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Herr Wendriner telephoniert (Tucholsky 5 PS)

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Textdaten
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Autor: Kurt Tucholsky
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Titel: Herr Wendriner telephoniert
Untertitel:
aus: Mit 5 PS Seite 41-43
Herausgeber:
Auflage: 10. – 14. Tausend
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Ernst Rowohlt
Drucker: Herrosé & Ziemsen
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch Zehn Minuten aus Die Weltbühne. Jg. 18, Nr. 27 vom 6. Juli 1922, II, S. 19.
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Bild
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Bearbeitungsstand
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[41]
Herr Wendriner telephoniert
Der gesamte Postbetrieb des Reiches ruhte am Tage der Beerdigung Walter Rathenaus von zwei Uhr bis zwei Uhr zehn Minuten.

„Wenn er die Faktura nicht anerkennt, dann werde ich ihn eben einfach mal anrufen. Legen Sie die Kuverts inzwischen auf ’n Stuhl. Welches Amt hat Skalitzer? Amt Königstadt? Na, warte … Nu? Na? Na, was ist –? Fräulein! Warum melden Sie sich denn nicht? Haste gesehen: sie sagt nicht, warum sie sich nicht meldet! Fräulein! Na, ist denn der Apparat nicht in Ordnung …? Fräulein Tinschmann, was [42] ist mit dem Apparat? Ist er nicht in Ordnung? Wie oft hab ich Ihnen schon gesagt … Was? Was ist? Der Betrieb ruht? Was heißt das? Warum …? Ach so – wegen Rathenau. Danke, Sie können wieder gehn … Wegen Rathenau. Sehr gut. Sehr richtig ist das. Der Mann ist ein königlicher Kaufmann gewesen und unser größter Staatsmann. Das ist unbestritten. Schkandal, daß sie ihn erschossen haben! So ein effektiv anständiger Mensch! Ich hab noch den alten Rathenau gut gekannt – das waren Kaufleute waren das! Na, er hat eine hervorragende Trauerfeier im Reichstag gehabt! Sehr eindrucksvoll. Glänzend war der Leitartikel heute morgen – ausgezeichnet. Ja, die Regierung wird ja kräftig durchgreifen – eine Verordnung haben sie ja schon erlassen. Ausm Auto raus zu erschießen – unerhört! Die Polizei sollte da … Fräulein! Die zehn Minuten sind noch nicht um. Glänzende Schützen müssen das gewesen sein, die Jungens. Vielleicht Offiziere … Aber das kann ich mir eigentlich gar nicht denken: die Regimentskameraden von Walter waren doch damals alle zu Tisch bei uns – alles so nette und feine Leute! Famose Erscheinungen darunter! Ich hab mich ja damals doch gefreut, wie der Junge Reserveoffizier geworden ist! Fräulein! Fräulein! Ein bißchen länglich die zehn Minuten! Fräulein! Aber wenn sie eine Minute länger streiken als zehn Minuten – ich bin imstande und beschwer mich! Fräulein! Ich muß doch den alten Skalitzer haben! Kateridee, deshalb das Telephon abzusperren! Davon wird er auch nicht lebendig. Solln se lieber die Steuern gerecht verteilen, das wär mehr im Sinne des Verstorbenen gewesen! Fräulein! Wer sperrt das Telephon ab, wenn ich mal nicht mehr bin? Kein Mensch! Meschugge, das Telephon abzusperren! Wie soll ich jetzt an Skalitzers ran? Nachher ist der Alte sicherlich zu Tisch gegangen. Schkandal! Mehr Lohn [43] wollen die Leute – das ist alles. Was sind das für Sachen, einem am hellerlichten Tage das Telephon vor der Nase abzusperren! Unterm Kaiser sind doch gewiß manche Sachen vorgekommen – aber so was hab ich noch nicht erlebt! Unerhört! Das ist eine Belästigung der Öffentlichkeit! Solln se sich totschießen oder nicht – aber bis ins Geschäft darf das doch nicht gehn! Überhaupt: ein Jude soll nicht solches Aufsehen von sich machen! Das reizt nur den Antisemitismus. Seit dem neunten November ist hier keine Ordnung mehr im Lande. Ist das nötig, einem das Telephon abzusperren? Wer ersetzt mir meinen Schaden, wenn ich Skalitzer nicht erreiche? Fräulein! Nu hör an – da draußen gehn se demonstrieren! Sieh doch – mit rote Fahnen – das hab ich gar gern! Was singen sie da? Fräulein! Se wern noch so lange machen, bis es wieder Revolution gibt! Fräulein! Mich kann die ganze Republik … Fräulein! Fräulein! Mein politischer Grundsatz ist … Fräulein! Endlich! Fräulein! Königstadt –!“