vereinbar, als der Hessische Kultusminister ermächtigt sei, die Pflicht zur Ablieferung eines Belegstückes von jedem im Geltungsbereich des Gesetzes erscheinenden Druckwerk ausnahmslos ohne Kostenerstattung anzuordnen.
[3] Das VG hat daraufhin der Klage stattgegeben. Die Berufung des Bekl. hatte nur zum Teil Erfolg.
[4] Aus den Gründen: Als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid kommt hier lediglich § 9 HessPresseG i. V. mit der Verordnung über die Abgabe von Pflichtexemplaren vom 16. 2. 1970 (GVBl S. 195) und der Verordnung über die Abgabe von Druckwerken vom 21. 3. 1977 (GVBl S. 146) in Betracht. Die durch das Gesetz zur Änderung des Hessischen Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse vom 14. 6. 1982 erfolgte Neufassung des § 9 HessPresseG ist für die Frage, ob die Heranziehung des Kl. zur unentgeltlichen Ablieferung der streitigen Buchexemplare rechtmäßig ist, unbeachtlich. Denn die Neufassung des § 9 HessPresseG soll nach dem Inhalt des Änderungsgesetzes vom 14. 6. 1982 nur für solche Druckwerke gelten, mit deren Verbreitung nach dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes am 23. 6. 1982 begonnen wurde. Dies folgt daraus, daß erstmalig durch das Änderungsgesetz vom 14. 6. 1982 ein Erstattungsanspruch des Verlegers für den Fall eingeführt wurde, daß ihm die unentgeltliche Abgabe eines Exemplars des von ihm verlegten Druckwerkes wegen des großen finanziellen Aufwands und der kleinen Auflage nicht zugemutet werden kann. Dieser Erstattungsanspruch soll nach § 9 I 3 HessPresseG in der neuen Fassung aber nur dann bestehen, wenn der Erstattungsantrag innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Wochen nach Beginn der Verbreitung des Druckwerks eingereicht worden ist. Daß das Hessische Pressegesetz in der Fassung vom 20. 11. 1958 einen Erstattungsanspruch für Pflichtexemplare nicht vorsah so daß Erstattungsanträge von den Verlegern üblicherweise auch nicht gestellt wurden, und da in dem Änderungsgesetz keine Regelung dahin getroffen ist, daß für Druckwerke, mit deren Verbreitung bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung begonnen wurde, auch noch ein Erstattungsantrag gestellt werden kann, ist das Änderungsgesetz dahin zu verstehen, daß es nur Druckwerke erfaßt, mit deren Verbreitung nach dem Inkrafttreten des Gesetzes (23. 6. 1982) begonnen worden ist. Diese Auffassung, die der Senat bereits in seinem Urteil vom 14. 2. 1984 – IX OE 112/79 – vertreten hat, wird auch gestützt durch die Verordnung über die Abgabe von Druckwerken vom 12. 12. 1984 (GVBl S. 10). Nach § 9 dieser Verordnung tritt § 6 der Verordnung mit Wirkung vom 23. 6. 1982 in Kraft. § 6 der Verordnung bestimmt, welche Angaben der Verleger, der die Erstattung der Herstellungskosten des abgegebenen Druckwerks verlangt, der Bibliothek in seinem Antrag anzugeben hat.
[5] Maßgeblich für die Frage, ob der Kl. verpflichtet ist, die von ihm verlegten vier Druckwerke kostenlos an die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt abzugeben, ist daher das Hessische Gesetz über Freiheit und Recht der Presse vom 20. 11. 1958.
[6] § 9 dieses Gesetzes ermächtigte den Minister für Kultus und Unterricht, durch Ausführungsverordnung zu bestimmen, daß von jedem im Geltungsbereich dieses Gesetzes erscheinenden Druckwerk ein Belegstück kostenlos an die von ihm bestimmte zuständige Bibliothek abgeliefert werden mußte. Aufgrund des § 9 HessPresseG hat der Hessische Kultusminister durch Verordnungen vom 16. 2. 1970 (GVBl S. 195) und vom 21. 3. 1977 (GVBl S. 146) im wesentlichen übereinstimmend bestimmt, daß der Verleger von jedem Druckwerk, das innerhalb des Landes Hessen erscheint, unentgeltlich und auf eigene Kosten ein Exemplar an eine näher bestimmte Bibliothek abliefern müsse. Für Verleger, die – wie der Kl. – im Regierungsbezirk Darmstadt ansässig sind, war hiernach des Exemplar an die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt abzugeben.
[7] Jedoch hat das BVerfG in dem vorliegenden Rechtsstreit mit Beschluß vom 15. 7. 1981 (BVerfGE 58, 137 = NJW 1982, 633; BGBl I 1981, 1186) festgestellt, daß § 9 des Hessischen Gesetzes über Freiheit und Recht der Presse in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. 11. 1958 (GVBl S. 183) mit Art. 14 I 1 GG insoweit nicht vereinbar sei, als der Hessische Kultusminister ermächtigt ist, die Pflicht zur Ablieferung eines Belegstücks von jedem im Geltungsbereich des Gesetzes erscheinenden Druckwerk ausnahmslos ohne Kostenerstattung anzuordnen.
[8] Damit hat das BVerfG zwar die Vorschrift des § 9 HessPresseG nicht für nichtig erklärt; jedoch hat die Feststellung der teilweisen Verfassungswidrigkeit nach § 31 I BVerfG[G] zur Folge, daß § 9 HessPresseG in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. 11. 1958 auf den vorliegenden Fall nicht angewendet werden darf, wenn es sich bei den vier vom Kl. verlegten Büchern um Druckwerke handelt, „die mit großem Aufwand und zugleich nur in kleiner Auflage hergestellt“ worden sind.
[9] Das BVerfG hat nicht näher dargelegt, in welchen Fällen eine „niedrige Auflage“ und ein „wertvolles Druckwerk“ anzunehmen ist. Die Ausführungen des BVerfG, daß dem Verleger, der mit der Herstellung von künstlerisch, wissenschaftlich und literarisch exklusiven Werken in geringer Auflage im Vergleich zu normalen verlegerischen Aktivitäten bereits ein wesentlich erhöhtes wirtschaftliches Risiko eingehe, nicht noch „zusätzlich die erheblich überdurchschnittlichen Herstellungskosten für ein Pflichtexemplar“ aufgebürdet werden dürften, lassen aber jedenfalls daraufschließen, daß die Entscheidung darüber, ob im Einzelfall ein „wertvolles Druckwerk“ gegeben ist, unter Berücksichtigung der Herstellungskosten und nicht etwa des Verkaufspreises zu treffen ist.
[10] Für die Entscheidung der Frage, ob im Einzelfall eine „kleine Auflage“ anzunehmen ist und ob die verlegten Bücher „mit großem Aufwand“ hergestellt wurden, können die vorläufigen Richtlinien der Deutschen Bibliothek für die Gewährung von Zuschüssen bei der Ablieferung von Pflichtstücken gem. § 22 des Gesetzes über die Deutsche Bibliothek vom 31. 3. 1969 (BGBl I, 265), in welche die besondere Sachkenntnis dieser Einrichtung eingeflossen ist, herangezogen werden. Die vorläufigen Richtlinien für das Erscheinungsjahr 1983 sehen vor, daß die unentgeltliche Abgabe eines Belegexemplars den ablieferungspflichtigen Verleger dann unzumutbar belastet, wenn ein Druckwerk mit einer Auflage bis zu 500 Exemplaren und Herstellungskosten ab 100 DM, bezogen auf ein Exemplar der Auflage, erscheint. In diesem Fall gewährt die Deutsche Bibliothek auf Antrag einen Zuschuß. Berechnungsgrundlage für den Zuschuß sind dabei die Herstellungskosten (Aufwendungen für Satz, Papier, Druck, Einband und Autorenhonorare) zuzüglich 40% hiervon als Gemeinkostenpauschale.
[11] Geht man davon aus, daß eine „niedrige Auflage“ i. S. des Beschlusses des BVerfG vom 15. 7. 1981 nur bei Druckerzeugnissen bis zu 500 Exemplaren gegeben ist, so hält sich die Verpflichtung des Kl. zur kostenlosen Abgabe eines Exemplars des Buches von Paul Wunderlich („Ein Skizzenbuch“) bei einer Auflage von 625 Exemplaren noch im Rahmen der Belastungen, die einem Verleger nach Art. 14 I 2 GG durch den Gesetzgeber aufgebürdet werden können.
[12] Die angefochtenen Bescheide des Bekl. sind daher rechtmäßig, soweit sie den Kl. nach § 9 HessPresseG in der Fassung vom 20. 11. 1958 in Verbindung mit der Verordnung über die Abgabe von Pflichtexemplaren vom 16. 2. 1970 verpflichten, ein Exemplar des Buches von Paul Wunderlich, „Ein Skizzenbuch“, kostenlos an die Hessische Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt abzugeben. Hingegen besteht eine Verpflichtung des Kl. zur kostenlosen Abgabe jeweils eines Exemplars der übrigen hier im Streit stehenden drei Bücher an die Hessische Landes- und [420] Hochschulbibliothek in Darmstadt nicht. Die Bücher von Stephane Mallarmé („Nachmittag eines Fauns“), Anton Tschechow („Rothschilds Geige“) und Pär Lagerkvist („Der Fahrstuhl, der zur Hölle fuhr“), die mit einer Auflage von weniger als 500 Exemplaren erschienen sind, haben nach den glaubhaften Angaben des Kl. Autoren- und Künstlerhonorare, Satz- und Druckkosten, Kosten für Papier, Handeinband und Typograhie in Höhe von 439,31 DM (Stephane Mallarmé), 73,64 DM (Anton Tschechow) und 177,88 DM (Pär Lagerkvist) verursacht. Erhöht man die vorgenannten Beträge um eine Verwaltungskostenpauschale von 40 v.H., so ergeben sich Herstellungskosten von 615,03 DM, 103,10 DM und 249,03 DM.
[13] Es erscheint berechtigt, außer den vom Verleger zu erbringenden Aufwendungen für Satz, Papier, Druck, Einband und Autorenhonorare auch eine Gemeinkostenpauschale als Herstellungskosten anzuerkennen, weil dem Verleger im Zusammenhang mit der Erstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen außer den Aufwendungen für Satz, Papier, Druck, Einband und Autorenhonorare weitere Kosten (für Lektoren, für Korrespondenz und Verpackung, Miet- und Lagerkosten, Reisekosten und ähnliches) erwachsen, die für den Wert des abzugebenden Pflichtexemplars und des damit verbundenen Vermögensopfers bestimmend sind.
[14] Jedenfalls für die Jahre 1976/77 ist bei Herstellungskosten von mehr als 100 DM pro Exemplar ein „wertvolles Druckwerk“ i. S. der Entscheidung des BVerfG vom 14. 7. 1981 anzuerkennen, dessen unentgeltliche Ablieferung bei niedriger Auflage (bis zu 500 Exemplaren) eine unzumutbare Vermögensbelastung des Verlegers darstellen würde.
[15] Infolgedessen sind die angefochtenen Bescheide rechtswidrig, soweit sie sich auf die Bücher von Stephane Mallarmé, Anton Tschechow und Pär Lagerkvist beziehen. Zu Recht hat daher das VG der Klage hinsichtlich der drei vorgenannten Bücher stattgegeben. Hinsichtlich des Buches von Paul Wunderlich war der Berufung des Bekl. stattzugeben.