Heliopolis in Aegypten
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Wir waren schon dreimal im Lande voller Denkmäler der frühesten Humanität. Wir sahen die Trümmer der alten Thebais, sahen die von Elephantine, sahen die Pyramiden. Jahrtausende zogen an ihnen vorüber, ohne daß sie die Hand der Zeit, oder die Faust roher Barbaren zerstören konnte.
Dießmal betreten wir einen wahrhaft heiligen Boden: – denn in Heliopolis war der berühmteste Sitz der Wissenschaften, dort war die Quelle, wo den Philosophen des griechischen Alterthums Weisheit floß, dort schrieb Herodot seine Geschichte und war Plato Schüler.
Aegypten ist mit keinem andern Lande der Welt zu vergleichen. – Abgeschlossen durch seine geographische Lage mußte sich dort das Leben ganz eigenthümlich gestalten. Alle seine Einrichtungen hatten feste Formen und bestimmte Abgemessenheit. Sie bedingten im ganzen Volke eine streng-geregelte Thätigkeit. Ein jeder Einzelne war durch Geburt seinem künftigen Berufe zugewiesen; festgezogene Schranken hielten die Stände, denen die verschiedenen Beschäftigungen oblagen, obschon alle für das Eine, den Staat, zusammenwirkten, doch geschieden. Ueber die Aufrechterhaltung dieser Ordnung wachte der oberste, sowohl leitende, als herrschende, Stand der Priester als – Stellvertreter der Gottheit. Diese Ordnung, vom Geiste des Fleißes und der Mäßigkeit durchdrungen, wurde allmählich zur Quelle colossaler Reichthümer, und durch diese und mit dem Sinne, nichts Bedeutsames im Wechsel des Lebens vorüberschwinden zu lassen und die Ereignisse, wie Thätigkeitsäußerungen, in unzerstörbarer Gestalt den Nachkommen zu überliefern, konnte das Volk im Nilthale jene unübersehliche Menge von Denkmälern schaffen, deren Trümmer die Nachwelt anstaunt.
Für den alten Aegypter waren Monumente die Buchstaben, mit welchen er die Geschichte schrieb. Es sind Tempel, Mausoleen, und die Häuser der Herrscher – Paläste. Nach ihren noch vorhandenen Ueberresten müssen wir glauben, daß die beiden Nilufer in ihrer ganzen Länge, von den Grenzen Nubiens an bis zur Deltaspitze, mit einer Reihe Ortschaften bedeckt war, die eine fast ununterbrochene doppelte Kette von 100 Meilen gebildet haben. Es wird dabei die Thatsache klar, daß der Strom der Cultur langsam nilabwärts gezogen ist, und Oberägypten das Stammland und Herz des Reiches um vieles früher als Unterägypten war, [133] auch dort der Geist der Nation in seiner gewaltigsten Größe sich ausprägte. Die Monumente Unterägyptens entbehren nämlich (nehmen wir die Pyramiden der Todtenstadt von Memphis aus) das Colossale in Form und Ausführung, welches die oberägyptischen fast unzerstörbar macht. Während 6000 Jahre dort vergeblich an den Menschenwerken nagten, sind die jungeren des Delta verschwunden. –
Die Reihe der altägyptischen Denkmäler fängt bei Tentyris (jest Denderah) an, wo der durch seinen Thierkreis so berühmt gewordene Isistempel die ersten anschaulichen Begriffe von einer Bauart gibt, welche kein anderes Land der Erde aufzuweisen hat. – Theben folgt mit seinen Wundern, und dann in ununterbrochener Reihe die Ruinen von Städten, einzelnen Tempeln und andern großen Gebäuden, aus denen die Ueberbleibsel des alten Hermonthis, Esné’s prachtiger Tempel, Groß-Apollinopolis und die Denkmäler von Silsilis und Ombos hervorragen, die Aufmerksamkeit fesselnd, wie große Menschen. Bis zu den Nilkatarakten dauert die Trümmerkette fort, wo Philae (die Insel Elephantine) mit seiner Tempelwelt die Seele mit Bewunderung füllt. Jenseits Philae nehmen die Denkmäler nicht an Zahl und Umfang, aber an Colossalität und an Kühnheit der Bauart ab. Oft sieht man nur Schutthaufen. Selbst die Stätte von Memphis, die spätere Hauptstadt des Landes, die ein Jahrtausend lang an Pracht und Größe mit dem ältern Theben wetteiferte, würde nicht mehr kenntlich seyn, ohne jene Mausoleen, die Pyramiden, von denen einige so gebaut sind, daß keine Zeit sie überwältigen kann. Unterhalb Memphis wird alles zu unkenntlichem Schutt, überdeckt vom Flugsande der lybischen Wüste. Selbst die Pyramiden unterhalb Gizeh sind nur noch Schutthügel, und ihre ursprüngliche Form ist nicht mehr zu erkennen. Nur dort, wo der Nil in 2 Arme sich spaltet und das nun trockne Bett eines dritten und vertrockneten Arms als „Fluß ohne Wasser“ in nordöstlicher Richtung sich verzweigt – ragt einsam ein Monolith aus der Oede, den Wanderer gleichsam zur Rast auffordernd und ihm zurufend: Du stehst, wo Heliopolis gestanden, auf dem heiligen Boden, wo Moses und die Philosophen Griechenlands die Weisheit empfingen, an welche sich, wie die Glieder einer Kette an ihrem ersten Ringe, die Cultur deines Geschlechts bis auf den heutigen Tag festknüpft.
Heliopolis ist der spätere Name. Der älteste ist On, wie sie auch Moses genannt hat. Die Stadt lag an der Spitze des Delta, an der Scheidung von Mittel- und Unterägypten, 5 Meilen nordöstlich von Memphis. Sie war eine der größten Städte des Reichs und ihr Sonnentempel länger als 2 Jahrtausende der berühmteste Sitz des Wissens, dessen Mittheilung nur den Geweiheten aus priesterlichem Munde wurde. Noch zur Zeit des Hannibal war der Ruf dieser Schule der Vorzeit so groß, daß die vornehmsten Römer hier Unterricht suchten und die größten Männer mit Stolz sich rühmten, hier einen Theil ihrer Bildung empfangen zu haben. Strabo, der dreißig Jahre vor Christus Heliopolis besuchte, konnte nur noch Ruinen beschreiben, deren Herrlichkeit ihn mit Bewunderung [134] erfüllte. Damals standen noch die 4 Obelisken, die Konig Sochis aufrichtete, vor dem Eingang eines Haupttempels, zu dem eine Allee von Sphinxcolossen leitete. Sie waren von röthlichem Porphyr, und mochten mit den Würfeln, auf denen sie ruheten, etwa 100 Fuß hoch seyn. Zwei davon führte die Siegerin Rom als Trophäe hinweg; einen dritten zersprengte und zertrümmerte die arabische Habsucht, welche in ihrem Bauche Schätze zu entdecken hoffte; der vierte steht noch aufrecht und ist bis auf den, größtentheils vom Wüstensand zugedeckten, Unterbau vollkommen und so wohl erhalten, als wäre sein Alter so viele Jahre, als er Jahrtausende zählt. Der Obelisk ist vierseitig und er erzählt auf jeder Seite in Hieroglyphenschrift eine Periode der Urgeschichte des Landes. Er mißt, wo er den Boden berührt, gegen 7 Fuß in der Breite und er verjüngt sich nach oben bis zur Hälfte. Sein Gewicht ist über 2000 Zentner.
Als Pococke die Ruinen besuchte, konnte er noch den obern Theil der Widdercolosse erkennen, welche zu beiden Seiten des Wegs zu dem Haupteingange des Tempels lagerten. Jetzt ist auch die letzte Spur davon verschwunden. Der Sand der Wüste überdeckt Alles, die Fluthen des Nils haben sich vom erhöheten Boden zurückgezogen und hinterließen Unfruchtbarkeit und Entvölkerung.