Heine’s Krankheit
[759] Heine’s Krankheit. Maximilian Heine, Heinrich Heine’s Bruder, dem die Gartenlaube bereits verschiedene Erinnerungen an den großen Dichter verdankt, macht über die Krankheit desselben, die so viel besprochen und so viel beschrieben worden ist, die nachstehenden interessanten Mittheilungen:
„Ich habe die feste Ueberzeugung, und Heinrich starb auch mit derselben, daß Paris und die Behandlung der früheren französischen Aerzte sein Leben um viele Jahre verkürzt haben. Heinrich Heine’s zarter Organismus, ein Gehirn- und Nervensystem, das in steter Vibration sich befand, das durch das leiseste Geräusch, Klopfen, Clavierspielen, ja Vogelzwitschern auf das Schmerzhafteste aufgeregt wurde, eine so reizbare, sensitive Natur wurde allezeit mit den schwächendsten Mitteln mißhandelt. Die Herrschaft des damals in Frankreich sehr verbreiteten Systems von Brousson hatte seine verderblichen Folgen.
Aderlässe, Blutegel, Abführungen und dergleichen schwächende Mittel genügten, den Zustand des außerdem noch von täglicher Migraine geplagten Kranken trostlos zu machen. Fern von der lebenzehrenden Residenz Paris, in den Händen eines hippokratisch gebildeten deutschen Arztes, hätten wir den großen Dichter länger behalten. Zuletzt war alle Behandlung nur palliativ geworden; immerfort Opiate zur Bekämpfung und Erleichterung der Krämpfe und Kolikschmerzen. Und dennoch hat sich in diesem von [760] Schmerzen unterwühlten Körper ein frischer, sprudelnder, heiterer Geist voller Witz, Ironie, Satire und epigrammatischer Schärfe bis zum letzten Lebenshauche erhalten! Seine Füße waren gelähmt, so wie die Augenlider, aber nicht die Sehkraft.
Er bedurfte stets der größten Pflege. Eine seiner Wärterinnen, eine Mulattin, nahm ihn wie ein Kind auf die Arme und legte ihn vom Bett auf den Divan. Ich war einmal Zeuge, wie er also vom Divan auf das aufgemachte Bett zurückgebracht wurde. „Max,“ sagte er lächelnd zu mir, „wenn Du nach Deutschland kommst, so kannst Du erzählen, wie ich in Paris auf Händen getragen werde.“
Zur selben Zeit fragte ihn sein Arzt: „Wie ist Ihr Geschmack?“ – „Gar keiner,“ antwortete er, „wie der von Herrn Scribe.“ Was Heine so oft von seiner Matratzengruft gesprochen und was noch öfter von den Journalisten und Feuilletonisten mit so vieler Emphase ausgebeutet wurde, darf man in dieser Beziehung ja nicht so buchstäblich nehmen. Sein Krankenzimmer war mit allem Comfort, dessen ein Kranker bedurfte, ausgestattet, die Pflege zweier Dienerinnen vortrefflich, und ein liebevolles, treues Weib, die so schön besungene Mathilde, wußte ebenso gut die kranken Tage des Dichters zu erheitern, wie sie ihm in gesunden Tagen eine lebensfrohe Gattin gewesen ist.
Mathilde Heine, ein echtes Pariser Kind, war überglücklich, wenn sie mit ihrem „Henri“ auf den Boulevards von Paris flaniren, die Theater besuchen und alle möglichen Delicatessen der Restaurants theilen konnte. Mit Recht sang Heinrich von ihr:
„Du bist mein Weib und Kind zugleich.“
Die Klatschpublicistik hat dennoch diese vortreffliche Frau mit Bitterkeiten nicht verschont. Bald soll sie den Genius ihre Mannes nicht begriffen haben, bald soll sie an seinem Krankenbette nicht hingebend, nicht aufopfernd genug gewesen sein. Kein wahres Wort! Sie war ganz Französin, die mit ihrem natürlichen Esprit den Heine’schen Humor vollkommen verstanden hat und, ohne alle Sentimentalität, ein sorgsames, ihren Gatten höchst liebendes, herzliches Weib gewesen ist. Sie waren Beide leider nicht sparsam, verstanden nichts von ökonomischen Berechnungen; denn in diesem Punkte war Mathilde dem großen Dichter allzu ähnlich. Wie konnten da bei den reichlichsten Einkünften die Finanzen blühen, zumal da noch schmeichelnde Emigranten jeder Nation das so gastliche Haus auszunutzen verstanden haben!!
Auch der in einem Gedichte neben Mathilde erwähnten Pauline will ich dankbar gedenken, die als Gesellschafterin und Haushälterin der Frau so viele Jahre zur Seite gestanden und bei der Wittwe des Dichters treu verblieben ist.
Mathilde Heine lebt in Paris in guten Verhältnissen, vollständig sorgenfrei und ist noch immer belle femme.
So krank Heinrich auch war, so schlecht die Nacht gewesen sein mochte, zur bestimmten Zeit des Morgens kam sein Secretair, dem er dictirte. Späterhin erschien auch sein Vorleser; auch empfing er dann liebe Besuche, trotz des großen Bedürfnisses nach Ruhe.
Eines Tages kam ich zu ihm, und er fühlte sich sehr matt. Nichtsdestoweniger rief er sehr lebhaft aus: „Schade, daß Du nicht früher gekommen bist; ist Dir nicht eine schwarzgekleidete Dame auf der Treppe begegnet?“
„Allerdings,“ sagte ich.
„Das war Madame Dudevant, mein bester Freund, George Sand, und ich hätte gern gewünscht, daß Du ihre Bekanntschaft gemacht hättest. Sie war wenigstens eine Stunde bei mir, plauderte viel, und so todtmüde ich auch bin, ich wollte, sie wäre länger geblieben.“
Sein letzter Arzt war Doctor Grubi, ein denkender, tiefgebildeter, humaner Mann, der ihn, so lange die Palliative der ärztlichen Kunst ausreichten, hinhielt. Sein Geist bedurfte nie der Medicin.
Einige Jahre, nachdem ich Paris verlassen und unser Briefwechsel ununterbrochen gedauert hatte, erhielt ich in St. Petersburg plötzlich folgenden Brief von Dr. Grubi, dessen Schriftzüge von größter Aufregung zeugten:
„Mit größtem Bedauern melde ich Ihnen, geehrter Herr College, das Ableben Ihres Bruders in Paris. Er ist heute um fünf Uhr Morgens verschieden, in Folge von Schwäche durch ein heftiges Brechen herbeigerufen.
Mit Hochachtung Ihr ergebener College
Paris, den 17. Februar 1856.