Heinrich der Achte und Anna Boleyn
Heinrich der Achte von England hat eine böse Rolle als Ehemann gespielt, und die Frauenwelt nennt seinen Namen nicht ohne Grund mit einem heimlichen Grauen. Von seiner ersten Gemahlin Katharina von Arragonien erzwang er die Ehescheidung; Anna Boleyn, ihre Nachfolgerin, ließ er hinrichten; Johanna Seymour, die dritte Frau, starb im ersten Wochenbett; Anna von Cleve, die nächste, entließ er kurzer Hand, sobald er sie näher kennen gelernt; die fünfte, Katharina Howard, überlieferte er wiederum dem Henker, und erst die sechste, Katharina Paer, wußte sich durch die gefährlichen Klippen dieses Ehestandes mit Glück hindurch zu winden und neben dem alternden Fürsten zu behaupten. So hat Heinrich in der That etwas von dem frauenmörderischen Blaubart des Märchens.
Es ist unmöglich, die Behandlung, welche Heinrich der Ehestandsfrage angedeihen ließ, zu rechtfertigen; eine mildere Beurtheilung, als die flüchtige Zusammenstellung der Thatsachen sie erlaubt, ergiebt sich allenfalls, wenn man die Figur des Mannes, seinen Charakter, seine Denk- und Handlungsweise im Zusammenhang mit der politischen Rolle, welche er spielte, geschichtlich werden und wachsen sieht. Nicht nur, daß die Politik direct das Geschick der einen und anderen jener Frauen bestimmte: der selbstherrliche, rücksichtslose und gewaltthätige Zug, der von vornherein im Wesen Heinrich’s lag, wurde durch die Kämpfe, die er mit kirchlicher und weltlicher Macht zu bestehen hatte, gerade bezüglich der Ehescheidungsfrage fast bis zum krankhaften Eigensinn gesteigert.
Für Heinrich’s Verhältniß zu seinen Frauen wirkte die Scheidung von Katharina von Arragonien grundlegend. Als Gattin des Prinzen Thronfolgers Arthnr war sie an den englischen Hof gekommen und als jungfräuliche Wittwe dem Bruder ihres verstorbenen Gatten, Heinrich, angelobt worden, da er fünfzehn Jahre zählte; fromm wie eine spanische Infantin, ernst und gediegen, voll häuslicher Tugenden, eine in jeder Beziehung ansprechende Erscheinung, erzwingt sie die Achtung und Theilnahme des Geschichtsforschers. Der Papst hatte zu dieser uncanonischen Ehe mit des Bruders Weib den Dispens gegeben, aber der junge Heinrich protestirte vor dem Staatssecretär, dem Bischof von Winchester, wegen seiner zu großen Jugend; als er indeß zur Regierung gekommen und dem Lande eine Mutter geben sollte, war es doch Katharina, welche er zur Königin kürte.
Sie war noch jugendlich blühend, obschon älter als Heinrich; ihre vornehme geistige Art imponirte ihm; ihre Jugend reizte ihn noch, allein er liebte in starkem Kraftgefühl und jugendlicher Sinnlichkeit bunte, lebensvolle Feste, bei denen sich Schönheit, ritterliche Waffenspiele, bei denen sich Kraft entfaltete, und er war darum Katharina, welche aus den spanischen Stiefeln nie recht heraus kam und „jede Stunde für verloren hielt, welche sie am Putztisch zubrachte“, wohl nie recht treu.
Sie gebar ihm eine Tochter, die am Leben blieb, zwei Söhne, welche starben; der Mangel eines männlichen Erben wurde als Gottesfluch gedeutet, weil die Ehe gegen das göttliche Gebot verstoße, und eines Tages hatte der allmächtige Lenker der Geschicke Englands, Cardinal Wolfey, den Plan, England, statt an Spanien, an Frankreich zu knüpfen und so Kaiser Karl den Fürsten, den Neffen der Katharina, recht empfindlich dafür zu kränken, daß er ihm nicht auf den päpstlichen Stuhl verholfen. Zugleich sollte Katharina als Opfer seiner politischen Pläne fallen. Heinrich stimmte zu.
Lange zogen sich die Ehescheidungs-Verhandlungen mit Rom hin. Und nun trat Anna Boleyn in die Scene. Heinrich verliebte sich in diese jugendliche Schönheit, und da sie sich weigerte, seine Maitresse zu werden, versteifte er sich darauf, sie zur Königin zu machen. So bekamen mit einem Schlage alle bisher für die Scheidung geltend gemachten Gründe: der mangelnde Erbe, die uncanonische Ehe, die Lossagung von Spanien-Deutschland zu Gunsten fester Annäherung an Frankreich, eine zwingende Gewalt.
Die Boleyn’s gehörten, wiewohl seit nicht langer Zeit, den vornehmsten Geschlechtern an. Die Familie stand unter Heinrich dem Achten in höchstem Ansehen: Herzog Thomas von Norfolk, der Oheim der Anna, war Großschatzmeister, der erste weltliche Minister Heinrich’s und der vornehmste Magnat am Hofe. Anna hatte ihre Jugend fröhlich im Schlosse Rochford verlebt, und als im Spätsommer 1514 Heinrich’s schöne Schwester Maria sich nach Frankreich einschiffte, um – ein Opfer der Politik – dem dreiundfünfzigjährigen Ludwig dem Zwölften angetraut zu werden, da befand sich in ihrem Gefolge auch die etwa dreizehnjährige Anna, die dann später am Hofe der edlen Claude de France, der „guten Königin“ und der Margarethe von Valois Tage des Glanzes verlebte, bis sie von ihrem Vater nach England zurückgerufen und als Hofdame dem Hofstaate der Königin Katharina einverleibt wurde.
„Ein hübsches Geschöpf, schön gewachsen, artig, liebenswürdig, sehr angenehm und eine gute Musikerin,“ so schildert sie ein alter Schriftsteller, und ein anderer berichtet: sie habe alle anderen Hofdamen rasch durch ihr liebenswürdiges Wesen und musterhaftes Betragen weit hinter sich gelassen. Man rühmte den Adel ihrer Haltung und das Ausdrucksvolle ihrer Augen. Uebrigens galt sie für eine versteckte Reformirte, und sie hatte entschieden protestantische Neigungen aus der Umgebung Margarethen’s mitgebracht.
Daß Heinrich sie mit heimlichem Wohlgefallen betrachtete, ward bald bemerkt.
Im Dienste des Cardinals Wolsey stand Lord Percy, der älteste Sohn des Herzogs von Northumberland. Nicht lange, so verband ihn glühende Neigung mit Anna, und die Beiden sahen nichts, was ihrer Vereinigung hätte im Wege stehen sollen. Allein sie hatten die Rechnung ohne den König gemacht.
Eines Tages hatte Percy Dienst beim Cardinal. Ganz unvermuthet fuhr ihn dieser an:
„Bist Du von Sinnen, daß Du wagst, ohne Einwilligung Deines Vaters und des Königs mit diesem Fräulein anzubändeln? Du wirst sofort mit ihr brechen.“
Der bestürzte Liebhaber bat unter Thränen, der Cardinal möge seine Neigung unterstützen.
„Laß Dir nicht einfallen, sie je wieder zu sprechen,“ war die Antwort. Zugleich mußte Anna den Hof verlassen.
„Für diese Kränkung will ich Rache nehmen!“ rief sie in ihrer Herzensnoth, da sie von London nach Schloß Hever ging. Wenige Tage später verlobte sich Percy mit Lady Mary Talbot. Anna weinte; dann verachtete sie den Ungetreuen, wie sie den Cardinal haßte.
Sir Thomas Boleyn aber nahm die Verbannung der Tochter vom Hofe sehr übel, und bald setzte er für sie die Erlaubniß zur Rückkehr durch. Percy war ja nun unschädlich, sie selbst rasch getröstet. Das hübsche schlanke Mädchen mit dem schwarzen Haar und den großen lebhaften Augen, welches sang wie eine Nachtigall, tanzte wie eine Elfe, ein wenig kokett und doch spröde dabei war und von liebenswürdigem Scherz und treffenden Antworten sprudelte, ohne je die gute Haltung zu verlieren oder den Grazien ungetreu zu werden, bezauberte Alles.
Sie war damals zwanzig, Katharina vierzig Jahre alt. Heinrich beschenkte sie mit Geschmeide – das war noch nicht auffällig. Aber einst war er mit ihr allein, und da gestand er ihr, daß er sie anbete. Sie stürzte ihm wie von einem Blitzschlag getroffen zu Füßen und rief unter Thränen:
„Sire, Ihr wollt mich nur auf die Probe stellen. Wo nicht: lieber mein Leben verlieren, als meine Ehre!“
Und als Heinrich meinte: sie möge ihm nicht alle Hoffnung nehmen, erhob sie sich und sagte mit Stolz:
„Ich begreife nicht, wie das möglich sein soll. Euer Weib kann ich nicht sein; denn Ihr seid verheiratet, und wenn dem auch nicht so wäre, ich wäre dieser Ehre nicht würdig. Eure Geliebte aber – seid versichert! – werde ich niemals sein.“
Sechs Jahre lang widerstand sie seinen Verführungskünsten, trotzig, heftig abweisend. Niemand wagte an ihrer Ehrenhaftigkeit zu zweifeln; selbst die Königin behandelte sie nach wie vor mit Freundlichkeit und Achtung. Eines Tages aber gab ihr Katharina zu verstehen, daß sie Alles wisse. Sie spielte mit ihr Karte – Heinrich war zugegen. Anna hatte oft den König im Spiel.
„Ihr habt Glück mit dem König, Mylady,“ sagte Katharina laut; „Ihr macht es nicht wie die Anderen: Ihr wollt Alles oder Nichts.“
Die Hofdame erröthete; von da ab wurden ihr die Gunstbezeigungen des Königs unerträglich, und sie verließ den Hof.
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[666] Heinrich war unglücklich. Er schrieb ihr einen Brief: er könne nicht glauben, daß sie nicht mehr an den Hof kommen wolle, aber Anna blieb fest – und Heinrich war nicht der Mann, auf etwas, was ihm am Herzen lag, in Resignation zu verzichten. Er setzte es endlich durch, daß Anna an den Hof zurückkehrte. Indessen sprach man bald bei Hofe von nichts, als den glänzenden Aussichten der Anna, und den Feinden des Cardinals lachte das Herz vor Vergnügen.
Aus der Liebelei, die der Cardinal begünstigt, war ein für ihn sehr bedenklicher Ernst geworden. Er beschwor den König kniefällig, „ein bis zwei Stunden“, wie er selbst erzählt, den Gedanken aufzugeben. Umsonst! Mit Entsetzen berichtete er dem Papst, daß eine junge Dame, welche von der Königin von Navarra erzogen und folglich von der Luther’schen Ketzerei angesteckt sei, das Herz des Königs gewonnen habe. Es blieb ihm nur die Hoffnung auf Intriguen – denn die Scheidung mußte er mit Rom weiter verhandeln.
Inzwischen wurde Anna allmählich umgestimmt. Heinrich schrieb ihr einen rührenden Brief nach dem anderen, und einer derselben schließt:
„Auch bitte ich Euch, daß, wenn ich Euch jemals beleidigt habe, Ihr mir ebenso vergeben möget, wie Ihr mich darum bittet, und versichere Euch zugleich, daß mein Herz in Zukunft Euch allein gehören wird, und ich wünsche sehr, daß es auch mein Leib könnte, wie Gott es fügen kann, wenn es ihm gefällt, zu dem ich jeden Tag einmal darum flehe, in der Hoffnung, daß mein Gebet mit der Zeit Erhörung finden werde. Möchte es bald kommen! Die Zeit dünkt mich lange. Auf Wiedersehen! Geschrieben von der Hand des Schreibers, der mit Herz und Leib und Willen Euer ergebener und ganz getreuer Diener ist. H. T. rex.“
Bei der Unterschrift steht die Zeichnung eines Herzens mit den Buchstaben A. B. darin, links die Worte: „Nichts als“, rechts: „sucht H. T.“ - „Nichts als Anna Boleyn’s Herz sucht Heinrich Tudor“ heißt das Ganze.
Eines Tages erklärte Anna: „Sobald der König frei ist, will ich ihm meine Hand nicht mehr vorenthalten.“
Damit war das Schicksal Katharinens besiegelt.
Um diese Zeit brach die furchtbare Schweißfieberseuche in England aus. Der König nahm in einem Anfall von Gewissensbissen die Königin zu sich und ging nach Waltham, Hemsden, von Ort zu Ort, jedesmal den Aufenthalt wechselnd, sobald der Tod in seine Umgebung hineingriff. Zuletzt schloß er sich in einen einzeln stehenden Thurm ein, mit der Königin versöhnt. Das geschah im Sommer 1528.
Die Seuche ließ endlich nach; der Hof sammelte sich wieder, und der wankelmütige Heinrich brachte neues Feuer in die Scheidungsverhandlungen; er berief eine Notablenversammlung, welcher er die Scheidungsgründe plausibel zu machen suchte – er soll sogar mit Todesdrohungen geschlossen haben.
Inzwischen bezog Anna königlich eingerichtete Gemächer im Schlosse und erhielt ihren Hofstaat so gut wie die Königin. Dabei lebten die beiden Frauen äußerlich auf gutem Fuße zusammen. Anna’s Einfluß machte sich in manchen Fragen geltend – die Alleinherrschaft Wolsey’s begann zu schwanken. Sie führte in der That, wie dieser gefürchtet, reformatorische Elemente dem Könige nahe, wenngleich sie ein kirchliches Interesse nicht hatte, und die politischen Combinationen brachten es mit sich, daß bald auch die Volksstimmung sich dem Bruch mit dem Papstthum zuneigte.
Die Proceßverhandlungen wurden fortgesetzt, aber die Unklugheit des Papstes, welcher das Scheidungsgericht nach Rom verlegte und Heinrich zu einem Termine dorthin lud, widrigenfalls er zehntausend Ducaten Buße zu zahlen habe, schlug dem Fasse den Boden aus. Wolsey’s Sturz war die nächste Folge – er starb bald darauf. Die weitere Folge war Heinrich’s Entschluß, England von der geistlichen Jurisdiction Roms loszureißen.
Er hatte jetzt in der Ehescheidungsfrage freie Hand, legte die Gutachten, welche er längst von Theologen und Universitäten erhalten hatte und die sich gegen die Dispensbulle des Papstes Julius des Zweiten erklärten, dem erzbischöflichen Gerichte zu Canterbury vor und ließ seine erste Ehe annuliren. Für Katharina blieb nur der Titel einer Prinzessin-Wittwe.
Zu Anfang des Jahres 1533 fand in aller Stille die Vermählung Heinrich’s mit Anna Boleyn statt, nach Fällung des Spruchs über Katharina auch die Krönung der neuen Königin. Es war am Donnerstag nach Pfingsten – da erschien der Lordmayor nebst den Gewerken von London, um sie abzuholen. Ein Prachtgeschwader von Barken geleitete sie; bunt wehten die Wimpel und Flaggen; die Musik spielte festliche Weisen. Die Kanonen des Tower begrüßten die junge Fürstin, der Alles huldigte. Am folgenden Sonnabend zog sie, von achtzehn neugebackenen Rittern des Bathordens in vollem Schmuck und einem großen Theile des Adels geleitet, durch die City nach Westminster. Zwischen Rossen edelster Art hing ein prachtvolles Ruhebett; darauf lag Anna Boleyn, unbedeckten Haares, liebreizend und glücklich, über sich einen Baldachin, welchen die Barone der fünf Häfen trugen. Am Sonntage läuteten die Glocken der alten Abtei; der Erzbischof von Canterbury, sechs Bischöfe und der Abt von Westminster mit zwölf andern Aebten führten die in Purpur Gekleidete zur Kirche; der Herzog von Suffolk trug die Krone vor ihr her; ihre Damen folgten in Scharlach. Als der Erzbischof ihr die Krone aufgesetzt, grüßte sie ein Sturm von Huldigungen.
Anna trug bereits ein Kind unter dem Herzen; nicht den Thronerben, auf den Alles wartete, sondern eine Tochter. Aber diese Tochter hieß nachmals Elisabeth, Königin von England.
Der Papst antwortete mit der Cassierung des erzbischöflichen Urtheils, und die Cardinäle erklärten in einer Gerichtssitzung die Ehe mit Katharina für rechtsbeständig. Das Parlament aber faßte den Beschluß, daß die Thronfolge der Anna Boleyn gebühren solle, selbst wenn sie eine Tochter gebären würde.
In kirchlichen Reformversuchen und der Bekämpfung der sich aus der entstehenden Gäherung heraushebenden Opposition vergingen zwei Jahre. – –
Das so glänzend aufgegangene Gestirn von Anna Boleyn neigte rasch zum Niedergange. Heinrich hatte seinen Willen durchgesetzt, wie er immer that, aber vielleicht gerade, weil es einer solchen Anspannung aller Kräfte bedurft hatte, Anna zu erringen, war die Ermattung, die in Heinrich’s Verhältniß zu ihr eintrat, um so tiefer und plötzlicher. Schon bald nach ihrer Krönung, im November 1533, läßt er Unzufriedenheit mit ihr durchblicken. Es ist psychologisch begreiflich, daß der Verdruß über die Art, wie sie ihm den Weg zu sich erschwert, nachträglich die souveraine, sonst durch jedes Hinderniß in Wuth gebrachte Natur Heinrich’s gegen sie verbittert hat.
Daß sie nicht fest blieb, daß sie auf die Heirath mit Heinrich einging, statt ihn dauernd abzuweisen, war ihre echt tragische Schuld, an welcher sie überraschend schnell zu Grunde gehen sollte. Ein gewisser Eigensinn, der sich neben dem autokratischen Gatten behaupten wollte, eine kokette Ader, die sich unbekümmert geltend machte, kam hinzu; haarsträubende Erfindungen der Eifersucht und neidisch-gehässiger Zuträgerei sind es, die Heinrich ihr nachher schuld gab. Vielleicht bot sie Veranlassung zu diesen Beschuldigungen der Untreue, indem sie absichtlich seine Eifersucht erregte, um ihn zu fesseln; denn sie selber war beständig von Eifersucht gequält, zuletzt im höchsten Maße jener Johanna Seymour gegenüber, welche ihre Nachfolgerin werden sollte. Schlimm für sie war es, daß sie mit einem Fuß im Parteigetriebe stand: ihre protestantischen Neigungen trugen ihr die Feindschaft einer ganzen Partei ein und von dem, was Heinrich durch Anknüpfen an den Protestantismus Unangenehmes erfuhr, fiel wohl auch ein Schatten auf sie.
Es ist Thatsache, daß die Stimmung Heinrich’s gegen Anna immer erbitterter ward, wie daß sie selbst endlich in einen Zustand der Aufregung gerieth, welcher an Wahnsinn streifte. Sie gebar noch einen Sohn – todt; ihrer Verzweiflung über Heinrich’s Verhältniß zur Seymour gab sie die Schuld an diesem Ausgang ihrer Hoffnung.
Bei einem Turnier zu Greenwich, Anfangs Mai 1536, fiel das Taschentuch der Königin über die Logenbrüstung hinab. Heinrich, bei welchem das Maß eifersüchtigen Grolles voll war, wurde darauf aufmerksam gemacht. Bleich und finster verließ er den Platz und gab Befehl, drei Personen aus der Umgebung der Königin, Norris, Brereton und Smeton, sowie ihren Bruder, den Herzog von Rochford, gefänglich einzuziehen. Der König war überzeugt, daß Anna das Taschentuch geworfen, um einem ihrer Liebhaber ein Zeichen zu geben; die drei Vertrauten waren ihm längst als in sträflichem Umgang mit der Königin stehend verdächtigt, den Herzog aber hatte seine eigene nichtswürdige Gattin, welche mit Anna verfeindet war, verbotenen Umgangs mit ihr bezichtigt. Auf [667] dem Schlosse Forthringham übergab Heinrich ist der größten Aufregung und Eifersucht seine Gemahlin dem Lieutenant der Wache, und Anna ahnte alsbald verzweiflungsvoll ihr blutiges Schicksal.
Das dieser Skizze im Holzschnitt beigegebene schöne Bild Piloty’s, welches die Unglückliche ihrem feindlichen Gatten in so ergreifender Situation gegenüberbringt, stellt diese historische Scene dar: Heinrich weist jede Selbstverteidigung Anna’s zurück.
Im Gefängniß fiel sie auf die Kniee und betete: Gott möge sie nur so gewiß selig machen, wie sie unschuldig wäre.
Von dort schrieb sie an den König:
„Euer Majestät wolle nicht glauben, daß Ihre arme Gemahlin sich je werde dahin bringen lassen, einen Fehler zu bekennen, an welchen sie nicht einmal gedacht hat. Wahrlich: niemals hat ein Fürst eine Gemahlin gehabt, welche in aller Pflicht und wahrer Liebe treuer gewesen, als Sie solche in Anna Boleyn besessen haben. Mit diesem Namen und Stande hätte ich mich gern begnügen wollen, wenn es Gott und Euer Majestät so gefallen hätte. Seit meiner Erhebung zur königlichen Würde habe ich nicht daran gezweifelt, daß ich ein Schicksal, wie es mich jetzt trifft, gewärtigen müsse; denn da meiner Erhebung nichts zu Grunde lag, als ein Einfall Euer Majestät, so mußte ich gefaßt sein, daß die geringste Veränderung hinreichen werde, diesen Einfall auf einen anderen Gegenstand zu lenken. Sie haben mich aus niedrigem Stande gewählt, Ihre Königin und Genossin zu sein, weit mehr, als ich verdiente oder verlangte. Wenn Sie mich solcher Ehre für würdig fanden, theurer, gnädiger König, so geben Sie nicht zu, daß eine nichtige Erfindung und Aufhetzung meiner Feinde mir diese königliche Gnade entwende, und lassen Sie diesen Flecken der Untreue nicht Ihrer gehorsamsten Gemahlin und der unmündigen Prinzessin, Ihrer Tochter, zur Schande anhaften! Lassen Sie mich gerichtlich verhören, theurer König, aber lassen Sie mich ein gesetzmäßiges Verhör haben und meine geschworenen Feinde nicht meine Ankläger und Richter zugleich sein! Dann mögen Sie sehen, wie entweder meine Unschuld dargethan – oder meine Schuld öffentlich erklärt wird, sodaß in allem, was Gott oder Sie über mich bestimmen, Euer Majestät von allem öffentlichen Tadel befreit und, falls mein Unrecht gesetzlich bewiesen wird, Euer Majestät Freiheit hätten, vor Gott und Menschen, nicht nur mich zu strafen, sondern auch Ihrer Neigung zu folgen, welche bereits an diejenige Person geknüpft ist, um deren willen ich mich jetzt in diesen Umständen befinde und deren Namen ich bereits geraume Zeit hätte nennen können, wie denn auch Euer Majestät mein Argwohn in dieser Beziehung nicht unbekannt ist. Wenn Sie aber über mich schon etwas verhängt haben, wenn nicht nur mein Tod, sondern auch schmähliche Nachrede Ihnen zum Genuß Ihrer begehrten Glückseligkeit helfen muß, so bitte ich Gott, daß er Ihnen Ihre große Sünde vergebe, gleicherweis meinen Feinden, welche zu ihr mithelfen, und daß er von Ihnen für Ihre unkönigliche und grausame Behandlung meiner Person an seinem allgemeinen Gerichtstage, an welchem wir beide bald erscheinen müssen und in dessen Entscheidung, wie ich nicht zweifle (möge die Welt denken, wie sie wolle), meine Unschuld offenbar werden wird, nicht allzu strenge Rechenschaft fordern möge.“
Zum Schluß bittet sie für die Unschuldigen, welche ihretwegen im Gefängniß schmachteten, in rührender Innigkeit, als des Königs „gehorsamste und ewig treue Gemahlin Anna Boleyn“.
Man sieht: sie hat den Muth, dem Könige seinen Vorwurf der Untreue zurückzugeben.
Die drei Leute aus ihrem Gefolge wurden verhört. Nur Smeton, in der Hoffnung sich zu retten, log sträflichen Umgang mit Anna. Sie wurden nebst einem Vierten, Weston, hingerichtet, ohne Beweise für ihre Schuld. Die Königin selbst und ihr Bruder wurden vor ein Gericht gestellt, bestehend aus dem Herzog von Suffolk, dem Marquis von Exeter, dem Grafen von Arundel und dem Herzog von Norfolk als Vorsitzenden. Man fand nichts Begründetes gegen Anna, und als Schuld ihres Bruders ergab sich nur die Thatsache, daß er sich einst vor einer Anzahl Zeugen an das Bett der Schwester gelehnt habe – nichts Sonderliches, wenn man weiß, wie die Sitte fürstlicher Personen, im Bett zu empfangen, in Frankreich sich sogar zum Bestandteil des Hofcermoniells ausbildete. Das Urtheil über Anna ward gefällt. Sie solle nach Gefallen des Königs entweder enthauptet oder verbrannt werden. Sie erhob die Hände und sprach mit nach oben gerichtetem Antlitz: „O Vater, o Schöpfer, der du der Weg, die Wahrheit und das Leben bist, du weißt, daß ich diesen Tod nicht verdient habe.“
Heinrich wollte sie noch tiefer vernichten. Das jugendliche Liebesverhäliniß zu Percy mußte herhalten. Ob zwischen ihm und Anna ein Ehecontract oder Eheversprechen bestanden? wurde er gefragt. Er leugnete es vor den beiden Erzbischöfen und nahm das Abendmahl darauf, in Gegenwart des Herzogs von Norfolk und anderer Räthe. Anna – es ist unsicher, ob mit besserem Gedächtniß als der Jugendgeliebte, oder in Folge der Drohung, im Leugnungsfalle die härtere Strafe leiden zu müssen – bekannte das Gegentheil. Ihres Todes war sie sicher. Noch einmal sandte sie eine Botschaft an den König, ihn ihrer Unschuld zu versichern, ihm ihre Tochter anzuempfehlen. Er habe sie aus einer adeligen Person zur Königin gemacht – höher habe er sie auf Erden nicht heben können; nun wolle er sie zu einer Heiligen im Himmel machen. – Sie äußerte keine Furcht vor dem Tode. In einem Gemach des Towers fand die Hinrichtung statt. Zuvor betete sie für den König, den sie einen gnädigen und wohlwollenden Fürsten nannte, welcher gegen sie stets ein guter und gnädiger König gewesen wäre. Sollte Jemand ihre Sache untersuchen, so bäte sie ihn, das Beste zu denken.
Der Scharfrichter von Calais führte den Streich; man hatte ihn kommen lassen, da er den Ruf größerer Geschicklichkeit vor seinen englischen Collegen voraus hatte. Anna’s Körper ward nachlässig in einen gemeinen Sarg von Ulmenholz gelegt und im Tower begraben. Dies geschah am 19. Mai 1536.
Am Tage nach der Hinrichtung vermählte sich Heinrich mit Johanna Seymour, und drei Wochen später erklärte das Parlament auf Grund ihres eigenen Bekenntnisses, die Ehe mit Anna sei nie rechtsgültig gewesen, ihr Kind außerehelicher Geburt und successionsunfähig. Es ist schmählich zu sehen, unter welchen speichelleckerischen Redewendungen und bombastischen Huldigungen gegen Heinrich dieser Beschluß gefaßt ward. Niemand bedachte, daß hiernach Anna des Ehebruchs gar nicht mehr beschuldigt werden konnte, daß Percy’s von Northumberland Ehe damit gleichfalls für ungültig erklärt war.
So endete diese geistvolle, anmuthige, interessante Frau, als Opfer eines tragischen Geschicks. Ihr ward eine glänzende Genugthuung in dem von der Geschichte gefällten Urheile wie in der Rolle, welche ihre Tochter Elisabeth auf dem englischen Throne gespielt hat.