Gesetz, betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken
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(Nr. 2026.) Gesetz, betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken. Vom 20. April 1892.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.
verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:
§. 1.
- Die nachbenannten Stoffe, nämlich:
- lösliche Aluminiumsalze (Alaun und dergl.),
- Baryumverbindungen,
- Borsäure,
- Glycerin,
- Kermesbeeren,
- Magnesiumverbindungen,
- Salicylsäure,
- unreiner (freien Amylalkohol enthaltender) Sprit,
- unreiner (nicht technisch reiner) Stärkezucker,
- Strontiumverbindungen,
- Theerfarbstoffe,
- oder Gemische, welche einen dieser Stoffe enthalten, dürfen Wein, weinhaltigen oder weinähnlichen Getränken, welche bestimmt sind, Anderen als Nahrungs- oder Genußmittel zu dienen, bei oder nach der Herstellung nicht zugesetzt werden.
§. 2.
- Wein, weinhaltige und weinähnliche Getränke, welchen, den Vorschriften des §. 1 zuwider, einer der dort bezeichneten Stoffe zugesetzt ist, dürfen weder feilgehalten, noch verkauft werden.
- Dasselbe gilt für Rothwein, dessen Gehalt an Schwefelsäure in einem Liter Flüssigkeit mehr beträgt, als sich in zwei Gramm neutralen schwefelsauren Kaliums [598] vorfindet. Diese Bestimmung findet jedoch auf solche Rothweine nicht Anwendung, welche als Dessertweine (Süd-, Süßweine) ausländischen Ursprungs in den Verkehr kommen.
§. 3.
- Als Verfälschung oder Nachmachung des Weines im Sinne des §. 10 des Gesetzes, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genußmitteln und Gebrauchsgegenständen, vom 14. Mai 1879 (Reichs-Gesetzbl. S. 145) ist nicht anzusehen:
- 1. die anerkannte Kellerbehandlung einschließlich der Haltbarmachung des Weines, auch wenn dabei Alkohol oder geringe Mengen von mechanisch wirkenden Klärungsmitteln (Eiweiß, Gelatine, Hausenblase und dergl.), von Kochsalz, Tannin, Kohlensäure, schwefliger Säure oder daraus entstandener Schwefelsäure in den Wein gelangen; jedoch darf die Menge des zugesetzten Alkohols bei Weinen, welche als deutsche in den Verkehr kommen, nicht mehr als ein Raumtheil auf 100 Raumtheile Wein betragen;
- 2. die Vermischung (Verschnitt) von Wein mit Wein;
- 3. die Entsäuerung mittelst reinen gefällten kohlensauren Kalks;
- 4. der Zusatz von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder Invertzucker, technisch reinem Stärkezucker, auch in wässeriger Lösung; jedoch darf durch den Zusatz wässeriger Zuckerlösung der Gehalt des Weines an Extraktstoffen und Mineralbestandtheilen nicht unter die bei ungezuckertem Wein des Weinbaugebiets, dem der Wein nach seiner Benennung entsprechen soll, in der Regel beobachteten Grenzen herabgesetzt werden.
§. 4.
- Als Verfälschung des Weines im Sinne des §. 10 des Gesetzes vom 14. Mai 1879 ist insbesondere anzusehen die Herstellung von Wein unter Verwendung
- 1. eines Aufgusses von Zuckerwasser auf ganz oder theilweise ausgepreßte Trauben;
- 2. eines Aufgusses von Zuckerwasser auf Weinhefe;
- 3. von Rosinen, Korinthen, Saccharin oder anderen als den im §. 3 Nr. 4 bezeichneten Süßstoffen, jedoch unbeschadet der Bestimmung im Absatz 3 dieses Paragraphen;
- 4. von Säuren oder säurehaltigen Körpern oder von Bouquetstoffen;
- 5. von Gummi oder anderen Körpern, durch welche der Extraktgehalt erhöht wird, jedoch unbeschadet der Bestimmungen im §. 3 Nr. 1 und 4.
- Die unter Anwendung eines der vorbezeichneten Verfahren hergestellten Getränke oder Mischungen derselben mit Wein dürfen nur unter einer ihre Beschaffenheit erkennbar machenden oder einer anderweiten, sie von Wein unterscheidenden Bezeichnung (Tresterwein, Hefenwein, Rosinenwein, Kunstwein oder dergl.) feilgehalten oder verkauft werden. [599]
- Der bloße Zusatz von Rosinen zu Most oder Wein gilt nicht als Verfälschung bei Herstellung von solchen Weinen, welche als Dessertweine (Süd-, Süßweine) ausländischen Ursprungs in den Verkehr kommen.
§. 5.
- Die Vorschriften in den §§. 3 und 4 finden auf Schaumwein nicht Anwendung.
§. 6.
- Die Verwendung von Saccharin und ähnlichen Süßstoffen bei der Herstellung von Schaumwein oder Obstwein einschließlich Beerenobstwein ist als Verfälschung im Sinne des §. 10 des Gesetzes vom 14. Mai 1879 anzusehen.
§. 7.
- Mit Gefängniß bis zu sechs Monaten und mit Geldstrafe bis zu eintausendfünfhundert Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft:
- 1. wer den Vorschriften der §§. 1 oder 2 vorsätzlich zuwiderhandelt;
- 2. wer wissentlich Wein, welcher einen Zusatz der im §. 3 Nr. 4 bezeichneten Art erhalten hat, unter Bezeichnungen feilhält oder verkauft, welche die Annahme hervorzurufen geeignet sind, daß ein derartiger Zusatz nicht gemacht ist.
§. 8.
- Ist die im §. 7 Nr. 1 bezeichnete Handlung aus Fahrlässigkeit begangen worden, so tritt Geldstrafe bis zu einhundertfünfzig Mark oder Haft ein.
§. 9.
- In den Fällen des §. 7 Nr. 1 und §. 8 kann auf Einziehung der Getränke erkannt werden, welche diesen Vorschriften zuwider hergestellt, verkauft oder feilgehalten sind, ohne Unterschied, ob sie dem Verurtheilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung oder Verurtheilung einer bestimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbständig erkannt werden.
§. 10.
- Die Vorschriften des Gesetzes vom 14. Mai 1879 bleiben unberührt, soweit die §§. 3 bis 6 des gegenwärtigen Gesetzes nicht entgegenstehende Bestimmungen enthalten. Die Vorschriften in den §§. 16, 17 des Gesetzes vom 14. Mai 1879 finden auch bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes Anwendung.
§. 11.
- Der Bundesrath ist ermächtigt, die Grenzen festzustellen, welche
- a) für die bei der Kellerbehandlung in den Wein gelangenden Mengen der im §. 3 Nr. 1 bezeichneten Stoffe, soweit das Gesetz selbst die Menge nicht festsetzt, sowie
- b) für die Herabsetzung des Gehalts an Extraktstoffen und Mineralbestandtheilen im Falle des §. 3 Nr. 4
- maßgebend sein sollen. [600]
§. 12.
- Der Bundesrath ist ermächtigt, Grundsätze aufzustellen, nach welchen die zur Ausführung dieses Gesetzes, sowie des Gesetzes vom 14. Mai 1879 in Bezug auf Wein, weinhaltige und weinähnliche Getränke erforderlichen Untersuchungen vorzunehmen sind.
§. 13.
- Die Bestimmungen des §. 2 treten erst am 1. Oktober 1892 in Kraft.
- Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
- Gegeben im Schloß zu Berlin, den 20. April 1892.