Zum Inhalt springen

Heimgekehrt aus dem Exil

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: G. R. (Gustav Rasch)
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Heimgekehrt aus dem Exil
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 453–455
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[453]
Heimgekehrt aus dem Exil.

Gustav Struve.

Vor wenigen Tagen erst, am 28. Juni d. J., ist vor dem Appellationsgerichte zu Jena ein politischer Proceß verhandelt worden, dessen Hauptangeklagter schon lange vor dem Sturmjahre von 1848 zu den hervorragendsten Führern der deutschen Demokratie zählte und auch in den Bewegungen und Erhebungen von 1848 und 1849 als einer der ersten Freiheitskämpfer genannt worden ist, wie er nicht minder jenseit des Oceans seine Gesinnung und seinen Muth durch thätige Parteinahme für die gute Sache bewährte, – ich meine den Badenser Gustav Struve. Die Leser der Gartenlaube werden es mir darum sicher Dank wissen, wenn ich ihnen gerade jetzt Bild und Wirken des rastlosen Agitators vorführe und damit zugleich das Andenken an eine Zeit erneuere, deren Früchte uns trotz alledem und alledem unverloren sind. –

Eine Veranlassung, die ich hier nicht näher zu erörtern brauche, führte mich nach Coburg, wo, wie ich wußte, nach seiner Rückkehr aus Amerika, sich jetzt Gustav Struve niedergelassen hatte. Ich hatte Struve noch nie gesehen, aber es war lange mein sehnlichster Wunsch gewesen, den berühmten Freiheitskämpfer persönlich kennen zu lernen. Der erste Morgen nach meiner Ankunft in Coburg fand mich darum in einer freundlichen Gartenwohnung vor der Thür Gustav Struve’s. Eine Stimme von etwas heller Klangfarbe rief auf mein Klopfen „Herein!“ Ich trat ein. Vor mir stand ein Mann von blühender Gesundheit und voller Kraft, dem ich, wenn das weiße Haupthaar und der weiße kurzgeschnittene Bart mich nicht eines Andern belehrt hätten, höchstens fünfundvierzig bis fünfzig Jahre gegeben hätte. Seine Bewegungen waren elastisch, seine feinen und intelligenten Gesichtszüge, auf denen sich Wohlwollen und Herzensgüte mit Verstand und einem gewissen vornehmen Ausdruck verschmelzen, von der Frische der Gesundheit geröthet, milde und heiter blickten mich braune Augen an und eine kräftige Hand drückte die meinige zum Willkommen. Es war in der That Gustav Struve, der bekannte deutsche Agitator und Geschichtsschreiber, vor dem ich stand.

Seit jenem Tage ist Gustav Struve mir ein lieber Freund geworden, und ich rechne mir seine Freundschaft zum Ruhme meines Lebens an. Und wer sollte ihn nicht lieben, der ihn kennt und die republikanischen Tugenden, Reinheit der politischen Bestrebungen, ein makelloses Leben, eine enthusiastische Seele, glänzende Talente, einen hohen Verstand, eine gediegene Bildung, eine glühende Vaterlandsliebe, ein opfermuthiges Herz und wahre Humanität zu schätzen weiß?

Struve ist einer der ausdauerndsten und tapfersten Streiter für die gute Sache. Er ist kein Mann der Phrase, er hat vielmehr durch ein langes, vielbewegtes Leben hindurch mit eiserner Consequenz seinen Wahlspruch bewährt: „Wort und That Hand in [454] Hand“. Als der Sohn des russischen wirklichen Staatsraths Johann Gustav von Struve, der 1817 zum Geschäftsträger seiner Regierung in Karlsruhe ernannt worden war, den 11. October 1805 in München geboren, trat der begabte junge Mann nach juristischen Studien in Göttingen und Heidelberg in den oldenburgischen Staatsdienst, da die Eltern einsahen, daß die freie geistige Richtung des Sohnes für eine Beamtenstellung in Rußland nicht paßte. Der alte Großherzog Peter einpfing ihn sehr gütig, und der würdige Minister von Brandenstein widmete ihm die freundlichste Aufmerksamkeit. Er wurde als Attaché der Gesandtschaft am Bundestage zugetheilt. Der junge Attaché hatte dort alle Gelegenheit die Zustände Deutschlands und der einzelnen Regierungen sowie die obersten Beamten derselben kennen zu lernen und seinen politischen Gesichtskreis zu erweitern, aber seine Stellung wurde keine behagliche. Seine freien politischen Ansichten, die er überall frei aussprach und verfocht, brachten ihn mit seinem Gesandten und den übrigen Vertretern der Diplomatie in Frankfurt in unangenehme Conflicte, und er konnte es nur als Erfüllung eines langersehnten Wunsches betrachten, als er nach dem im März 1828 erfolgten Tode seines Vaters nach Oldenburg zurückberufen wurde, um, nach einem glänzenden Examen, als Assessor in Jever angestellt zu werden. Für die Fortsetzung der diplomatischen Carrière war Struve selbstverständlich nicht geeignet. Er hatte, wie er selbst sprach, „vor der diplomatischen Laufbahn einen vollständigen Ekel bekommen.“ „Aber,“ sagt er weiter, „es ging mir in meiner richterlichen Carrière nicht viel besser. Nur zu bald sah ich ein, daß derselbe Geist, nur unter andern Formen, den Stand des Richters, wie den des Diplomaten beherrschte. Ich erkannte, daß der Fehler weit tiefer liege, als ich bisher geglaubt hatte, daß er nämlich in der Spitze der Regierung wurzle und von dort bis zum Gerichtsdiener hinabreiche. Ich sollte Urtheile unterzeichnen, gegen welche ich mich mit der ganzen mir innewohnenden Kraft gesetzt und von denen ich die Ueberzeugung hatte, daß sie nicht das Ergebniß der gewissenhaften Prüfung der Richter, sondern fremder Einwirkung seien. Ich wurde dadurch auf's Tiefste verletzt und ergriff eine verhältnißmäßig unbedeutende Veranlassung, meine Entlassung aus dem Staatsdienste zu nehmen.“ Diese Entlassung erfolgte denn auch in ehrenvollster Weise und nach längerem Widerstreben des Großherzogs.

Er versuchte es nun mit der akademischen Thätigkeit und hielt sich deshalb ein Jahr in Göttingen auf, allein es wollte auch mit diesem neuen Lebenswege nicht recht vorwärts, und bald, im Jahr 1832, finden wir ihn als Obergerichtsadvocaten in Mannheim wieder.[WS 1] „Ich konnte,“ äußerte sich Struve in den mir vorliegenden handschriftlichen Notizen, „den Processen, namentlich den Civilprocessen, keinen Geschmack abgewinnen, meine Neigung blieb der Poesie und dem Makrokosmos des Lebens zugewandt; allein ich erkannte, daß die Advocatur eine höchst wichtige Vorschule des politischen Lebens sei, und widmete derselben deshalb schon aus diesem Grunde alle meine Kraft und Zeit. Unter rechtsanwaltlicher Thätigkeit und phrenologischen Studien, denen er inzwischen mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit sich zuzuwenden begonnen hatte, verstrich eine Reihe von Jahren. Da sollte in Struve’s vielbewegtem Leben der Moment eintreten, der ihn auf die politische Schaubühne rief. Er selbst äußert sich über diesen Beginn seiner politischen Thätigkeit mit folgenden Worten: „Die Versuche, welche ich in den Jahren 1831, 1832 und 1833 gemacht hatte, an den politischen Bewegungen der Zeit Theil zu nehmen, haben für mich so große Unannehmlichkeiten zur Folge gehabt und waren so fruchtlos geblieben, daß meine Neigungen mehr und mehr von dem praktischen Leben in das Reich der Poesie und der Wissenschaft gedrängt wurden. Hierzu kam, daß die Zeiten, welche auf die Jahre 1830 bis 1833 folgten, so schlaff und matt waren, daß sie mich durchaus nicht zu einer praktisch politischen Thätigkeit aufforderten. Seitdem aber der Freiherr von Blittersdorf[WS 2] an die Spitze der badischen Verwaltung getreten war, regte sich der Geist der Opposition wieder mit einigem Nachdruck. Ich nahm mit Eifer an den Wahlbewegungen Theil, natürlich auf Seiten der freien Richtung und gegen die Regierung.“ [AU 1]

Alles, was Struve in seinem Leben erfaßt und ergriffen hat, hat er mit Energie ergriffen. Verfehlte Versuche, Mangel an Erfolg brachten seine Entschlüsse erst dann zum Wanken, wenn er sich vollständig überzeugt hatte, daß sein Streben ohne Erfolg bleiben müsse. So ist sein energisches Vorgehen auf dem Felde der Politik, sobald er dasselbe einmal wieder betreten hatte, vollkommen erklärlich. Sein Bekämpfungs- und sein Zerstörungstrieb, die er im hohen Grade besitzt, trieben ihn vorwärts; sein alter Groll gegen Despotismus, Aristokratie und Pfaffenthum, den er schon als Knabe eingesogen hatte, erhielt im wirklichen Leben neue Nahrung. Der erste Band seines diplomatischen Briefwechsels erschien und erregte enormes Aufsehen. Der damals noch allmächtige Minister Metternich[WS 3] wurde mit einem Nachdrucke angegriffen, wie noch nie. Zugleich unternahm Struve die Redaction des Mannheimer Journals unter der Bedingung, daß die Tendenz desselben eine entschieden freisinnige sein sollte. Man wird sich erinnern, von welcher Wichtigkeit das Mannheimer Journal damals für die politische Bewegung in Süddeutschlaud war. Der berüchtigte Regierungsrath von Urria-Sarachaga war zu jener Zeit Censor in Mannheim. Zwischen ihm und Struve entspann sich nun ein wüthender Kampf. Censurstriche über Censurstriche, unaufhörliche, nicht endende Preßprocesse, Ränke und Intriguen der nichtswürdigsten Art, Pfändungen und Verhaftungen sollten Struve von der Redaction des Journals verdrängen. Struve stellte sich in seinem Kampfe mit der badischen Regierung auf den Boden der badischen Verfassung und der deutschen Bundesacte und verlangte Preßfreiheit, persönliche Freiheit. Vereins- und Versammlungsrecht. Auf ihm ruhte damals eine Arbeitslast, welche nur er, der um fünf Uhr Morgens mit der Arbeit beginnt, überwältigen konnte. Er redigirte zu gleicher Zeit die Vierteljahresschrift für Phrenologie, die vierzehntägige Zeitschrift für deutsche Hochschulen und das täglich erscheinende Mannheimer Journal; er gab seinen diplomatischen Briefwechsel heraus, war Vorsitzender mehrerer gemeinnütziger Anstalten, betrieb die Advocatur und war der allgemeine Rathgeber der Bedrängten.

Endlich gelang es Struve’s Feinden aber doch, ihn von der Redaction des Mannheimer Journals zu verdrängen. Nun gründete er den „deutschen Zuschauer“, in dessen Spalten er der badischen Regierung mit noch weit größerer Entschiedenheit entgegentrat, als im Mannheimer Journal. Der „deutsche Zuschauer“ ist unbestreitbar einer der mächtigsten Hebel gewesen zum Sturz des vormärzlichen Systems in ganz Süddeutschland; indem Struve in demselben wie bei seiner sonstigen Agitation zugleich alle Halbheit, alles Phrasenthum, wie dies auch in der badischen Kammer von damals sich breit machte, unerbittlich bekämpfte, stellte er sich auf diese Weise mit Hecker, Kapp und Fickler an die Spitze der Männer des entschlossenen und ernsten Widerstandes.

Die große Offenburger Volksversammlung, welche er und seine Freunde am 12. September 1847 beriefen, bildete mit ihren wichtigen Beschlüssen gewissermaßen die letzte Action des von Struve mit solcher Energie und solcher Ausdauer Jahre lang geführten Kampfes mit den badischen Gerichten, mit badischer Censur und badischer Polizei. Die Pariser Februarrevolution erschütterte plötzlich alle alten europäischen Zustände.

Große Volksversammlungen zu Offenburg, Heidelberg und Freiburg bereiteten die erste badische Volkserhebung vor. Die Verhaftung Fickler’s und der Versuch, die Männer der That in Mannheim gleichfalls zu verhaften, drängte zur Entscheidung. In der ersten Hälfte des April proclamirten Struve und Hecker die Erhebung und erhoben die Fahne des Aufstandes, indem sie mit prophetischem Blick die ganze Misère voraussahen und sagten, die seitdem das deutsche Volk durchlebt hat und die jetzt ihren lehrreichen Gegensatz in dem wunderbaren Gang der Ereignisse in Amerika gefunden hat. Der Verlauf der ersten badischen Volkserhebung ist bekannt. Die Schaaren der Aufständischen erlagen bei Donaueschingen, auf der Scheideck, bei Schopfheim und in den Gefechten in und um Freiburg in den Ostertagen der militärischen Uebermacht der badischen, hessischen und würtembergischen Truppen, weil sie nicht Zeit gehabt hatten, sich militärisch eben so gut zu organisieren, wie sie politisch organisiert waren. Struve, Hecker, Weißhaar, Mögling und die anderen Führer der Erhebung retteten sich in die Schweiz.

Am 20. September 1848 nach dem vom Frankfurter Parlamente gutgeheißenen verhängnißvollen Waffenstillstand von Malmö und nach Niederwerfung des Aufstandes in den Straßen der alten freien Reichsstadt erhoben Struve und Blind zum zweiten Male [455] die Fahne des Aufstands in Lörrach, an der Grenze des badischen Landes. Es kann durchaus nicht Sache der Gartenlaube sein, die schon so vielfach geschilderte badische Erhebung, welche nach und nach eine vollständige Literatur von mehr oder minder umfänglichen Werken hervorgerufen hat, noch einmal des Breiteren zu erzählen, Jedermann kennt ja den Ausgang, welchen die Bewegung nahm, wie ihm die Ziele bekannt sind, welche dieselbe anstrebte. Hier genüge die Bemerkung, daß schon sechsunddreißig Stunden, nachdem Struve aus der Schweiz das badische Gebiet betreten hatte, die Streitmacht der Aufständischen bereits über 10,000 wohlbewaffnete Männer betrug. Von allen Seiten strömten bewaffnete Zuzüge herbei, die ganze umwohnende Bevölkerung erhob sich in Masse. Aber der erste Erfolg ist bei einer Volkserhebung immer von enormer Bedeutung. Dieser erste Erfolg scheiterte. Das Gefecht bei Stauffen war von entscheidender Wirkung für die ganze Erhebung. Zwei Stunden lang dauerte der Kampf in den verbarrikadirten Straßen der Stadt.

Der Rathhausplatz bildete den eigentlichen Stützpunkt der Stellung der Aufständischen. Hier befanden sich Struve, Amalie Struve, Blind, Pedro Düsar und Müller aus Pforzheim. Das Rathhaus wurde der Zielpunkt der feindlichen Geschütze, die Mauern wurden von Kugeln durchlöchert, die Fenster zertrümmert, die Stadt brannte an mehreren Stellen. Endlich drangen die fürstlichen Truppen in die Stadt. Jeder Widerstand war vergeblich. Unstreitig hat Oberst Löwenfels, der in Stauffen commandirte, den Verlust des Gefechts zu verantworten, da er sich mit frisch zusammengezogenen Wehrmännern mit Linientruppen in ein Gefecht eingelassen und die beiden besten Bataillone vor dem Gefecht in der Richtung nach Freiburg geschickt hatte. Wenige Tage nach dem unglücklichen Gefecht wurde Struve mit seiner Frau und Blind bei Schopfheim gefangen genommen. Von dem Tode durch Pulver und Blei vor dem Standgerichte rettete ihn nur ein zufälliger Umstand. Das Geschwornengericht verurtheilte ihn nach langer und qualvoller Haft zu achtjähriger Zuchthausstrafe. Der Sturm des neuen badischen Aufstandes im Frühling befreite ihn in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai aus dem Zuchthause von Bruchsal. Struve trat nun in den Landesausschuß ein und leitete meistentheils dessen Verhandlungen. Da indeß der Landesausschuß keine Executivgewalt hatte, so bestand dessen Macht nur darin, gewisse Anregungen zu geben, welche die Maßnahmen Brentano’s und seiner Regierung, deren Absicht es war, die Bewegung so zu leiten, daß die Rückkehr des Großherzogs vermittelt würde, theils nicht beachteten, theils abschwächten.

Auch diese Erhebung nahm, wie man weiß, einen traurigen Ausgang und Struve mußte von Neuem flüchten. Zunächst wandte er sich mit seiner Frau nach der Schweiz, dann nach Frankreich und England. „Aus Baden mußte ich fliehen,“ sagt er, „denn der Tod war mir gewiß, falls ich geblieben wäre. Aus der Schweiz verwiesen, in Frankreich polizeilich bewacht, in England ohne sichere Erwerbsquellen, mußte ich mich zur Auswanderung nach Amerika entschließen. Ich that es mit äußerstem Widerstreben, ich fügte mich der unerbittlichen Nothwendigkeit.“ Am 11. April 1851 schiffte er sich mit seiner Frau in Liverpool ein und am 11. Mai langte er im Hafen von New-York an. „Als wir an dem reizenden Staten Island vorbeifuhren,“ heißt es weiter in den mir vorliegenden Schriftstücken, „regte sich gleichzeitig in mir und meiner Gattin der Wunsch, es möchte uns vergönnt sein, dort unsern Wohnsitz aufzuschlagen. Hätte ich damals gewußt, daß die liebliche Insel das Grab meines Schwiegervaters, meines ältesten Töchterchens und meines Weibes werden sollte, so wäre sie mir, wie jetzt, düster und traurig erschienen. Glücklicherweise sah ich nicht in die Zukunft. An der Seite meiner Amalie fühlte ich mich stark genug, den Kampf des Lebens auch in Amerika zu bestehen.“

Ein Kampf ist für Gustav Struve das Leben überall gewesen, und wahrlich auch in Amerika. Ein Kampf für die materiellen Bedürfnisse desselben, ein Kampf mit der Feder, mit der Rede, mit dem Schwert für die großen Grundsätze der Freiheit, der Civilisation und der Menschenrechte, für welche er mit Aufwand aller seiner geistigen und physischen Kräfte immer, in der neuen wie in der allen Welt, gestritten hat. Er begann seinen „Deutschen Zuschauer“ in New York von Neuem und vollendete seine „Weltgeschichte“, welche er in den Casematten von Rastadt begonnen hatte, die erste und einzige Geschichte der Entwicklung der Menschheit, die auf demokratisch republikanischer Anschauung ruht, das Resultat des Studiums seines Lebens. Bei der Präsidentenwahl im Jahre 1856 wirkte Struve durch Schrift und Wort eifrig für Fremont, den Candidaten der Republikaner, gegen Buchanan, den Freund und Gönner der Sclavenhalter des Südens. Lebhaft ergriff er Partei für Gottfried Kinkel und die von demselben betriebene deutsche Nationalanleihe.

Im Jahre 1859 gründete er mit seiner Frau und Füster aus Wien die erste freie deutsche Schule in New-York. Als im April 1861 der Kampf zwischen den südlichen Sclavenhaltern und der Union begann, wollte Struve in diesem nicht allein für die Entwicklungsgeschichte Amerikas, sondern auch für die Grundsätze der Freiheit in Europa so wichtigen Kampfe nicht zurückbleiben. Trotz seiner vorgerückten Jahre verließ er seine geliebte Frau und seine Kinder und trat als Gemeiner in ein Freiwilligenregiment ein, dessen Bildung der ihm schon aus Deutschland befreundete Oberst Louis Blenker unternommen hatte. Als Gemeiner, dann als Unterlieutenant, Oberlieutenant, Hauptmann machte er den Feldzug mit. Er war mit dabei, als die deutsche Brigade am Tage der Schlacht bei Bull Run wie eine undurchdringliche Mauer stehen blieb bis am Morgen des folgenden Tages, während um sie her alle Regimenter in wilder Flucht von dannen eilten. Er nahm an allen Strapazen und Gefahren Theil, welche das Regiment in den Jahren 1861 und 1862 bestand; Ende November nahm er seinen Abschied. Für Baden war eine allgemeine Amnestie erlassen. Jetzt konnte er seinen langgehegten Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren, erfüllen. Als er nach New-York kam, starb seine schöne und geistreiche Frau, seine treue Gefährtin in allen Gefahren und Mühen der letzten fünfzehn Jahre; es war ihm nur vergönnt, ihr die Augen zu schließen und sie zu bestatten. Allein, den Schmerz in der Brust, kehrte er über das Weltmeer nach Deutschland zurück.

Damals war es, wo ich Struve in Coburg kennen lernte. Anderthalb Jahre sind seitdem verflossen. Von Neuem hat Struve den Kampf aufgenommen, den er mit solcher Energie während der letzten zwanzig Jahre seines Lebens diesseits und jenseits des Oceans geführt hat. Eine neue, die siebente, Ausgabe seiner Weltgeschichte ist in diesen anderthalb Jahren vollendet worden und bereits im Druck begonnen.[AU 2] Die Schilderungen in seinem oben schon erwähnten „Diesseits und Jenseits des Oceans“ bilden in ihrer Vereinigung ein interessantes Werk, welches die gegenwärtige politische und sociale Lage der Vereinigten Staaten Nordamerikas und Deutschlands und deren gegenseitige Beziehungen darstellt. Aber auch die Verfolgungen haben von Neuem begonnen. Das Cabinet zu Washington ernannte ihn zum Consul der Vereinigten Staaten für die wichtigen Handelsbeziehungen des Thüringerwaldes zu Nordamerika. Der Herzog von Sachsen-Meiningen verweigerte ihm das Exequatur, nachdem die Regierung sich des gleichen Verfahrens der anderen Thüringischen Regierungen versichert hatte. Die Regierung des Herzogs Ernst von Coburg-Gotha verfolgt ihn und Feodor Streit wegen ihrer Artikel in der Arbeiterzeitung und in der Wehrzeitung für das Recht des „verlassenen Bruderstammes“ in Schleswig-Holstein mit Preßprocessen über Preßprocessen, und vor einiger Zeit sind wiederum drei Monate Gefängniß gegen beide Streiter für deutsches Recht erkannt.[AU 3] Aber mit heiterem Blick und mit der Gewißheit des Sieges schaut Gustav Struve in seinem sechszigsten Jahre in die Zukunft, unerschüttert und ungebeugt, weder durch die Jahre, noch durch das Mißgeschick, noch durch die Niederlagen. G. R. 




  1. S. Diesseits und Jenseits des Oceans. Von Gustav Struve. Coburg 1864, F. Streit’s Verlagsbuchhandlung.
  2. Die Weltgeschichte von Gustav Struve in Coburg. 1864/65
  3. S. Sachsen und Coburg gegen Streit und Struve. V. Auflage. Coburg 1864.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. nach Moritz Wilhelm von Löwenfels: Gustav Struve’s Leben, nach authentischen Quellen und von ihm selbst mitgetheilten Notizen, Basel 1848, S. 12, ging Struve 1833 nach Mannheim und wurde dort erst 1836 Obergerichts-Advocat
  2. ADB:Blittersdorff, Friedrich Freiherr von
  3. ADB:Metternich, Clemens Fürst von