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Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken

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Textdaten
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Autor: Christian Fürchtegott Gellert
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Titel: Passionslied
Untertitel: Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken
aus: Geistliche Oden und Lieder. S. 123–127
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1757
Verlag: Weidmannische Handlung
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google und commons
Kurzbeschreibung:
Passionslied, EG 91
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[123]
Passionslied.

Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken,
Mich in das Meer der Liebe zu versenken,
Die dich bewog, von aller Schuld des Bösen
 Uns zu erlösen!

5
Vereint mit Gott, ein Mensch gleich uns auf Erden,

Und bis zum Tod am Kreuz gehorsam werden;
An unsrer Statt gemartert und zerschlagen,
 Die Sünde tragen;

Welch wundervoll hochheiliges Geschäfte!

10
Sinn ich ihm nach: so zagen meine Kräfte,

Mein Herz erbebt; ich seh und ich empfinde
 Den Fluch der Sünde.

Gott ist gerecht, ein Rächer alles Bösen.
Gott ist die Lieb und läßt die Welt erlösen.

15
Dieß kann mein Geist, mit Schrecken und Entzücken,

 Am Kreuz erblicken.

Es schlägt den Stolz und mein Verdienst danieder.
Es stürzt mich tief, und es erhebt mich wieder;
Lehrt mich mein Glück, macht mich aus Gottes Feinde

20
 Zu Gottes Freunde.


[124]

O Herr, mein Heil, an dessen Blut ich glaube,
Ich liege hier vor dir gebückt im Staube,
Verliere mich mit dankendem Gemüthe
 In deine Güte.

25
Sie übersteigt die menschlichen Gedanken;

Allein sollt ich darum im Glauben wanken?
Ich bin ein Mensch; darf der sich unterwinden,
 Gott zu ergründen?

Das Größt in Gott ist Gnad und Lieb erweisen;

30
Uns kömmt es zu, sie demuthsvoll zu preisen,

Zu sehn, wie hoch, wenn Gott uns Gnad erzeiget,
 Die Gnade steiget.

Laß deinen Geist mich stets, mein Heiland, lehren,
Dein göttlich Kreuz im Glauben zu verehren;

35
Daß ich, getreu in dem Beruf der Liebe,

 Mich christlich übe.

Das Gute thun, das Böse fliehn und meiden,
Herr, diese Pflicht lehrt mich dein heilig Leiden.
Kann ich zugleich das Böse mir erlauben,

40
 Und an dich glauben?


[125]

Da du dich selbst für mich dahin gegeben,
Wie könnt ich noch nach meinem Willen leben?
Und nicht vielmehr, weil ich dir angehöre,
 Zu deiner Ehre?

45
Ich sollte nicht, wenn Leiden dieser Erden,

Wenn Kreuz mich trifft, gelaßnes Herzens werden;
Da du so viel für uns, die wirs verschuldet,
 Liebreich erduldet?

Für welche du dein Leben selbst gelassen,

50
Wie könnt ich sie, sie meine Brüder, hassen?

Und nicht wie du, wenn sie mich untertreten,
 Für sie noch beten?

Ich will nicht Haß mit gleichem Haß vergelten,
Wenn man mich schilt, nicht rächend wiederschelten.

55
Du, Heiliger, du, Herr und Haupt der Glieder,

 Schaltst auch nicht wieder.

Ein reines Herz, gleich deinem edlen Herzen,
Dieß ist der Dank für deines Kreuzes Schmerzen.
Und Gott giebt uns die Kraft in deinem Namen,

60
 Dich nachzuahmen.


[126]

Unendlich Glück! Du littest uns zu gute.
Ich bin versöhnt in deinem theuren Blute.
Du hast mein Heil, da du für mich gestorben,
 Am Kreuz erworben.

65
So bin ich denn schon selig hier im Glauben?

So wird mir nichts, nichts meine Krone rauben?
So werd ich dort, von Herrlichkeit umgeben,
 Einst ewig leben?

Ja, wenn ich stets der Tugend Pfad betrete,

70
Im Glauben kämpf, im Glauben wach und bete:

So ist mein Heil schon so gewiß erstrebet,
 Als Jesus lebet.

Lockt böse Lust mein Herz mit ihrem Reize:
So schrecke mich dein Wort, das Wort vom Kreuze.

75
Und werd ich matt im Laufe guter Werke:

 So sey mirs Stärke.

Seh ich dein Kreuz den Klugen dieser Erden
Ein Aergerniß und eine Thorheit werden:
So seys doch mir, Trotz alles frechen Spottes,

80
 Die Weisheit Gottes.


[127]

Gott, eile nicht, sie rächend zu zerschmettern;
Erbarme dich, wenn einer von den Spöttern
Sich spät bekehrt, und dich, den er geschmähet,
 Um Gnade flehet.

85
Wenn endlich, Herr, mich meine Sünden kränken:

So laß dein Kreuz mir wieder Ruhe schenken;
Dein Kreuz, dieß sey, wenn ich den Tod einst leide,
 Mir Fried und Freude!