Zum Inhalt springen

Gesicht (Tucholsky)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Kurt Tucholsky
unter dem Pseudonym
Kaspar Hauser
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gesicht
Untertitel:
aus: Die Weltbühne. Jg. 20, Nr. 27 vom 3. Juli 1924, II, S. 33-34, [Rubrik: Bemerkungen]
Herausgeber: Siegfried Jacobsohn
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 3. Juli 1924
Verlag: Verlag der Weltbühne
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Wikimedia Commons
Kurzbeschreibung:
Gesicht aus Das Lächeln der Mona Lisa, 1929
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]

[33]

Gesicht

Ein ziemlich gedrungener Kopf, keine allzu hohe Stirn, kühle kleine Augen, eine Nase, die gern trinkt, ein Mund, der kalt befiehlt, und eine unangenehme Zahnbürste, die den Schnurrbart macht: so sieht dieses Gesicht aus. Ein gut fundierter schwarzer Rock, eine mäßig geschlungene Krawatte mit einer Art Perle darin, ein immer sauberer Kragen — das ist auch noch zu sehen. Das Haar ist an den Ohren kurz geschnitten, militärisch kurz — der ganze Mann ist sicherlich sauber, putzt sich morgens die Fingernägel, rasiert sich oder läßt sich rasieren.

Schon als junger Mensch drängelte er sich, nicht allzu interessiert, durch die Türen der Kollegsäle; seine Mama sagte: „Hubert, wann kommst du heute nach Hause?“ — und er gab nicht allzu freundlich Auskunft. Büffelte. Bestand Examina. Wurde aufgerufen: „Hubert soundso …“ Und dann stand er auf, ein bißchen unterwürfig, ein bißchen angstvoll, nicht sehr aufgeregt, kalt eigentlich. Trat in den Staatsdienst, im Jahre …, bei …, rückte rasch auf.

Lange Vormittage mit schwierigen Aktenarbeiten, mit leeren Pausen, wo das Frühstück aus der Aktentasche genommen wurde — darin lag auch ein Brief, der ärgerlich war, und einer, der für den Abend eine kleine außerdienstliche Freude verhieß. Im übrigen: kalt bis ans Herz hinan. Ab und zu mal ein Buch gelesen, das nicht zur Sache gehörte — einmal Spengler versucht, dolles Zeugs —, mit der Briefschreiberin zu Hardts ‚Tantris‘ gegangen. Sehr poetisch. In der Pause: „Möglicherweise werde ich in diesen Tagen in die andre Abteilung versetzt. Na, Gott sei Dank …“

Im Kriege Kompagnieführer. Unerbittlich, kalt. Kalt wie zu den Kanzleidienern, die sich nicht wehren konnten, kalt zu den jungen Assessoren — „Habe das auch mal durchmachen müssen!“ —, kalt zur Welt, kalt zu Gott. Verheiratet. Hat zwei Kinder. Liebt sie auf seine Weise. Lacht gern mal, abends, über einen dicken Witz, weiß noch drei Wirtinnenverse, die andern sind leider vergessen. Ist felsenfest von der Richtigkeit des Staatsgefüges, der Rechtsprechung, der Kirche und der allgemeinen sittlichen Grundlagen überzeugt. Hat auch weiter nicht darüber nachgedacht. Sieht gar nicht schlecht aus, wenn er am Schreibtisch sitzt und sich, beim Ordnen der vielen Aktenstücke, einmal kurz räuspert … Ist doch wer. Fühlt sich in völliger Harmonie mit Land, Majorität und Volksgemeinschaft. Liebt den preußischen Adel nicht übermäßig —: ist ihm unangenehm. Ist aber tadellos korrekt und höflich, durchaus kleiner Bürgerlicher, nach oben. Nach unten: selber Adel.

[34] Repräsentiert. Macht Karriere. Wird wohl nächstens irgendein großes Tier werden, Gesandter, Ministerialdirektor, Staatssekretär, was weiß ich.