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Grätz in Steyermark

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CCXXXII. Burg Altenstein in Franken Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCXXXIII. Grätz in Steyermark
CCXXXIV. Der Juggernath-Tempel zu Pooree in Orissa
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GRÄTZ

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CCXXXIII. Grätz in Steyermark.




Eine Reise von Wien nach der reizenden Hauptstadt Steyermarks ist eine wahre Wallfahrt im Heiligthume der Natur. Zuerst zeigt sie des gesegneten Oesterreichs üppigste Gegenden, dann thun die Alpenlandschaften Steyermarks sich auf. Schon von St. Pölten aus beginnt ein Wettlauf des Schönen. Mannichfaltig entwickeln sich die Formen der Berge, Hügel und Gehölze; es wechseln Felder und Auen, enge Gründe und breite Thäler. Bald führt die Straße in Krümmungen neben Waldströmen hin, an welchen Mühlen klappern, Hammerwerke pochen und Schmelzhütten leuchten; bald übersteigt sie vortretende Gebirgsjoche; bald schreitet sie auf Viadukten und Brücken über Abgründe und Schluchten, auf derem Boden ungestüme Bäche rauschen.

In dem Cyklus von Landschaftsgemälden, welche das Unterwegs von Wien nach Grät schmücken, gebührt der Gegend von Maria Zell unbestritten der Preis. Zwischen lachenden Gebirgsthälern und fernen, beschneieten Alpen, steigen alle Straßen, welche nach jenem berühmtesten Wallfahrtsorte Oesterreichs führen, aufwärts, und indem sie die reinern Regionen des Aethers durchschneiden, stimmen sie die Seele empfänglicher für das Vergessen des Irdischen und für Andacht. Wenn der Mensch himmelwärts steigt, denkt er leichter an den Himmel. Das wußten schon die ältesten Menschen, und darum bauten sie ihre ersten Altäre und Tempel auf den Höhen.

Nach langem, langem Steigen schieben sich endlich die Massen aus einander. Sieben in weitem Halbkreise neben einander stehende Bergkegel mit glänzenden Firsten breiten, wie ein Candelabar, ihre Arme den Pilgerschaaren entgegen. Zell, das Haus der Gebenedeieten, liegt an ihrem Fuße.

[130] Es ist eine große, prächtige Kirche, mit schimmerndem Kupferdache, von einem hübschen Dom und drei Thürmen überragt. Doch ist sie blos die äußere Hülle, das Gehäuse des eigentlichen Gnadenhauses. Dieses, ein kleiner Tempel von schwarzem Marmor, steht in der Mitte der Kirche. Er ist mit Silber gedeckt und mit schweren Goldstoffen behangen. Massiv von Silber sind die Thüren; von demselben Metall das Gitterwerk, mit Silber belegt die Wände. Das wunderthätige Bild der heiligen Jungfrau steht auf hohem Postamente, angethan mit weißem Atlas, auf welchem tausende von Edelsteinen funkeln. Auf dem Haupte trägt sie eine Krone von Rubinen und Diamanten. Ueber ihr, unter einem Dome von Silber, hängen goldene Lampen. Das Ganze macht auf Denjenigen, der sich in der höchsten Stimmung zur Andacht naht, einen unauslöschlichen Eindruck.

Aber auch die Gegensätze des Würdigen fehlen an diesem geweihten Orte nicht. Tausende von Votivbildern liegen, mit Staub und Schmutz bedeckt, ohne Ordnung umher; die Wände des Tempels sind mit Flittertand, mit silbernen, hölzernen und wachsernen Beinen und Armen, mit Krücken und andern dergleichen Opfergaben, in widerlichem Durcheinander, behangen, und innerhalb der Kirche hat die Habsucht ihre Waaren ausgelegt: Kreuze, Rosenkränze, Heiligenbilder, Votivsächelchen, Wachsstöcke, Kerzen etc. etc., und sie bietet sie den sich andachtsvoll Nahenden frech und zudringlich zum Kauf an. Man denkt beim Anblicke dieses Trödelkrams unwillkührlich an die Worte Christi: „Mein Haus ist ein Bethaus; ihr aber habt es zur Mördergrube gemacht!“

Dem Reinen ist Alles rein und dem wahren Gläubigen irrt auch der Wucherer nicht, der mit dem Geweiheten in des Herrn Hause Schacher treibt. Unzugänglich einem andern Gefühl, als dem der Zerknirschung, oder der beseligenden Andacht, liegen die Schaaren der Wallfahrer vor dem vergitterten, schimmernden Gnadenbilde auf den Knieen, oder sie küssen der Kirche heiligen Boden. Einige singen Hymnen, Andere beten laut, wieder Andere schlagen sich, stumm, aber die Lippen bewegend, voller Demuth die Brust. Man sieht allerlei Trachten und hört beten in vielerlei Sprachen. Böhmische Lobgesänge, ungarische Lieder, slavische Litaneien, deutsche Paternoster schallen durcheinander. Allem Volke scheint die Zunge gelöst, wie beim Bau von Babel, aber keines läßt sich von dem andern stören; Alle sind eins durch ein Gefühl, das der Andacht. Zuweilen öffnet ein Priester die silberne Gitterthur, und ein Strahl von dem schimmernden Bilde fällt beseligend auf das betende Volk. „Hosianna!“ hallt’s dann im Tempel; „Hosianna!“ antwortet die Menge draußen; „Hosianna!“ schallt’s von den Schaaren der Kommenden aus der Ferne wieder.

Man sagt, Niemand bewache den Schatz der Kirche. Wie dem auch seyn mag, gewiß ist, daß man niemals von einem Diebstahl gehört hat und der Glaube im Volke allgemein ist: jede frevelnde Hand würde gelähmt, welche sich in räuberischer Absicht dem Heiligthume nahe.

Die Zahl der Wallfahrer, welche, in großen Caravanen, aus allen Theilen des Kaiserstaats jährlich nach Maria-Zell pilgern, übersteigt 80,000.


[131] Von Mariazell geht die Straße abwärts durch tiefe Thäler, wo Bergwerke, Eisengießereien, Hütten- und Hammerwerke ein regsames Leben zeigen, den hohen Seeberg hinan, und von da zwischen Gebirgswüsten hin, in denen der Schnee bald in breiten Feldern aufgeschichtet ist, bald sich in langen Streifen an den dunkeln Granitrücken niederschlängelt. Es ist hier schon vollkommene Hochalpenwirthschaft. Mehre Sennhütten liegen auf den grünen Matten in geringer Entfernung vom Wege, und das Geläute der weidenden Heerden, das melodisch durch die Gebirge forttönt, die Wolken, die unter dem Reisenden an den Bergen hinziehen und wie eine graue Scheidewand die niedrigere Erde von den reinen Regionen, in denen er wandelt, und dem lichtblauen Himmel trennen, wiegen ihn in süße Träume von Ruhe und Abgeschiedenheit. Doch bald geht’s wieder bergunter, und die Hammerwerke des Seebacher Grundes wecken den Träumer in’s thätige Leben zurück. Das tiefe Thal wird bei Terl, zwei Posten von Grätz, zur Schlucht, die ihre Felswände so eng zusammenrückt, daß nur für den wilden Waldstrom und die Kunststraße Raum bleibt. Immer abwärts windet sie sich bis Bruck, der letzten Station, und von da bis Gratwein zeigt sie noch einmal alle Schönheit der Felsennatur. An zum Theil senkrechten Wänden, welche die Zeit mit Moos und Schlingpflanzen bekleidete, rieseln hier und da Quellen herab, und an mehren Stellen ist das Gestein tief ausgehöhlt und zu Grotten gebildet. An einer Stelle ist die Straße durch den Felsen gesprengt und macht einen Hohlweg. Dumpf rollt der Wagen auf glattem Felsengrunde hin, den alte Eichen von hoher Bergwand überschatten und plötzlich bricht, bei einer Wendung des Weges, der Blick in ein weites, fast rundes Thal, aus dessem Mitte sich der Grätzer Schloßberg erhebt, und an dessem Abhang siehst du die Stadt selbst, dein Ziel.

Der Bergkessel, von welchem Grätz umschlossen wird, ist ein wahrer Zauberkreis, in welchem die freigebige Natur Schönheiten der mannichfaltigsten Art versammelte. Schlängelnd durchzieht ihn die Mur, wie ein vielgewundenes Silberband, an welches sich Mühlen und Fabriken, Gärten und Landhäuser, Kornfelder, Triften mit Baumgruppen, bunte Wiesen und Rebenhügel reihen. Außerhalb des Kreises machen ein paar einzelne Berge gleichsam die Wacht und auf mehren stehen alte Burgen, oder blinken Kapellchen. Aber tiefer im Hintergrunde steigen die Bergterrassen empor, wie die Wellen eines sturmgepeitschten Meeres, bis sich der Blick in die Gletscherwelt der Hochalpen verliert. So blickt der innere Mensch über das bunte Erdenleben hinaus in die Ewigkeit. –


Grätz ist römischer Gründung. Es theilte das Schicksal der meisten Römercolonien dieser Gegenden, wurde in der Völkerwanderung zerstört und erscheint erst im 9. Jahrhunderte wieder als Stadt. Ihre vortheilhafte Lage im Mittelpunkte des Steyerischen Landes erhob sie, als dieses seine eigenen Fürsten bekam, im 11. Jahrhundert, zur Residenz und Hauptstadt. Nach dem Aussterben des Herzogsgeschlechts, mit Ottokar dem Sechsten, kam das Land an Oesterreich. – Gegenwärtig ist die Stadt eine der schönsten und freundlichsten in Deutschland, und sie zählt in 2700 meistens wohl gebauten Häusern über 40,000 Bewohner. Die eigentliche, die alte Stadt, ist theils durch den Strom, [132] theils durch das Glacis der ehemaligen, jetzt in Promenaden verwandelten Festungswerke, von ihren Vorstädten geschieden.

Ein hoher Grad von Bildung ist unter den mittlern und höhern Ständen allgemein verbreitet. Wenige Orte gleicher Größe werden aber auch eine so große Anzahl von Anstalten aufzählen können, die der Bildung und Erziehung recht eigentlich gewidmet sind. Die 1827 neuerrichtete Universität hat einige berühmte Lehrer, erfreut sich einer zunehmenden Frequenz, besitzt eine Sternwarte, ein vortreffliches physikalisches Cabinet und eine reichhaltige Bibliothek. Das Johanneum, eine ständische Stiftung, gibt Jedem, der sich unterrichten will, die reichsten Hülfsmittel an die Hand: man hat eine Auswahl der besten wissenschaftlichen Journale in mehren Sprachen, eine geordnete Geschäftsbibliothek von 15,000 Bänden, einen botanischen Garten, technische, naturhistorische und antiquarische Sammlungen. Hier werden von allen Ständen häufig besuchte Vorlesungen über Mineralogie, Zoologie, Botanik, Landwirthschaft und gewerbliche Chemie gehalten; auch besteht eine eigene Stiftung für öffentliche Vorträge über Vaterlandskunde und Geschichte, und eine musterhaft eingerichtete Leseanstalt setzt die neuesten und wichtigsten wissenschaftlichen Werke, sowohl deutsche, als ausländische, in Cirkulation.

Ferner befindet sich hier ein geistliches Seminar, ein Gymnasium, eine polytechnische Schule und eine Kunstakademie, mit welcher schöne Sammlungen von Gemälden, Kupferstichen, Handzeichnungen und Gypsabdrücken vereinigt sind; auch eine gut eingerichtete Cadettenschule und ein Militärknaben-Erziehungsinstitut. Die Menge mildthätiger Anstalten gibt eben so schöne Zeugnisse von dem Wohlthätigkeitssinn der Einwohner, als von dem humanen Geist der Regierung, welche diese Institute pflegt und reichlich unterstützt. Ich nenne unter vielen: das allgemeine Krankenhaus; die Gebär-, Findel-, Waisen- und Irrenhäuser; das Institut für die Versorgung verarmter, oder arbeitsunfähiger und altersschwacher Kaufleute und Handlungsdiener; eine Pensionsanstalt für Privatbeamte; ein Hospital für arme Dienstboten und Handwerksgesellen, und ein Mädchen-Krankenhaus, letzteres unter der Leitung der Elisabethiner-Nonnen. Handel und Industrie, getragen von der Bildung seiner Bewohner, blühen in Grätz ausnehmend, und an 11,000 Menschen finden in den hiesigen Fabriken etc. etc. ihren direkten Unterhalt. Mehre sind Anlagen in sehr großem Maßstabe, welche die Arbeiter zu Hunderten beschäftigen: z. B. die Kattun-, Tuch- und Wagenmanufakturen und die Zuckerraffinerien. Fünf Buch-, zwei Kunst- und Musikalienhandlungen und drei Buchdruckereien befördern den geistigen Verkehr.

Wie überall, so gibt es auch in Grätz einige Dinge, die Niemand ungesehen läßt, und die man in einer auch noch so kurzen Beschreibung ungern vermissen würde. Der erste Besuch des Fremden gilt gemeinlich der Domkirche, die einige gute Bilder und hübsche Skulpturen bewahrt. Dann dem Mausoleum, der Grabstätte Königs Ferdinand des Zweiten, ein merkwürdiges Werk der Baukunst in korinthischem Styl, mit seinen 2 schönen, von vergoldetem Kupfer überdeckten Kuppeln. Ein angebauter hoher Thurm verunstaltet mehr, als er ziert. Die [133] Königsgruft ist prachtvoll geschmückt; man steigt, bei Fackelschein, auf Marmortreppen hinab. Ferdinand mit seiner Gemahlin und seinem Sohne ruhen in Sarkophagen von röthlichem Jaspis. Ueber dem Ferdinand’s liest man die prophetischen Worte: SEMEN EIUS HAEREDITABIT TERRAM! – Die Burg, die alte Residenz der Herzöge, ist ein unermeßliches Gebäude mit 4 Höfen; nahe dabei sieht man den Tummelplatz, jetzt ein Markt, wo die steyerischen Ritter einst ihre Turniere hielten. Im Landhaus (für die steyerischen Stände), befinden sich die uralten Insignien, der Herzogshut, Mantel, Sporen und der goldene Pokal aufbewahrt. – Das Rathhaus, der gräflich Attem’sche Pallast, das sogenannte Conviktgebäude, das größte in der ganzen Stadt, sind sehenswerth. Außerhalb Grätz ist der Schloßberg mit seinen Visten, herrlichen Anlagen und den malerischen Ruinen der Citadelle, aus welcher blos noch ein hoher Thurm, wohlerhalten, hervorragt, derjenige Punkt, welcher zunächst anzieht; etwas entferntere sind Schloß Gösting, auf hohem Kalkfelsen mit herrlicher Aussicht; Schloß Eggenberg; die Kapellen und Klöster Reine, Straßengel, St. Martin, Klause Maria Grün, Maria Straßgang und Maria Trost; letzteres, nach Maria Zell, der besuchteste Wallfahrtsort des Landes.