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Halbmond und Doppeladler

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Halbmond und Doppeladler
Untertitel:
aus: Mein Oesterreich! Illustrierte Monatsschrift für die Jugend, 1. Jahrgang, S. 348 u. 350
Herausgeber: Adolf Moßbäck
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1911
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Erscheinungsort: Wien
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Quelle: Commons
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Halbmond und Doppeladler.
Von Walter Kabel.

Allgemein wird das bekannte Wahrzeichen der Türken für eine Nachbildung der Sichel des Neumondes gehalten. Dies ist unrichtig, was aus folgenden historischen Erwägungen hervorgeht. Das Panier der Nomadenhorden, die im 13. Jahrhundert am Euphrat und Tigris zuerst auftauchten und die sich fünfzig Jahre später nach ihrem dritten Emir Osman Osmanen nannten, bestand aus einer Stange, an der ein türkisches Hufeisen und ein Roßschweif befestigt waren. Diese Stange wurde von einem Reiter dem Zuge vorangetragen und im Lager vor dem Zelte des Emirs aufgepflanzt. Der Roßschweif gilt noch heute bei den Türken als Auszeichnung für einen Pascha. Ursprünglich war es das Ehrenzeichen des obersten Häuptlings der Truppe allein. Das Hufeisen aber – und zwar in der heute noch bei den Türken üblichen [350] Form – versinnbildlichte auf die augenfälligste Weise das Wesen einer berittenen Nomadenhorde, deren Existenz von der Leistungsfähigkeit der Pferde abhängt. Diese beruht wiederum hauptsächlich auf der Zuverlässigkeit des Hufbeschlages, dessen Form sich natürlich ganz nach der Bodenbeschaffenheit richten muß. Sobald eine Horde die heimatliche Steppe verließ und Gebirgsgelände betrat, war sie gezwungen, einen Hufbeschlag einzuführen, der nicht bloß die Kanten, sondern auch die innere Fläche des Hufes vor Verletzungen sicherte. Diese Notwendigkeit ließ das noch heute im Orient gebräuchliche Hufeisen entstehen, das von dem bei uns üblichen sich dadurch unterscheidet, daß die Innenfläche zum größten Teil durch eine mäßig starke Platte ausgefüllt ist, wodurch das Eisen eine durchaus abweichende Form erhält, die ihm eine entfernte Ähnlichkeit mit einem liegenden Halbmond verleiht. Diese Ähnlichkeit hat dann später zu jener Umdeutung Veranlassung gegeben. Auch die Bezeichnung „Hohe Pforte“ für das türkische Reich läßt sich historisch erklären. – Mostassem, der letzte Kalif vom Stamme der Abbassiden, der im Jahre 1258 vor den siegreichen Mongolen aus Bagdad flüchten mußte, hatte eine tragbare Pforte aus edelstem Holz herstellen und in deren Schwelle ein Stück von dem schwarzen Stein einfügen lassen, den der Erzengel Gabriel dem Abraham als Geschenk überbracht haben soll und der neben dem Eingang in die Kaaba in Mekka eingemauert ist. Ein Vorhang von schwarzem Samt verdeckte die Pforte. Dem heiligen Wunderstein nun mußten die Großen des Hofes den Tribut ihrer Ehrerbietung täglich darbringen und ihn mit Küssen bedecken. Dieser Gegenstand allgemeiner Verehrung hieß „Die Pforte des Kalifen“. Als die Nachfolger Mostassems ihren Sitz nach Kairo verlegten, wurde auch die Pforte dorthin überführt und von Kairo gelangte sie 1517 mit dem Untergange des Kalifats Ägypten nach Konstantinopel, wo dann die Bezeichnung „Hohe Pforte“ ganz allgemein für den Hof des Sultans und das durch den Sultan verkörperte Osmanenreich angewandt wurde.

Der Doppeladler, den Österreich und Rußland nach dem Vorbilde des heiligen römischen Reiches noch heute im Wappen führen, hat gleichfalls einen ungemein ehrwürdigen Stammbaum, da er seinen Ursprung auf jenes Volk der Hethiter zurückführen kann, das ja schon die Bibel kennt und das eine sehr bedeutsame Wirksamkeit als Vermittler zwischen den Kulturen des Ostens und des Westens, zwischen Mesopotamien und Ägypten einerseits, Griechenland und Rom andererseits, entfaltet hat. Diese ihre Stellung spiegelt sich denn auch in der Geschichte des Doppeladlers als Wappentier wieder. Die hethitischen Tempelreliefs von Boghaskeui zeigen die Gottheiten, begleitet von den Symbolen der irdischen und der mythischen Macht. Die irdische Macht vertritt der Löwe, der König der Tiere, die Verkörperung der physischen Überlegenheit. Der Löwe ist das eine Wappensymbol, das von den Hethitern auf das Abendland vererbt worden ist. Übrigens tritt er als Symbol der Stärke nicht bloß im Wappen, sondern auch in ungezählten Kirchenskulpturen auf. Neben dem Löwen erscheint nun in den erwähnten Reliefs der Adler als der Vertreter der überirdischen Macht. Hoch über den Häuptern der Menschen der Sonne entgegenschwebend, eignete sich der König der Vögel gut zum Symbole der mystischen Kräfte, die der Gottheit zugeschrieben wurden. Aber hiezu genügte nicht das Bild des gewöhnlichen Adlers. Man gab dem Adler zwei Köpfe, indem man so seine Fähigkeiten andeutete, gleicherweise die Vergangenheit zu beherrschen und die Zukunft vorauszusehen. Der Doppeladler war also das Symbol göttlicher Allwissenheit. Dieses Symbol übernahmen später die Turkmenenfürsten. Die Kreuzzüge brachten es nach Europa und auf diesem Wege ging der Doppeladler in die Wappen der deutschen Kaiser sowie der Kaiser von Österreich und Rußland über. Es mag übrigens als eine interessante Station auf dem Wege dieser symbolischen Tiere im Abendlande daran erinnert werden, daß schon sehr früh der Evangelist Markus den Löwen, das Abbild der Kraft, zum symbolischen Begleiter erhalten hat, während der geistige der Evangelisten, Johannes, durch den Adler symbolisiert zu werden pflegte.