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Gustav Freytag (Die Gartenlaube 1886/29)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Konrad Alberti
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Titel: Gustav Freytag
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 514
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[501]

Gustav Freytag.

[514]

Gustav Freytag.

(Mit Portrait Seite 501.)

Am 13. Juli d. J. feierte Gustav Freytag seinen siebzigsten Geburtstag. In einer launigen Zuschrift an die Redaktion der „Kölnischen Zeitung“ hat der Dichter den Wunsch geäußert, daß er diesen Tag still für sich feiern möchte. Und so ist derselbe auch ohne große äußere Feste vorübergegangen; nur in den Herzen der deutschen Leser wurde er gefeiert, denn wie wenige unserer Dichter verkörpert Freytag in seinen Werken rein und klar den guten deutschen Volksgeist in seiner schönsten Entfaltung. Am 13. Juli 1816 als der Sohn des Arztes und Bürgermeisters der oberschlesischen Landstadt Kreuzburg geboren, zeigte er schon von früher Jugend an innige Liebe zu den Wissenschaften, der Poesie, dem Theater. In ihnen ging sein Streben auf. Frühzeitig konnte er auf eigenen Füßen stehen, mit kühnem Muth die Fesseln abstreifen, die pedantischer Zwang seinem Genius anzulegen bemüht war, und sich aus eigener Kraft nicht nur einen Beruf, einen Wirkungskreis schaffen, sondern auch einen eigenen Herd gründen.

Als Dichter ist Freytag der Herold des deutschen Bürgerthums. Er erkannte zuerst, welch reiner, klarer Quell der Poesie in dem schlichten, einfachen, kerngesunden Leben, dem zielbewußten Schaffen des deutschen Bürgerstandes fließt, und goß aus der erquickenden Fluth köstliche Tropfen in wohlgeformte goldene Becher. So lange deutsche Redlichkeit in Handel und Wandel blühen wird, so lange wird auch „Soll und Haben“ gelesen werden; so lange eine herrliche, den tiefsten Quellen alles Seins nachspürende deutsche Wissenschaft leben wird, so lange wird die „Verlorene Handschrift“ ewig jung und ewig wahr bleiben, und so lange das Gefühl des nationalen Stolzes, die Erinnerung einer mehrtausendjährigen ruhm- und ehrenreichen Entwickelungsgeschichte in unserem Volke leben wird, so lange wird man die „Ahnen“ mit immer neuem Entzücken lesen. Anton Wohlfahrt, Felix Werner, Georg König werden unsterblich sein als die Vorbilder nie erlöschender deutscher Redlichkeit, deutscher Wissenschaft, deutschen Heldenmuths. Wer in Freytag’s Dichtungen dasjenige vermißt, was der dramatischen und erzählenden Poesie eigentlich erst die volle künstlerische Weihe giebt, das Hineintönen mächtiger, aus der tiefsten Seele geholter, durch ihre Ursprünglichkeit unmittelbar ergreifender Naturlaute, der findet sich reichlich durch eine Fülle herrlicher, dem Leben unmittelbar abgelauschter Einzelheiten von bald tief erschütternder Tragik, bald herzerquickendem Humor entschädigt.

Wie Freytag selbst in der „Verlorenen Handschrift“ das Musterbild eines ernsten, treuen, nur der Wahrheit in der Wissenschaft ergebenen Gelehrten mit nie verlöschenden Farben gemalt hat, so ist er auch in seinem wissenschaftlichen Bestreben stets bemüht gewesen, die tiefste Wahrheit in der schönsten Form darzustellen. Mit genialem Blick erkannte er zuerst die reale Herrlichkeit des deutschen Mittelalters und der Reformationszeit, jene erstere himmelweit entfernt von dem phantastischen Zerrbilde, das unsere Romantiker einst daraus gemacht. Die „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“ gehören, sowohl was Ernst und Gründlichkeit der Forschung, als was Plastik und Ebenmaß der Darstellung betrifft, zum Schönsten, was die deutsche Kulturgeschichtschreibung hervorgebracht hat.

Es erscheint kaum glaublich, wie Freytag es zu Stande bringen konnte, mit dem emsigen, die Dinge im Lichte des Ideals verklärenden poetischen Schaffen, mit der gründlichen wissenschaftlichen Forschung die Leichtigkeit und stete Schlagfertigkeit des Journalisten zu vereinigen, dessen Schriften nur für den Tag, nur für die augenblickliche Wirkung auf die große Masse berechnet sind. Und doch begreifen wir das, wenn wir seine zweiundzwanzig Jahre lange Thätigkeit als Leiter der „Grenzboten“ überschauen. Welche erstaunliche Fülle politischer und litterarischer Einsicht, welche tiefe Gedanken liegen in den schneidigen Leitartikeln aufgespeichert, die er für dieses Blatt geschrieben! Ihm fehlte die niederschmetternde Gewalt der Rhetorik eines Görres, die tödtende satirische Schärfe eines Börne, aber kein deutscher Journalist verstand so herzlich, klar und überzeugend zum Volke zu sprechen, wie Freytag. Ein Mann, der so verschiedenartige, auf den ersten Anschein einander fast ausschließende Vorzüge in sich vereinigt, verdient, daß ihm sein Volk mit freudiger Begrüßung huldige, still und Jeder für sich, wenn er selbst in jener stolzen Bescheidenheit, die immer einen seiner schönsten Züge bildete, jede laute und lärmende Feierlichkeit zurückweist![1] C. Alberti. 



  1. Die „Gartenlaube“ brachte im Jahrgang 1871, S. 410, in dem Artikel „Ein Bild aus der deutschen Gegenwart“ eine Charakteristik des Dichters und ein Portrait, das uns Freytag in seiner vollen Manneskraft vorführt. – Eine ausführliche Darstellung des Lebensganges Freytag’s und der Bedeutung seiner Werke enthält das Buch: „Gustav Freytag. Sein Leben und Schaffen von Conrad Alberti. 2. verb. Auflage, Leipzig 1886.“ D. Red.