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Herbstabend

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Karl Reinecke-Altenau
Illustrator: Karl Reinecke-Altenau
Titel: Herbstabend
Untertitel:
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Herausgeber: Karl Reinecke-Altenau
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: Vorlage:none
Verlag:
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Erscheinungsort: Harz
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Allgemeiner Harz-Berg-Kalender für das Schaltjahr 1920, S. 32–33
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
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Herbstabend.

     Über die schweigende Waldblöße kriechen laue Schatten. Hinter dem Walde weit im Westen versinkt in goldroter Glut die Abendsonne. Ihre letzten feurigen Strahlen huschen blitzend durch das dunkle Gehölz und küssen mit goldigem Kuß das gelbe Borstengras im Hai, daß es jubelnd auf flackert, malen glühende Farbflecken auf die schlanken Fichtenstämme und ziehen über den braunen Waldboden flimmernde Streifen von Purpur und Gold. Die Bäume baden ihr Haupt in grüngoldenem Licht. Brennend lohen die Fichtenzapfen an den Wipfelzweigen, flammend des Weidenröschens blutrote Blätter. In sattem Goldbraun wiegt sich der Adlerfarn, und unter ihm leuchtet sprühend das goldene Haarmoos. Jedes Fleckchen Boden, jedes Waldwinkelchen ist von einem zarten Goldzauber erfüllt. Die scheidende Sonne haucht liebkosend ihren Gutenachtkuß über die Fluren. Wie eine zärtliche Mutter, die mit glücklichem Lächeln das Haupt ihrer Kinder streichelt, läßt sie noch einmal ihr wärmendes Licht über die träumenden Höhen gleiten. Als ob sie ihnen allen noch etwas liebes zuflüstern und ihnen ihren mütterlichen Segen mitgeben möchte, ehe still sich Nacht und Schlaf herniedersenken.

     In den Tälern beginnt es zu dämmern. Kühle Schatten lagern sich darüber, und der Silberbach im Grunde überdeckt sich mit dampfendem Dunst. Das fröhliche Grün am Bachesrand wird grau und fahl. Tausende Halme neigen sich müde zur Erde. Längst hat die Wasseramsel ihren heimlichen Unterschlupf aufgesucht. Des Wildwassers lullendes Liedlein hat sie längst in Schlaf gesungen. Nun schlummert sie und träumt von Larven und jungen Forellen.

     Die graue Dämmerung steigt höher an den waldigen Hängen hinan. Bald ist das letzte goldene Leuchten auf den Gipfeln verloschen, verhaucht der letzte glühende Rosenschimmer. Noch ein zuckendes Flackern jenseits der Wälder, ein Mattes Blinken und Blinzeln: dann stirbt der Tag und versinkt im All. Schweigend verhüllt sich die Welt in Dunst und Duft.

[33]      Ein Weilchen noch strahlt in hoher Luft ein orangefarbenes Abendwölkchen. Es wird zarter und zarter, verblaßt gemach und löst sich leise auf. Wie ein goldener Traum, der in Nichts zerrinnt.

     Über das Hai streicht schmeichelnd ein laues Wehen und haucht weich durch die nickenden Gräser. Braune Wurmfarnwedel pendeln auf und nieder und im Heidelbeerkraut raschelt und tuschelts. Tändelnd spielt der Wind mit den letzten roten Fingerhutglocken, die mit verglimmender Glut drüben am morschen Wildgatter verblühen. Müde faltet der zierliche Sauerklee seine zarten Blättchen zusammen. Seidene Spinngewebe segeln planlos durch die Luft, und weiße Waldmotten huschen taumelnd vorüber. Ein Zug verspäteter Krammetsvögel fliegt schackernd zu Holze. Im Walde irgendwo krächzt eine einsame Krähe, die noch keine Schlafstätte fand. Vom Gipfel einer Jungfichte grüßt ein Rotkelchen die allerletzte matte Helle am fahlen Abendhimmel, die weit hinten den Saum ferner Berge küßt. Es schaut mit den schwarzen Perlaugelchen noch einmal in die Runde und singt ein paar silberne Töne in die träumende Dämmerung hinaus. Dann wetzt es den Schnabel am grünen Ast und schlüpft in die schützende Dickung. Hinterm Hochwald blinkt bleich der erste Stern.

     Auf der Blöße und im Walde wird es still. Mit dem Rotkelchen scheint alles Leben schlafengegangen zu sein.

     Und dennoch pocht der Herzschlag der Natur weiter. Nur leiser regt er sich, stiller als am Tage. Und nur dem Ohr vernehmbar, das fähig ist, den zartesten Regungen des Waldabends zu lauschen. Alle jene seinen Stimmen und Stimmlein, die im Geräusch des Tages Untergehen, erst die Ruhe des Abends bringt sie liebreich zur Geltung. Da ist das Piepen des Mäusleins unter Wurzeln und Spren. Da ist das sanfte Sirren in trockenen Grashalmen, das Rascheln in dürren Himbeerblättern, die lauter Abendwind leise bewegt. Wer vernimmt’s am lauten Tage? Da ist das Rauschen des Bächleins im Tal, das sein uralt-altes Schlummerlied singt. Wann klingt es süßer, heimlicher als in dämmernder Nacht? Und im feuchten Moose irgendwo tropft silberhell ein heimliches Quellchen: klink, klunk, klink . . . . Der Wind trägt ein träumerisches Säuseln aus dem Wald her. Oder das kurze Knacken eines spröden Astes wenn ein Rotwildrudel auf auf verborgenen Wechseln zur Äsung zieht. Oder das erschreckte Flattern eines aufgewachten, schlaftrunkenen Vogels. Oder von weither verlorenes, verwehtes Abendläuten, in das das sanfte Rauschen des Waldes weich hineintönt wie ein feierliche verklingender Choral.

     Von den Sternen fließt mildes Licht hernieder in die träumende Dunkelheit der Berge. Und es ist, als ob mit ihrem stillen Leuchten sich ein Hauch jenes Ewigkeitsfriedens über die düstere Waldnacht ergösse, in dem sie droben schweigend ihre geheimnisvolle Bahn wandern. In stumme Andacht schauen die Fichten in das Geflimmer hinauf. Der Herrgott schwebt durch das Weltenall. Die Wildnis betet flüsternd ihr Nachtgebet, und das Quellchen im Moose läutet leise das Silberglöcklein dazu: klink, klunk, klink . . . .