Goethe’s Servilismus
[624] Goethe’s Servilismus. Man wirft Goethe stets vor, er sei nur Fürstendiener gewesen und es habe ihm der Muth einer selbstständigen Stellung gefehlt. Das ist durchaus falsch. Goethe blieb selbst seinem fürstlichen Freunde Karl August gegenüber stets der stolze Frankfurter Patriciersohn, der sich dem Fürsten ganz gleich stellte und sich nicht scheute, die Wahrheit rund herauszusagen, wenn es galt.
Es handelte sich im Jahre 18.. darum, einen Orientalisten nach Jena zu rufen. Neue Besetzungen pflegte Goethe vorsichtig zu bedenken, auch nie ohne abwägenden Bericht an den Großherzog und aufmerksames Vernehmen seiner Absichten bestimmte Schritte zu thun. Hatte er sich aber einmal, auf solche Befugniß gestützt, entschieden, dann gab er nachträglichen Einmischungen von anderer Seite her keinen Zoll breit nach. So hatte er denn, nach Rücksprache mit dem Fürsten, bereits von Jena aus, wo er sich gerade befand, die Berufung eines Orientalisten eingeleitet, als Karl August auch nach Jena kam und in einem Gespräch mit dem Geh. Hofrath Stark Eindrücke schöpfte, die ihm die Berufung einen Andern mehr zu empfehlen schienen. Der Großherzog speiste hierauf im Schlosse mit Goethe und einem Dritten. Nach Tische nahm er Goethen in ein Fenster und brachte die Unterhaltung leise auf die Berufungsfrage. Anfangs ging Goethe sehr diensam auf alles ein, indem er aber die Vorstellungen, die dem Großherzog mitgetheilt waren, hindurch merkte, wurden seine Entgegnungen immer bestimmter und schärfer. Endlich sagte der Großherzog: „Du bist ein närrischer Kerl, Du kannst keinen Widerspruch vertragen.“ „O ja, mein Fürst,“ antwortete Goethe, „aber er muß verständig sein.“ Karl August ging einmal das Zimmer entlang, dann trat er wieder an’s Fenster zu Goethe und führte das Gespräch ruhig zu Ende.
Wie ehrend für Fürst und Diener.