Hamburgs neue Hafenanlagen
„Da verlangt der Senat schon wieder so und so viel
Millionen für neue Quaianlagen! Unsummen Geldes sind schon
bewilligt, aber immer mehr und mehr wird nachverlangt. Heute
Abend in der Bürgerschaft kommt der Antrag zur Abstimmung.
Ich gehe gar nicht hin. Dagegen stimmen kann man nicht gut,
und dafür stimmen mag ich nicht. Die ganzen Quaianlagen sind
mir antipathisch.“
Der dies sprach – der Schreiber dieser Zeilen war zufällig gegenwärtig – ist ein alter Hamburger Handelsherr. Einer von der Sorte, welcher der Zopf hinten hängt. Man findet auch solche Exemplare an der Börse unserer Welthandelsstadt, aber zum Glücke ziemlich selten.
Der Angeredete, ein jüngerer Kaufmann, lächelte. „Was haben Sie denn gegen die Quaianlagen einzuwenden? Sind diese stattlichen Hafendämme zum Ein- und Ausladen unserer Waaren nicht für Hamburgs Handel unentbehrlich?“
„Für unser modernes Geschäft allerdings.“ murrte der Alte. „Aber das ist’s ja eben. Geht mir doch mit der oft gepriesenen Jetztzeit, schafft mir die gute alte Zeit zurück! Sehen Sie sich die neuere hamburgische Handelsstatistik an, lieber Freund! Zahlen beweisen. Da haben nur vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren so und so viel Import, so und so viel Export gehabt; alle Zahlen sind gestiegen; auf den ersten Blick sollte man glauben, der Handel blühe. Vergleichen Sie jedoch unsern Proprehandel (Handel für eigne Rechnung) mit dem Speditionsgeschäfte so finden Sie, daß das Verhältniß ein anderes und zwar ein schlechteres geworden ist. Der Proprehandel ist der wahre Lebensnerv; vom Speditionsgeschäfte mag ich gar nichts hören. Der eine Spediteur nimmt noch billigere Sätze als der andere. Jeder unterbietet den Concurrenten – es ja fabelhaft, wie der Verdienst beim Spediren gedrückt ist. Und wem dienen die Quaianlagen? Doch in erster Linie dem Speditionsgeschäfte. Und es geht jahraus jahrein mit den Millionen-Bewilligungen lustig fort; immer neue Quais werden gebaut; mit Stolz weist man auf die immer wachsende Zahl von Schiffen hin, die im Hamburger Hafen angekommen – aber die Waaren, welche sie bringen? Nun, die wandern direct aus dem Schiffsbauche in den Eisenbahnwagen; die Locomotive pfeift – weg damit! Fort auch mit dem schönen Verdienste von Anno Dazumal!“
„Aber wir müssen doch mit den concurrirenden Hafenplätzen Schritt halten.“
„Weiß ich. Deshalb stimme ich auch nicht gegen den Antrag. Glaub’s gern, daß es so sein muß. Aber darum kann man doch mit Bedauern daran denken, wie es früher doch so viel besser war.“
Und weiter entwarf der wackere Mann ein Bild der „guten alten Zeit“, unter welcher er die ersten Decennien dieses Jahrhunderts verstand, als man noch nicht „mit Dampf arbeitete“.
Ja, der Dampf! Er, der wilde, tückische Geselle, dessen Riesenkraft der Mensch gezähmt und menschlichem Wirken dienstbar gemacht hat, er hat auch die großartige Umwälzung auf dem Gebiete des Handels zu Stande gebracht, von welcher die Rede. Früher gab es in Hamburg im Allgemeinen abwechselnd eine „flaue“ und eine „hille“ (belebte) Geschäftsperiode, je nach der Jahreszeit. Im Frühjahre, Sommer und Herbste kamen die Segelschiffe in den Hafen. Die Waaren wurden in die „Schuten“ (flache, wenig tiefgehende Leichterfahrzeuge) entladen, von diesen in die Speicher gebracht, und dann begann der Handlungsreisende oder der Agent seine Thätigkeit. Der Binnenländer machte bei diesen seine Bestellungen und erhielt nach Wochen oder Monaten die Waare per Flußschiff oder per Fuhrmann. Wenn der Herbst vorrückte, ging das Geschäft noch flotter. Man mußte sich für den Winter versorgen; mit dem ersten Froste war die Schifffahrt auf der Elbe ja vorbei. Im Winter bestellte der Binnenländer nur das Nothwendigste, denn der Landtransport durch den Fuhrmann war bedeutend theurer, als der Wassertransport.
Wie hat sich das Alles durch den Dampf geändert! Schlot an Schlot zieht die Elbe hinauf und hinab; selbst die Segelschiffe, die früher bei ungünstigem Winde lange an der Elbmündung harren konnten, werden jetzt durch flotte kleine Schleppdampfer des Wartens enthoben. Aus dem Schiffsraume holen die Dampfkrähne am Quai die Waare, mit der das flüchtige Dampfroß davoneilen soll. Und wenn der erste Frost eintritt, brechen die großen amerikanischen Paketfahrdampfer spielend durch die dünne Eisdecke. Der Frost wird schärfer; der Eisgang nimmt zu, und Gebirge von mächtigen Schollen thürmen sich an engen Stellen des Fahrwassers auf. Da erscheint der Eisbrecher. Mit voller Wucht der Dampfkraft preßt er den schweren eisernen Bug gegen die Barrikaden, zerdrückt, zerschellt und zerstreut sie. Seit mehreren Jahren hat bereits Hamburg, dank dem trefflichen Eisbrecher (ein zweites Exemplar ist im Baue), keine winterliche Schifffahrtshemmung mehr erlitten, und es müßte schon ein ganz außergewöhnlich harter Winter sein, dessen Eisbildungen nicht von jenen gewaltigen Widdern besiegt werden könnten. Längst schon hält Hamburgs Handel keinen Winterschlaf mehr.
Aber noch in anderer Beziehung änderten sich die Handelsverhältnisse durch die modernen Verkehrseinrichtungen ganz wesentlich. Der Binnenländer, früher gewohnt, seine Ankäufe auf den deutschen Küstenplätzen zu machen, trat mit der Zeit mehr und mehr in directen Verkehr mit dem Auslande. Ausländische Agenten und Reisende suchten ihn auf; nicht nur mit europäischen, selbst mit außereuropäischen Plätzen trat das Inland in unmittelbare Geschäftsverbindung. Der Hamburger Kaufmann bequemte sich der veränderten Lage rasch an; er selbst bot die Hand zur Erleichterung des directen Bezuges, wohl wissend, daß unter allen Umständen die Welthandelsstadt an der Elbmündung ein namhafter Stapelplatz des Warenaustausches bleiben werde. Da ist z. B. brasilianischer Kaffee einer der Hauptartikel der Hamburger Börse. Hamburg allein importirt fast ebenso viel Kaffee, wie ganz Großbritannien; das Verhältniß ist etwa wie einundzwanzig zu vierundzwanzig. Der Importeur verkauft denselben gewöhnlich „schwimmend“, das heißt die von Rio de Janeiro abgesandte Ladung wird, während sich das Schiff noch auf hoher See befindet, auf Grund der vorher per Dampfer angekommenen Proben an der Hamburger Börse verhandelt. Früher kaufte ausschießlich der Hamburger Commissionär (eine ganz falsche Bezeichnung; denn seit Menschengedenken waren gerade diese sogenannten Commissionäre ausschließlich Proprehändler). Heutzutage kauft auch wohl einmal der Berliner, der Leipziger, der Magdeburger direct vom Importeur eine ganze, halbe, Viertels-Ladung Rio-Kaffee. Als zuerst derartige Geschäfte abgeschlossen wurden, schrieen die Herren vom Zopfe Zeter über diesen „Mangel an hamburgischem Patriotismus“. Was hat’s geschadet? Nichts, gar nichts; es kam noch Kaffee genug und übergenug in die hamburgischen Speicher. Und auch hier machte sich die alte Erfahrung geltend, daß oft in Folge der Börsenschwankungen der directe Einkauf weniger günstig ist, als der Bezug vom Zwischenhandelsplatze. Baumwolle, die der Hamburger heute von Liverpool erhält, kann er vielleicht nach acht Tagen seinem Breslauer Geschäftsfreunde billiger anbieten, als dessen Liverpooler Correspondent. Doch das ist eine ganz alte, unzählige Male gemachte Erfahrung, von der wir da sprechen; sie dient als unwiderleglicher Beweisgrund gegen das heutzutage gottlob ziemlich überwundene System der verschiedenen Zollansätze (Differentialzölle).
Alles in Allem genommen, ist es erklärlich, daß unter so bewandten Umständen das Speditionsgeschäft in den Zahlencolonnen der Handelsstatistik rascher steigen konnte, als der Proprehandel, ohne daß etwa jenes vorherrschte, wie aus den Klagen des alten Kaufmannes herausgehört werden könnte. Vielmehr vertragen sich beide ausgezeichnet, ergänzen sich wechselseitig; die Interessen aller Handelsbranchen sind solidarisch.
Ein Speditionsgeschäft an einem Welthandelsplatze ohne Quais wäre ein Unding. Wenn man sich in Hamburg lange genug ohne solche beholfen – der erste Quai wurde 1868 in Betrieb genommen –, so hatte man das nur der eigenthümlichen, dem Handel so enorm günstigen natürlichen Lage Hamburgs, dieses von Elbarmen und Canälen (den sogenannten Fleeten) durchschnittenen „nordischen Venedigs“, zu danken. Bestand doch [63] eigentlich schon seit Urzeiten der größte Theil der Stadt aus natürlichen Quais, denn die Wasserfront der Elbufer und der Canäle, soweit sie städtisch angebaut, ist circa einhundertneunundvierzigtausend Fuß lang und ungefähr die Hälfte hiervon dient gewerblichen und Handelszwecken, das heißt die Waarenspeicher und Lagerräume liegen mit ihren Hinterfronten am Wasser und sind für Landfuhrwerk von den mit den Canälen parallel laufenden Straßen zugänglich. So kann denn mittelst der oben erwähnten „Schuten“ die Waare nicht nur aus dem Schiffe im Hafen direct nach dem Speicher geschafft werden, sondern auch aus dem einen Speicher in den andern, auch im Platzverkehr wandert sie also gewöhnlich per Schute. Wie gesagt, ist der Transport per Achse hier, wie wohl überall, theurer als der Wassertransport. Dazu kommt noch der Umstand, daß die Schute verhältnißmäßig außerordentlich wenig Arbeitskraft erfordert. Ein einziger Mann bewegt eine solche beladene Schute (vier- bis sechshundert Centner Tragfähigkeit), indem er eine sechszehn bis achtzehn Fuß lange Hakenstange, einen sogenannten Peekhaken, gegen den Grund oder seitwärts gegen eine Mauer stemmt und dann das Fahrzeug vorwärts schiebt. Gern macht er sich hierbei die Strömung (Ebbe und Fluth) zu nutze, aber auch gegen dieselbe kann er die Schute fortbringen. Stelle man dieser billigen Art des Transports das in anderen Seestädten obwaltende Verhältniß gegenüber: fast überall wird die Waare aus den Schiffen auf den Quai geladen und dann per Wagen nach den Magazinen geschafft. Ein Gewährsmann erzählt, daß ihm ein Kaufmann in Marseille mit Stolz die wahrhaft großartigen Hafenanlagen dieser Stadt zeigte. Der Hamburger meinte, man müsse in Marseille sehr kostspielig arbeiten. Der Franzose bestritt dies. Man rechnete nach, und es ergab sich, daß bei aller Großartigkeit der Anlagen die Kosten des Transports der Waare vom Speicher in Marseille etwa doppelt so hoch sind, wie in Hamburg.
Für den Proprehandel hätten die natürlichen Quais noch lange genügt. Auch vom Seeschiff direct in das Flußschiff ließ sich selbstverständlich von jeher mit Leichtigkeit verladen. Das Speditionsgeschäft erforderte aber einen Fortschritt, als man mit Dampf arbeitete. Die Dampfschiffe, welche ihre Reisen rasch und regelmäßig machen mußten, um die Concurrenz anderer Linien zu bestehen, durften nicht warten, bis die für die verschiedensten Handelsfirmen und für die Eisenbahn bestimmten Güter mit Schuten abgeholt sein würden. Man half sich einstweilen mit großen Leichterfahrzeugen. In diese schafften die Dampfer, welche im Laufe der Zeit mit Dampfkrähnen und Dampfwinden ausgerüstet wurden, ihre Ladung, aus allen Luken gleichzeitig „löschend“ (entladend). Aus dem Leichter wurden dann später die Waaren in Schuten abgeholt. Die Leichter waren also eigentlich schwimmende Quais. Ein großer Mangel der Leichter bestand aber darin, daß ihre räumliche Ausdehnung zu gering war, um die Waaren gehörig sortiren und übersichtlich hinlegen zu können. Wenn die Schuten kamen, so mußten die Waaren vielfach umgestapelt werden, oder die Schuten mußten warten, bis die für sie bestimmten Waaren zur Hand lagen. Nicht nur ging Zeit verloren, auch das Liegegeld für die Schuten mußte entrichtet werden. Auch war immer noch nicht das Ideal des Spediteurs, directe Verladung aus dem Schiffsraum in den Eisenbahnwagen, erreicht.
Wie conservativ der Hansestädter auch in mancher anderen Beziehung zu sein pflegt, er hat stets da dem Fortschritte zu huldigen gewußt, wo es sich um seine Lebensinteressen handelt. Gegen eine kaum bemerkbare Opposition wurden Millionen auf Millionen bewilligt, und so entstanden die Quais, deren Abbildung aus der Vogelperspective heute den Lesern der „Gartenlaube“ vorliegt.
Es ist ein gigantisches Werk, welches hier vollbracht worden ist, wie wenig auch seine architektonische Großartigkeit dem besuchenden Fremden in die Augen fällt. Diesen fesselt das bunte Leben und Treiben, der emsige Verkehr auf dem Wasser und auf dem Lande. Auf die Quais selbst, die nüchterne kahle Wand, wirft er, falls er nicht selbst Techniker ist, kaum einen Blick. Denn auf Formenschönheit haben die Quais sammt ihren Schuppen und Speichern selbstverständlich verzichten müssen. Solidität, unbedingte starre Solidität war die Parole beim Bau, und wer eine Ahnung davon hat, welche Schwierigkeiten sich dem Baumeister entgegenstellen, der auf unsicherem Marschboden, im dem Schlick des Strombettes seine Grundmauer unverrückbar aufthürmen soll, der wird begreifen, daß es zur Erfüllung dieser Aufgabe einer Kraft ersten Ranges bedurfte. Hamburg besaß eine solche in dem genialen, leider zu früh dahingeschiedenen Wasserbaudirector Dalmann, der weit über Hamburgs Mauern hinaus als Autorität galt, dessen Schöpfungen die Bewunderung seiner Fachgenossen erregten. Diesmal kam das Wort von der undankbaren Republik nicht zur Geltung. Die Stadt wußte ihren Dalmann zu schätzen, über Orden und dergleichen Auszeichnungen gebot sie nicht, dagegen zahlte sie ihm ein Gehalt, wie es nie ein Bürgermeister von Hamburg bezog, wie es mancher Minister in größeren Staaten nicht erhält, nämlich 7840 Thaler pr. Courant jährlich. Der vor Kurzem erfolgte, allgemein beklagte Tod des Meisters hat die Fortführung der Quaibauten nicht beeinträchtigt, da alle Pläne vollendet daliegen. Ihm zu Ehren erhielt der Dalmanns-Quai den Namen. Was Dalmann auf diesem Gebiete, wie auf dem der Elbstromregulirung geleistet hat, wird ohnehin sein Andenken noch auf Jahrhunderte hinaus für Hamburg unvergeßlich machen. – Ueber die technischen Einzelheiten des Baues haben Fachzeitungen eingehend berichtet; hier sei nur erwähnt, daß die Quais theils auf Beton, theils auf Pfahlroste fundirt sind.
Die Generalübersicht der Quais, vom Quaispeicher aus der Vogelspective aufgenommen, führt links vom Beschauer den Sandthorquai, in der Mitte den Kaiserquai, rechts den Dalmann-Quai vor. In der Ferne zeigen sich der Venlooer (Pariser) Bahnhof, die städtische Gasanstalt, die Elbbrücke, deren Bild die „Gartenlaube“ 1872 ihren Lesern vorführte, rechts der Oberhafen. Gerade vor uns sehen wir noch einen Theil des Quaispeichers. Letzterer, ein respectables Gebäude, mit 1,480,000 Mark Unkosten erbaut, krönt die Spitze der vom Kaiserquai eingenommenen Landzunge. Ein Thurm des Quaispeichers (auf unserem Bilde nicht vorhanden) trägt einen sogenannten Zeitball. Letzterer, weithin sichtbar, fällt jeden Mittag präcise zwölf Uhr nach Greenwicher Zeit und dient den Schiffscapitainen im Hafen zur Regulirung ihrer Chronometer.
Der Sandthorquai ward im Juli 1866 eröffnet, 1875 erweitert, der Kaiserquai 1872 im Juli eröffnet, ebenso der Dalmann-Quai; letzterer ward 1876 erweitert. Die Dimensionen sind:
Länge | Schuppenlänge | Bedachte Fläche. | |
Sandthorquai | 1170 Meter. | 910 Meter. | 19,580 Q.-Meter. |
Kaiserquai | 1040 “ | 740 “ | 21,300 “ |
Dalmann-Quai | 1035 “ | 790 “ | 22,150 “ |
Total | 3245 Meter. | 2440 Meter. | 63,030 Q.-Meter |
Der Quaispeicher, im Februar 1875 eröffnet, ist auf einer Grundfläche von 362984 Quadratmeter erbaut und kann in sechs Stockwerken auf 18,90526 Quadratmeter Flächenraum 300,000 Centner lagern.
Die Quais benutzten 1875 1426 Schiffe, von denen vier Segelschiffe, der Rest Dampfer waren. Total in den zehn Jahren des Betriebes: 8261 Schiffe mit 4,504,329 britische Registertons Netto-Raumgehalt. Die Hauptflaggen vertheilten sich in den zehn Jahren wie folgt: 5564 englische, 1729 deutsche, 530 französische, 283 holländische Dampfer.
Der Verkehr auf den Quais bezifferte sich 1875 wie folgt: Gesammtgüterbewegung 11,919,000 Centner; Verkehr per Eisenbahn 5,852,000 Centner, per Fuhre 1,635,000 Centner, per Wasser (Schute) 4,432,000 Centner – Total in zehn Jahren 59,710,000 Centner.
Hat der Fremde den Hamburger Hafen besucht, so versäume er nicht den Besuch der Quais! Jener imponirt durch seinen Mastenwald, diese durch den äußerst lebendigen, bunt wechselnden Verkehr, gegen den selbst das Leben und Treiben im eigentlichen Hafen wie ein ruhiges Idyll erscheint. Auf den Quais geht Alles mit Dampf, mit fieberhafter Eile pulsiren die hier zusammenlaufenden Verkehrsadern, sehr häufig, wenn es gilt, einen großen Paquetdampfer, der etwas verspätet angekommen, schnell zu entladen und wieder zu befrachten, wird Tag und Nacht, Wochentags und Feiertags ununterbrochen fortgearbeitet. Die Quaisarbeiter sind ein kerniges, urkräftiges Geschlecht von dem Schlage der „Markthelfer“, welche Gustav Freytag im deutschen Musterroman „Soll und Haben“ so trefflich zeichnete. Wir sehen sie auf unserm zweiten Bilde (die Dampfkrähne) im voller Thätigkeit unter Anleitung von Inspektoren, freundlichen Gentlemen in einer [64] Tracht nach Art der Handelsschiffscapitaine. Rechts vom Beschauer liegt ein südamerikanischer Paquetdampfer, der „Valparaiso“, eines jener „schwimmenden Hôtels“, welche circa 1000 Seelen auf einmal hinüberbringen können nach dem gelobten Lande Amerika. Neben dem breiteren Schienengleise, auf dem die Krähne fortbewegt werden können, läuft ein schmäleres für diejenigen Eisenbahnzüge, welche direct aus dem Schiffsraume ihre Ladung erhalten. Weitere drei Gleise finden sich auf der anderen Seite des Schuppens. Sie stehen selbstverständlich mit allen hamburgischen Bahnhöfen in Verbindung. Daß auch Schuten und gewöhnliches Fuhrwerk am Quai laden können, mag nur der Vollständigkeit halber erwähnt sein.
Die Krähne selbst verdienen etwas nähere Betrachtung. Es sind theils Dampf-, theils Handkrähne. Von beiden sehen wir ein Exemplar im Vordergrunde des Bildes; die Art der Waare entscheidet, ob Dampf- oder Menschenkraft zur Anwendung kommen soll. Die gewöhnlichen Dampfkrähne heben zwanzig bis hundert Centner, es sind aber auch einzelne Enakssöhne vorhanden, welche zweihundertfünfzig Centner heben können, und ein Goliath nimmt eine Last bis zu 60,000 Pfund (30,000 Kilo) auf sich, falls es verlangt wird. Die Krähne sind eigener Construction. Wasserbaudirector Dalmann hatte sich auf einer Reise in Großbritannien vergebens nach solchen Dampfkrähnen, wie sie den Zwecken des Quaibetriebes seiner Meinung nach am besten dienen würden, umgesehen und entwarf Submissionsbedingungen, welche einen wahren Sturm unter seinen Fachgenossen erregten, die da meinten, daß Unmögliches verlangt werde. Es handelte sich um eine Uebertragung des Flaschenzug-Princips der hydraulischen Krähne auf Dampfkrähne. Dennoch lösten hervorragende deutsche, englische und belgische Maschinenfabriken die gestellte Aufgabe durch geistreiche neue Erfindungen, die denn auch zum Theil acceptirt und ausgeführt wurden. Namentlich verlangte Dalmann absolut bewegliche Krähne, denn nur diese ermöglichen die volle Ausnutzung der Quais in der Art, daß die Schiffe längs derselben eine geschlossene Reihe bilden und der Vordersteven des einen das Heck des nächst vor ihm liegenden fast berührt. Selbst eine Befestigung (Anklammern) des Krahnes an die Schienen ward nicht gestattet. Die Drehung sollte rasch und sicher, nach jeder Seite mindestens auf hundertachtzig Grad erfolgen.
Doch auch hier können wir uns ein näheres Eingehen auf die technischen Details ersparen; die durch Dalmann’s Inspiration gemachten Erfindungen auf diesem Gebiete sind längst in der Fachpresse gebührend gewürdigt worden. Eine Reihe solcher Dampfkrähne in voller Arbeit bietet auch dem Laien ein hochinteressantes Schauspiel. – Nebenbei erwähnt kostet ein Hundert–Centner-Krahn circa 24,000 Mark.
Gewöhnlich verweilen die Schiffe drei bis vier Tage am Quai. In dringenden Fällen ist es ausgeführt worden, daß ein Schiff binnen vierundzwanzig Stunden entlöscht und neu beladen worden ist; da geht dann freilich die Arbeit im figürlichen wie im buchstäblichen Sinne mit Dampf. Wesentlich zu Statten kommt hierbei dem hamburgischen Kaufmanne das Fehlen aller jener Zollbelästigungen und Declarationsformalitäten, die anderswo den Verkehr belästigen und hemmen. Hamburg ist bekanntlich dem Zollvereine gegenüber Freihafen, und die nominelle Declarationsabgabe, welche die Stadt selbst einzieht, wird auf Grund der von dem Kaufmanne der Behörde eingesandten Declarationen entrichtet; Controlirung, Revision und wie alle die Zollplackereien heißen mögen, sind auf den hamburgischen Quais unbekannt.
So darf denn nach allem Gesagten wohl behauptet werden, daß sich Hamburgs Quaianlagen dem Großartigsten, welches auf diesem Gebiete geleistet worden ist, den Quais in den englischen und amerikanischen Handelsstapelplätzen, ebenbürtig an die Seite stellen. Sie sind würdig der ersten Handelsstadt Deutschlands, des bedeutendsten Welthandelsplatzes des europäischen Festlandes.