Zum Inhalt springen

Geschichte der griechischen Sprache

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Geschichte der griechischen Sprache
Untertitel:
aus: Vorlage:none
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 1927
Erscheinungsdatum: 1928
Verlag: Weidmannsche Buchhandlung
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

Den Vortrag Geschichte der griechischen Sprache hielt der 78-jährige Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff am 27. September 1927 auf der Göttinger Philologenversammlung. Er stellt den damaligen Stand der Historischen Sprachwissenschaft, der Klassischen Philologie und der erst einsetzenden Neugriechischen Sprachforschung in kritischer Weise dar. 1928 erschien der Vortrag als schmales Bändchen bei der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin. Das vorliegende Exemplar stammt aus der Bibliothek des Seminars für Klassische Philologie der Universität Göttingen mit der Signatur IV W 375.

Editionsrichtlinien

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Worttrennungen am Zeilenende werden ignoriert. Am Seitenende getrennte Wörter werden auf der Seite vollständig aufgeführt, auf der sie beginnen.
  • Alle redaktionellen Texte dieses Projektes stehen unter der Lizenz CC-BY-SA 2.0 Deutschland.

Inhalt

[1]
GESCHICHTE DER
GRIECHISCHEN SPRACHE
VORTRAG
GEHALTEN AUF DER PHILOLOGENVERSAMMLUNG
IN GÖTTINGEN 27. SEPTEMBER 1927


VON
ULRICH v. WILAMOWITZ-MOELLENDORFF


BERLIN
WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG
1928

[2] Druck von C. Schulze & Co., G. m. b. H. in Gräfenhainichen.

[3] Meine Herren!

Wenn ich heute noch ein letztes Mal vor Sie trete, so setze ich gewissermaßen einen Vortrag fort, den ich vor fünfzig Jahren auf der Philologenversammlung in Wiesbaden gehalten habe. Damals behandelte ich die Entstehung der attischen Literatursprache, nicht unrichtig, aber unzureichend. Der Anfänger hatte etwas gesehen und wähnte, damit wäre alles klar. Heute sehe ich weiter, aber ich gebe keine neuen Resultate, sondern versuche, künftiger Forschung Probleme zu zeigen. Es muß wohl so sein, daß der wissenschaftliche Forscher erst dann recht erkennt, was getan werden kann und soll, wenn er selbst nicht mehr Hand anlegen kann.

Die griechische Sprache lebt noch heute. Gerade jetzt wird ein leidenschaftlicher Kampf um die Bildung einer neuen Schriftsprache geführt, während namentlich die Kirche zäh an einem Griechisch festhält, das beinahe zweitausend Jahre alt ist und selbst damals der gesprochenen Rede nicht mehr entsprach. Wir haben den Vorteil davon, daß wir griechische Bücher und Zeitungen (aber keine Gedichte) ohne weiteres lesen können, aber es ist doch dasselbe, wie wenn die Schriftsprache der romanischen Völker noch immer lateinisch sein sollte, wie sie es in der päpstlichen Kurie immer noch ist. Wie sich der Ausgleich zwischen καθαρεύουσα und χυδαία gestalten wird, steht dahin. Es ist aber ein rühmliches Zeichen für das zugleich wissenschaftliche und nationale Streben der Griechen, daß sie die lebenden Dialekte ihrer Sprache sorgfältig aufnehmen und ein großes [4] Lexikon vorbereiten, das auch für die alte Sprache wichtig sein wird, denn es haben sich einzeln alte Wörter erhalten und manches in unserer Überlieferung vereinzelte oder ganz verschollene findet so seine Erklärung[1].

Die Griechen haben unter Augustus den verhängnisvollen Weg der sprachlichen Reaktion eingeschlagen, als ihre Nation unfrei, materiell und geistig verarmt in dem Zurückgreifen auf die Sprach- und Stilformen ihrer großen, drei Jahrhunderte zurückliegenden Vergangenheit das Heil sah. Das ist nur eine, aber die sinnfälligste Erscheinung der allgemeinen Umkehr des hellenischen Geistes. Es ist nicht zu leugnen, daß ein neuer Aufstieg erfolgte, und es hat seinen besonderen Reiz zu beobachten, wie der Archaismus nach hundert Jahren sich rühmen darf, das Ziel erreicht zu haben, und doch die Individualität einzelner Talente sich innerhalb der Schranken des künstlichen Attisch durchzusetzen vermag. Erreicht ist es durch die Grammatiker und die Schule, denn es ist nicht zu bezweifeln, daß die alten Formen gleich mit dem elementarsten Unterrichte eingeprägt wurden, der fast verschollene Optativ, selbst im Futurum, Präpositionen, die den Dativ regieren (sogar ἀμφί und μετά), und der Dual. Papyri zeigen, wie die Schüler sich die Paradigmen aufschreiben müssen. Von ungeheuerer Bedeutung wird die durchaus archaistische Regelung der Orthographie durch Herodian, die in unseren Handschriften sämtliche Texte reguliert hat. Es ist sehr glaublich, daß Plutarch ει für das lange i geschrieben hat, recht viele das verstummte i fortließen. Wir sind dem Herodian dankbar, weil uns am meisten an den Klassikern liegt, aber seine Tendenz sollen wir nicht verkennen, und er hat auch Fehler [5] gemacht, z. B. das ει auch in Wörtern wie ἔτεισα, μείγνυσθαι, Φλειοῦς vertrieben, wo es berechtigt war. Auch auf die Aussprache wird der Grammatiker gehalten haben; es ist grundverkehrt, die gebildete Sprache nach dem Geschreibsel illiterater Papyri oder nach dem Böotischen zu beurteilen. Quintilian kennt das griechische y, mit dem οι erst ganz allmählich zusammenfällt, und η ist durchaus nicht i. Mit dem Verfall der Grammatik und der Schule, der seit dem 4. Jahrhundert zu bemerken ist, geht es rasch abwärts. Der Wortschatz erhielt sich viel besser, denn da gab es reiche Onomastika, wie sie seit Tryphon geschrieben wurden. Natürlich haben Halbgebildete wie der Astrologe Vettius Valens eine Menge Vulgarismen eingemischt, aber das Verhältnis ist doch ganz anders als in der hellenistischen Zeit, denn er möchte die gebildete Kunstsprache schreiben, er kann es nur nicht. Allein in den Reden Epiktets, wie sie der treue Arrian stenographiert hat, hören wir einigermaßen, wie damals ein gebildeter Mann im Leben sprach[2], im ganzen können wir die Umgangssprache, das colloquial Greek, der Kaiserzeit schlechterdings nirgend fassen[3], auch nicht in der nachpaulinischen Schriftstellerei der Christen. Da ist zunächst manches, das auf der Stufe des Vettius Valens steht, aber sobald gebildete Christen schreiben, folgen sie der Kunstsprache, und so ist die Kirche die Hüterin des Klassizismus geworden. Stilunterschiede gibt es natürlich. [6] Origenes spricht in seinen Predigten schon ganz anders als Epiktet, und ich glaube doch zu bemerken, daß er sich in ihnen zu seinen Hörern herabläßt, denn die Bücher gegen Celsus halten sich in einer ganz anderen Höhenlage. Die Rhetorik, von der Clemens starken Gebrauch macht, hat Origenes freilich immer verschmäht. Gerade in ihr kommt bald nach ihm eine Richtung auf, die insofern modern ist, als sie der Veränderung der Betonung, dem exspiratorisch gewordenen Akzente Rechnung trägt, und das kommt nach Überwindung des antiochenischen Attizismus zur Herrschaft und wirkt stark auf die Wortstellung und damit auf den Satzbau ein. Nuancen der Wortbedeutung machen sich fühlbar, papierne Neubildungen werden häufig und kontrastieren übel mit längst verschollenen, auch wohl poetischen Vokabeln, aber das Schriftbild bleibt durch die Jahrhunderte dasselbe, obwohl der Klang der gelesenen Rede ganz verschieden geworden ist. Konnten Hexameter, wie sie der Silentiar Paulus in der Sophienkirche vor dem Hofe Justinians vortrug, überhaupt noch wie Hexameter klingen? Doch nur darum, weil man die Hexameter Homers ebenso sprach und ihren wahren Rhythmus ebensowenig fühlte, wo denn die nonnischen Kadenzen dem Ohre wohlgefälliger sein mußten[4].

Von allen den Jahrhunderten seit Augustus will ich gar nicht reden. Da ist die Sprache, welche die Literatur schreiben will, Nachahmung einer als klassisches maßgebendes Vorbild anerkannten Form. Es wird nun für die Prosa durchgeführt, was für die Poesie längst anerkannt war, eigentlich von Anfang an. Denn Homer schreibt bereits eine sehr künstliche Literatursprache, die er hat lernen [7] müssen. Nur durch lange Übung konnte sie sich aus zwei recht verschiedenen Dialekten bilden, und das Epos, wie wir es lesen, verwendet Formen und Wörter, die im Leben längst nicht mehr galten, und daneben entschlüpfen den Dichtern unwillkürlich jüngere Bildungen. Wir sind nun wohl so weit, daß wir beides auch nebeneinander gelten lassen. Nun aber ist diese Literatursprache da, früher da, als es Lesebücher gibt, und tausend Jahre lang ist jeder, der epische oder elegische Verse macht, gehalten, sich ihrer zu bedienen. Hesiodos von Askra so gut wie der Silentiar Paulus. Wo sich individuelle Kunst in der Behandlung der epischen Sprache betätigt, bei Empedokles oder Theokrit, Nikander oder Nonnos, wird der Abstand von der lebendigen Sprache nur immer größer. Das Epos ließ meistens noch einige Freiheit. Dagegen wer nach Euripides tragische Verse macht, der ist an seine Sprache und seinen Stil schlechterdings gebunden, wer komische Verse macht, ebenso an Menander. Hier ist denn auch der Erfolg gewesen, daß nichts von bleibender Bedeutung mehr entstand. Auch die chorische Lyrik hatte bereits Ansätze zu einer allgemeinen Kunstsprache gemacht, aber erst so wie sie die attischen Tragiker abgetönt hatten, scheint sie weiter in Gebrauch geblieben zu sein, wieder ohne daß die Nachahmung etwas Bleibendes schuf. Das sind drei oder vier Sprachen und Stile, die wir alle lernen und sorgfältig auseinander halten müssen; es rächt sich schwer, wenn der Textkritiker sie vermischt. Das muß man im Auge behalten, um gegen die klassizistische Reaktion der Caecilius und Dionysios nicht ungerecht zu werden. Denn neben der verhängnisvollen Einseitigkeit, die auf jeden Fortschritt verzichtet und das Leben vergewaltigt, liegt darin derselbe künstlerische Wille, der das, was eine absolute Vollkommenheit erreicht hat und darum ewig vorbildlich bleibt, festhalten will, gleich als ob Nachahmung das Original erreichen könnte. Es ist [8] aber sehr zu beherzigen, daß Aristoteles diesen Standpunkt vertritt, wenn er sagt, daß die Tragödie einmal ἔσχε τὴν ἑαυτῆς φύσιν, daß sie einmal geworden ist, was sie sein kann und sein soll. Dann muß sie auch so bleiben. Und wenn Platons Staat einmal verwirklicht ist, kann und darf es auch keinen Fortschritt geben. Es ist das im tiefsten Wesen der Hellenen begründet und gehört daher zusammen, das Streben nach Stil, nach Harmonie und Schönheit, und dies Ausruhen und sich bei der erreichten Vollkommenheit Bescheiden, wo es denn kein Fortschreiten gibt. τέλος ist das Ziel, die Vollendung, aber es ist auch das Ende[5].

Jeder weiß, wie stark diese eingeborne hellenische Art sich auch in den bildenden Künsten fühlbar macht, in wie weitem Umfange Architektur und Skulptur bei dem Variieren und Kopieren klassischer Vorbilder beharrt, und auch das Lehrbuch des Architekten Vitruv ist von diesem Geiste belebt. Allein das neue Leben der Kaiserzeit stellte der Baukunst neue Aufgaben und trieb so zu neuen großen Lösungen; es kommt auch in die anderen Künste, soweit sie der Gegenwart dienen, ein neuer Geist. Da darf man aber weder von römischer noch von griechischer Kunst reden, denn es ist Reichskunst, und das Reich mit seiner Kultur ruht auf beiden Nationen, der italischen (durchaus nicht der römischen) und der hellenischen. Weil sich in dieser der nur äußerlich hellenisierte orientalische Geist allmählich vordrängte, ist es schließlich zu Neubildungen in Staat und Glauben gekommen, ist dem auch die Kunst gefolgt. Bei den Byzantinern zeigt sich wiederum die Kanonisierung eines als vollkommen anerkannten Vorbildes und dementsprechend die Erstarrung.

[9] Unsere geschichtliche Forschung erkennt mit dem ewigen Wechsel des Lebens auch die Erscheinungen an, in denen abstrakte Würdigung Entartung sieht, aber reizen werden sie vor allem die schöpferischen Zeiten, wenn frischer Wagemut tastend und strauchelnd endlich doch den Weg zu dem findet, was der Nachwelt mit Recht den Stempel klassischer Vollendung zu tragen, also ewigen Wert zu besitzen scheint. Das ist hier die hellenische Literatursprache, oder vielmehr, wie wir sahen, die verschiedenen Sprachen. Das führt uns zurück in die dunkle Vorzeit, da die Hellenen überhaupt erst schreiben lernten. Freilich hat es kunstvoll geformte Rede schon viel früher gegeben. Der Zauberspruch, die Schwurformel (in Wahrheit eine Form des zauberischen Fluches), das Sprichwort, auch Formeln der Rechtssprache sind längst geprägt, und die Poesie hat, wie wir mit Zuversicht sagen dürfen, schon in indogermanischer Zeit Versformen gebildet, deren Nachwirkung in mehreren Sprachen fühlbar ist. Die epische Sprache, die wir erst in ihrer Vollendung kennen lernen, hatte eine Geschichte von Jahrhunderten hinter sich, als Homer schreibt, und er läßt seine Heroen nicht schreiben, weil ihre Standesgenossen, für die er dichtet, der schweren Kunst nicht mächtig sind. Ihm ist die Schrift also nur ein φάρμακον λήθης, wie Platon sie nennt. Aber lange vor ihm hat der unbekannte Wohltäter der Menschheit gelebt, der die von den Semiten entlehnte Buchstabenschrift zur Wiedergabe der Laute erst fähig machte, indem er entbehrliche Buchstaben für die fünf Vokale verwandte. Wo er lebte, ist noch nicht ausgemacht, aber es kann nicht in einem Winkel, sondern nur an einem Zentrum des Verkehrs geschehen sein. Diese Schrift hat sich sicherlich nicht rasch verbreitet und gemäß der Zersplitterung der Griechen mannigfache Veränderungen erfahren: erst die ionische Literatursprache hat sich auch in ihrer Schrift durchgesetzt, spät genug. Aber angewandt [10] hat man die Schrift sogleich viel weiter als es im Norden mit den Runen geschehen ist, nur schrieb man auf Holz und Leder; bis auf uns konnte sich etwas erst erhalten, als man auch Stein und Erz benutzte. Bücher konnte es erst geben, als Ägypten sein Papier hergab, was nicht erst geschehen ist, nachdem griechische Faktoreien im Delta errichtet waren. Wo immer man für praktische Zwecke zu schreiben anfängt, kann man gar nicht anders als schreiben wie man spricht. Das gilt von den Dichtern unter der Beschränkung, daß die homerische Literatursprache stark einwirkt, nicht nur direkt in Entlehnungen; aber Grundlage ist doch die eigene Sprache; selbst als sich; in der Chorlyrik, weil sie nicht nur für die eigenen Landsleute geübt wird, eine gewisse allgemeine Sprache ausbildet, klingt sie doch ganz verschieden, wenn der Dichter aus Keos oder aus Rhegion, aus Böotien oder aus Rhodos stammt. Dabei lesen wir die Gedichte meist erst so, wie sie außerhalb ihrer Heimat aufgezeichnet sind, und dürfen uns keine Illusion darüber machen, daß dadurch z. B. bei Pindar manche Trübungen entstanden sind[6]. Es ist daher berechtigt, daß unsere Grammatiker sich zunächst nur auf die Inschriften verlassen, und auch das war nur recht, daß dieses Vertrauen sich zuerst auf jeden Buchstaben erstreckte. Da wird freilich einigen Vorbehalt machen, wer mit den Steinen selbst praktisch zu wirtschaften gelernt hat. Das Schreiben war eine schwere Kunst, und wer die aufgemalten Inschriften der Vasen kennt, die unsere Corpora ausschließen, weiß, wie zahlreich, besser zahllos die Schreibfehler sind. Aber auch den Steinmetzen passieren manche Menschlichkeiten. Ein kleiner Strich zu wenig, und es sieht aus, als wäre [11] Dorophea und Aristonophos gemeint, was eine Zeitlang ein merkwürdiger Lautwandel schien. Ein Strich zu viel, und Zeus wird Xeus; wenn die Böoter mehrfach ihr Ε vierstrichig machen, so hat das kein Unheil angerichtet. Eine harmlose Umstellung zweier Buchstaben scheint eine merkwürdige Unform zu erzeugen[7]. Viele Zeichen haben in benachbarten Alphabeten eine verschiedene Form, da vergreift man sich gelegentlich; einem Lokrer kommt ein korinthisches S in den Grabstichel[8], das seine Landsleute als Μ lesen. Die Athener sind aus den Büchern mit ionischer Schrift an Zeichen gewöhnt, die zuhause noch nicht aufgenommen sind, da schreiben sie diese gelegentlich, aber was das Ω für einen Laut bezeichnet, ist ihnen unsicher: da steht es auch für das ο, welches wir mit ου wiedergeben. Die Korinther hatten versucht, zwei Ε-Laute in der Schrift zu unterscheiden; da braucht man nur die Pinakes anzusehen, um das Schwanken zu beobachten. Im südlichen Böotien schreibt man αε und οε oft für αι und οι; das greift über die Grenze, und auf der attischen Kroisosschale steht Κροεσος, in Korinth Περαεόθεν was doch nur graphische Bedeutung hat. Von der Wiedergabe der aspirierten und assibilierten Konsonanten will ich gar nicht reden; das erfordert eine zusammenfassende Untersuchung[9]. Wir werden [12] die Unterschiede der Schreibung in Landschaften, die im ganzen dieselbe Sprache reden, werden auch die Verschreibungen für die Aussprache zu verwerten versuchen, aber Einsicht in das Schriftwesen, zumal der mehr oder weniger illiteraten Landschaften und Schreiber, ist erfordert, um die Zeugnisse richtig zu werten; es erscheint nur zu leicht als lautliche Verschiedenheit, was doch nur graphisch ist. Selbst η und ει in Adverbien wie τῆδε und τεῖδε, ω und ου im Lakonischen und Korinthischen braucht gar nicht verschieden geklungen zu haben: erst die Schrift beherrscht später die Aussprache. Attisches ϑεῶν, wo es dorischem ϑεᾶν entspricht, klang von diesem nicht verschiedener als von dem maskulinen ϑεῶν.

Wir alle sind dankbar dafür, daß Fr. Bechtel sein großes Werk über die griechischen Dialekte noch vollendet hat, und bewundern die Gelehrsamkeit und den Scharfsinn, der bei jeder Form fragt, wie ist sie entstanden, bei jeder Glosse nach ihrer Etymologie. Aber er haftet am Einzelnen und strebt zurück auf die vorgriechische Sprachperiode. Er sondert die Dialekte peinlich nach den Landschaften, scheidet daher sogar die Lokrer, während er in der Argolis recht verschiedenes zusammenfaßt. Diese rückgewandte Sprachgeschichte hat viel mehr die Urzeit als die Gegenwart im Auge. Da stellen sich Aufgaben, die angegriffen werden müssen, weil sie lösbar sind. Es ist eine Tatsache, die vor Augen liegt, daß zuerst diejenigen Hellenen eingewandert sind, welche in den Ioniern und Äolern dauern, in Arkadien [13] ziemlich ungemischt, wozu die Kyprier gehören, in Thessalien überwiegend, nur noch schwach nachwirkend in Böotien. Die aber später gekommen sind, gehören den älteren gegenüber zusammen, wenn es auch an charakteristischen Eigentümlichkeiten der eigentlichen Dorer nicht fehlt, die nach der zuverlässigen historischen Überlieferung Kreta, Lakonien[10] und Argos, zuletzt auch Korinth mit Megara erobert haben, in verschiedener Weise von den Bevölkerungen, die sie vorfanden, beeinflußt. Im Gegensatze zu der älteren Sprache ist das Dorische im weiteren Sinne eine Einheit, und sie in ihrem Wortschatze und ihrer Syntax zu fassen, ist wahrlich mindestens ebensoviel wert als die Laut- und Formenlehre. Da ist gleich eins: nur die ältere Schicht wird Wörter aus der vorgriechischen Sprache übernommen haben, die im Mutterlande sicher eine ganz andere war als auf Kreta (die Ortsnamen beweisen). Lehnwörter im Kretischen, von Götter- und Ortsnamen abgesehen, wüßte ich wenigstens nicht anzugeben. Aber der Unterschied zwischen dem Griechisch der ersten und der zweiten Schicht ist stark, und den gilt es herauszuholen, wobei nicht nur auf das geachtet werden muß, was vorhanden ist, sondern auch was fehlt. Das alte φρατήρ haben nur die Ionier bewahrt, aber es bedeutete nicht mehr Bruder, sondern zugehörig zu einer φρατρία, einer wirklich oder fiktiv durch das Blut verbundenen Gemeinschaft[11]. Andererseits reicht die Sprache hin, [14] solche Einfälle abzuweisen, wie, daß Apollon von ἀπέλλα käme, in Anaximandros die Hürde μάνδρα steckte, denn beides sind dorische Wörter.

Noch eine andere nicht minder wichtige Aufgabe verlangt eine zusammenfassende Vergleichung der archaischen Inschriften, auf denen sich ganze Sätze finden. Da reicht die für das ausgebildete Griechisch charakteristische Gliederung des Gedankens durch μέν – δέ sehr weit, aber bei den Thessalern ist die Beteuerungspartikel μάν, μά zur Adversativpartikel statt δέ geworden. Und im Neugriechischen hört man gar nicht selten ein ‚ma‘ im Sinne von ἀλλά, das freilich aus dem Italienischen stammt. In Kyrene finden wir einmal μὲν δέ – δέ[12]; man stutzt zuerst, aber das erste δέ schließt den durch μέν δέ gegliederten Satz an den vorigen. Das ist sehr gut an sich; aber die Sprache ist diesen Weg nicht weitergegangen. Öfter findet sich ebenda μέν – τε, das wir dem Sophokles auch nicht nehmen können, und doch war das bei ihm schon etwas dem geltenden Gebrauche Widerstrebendes und ist dann ganz aufgegeben. Natürlich gibt es auch τε δέ wie in alter Poesie. Gesetze führen zu Bedingungssätzen, und wir erwarten ἐάν, dorisch αἴκα mit dem Konjunktiv; das ist auch vorherrschend, aber wie merkwürdig, daß wir in Elis αἴ und in den dirae Teiorum ὅστις mit dem Optativ finden; nur vereinzelt in Gortyn. Im Nachsatze bei den Eleern den Optativ mit ἄν anzutreffen, war uns bei der ersten Entdeckung ganz verwunderlich, und es lehrt auch, wie spät sich die Ausdrücke für die logischen Gedankenverbindungen, an die wir gewöhnt sind, allgemein durchgesetzt haben. Wir erwarten da im [15] Gesetze zuerst den Imperativ, finden ihn auch in Chios, einzeln auch anderswo, in Athen noch einmal in der Hekatompedoninschrift kleisthenischer Zeit. Überwiegend aber steht überall der imperativische Infinitiv, der doch in der Literatursprache, wo er vorkommt, eine besondere Nuance zu haben pflegt. Gehalten hat er sich in der Grußformel χαίρειν des Privatbriefes[13], dem doch der älteste attische Brief ein ἐπέστειλε vorausschickt, aber dann seiner Bitte die Form gibt στέγασμα ἀποπέμψαι[14]. Noch auffallender ist im Nachsatze der Indikativ des Futurums, obgleich wir, die kein wirkliches Futurum haben, sehr gut sagen können: „Wer dies Feld betritt, wird polizeilich bestraft.“ Wenn es auf Astypalaia heißt: ἐς τὸ ἱερὸν μὴ ἐσέρπεν ὅστις μὴ ἁγνός ἐστι (wo der Indikativ schon auffällt), ἢ τελεῖ ἢ αὐτῶι ἐν νῶι ἐσσεῖται[15], ist das zweite Futurum berechtigt, da die Reue nicht befohlen werden kann. Aber wenn die Kyrenäer sagen: „Wenn einer ein verbotenes Opfer gebracht hat, wird er den Altar reinigen usw.“, und so häufig, so ist da eine Form des Gebotes durchgedrungen, die von der sonstigen Gesetzessprache völlig abweicht.

Alle die Steine, von denen ich hier etwas nahm, geben noch die Sprache des Lebens wieder, und sie hat noch keine feste Form erhalten: gerade darin liegt der besondere Wert. Erreicht ist eine scharfe juristische Durchbildung auch in Gortyn noch nicht, aber Bücheler hat gleich bei der Entdeckung bemerkt, daß dort doch der Versuch gemacht ist, einen festen und durchgebildeten Stil zu schreiben. Das ist mehr als dreißig Jahre her, aber weder der Stil [16] noch der Wortschatz des großen Gesetzes ist bearbeitet und, wie sich gebührt, mit den älteren kretischen Gesetzen und dem späteren, nicht nur Kretischen verglichen. Historisch ist es doch von großer Wichtigkeit, daß auf Kreta so etwas geleistet ist in einer Zeit, wo die Insel sonst uns ganz unbekannt ist, und daß wir später, als wir aus und über Kreta etwas erfahren, von der geistigen Kultur nichts mehr übrig ist, die aus seinen alten Gesetzen unverkennbar spricht. Wenn es sich bewahrheitet, daß kretische Plastik der sogenannten Dädaliden auf den Peloponnes stark eingewirkt hat, so ist das eine parallele Erscheinung, auch darin, daß es später eine besondere kretische Bildkunst nicht mehr gibt.

Hier sind reizvolle Aufgaben gestellt, die uns die griechische Sprache noch im Flusse des Werdens zeigen, Ansätze, die nicht zur vollen Ausbildung kommen, aber das, was sie daran hindert, erst recht würdigen lassen. Nicht minder dringend ist, daß die erste prosaische Literatursprache endlich erforscht wird, das echte Ionisch. Da müssen wir freilich daran verzweifeln, ihr Werden zu erkennen. Es kann nicht anders zugegangen sein, als daß zuerst auch in den verschiedenen ionischen Städten die διάλεκτος, die Sprache des Lebens, geschrieben ward, und dann die Übermacht eines Ortes oder die überragende Gewalt eines Schriftstellers die Mundart eines Ortes zur Herrschaft brachte. Das ist so früh geschehen und wir haben bisher so wenige altionische Steine, daß jede Vermutung ein bloßes Raten bleibt[16]. Aber sehr früh ist es geschehen, denn die Orthographie hält einen Zustand der Sprache fest, den das Leben schon im sechsten Jahrhundert überwunden hatte. Von den ganz archaistischen Schreibungen ποιέει u. dgl. in unseren [17] Herodothandschriften[17] und bei den Nachahmern in der Kaiserzeit ganz abgesehen, zeigt die Poesie Anakreons und mancher Steine, daß das Ionische in der Kontraktion gerade ganz besonders weit gegangen ist. Θαλῆς Πυθῆς hat man für Θαλέας Πυθέας sogar immer geschrieben, Anakreon auch ἔγχης für ἐγχέας. Schon um 600 steht auf Chios δημαρχῶν neben δημαρχέων; ποιέοντα ist dreisilbig so gut wie ποιεῦντα, ο und υ wechseln ja im Diphthonge. Der Nachahmer Herodas[18] mit seinen Verschleifungen darf uns die Aussprache nicht seiner Zeit, sondern die des Hipponax vertreten. Nicht nur darin, daß auf diese Äußerlichkeiten sehr viel mehr Arbeit verschwendet ist, als sie verdienten, hat es ungünstig gewirkt, daß Herodot lange so ziemlich als der einzige alte Vertreter des Ionischen gegolten hat. Neben den Attikern erschien er als Dialektschriftsteller, während das die ältesten Attiker viel eher waren, denn er war aus einer Stadt, wo Dorisch und Karisch viel mehr bodenständig waren als das Ionische, das man bereits schrieb, weil es eben die Schriftsprache der Hellenen war. Und die antike Stilkritik hat an ihm eine ποικιλία, eine Buntheit des Stiles nicht verkannt. Es ist sein persönlicher Vorzug, [18] daß er sich der verschiedenen Stilmittel bedient, wozu ihn der Gang seines Lebens befähigte; aber alles lag innerhalb der ionischen Schriftsprache, die es ebenso wie einst die des Epos zu panhellenischer Geltung gebracht hatte. Sie mußte vorhanden sein, wenn im sechsten Jahrhundert Pherekydes auf der unbedeutenden Insel Syros und Akusilaos von Argos in ihr schrieben, und zwar in charakteristischen Dingen übereinstimmend. So haben es auch am Ende des fünften Jahrhunderts der Lesbier Hellanikos, der Syrakusier Antiochos, noch später der Böoter Aristophanes getan. Für uns ist neben unschätzbaren Bruchstücken anderer die Hauptmasse der ionischen Literatursprache in der hippokratischen Sammlung erhalten, wo gleich das eine nie vergessen werden darf, daß die beiden wichtigsten Ärzteschulen von Kos und Knidos in dorischen Städten wurzeln; über die Sprache der westhellenischen Ärzte läßt sich nicht sicher urteilen[19]. Die hippokratischen Schriften stammen ganz überwiegend aus der Zeit 450–350, wohl meist 420–370. Es fehlt freilich noch für die meisten die kritisch gesicherte Ausgabe, die von der preußischen und der dänischen Akademie vorbereitet wird, aber wo die beste Überlieferung zu suchen ist, wissen wir, und an der Hand von Littrés bewundernswerter [19] Ausgabe lassen sich Wortgebrauch und Stil auch jetzt schon sehr wohl untersuchen.

Es ist ein Glück, daß die alexandrinische Bibliothek nicht bloß Bücher, sondern den ganzen schriftlichen Nachlaß aufgekauft und herausgegeben hat, der sich in ärztlichen Familien (hippokratischen, wie ich gern glaube) erhalten hatte. Dem verdanken wir die Epidemien, unter denen sich die einzigen sicher von dem großen Hippokrates herrührenden Stücke erhalten haben; in ihren Krankheitsgeschichten erscheinen Namen, die wieder durch einen seltenen Glücksfall in zeitlich einigermaßen bestimmbaren thasischen Beamtenlisten wiederkehren. Auch die wirre Masse der anderen Epidemienbücher war nur für den persönlichen Gebrauch eines Arztes bestimmt. Es ist eine peinliche Versäumnis, daß hier die Analyse über die schönen Vorarbeiten Littrés hinaus immer noch nicht gediehen ist, eine gar nicht schwere Aufgabe, die jedesmal von neuem lockt, wenn man die Bücher zur Hand nimmt. Formlos ist das alles, und die Vorschriften über die Einrichtung einer Arztstube (τὰ κατ’ ἰητρεῖον) sind in kaum verständlichen abgerissenen Sätzen gegeben. Aber nirgend finden wir ein Stammeln aus Unvermögen, wie oft in den archaischen Gesetzen, vielmehr ist die Herrschaft über die Rede so vollkommen, daß dem eilig nur für sich Schreibenden die Andeutung durch kurze Schlagworte genügt; oft fehlen Verba ganz.

Diese Sprache ist eben allen Aufgaben gewachsen, und sie hat bereits feste Stilformen ausgebildet, innerhalb deren sich das individuelle Können des einzelnen erst eindringender Forschung erschließen wird. Um das recht zu würdigen, muß man freilich über die Sorte von Literaturgeschichte[20] hinaus sein, die sich nur an die belles lettres hält, [20] die Dichtung in Vers und Prosa und vor allem die rhetorisch aufgeputzte „Rede“. Das war uns vererbt von der Praxis der Kaiserzeit, wo diese Rhetorik schließlich auch angeblich wissenschaftliche Prosa schminkt und parfümiert oder besser verstänkert: Älian zeigt es am unerträglichsten, aber auch Polyaen und manches von Philostratos. Wenn es eine Wissenschaft gibt, schafft sie sich einen Stil, der gerade darum die höchste Vollkommenheit erreichen kann, weil er anders ist als in der sog. schönen Literatur. Die sachliche Belehrung fordert Klarheit und Kürze, wie sie die beste antike Rhetorik von der Erzählung verlangt. Aber auch das Ethos des Schriftstellers wird lauter oder leiser mitklingen. Es gibt Zeiten, in denen die wissenschaftlichen Bücher allein das Ausland zwingen, ihre Sprache zu lernen. Die ionisch schreibenden Ärzte haben in dem wissenschaftlichen Lehrbuche etwas erreicht, was den Namen klassisch so gut verdient wie eine demosthenische Rede. Das chirurgische Hauptwerk auf der einen Seite, in dem zu festerer Geschlossenheit gesteigert wird, was die Schrift über Kopfwunden anstrebt, auf der anderen Seite die knidische Schrift, deren Einheit Littré erkannt, deren Stil Ilberg kürzlich in vorbildlicher Weise, wenn auch kurz charakterisiert hat[21], mögen die Lehrschrift hier vertreten, und man braucht sich nur zu überlegen, daß erst die Tiergeschichte des Aristoteles ein vergleichbares Werk in attischer Mundart ist, an der auch moderne Attizisten nicht ohne Mißbilligung die ionischen Züge wahrnehmen mögen. Es bleibt dabei, daß [21] die Ionier die Schöpfer der griechischen wissenschaftlichen Prosa sind. Ilberg hat auch sehr schön die Spuren des mündlichen Vortrages aufgezeigt, ähnlich wie in den Lehrschriften des Aristoteles. Zeigen läßt es sich nicht mehr, daß die Ias, nicht die Doris der Pythagoreer die mathematische feste Sprache begründet hat, aber Hippokrates von Chios dürfte den Anfang gemacht haben, wenn die Vollendung auch erst in der Schule Platons erreicht ist.

Das Grundbuch der knidischen Schule, das noch ganz archaisch gewesen sein muß, trug den Titel γνῶμαι Κνίδιαι, bediente sich also noch einer uralten Stilform, des Spruches, in dem der erfahrene weise Mann die Summe seiner Erkenntnis zusammendrängt. „χρήματα χρήματ’ ἀνήρ sagte Aristodemos“ ist ein Beispiel aus dorischem Lande; die Sprüche der Sieben treten dazu, von denen viele bereits anonym waren oder vielmehr geworden waren. So ist entstanden, was wir Sprichwort nennen, und schon Hesiodos hat Sprichwörter wie Perlen auf eine Schnur gezogen. Wenn dann wie in den knidischen Gnomen eine zusammenhängende Lehre in Sprüchen vorgetragen war, so ergab sich ein eigentümlicher Stil. So hat Herakleitos geschrieben, so allem Anschein nach noch Demokritos in dem Buche, dem die zahlreich erhaltenen echten Sprüche entstammen. Isokrates hält sich in den Reden an Nikokles an diese Form, und die Trivialethik der Rede an Demonikos macht es nach. Für den Katechismus schickt sich das, daher stellt Epikur seine κυρίαι δόξαι zusammen. In der Reihe der Krankheiten, ihrer Beschreibung und Therapie in π. νούσων IV ist die Form potenziert[22]. Die hippokratischen Aphorismen sind eine [22] mehr oder minder zusammenhanglose Sammlung der dem Arzte wichtigsten γνῶμαι. Und der Athener Kritias schreibt auch Aphorismen. Sobald die Denker es dazu brachten, ihre Gedanken im Zusammenhange zu entwickeln, genügte die aphoristische Gnome nicht mehr; wissenschaftliche Untersuchung bedurfte einer logischen Schulung, wie sie erst der attische Geist in Platons Dialektik erreichte, aber die sophistische ἐπίδειξις anstrebte. Da blieb die Gnome immer noch als ein fein geschliffener Edelstein, mit dem Tragiker und Komiker das Prachtgewand ihrer Dramen schmückten; es durften auch falsche Brillanten darunter sein. Und in dem Apophthegma hat die alte Weise noch eine Weile gedauert, auch darin, daß es auf den Urheber des Spruches besonders ankam. Es verlohnt sich aber auch, in der altattischen Literatur auf die Stilisierung in Form der Gnome zu achten. Das ist bewußtes γνωμοτυπεῖν, wie sich Aristophanes ausdrückt. Wer die Reden des Thukydides daraufhin durchsieht, wird bald merken, wie er gemäß der Rhetorik seiner Tage Gnomen schmiedet und rundet[23]. In der kleinen hippokratischen Schrift π. τροφῆς sind die Gnomen, die wesentlich durch die Form heraklitisch klingen, so lose eingefügt, daß man manche ohne Schaden entfernen könnte. Das ist Unvermögen. Herodot ist selbst kein γνωμοτυπικός. Was so erscheint, wie das vielbewunderte „mit dem Hemde legt die Frau die Scham ab“, legt er einem Redner in den Mund, und es kann sehr wohl ein geläufiges Wort gewesen sein, das der Hörer wiedererkennen sollte. Aber es ist sehr hübsch und für die bewußte Kunst in seiner ποικιλία bezeichnend, [23] daß er einmal Gnomen häuft: das soll die naive Rede eines Mädchens charakterisieren[24].

Herodot vertritt für uns glänzend den Stil der Erzählung und ebenso der Schilderung in den νόμιμα βαρβαρικά. Hier zunächst müßte der Anschluß an das Epos hervortreten, wenn sich die Prosa aus ihm gebildet hätte, was oft behauptet wird, aber wo Herodot homerische Wendungen einflicht, ist es ein Zitat oder mindestens ein Anklang, der als solcher erkannt werden soll; das fehlt auch in der Tragödie nicht. Auch die Einführung kleiner direkter Reden ist mit Homer nur darum in Übereinstimmung, weil jede natürliche Erzählung die eingeführten Menschen sprechen läßt. Indirekte Rede, die bei späteren Erzählern häufig wird, ist eine potenzierte Hypotaxis, schleppend überall; wenn sie sich Apollonios im Epos erlaubt, empfinden wir es als anstößig. Geschaffen hat seinen Erzählungsstil Herodot gewiß nicht, aber wir haben so gut wie nichts älteres zur Vergleichung. Er mag seiner Zeit schon etwas naiv geklungen haben; Ion wenigstens hat alles überwunden, was archaisch klingen könnte, und hat damit etwas erreicht, was keinem Athener gegeben war. Die letzten Bücher Herodots, zumal ihre Reden, zeigen auch den Fortschritt; er hat noch an der jungen Rhetorik gelernt, wohl auch an dem gesprochenen Attisch von Politikern und Sachwaltern.

Wer die Fülle historischer Erinnerung und poetischer Umgestaltung überschaut, die in der Heldensage steckt, kann nicht bezweifeln, daß es neben der epischen Verarbeitung durch die Rhapsoden auch Erzähler gegeben [24] haben muß, die sich der schlichten Prosa bedienten; die herodoteischen Erzählungen, die wir Novellen nennen (Periandros und Lykophron, Hochzeit der Agariste z. B.) sind gleicher Herkunft. Die ältesten erhaltenen Bücher der Art waren von dem Syrier Pherekydes und Akusilaos, dann die Menge Bücher, die den Namen eines Atheners Pherekydes trugen. Gerade hier, wo Anschluß an das Epos nahe lag, finden wir einen völlig anderen Stil, Erzählung im Präsens; mich dünkt es für das Märchen sehr passend. „Sie machen sein Haus groß und hoch. Und als sie mit allem fertig waren, mit Hausgerät, Knechten und Mägden, als alles bereit war, feiern sie die Hochzeit, und als der dritte Tag der Hochzeit war, da macht Zeus ein großes schönes Kleid und webt hinein Erde und Ogen und des Ogen Wohnungen.“ So der Syrier Fr. 2 Diels. „Die Koineis beschläft Poseidon und macht sie zu einem Manne, einem unverwundbaren, der die größte Kraft unter den Männern jener Zeit hatte, und wer nach ihm stach mit Eisen oder Erz, der erlag. Und er wird König der Lapithen usw.“ So Akusilaos Fr. 22 Iac.[25] „Herakles spannt den Bogen wie zum Schusse[26], und Helios fürchtet sich und heißt ihn innehalten, und er hält inne, und Helios gibt ihm dafür den goldenen Becher, in dem er fuhr, mit seinen Rossen, wenn er unterging, über den Okeanos, bei Nacht, nach Osten, wo er aufgeht. Danach geht Herakles in diesem Becher nach Erythaia usw.“[27] [25] Ich glaubte Proben vorführen zu müssen, denn mich dünkt dieser Stil höchst merkwürdig, zumal wenn man die gleichzeitige Katalogpoesie daneben hält. Hekataios scheint im Aorist erzählt zu haben, den andere Partien in den Büchern des „Pherekydes“ auch zeigen. Das historische Präsens, wie es später bei griechischen Historikern gelegentlich vorkommt (von den Lateinern zu schweigen)[28] hat hiermit nichts zu tun: das hat immer sein besonderes Ethos. Hier haben wir eine naive, volkstümliche Vortragsform, in polarem Gegensatze zum Epos; aber Stil hat auch schon diese ionische Rede, und schon dieser Stil ist über das ionische Sprachgebiet hinausgedrungen.

Die große geistige Bewegung, die wir Sophistik nennen, erzeugt schließlich die Rede des „wissenden“ Mannes, der von seinem Wissen lebt, Vorträge hält, in welchen er eine Probe dieses Wissens vorzeigt, ἐπιδείκνυται, meist um dadurch Schüler zu gewinnen. Auch von diesem Stil enthält nur die hippokratische Sammlung vollständige Proben, geringhaltige wie περὶ φυσῶν, hochbedeutende wie die methodologische Erörterung über die alte Heilkunst. Wohl empfindet der Leser auch hier noch, daß die dialektische Schulung fehlt, aber der Redner weiß zu disponieren und trägt seine Gedanken klar und in einer Sprache vor, die der Fülle keineswegs entbehrt, aber den gleichmäßigen Ton der ruhigen Belehrung festhält. Man stelle die Schrift über die athenische Verfassung daneben, die derselben Zeit angehören wird: die Überlegenheit des Ioniers ist ganz gewaltig. Ein Protagoras konnte die Rede auch in ganz anderer Höhenlage halten, ohne Anleihen bei der Poesie und ohne rhetorische Kunststücke; wir sehen es an der Nachahmung [26] bei dem jungen Platon, und die wenigen Worte über das Sterben des Perikles bestätigen es und ergreifen durch ein verhaltenes Pathos. Was sein Landsmann Demokrit erreicht hat, ahnen wir nur von ferne.

Wer dies alles zusammennimmt, muß gestehen, daß die ionische Literatursprache bereits zu allem fähig war, und daß es zunächst durchaus keinen Fortschritt brachte, als das Attische sich neben sie stellte, weil Athen die politische Herrschaft über die Ionier und einige dorische Städte gewonnen hatte. Die megarischen Kolonien Byzantion und Chalkedon waren eine Enklave im ionischen Sprachgebiet; begreiflich, daß nun die Sophisten Thrasymachos von Chalkedon und Theodoros von Byzanz gleich die attische Sprache annahmen, als sie in Athen auftraten; des Ionertums erwehrten sich ihre Städte dauernd, anders als Halikarnaß und die knidischen und koischen Ärzte. Im Westen fühlten sich die ionischen (chalkidischen) Städte durch das Dorertum bedroht und setzten ihre Hoffnung auf Athen. Begreiflich, daß Gorgias von Leontinoi sich für das Attische entschied, zumal das Schriftionisch von seiner Muttersprache nicht unbeträchtlich abwich[29]. Übrigens hielt er sich in dem Formalen (σσ z. B.) an das Attisch der Tragödie mit seinen Ionismen, und das haben ja auch die ersten Athener getan, die wie Antiphon und Thukydides stilistische Kunstwerke liefern wollten. Insofern ist es von großer Bedeutung geworden, daß die maßgebenden Lehrer der neuen Redekunst geborene Ausländer waren[30]: sie schöpfen nicht unmittelbar [27] aus der Sprache des Lebens und werden im Wortgebrauche manches Fremde und noch mehr künstliche Neubildungen zugelassen haben, zumal Gorgias, dessen höchstes Streben darauf ging, mit der Poesie zu wetteifern, denn diesem Zwecke dienen die drei bekannten σχήματα, Antithese, Parisose, Reim, und in ihrer Einführung liegt seine dauernde Bedeutung[31].

Das Attisch, das um 420 gesprochen ward, hat sehr anders geklungen als hundert Jahre vorher. Der Verkehr mit den Bündnern, die Tausende von Ausländern, die dauernd oder vorübergehend in Athen lebten, zumeist Ionier, hatten es erst für eine panhellenische Sprache geeignet gemacht. Die alten Herren klagten über das Eindringen von Fremdwörtern[32]. Die Komiker hatten Gelegenheit, sich über die andern Mundarten und das Radebrechen der Barbaren lustig zu machen, einzelne gelegentlich auch über ionische Aussprache[33]. Aber gerade eine Annäherung des Attischen an die verwandte Sprache, die durch die Literatur ungleich reicher und biegsamer geworden war, konnte nicht ausbleiben, wie umgekehrt das Ionische manche Sonderbarkeiten abstieß: das ὅκως u. dgl. schwindet nun selbst in Kleinasien. Die Verträge Spartas mit den Persern, die wir bei Thukydides lesen, sind ohne Zweifel ionisch abgefaßt worden; aber verschwindend weniges ist jetzt darin, was nicht auch attisch wäre.

[28] Wir sind ja allein für diese Zeit in der Lage, uns von der gesprochenen Rede der Athener eine leidlich klare Vorstellung zu machen. Die Komödie zeigt, wenn wir abziehen, was sie mit Absicht Tragisches oder sonst Erhabenes einmischt, ein poetisches Abbild der Volkssprache, aber erst durch die Vaseninschriften lernen wir auch, wie die Ungebildeten sprachen, θρόφος und νύφη und Ὀλύττης und παυς für παῖς. Fluchtafeln des vierten Jahrhunderts sind korrekter, aber es steht doch neben dem normalen καταδῶ sowohl καταδέω wie καταδήω. So etwas soll man nicht vergessen, wenn die Formen in den Inschriften anderer Dialekte schwanken. Wie dann die Jugenddialoge Platons und der Sokratiker, die ihm folgen, die Umgangssprache der Höchstgebildeten zeigen, wie Lysias neben rhetorisch stilisiertem auch einfaches Attisch schreibt, Isokrates nach Überwindung der gorgianischen Künsteleien die periodisierte Rede schafft, Platon in seiner späteren Entwicklung einen Stil findet, der ohne Anleihen bei den poetischen Kunstsprachen mit der höchsten Poesie wetteifert, schließlich Menander ohne Zimperlichkeit das Attisch nimmt, wie es die Bürger sprachen, während Demosthenes in der Wortwahl eine Selbstbeschränkung zeigt, durch die die Sprache Gefahr lief, zu verkümmern, und doch in manchem, z. B. dem Gebrauch des Perfekts, Hellenistisches vorweg nimmt, das alles sind entscheidende Fortschritte, die uns allen hinreichend geläufig sind. Xenophon, der geborene Athener, zeigt, wie das lange Leben im Auslande sein Attisch gefärbt hat, obgleich er auch den Einfluß der rein attischen Sokratiker erfahren hat. Proben von dem Attisch, das Ausländer schreiben, sind aus der Übergangszeit ungenügend vorhanden; am merkwürdigsten dürfte der Arzt Diokles von Karystos sein, denn er schreibt in seinem populären diätetischen Werke, aus dem die meisten wörtlichen Bruchstücke stammen, ein einfaches fließendes Attisch, das sich doch im [29] Stile von dem Ionisch der jüngeren Hippokrateer nicht allzustark unterscheidet, so daß man den keineswegs schroffen Übergang gut beobachten kann[34]. Gegen 350 ist die Herrschaft des Attischen in der gesamten Literatur unbestritten (Nachzügler mit ionischen Büchern ändern daran nichts) und als Philippos von Makedonien in seiner Kanzlei attisch schreiben läßt und dazu gewiegte Literaten heranzieht, sind auch die spröden Kleinstaaten, die an ihrem Dialekt festzuhalten versuchen, gezwungen, die Sprache der Diplomatie anzuerkennen[35]. Für die Makedonen ist sich hellenisieren dasselbe wie Attisch lernen, und es kann gar nicht anders sein, als daß die Grammatisten aller Orten nun zugleich Lehrer des Attischen sind, d. h. der auf dem Attischen beruhenden panhellenischen Schriftsprache, und daß auch die Hellenen, die zu Hause noch ihre heimische Mundart sprachen, im mündlichen und schriftlichen Verkehr mit allen anderen Hellenen sich so gut es ging eben dieser Sprache bedienten. Die Rolle dieses Griechisch ist keine andere als die unseres Hochdeutsch. Selbst mit seiner epirotischen Mutter hat Alexander in dieser Sprache korrespondiert; sie haben seine und seiner Nachfolger Untertanen als die Herrensprache gehört und viele haben sie sprechen, manche schreiben gelernt, der Chaldäer Berosos und der Ägypter Manetho. Auch Karthager und Römer mußten die Weltsprache lernen: nur in ihr haben Hannibal und Scipio sich unterhalten können. Natürlich hat die [30] Sprache hellenisch geheißen und was die Athener Besonderes hatten, war Dialekt[36] so gut wie Böotisch oder Chalkidisch.

Wenn man will, mag man diese Sprache κοινή nennen, mache sich aber klar, daß damit nichts weiter gesagt ist als „Gemeinsprache“, also dasselbe wie „Hellenisch“. Allein passend für uns ist „Hellenistisch“, weil wir so die ganze Periode zum Unterschiede von der älteren Zeit nennen. Meist verbindet man noch heute mit der κοινή ein Werturteil, denkt an ein verdorbenes, ausgeartetes Attisch, wenn nicht gar gänzlich widergeschichtliche Hypothesen über die Entstehung der κοινή aufgestellt werden. Da herrschen immer noch die reaktionären Grammatiker der Kaiserzeit, die Phrynichos und Pollux und Moeris, und von deren Standpunkt angesehen ist alles verwerflich, was die Ἕλληνες im Gegensatze zu den Ἀττικοί in den Mund nehmen; sie wirtschaften ja mit diesem Gegensatze. Ihnen genügen schon Menander und Hypereides nicht; sie würden auch die Vorlesungen des Aristoteles verworfen haben, wenn sie sie gelesen hätten. Es ist noch nicht lange her, daß man das Griechisch des Lukianos von Samosata als klassisch neben Lysias rückte und das des Polybios verwarf. Gewiß, wer wird nicht den Formenreichtum der ionischen und attischen echten Klassiker bewundern; da ist die Sprache ebenso unvergleichlich schön wie die Kunst der Schriftsteller. Aber geschichtliche Betrachtung muß auch der weiteren Sprachentwicklung gerecht werden. In dem Verluste des Duals, der schon im Ionischen eingetreten war, in manchen lautlichen Veränderungen (z. B. dem Schwund der Diphthonge ᾱι, ηι, ωι, der auch schon im Ionischen sehr weit ging)[37], [31] in dem Absterben mancher Modi, der meisten Präpositionen mit Dativ, dem Vordringen des Perfekts mit manchen bedenklichen Neubildungen, der Vermischung der genera verbi, den bedeutungslosen doppelkomponierten Verba und anderem von der Art mag man Verfall sehen. Aber dasselbe Bild zeigt uns die Geschichte jeder modernen Sprache. Auch unser Deutsch kann man gegenüber der mittelhochdeutschen Dichtersprache verfallen nennen, vom Englischen gar nicht zu reden. Allein wie hier gilt es auch für das hellenistische Griechisch, daß die formale Einbuße durch die Befähigung, alles sagen zu können, aufgewogen wird. Versuche doch einer, die Partien ins Attische zu übersetzen, in denen Strabon die physische Geographie behandelt. So lange eine Sprache lebt, muß sie sich wandeln, und wenn die Schriftsprache sich auch lange hält, wird neben ihr eine gebildete Umgangssprache entstehen, wie der Engländer sein colloquial English unterscheidet und ein hochgebildeter Italiener mir gesagt hat, daß sie alle zwei Sprachen nebeneinander brauchten. Allmählich dringt dann mehr und mehr von der gesprochenen Rede in die Schriftsprache ein, und das scheint in dem hellenistischen Griechisch besonders rasch geschehen zu sein. Eben darum ist die sog. κοινή das Griechisch der drei hellenistischen Jahrhunderte, sobald man es nicht lediglich auf das Grammatische ansieht, gar keine Einheit, nicht nur weil es ganz verschiedene Stile umfaßt, auch wenn wir von der Poesie ganz absehen, sondern weil es sich in der langen Zeit verändert, geschrieben ebensowohl wie gesprochen.

Dieses Hellenistische zu erobern ist eine schwere und schöne Aufgabe, die sich neben die Eroberung der ionischen Literatursprache stellt. Beides wird sich berühren, denn [32] es konnte ja gar nicht anders sein, als daß jenes Ionisch vornehmlich, aber nicht allein, im Wortschatze weiter wirkte, auch nachdem in den grammatischen Formen das Attische zur Herrschaft gekommen war. Das ist namentlich von Wackernagel öfter gezeigt. Im ganzen aber kennen wir das Hellenistische noch unzulänglich, und es ist verzeihlich, da die Aufgabe erst spät erkannt ist. Die Hauptsache war, daß die Störung der geschichtlichen Entwicklung durch den Attizismus begriffen ward. Uns scheint es heute kaum faßbar, daß noch ein Mann wie Rudolf Hercher die apollodorische Bibliothek dem großen Grammatiker Apollodoros zuschreiben konnte. Der Glaube an ein besonderes neutestamentliches Griechisch spukt wohl noch, aber die Bücher, die ihn im Titel tragen, haben ihn überwunden[38]. Unzureichend wird unsere Kenntnis immer bleiben, weil wir so jämmerlich wenig aus den Jahrhunderten besitzen, in denen die literarische Produktion überaus reich war, nicht nur quantitativ, sondern auch vielstimmig. Wir wissen zwar, daß es eine menippische Satire gab, Mischung von Versen und Prosa, aber wie sie war, ahnen wir nicht. Wer hätte so etwas erwartet wie den historischen Dialog des Freiburger Papyrus oder die Debatte zwischen Demades und Deinarchos? Trotz unserer Armut werden wir das Ganze noch gar nicht in Angriff nehmen können, sondern erst den verschiedenen faßbaren Stilgattungen zu Leibe gehen [33] müssen, mit denen die Dokumente des nicht literarischen Griechisch nicht zusammengeworfen werden dürfen.

Es hat sich so gefügt, daß uns besonders viel Texte erhalten sind, die gar kein wirkliches Griechisch sprechen, sondern von Juden, Ägyptern und Römern herrühren. Die Juden bieten das stammelnde Übersetzergriechisch der LXX, in sich nicht einheitlich, ergiebig fast allein für den Wortschatz. Auffällig viel weist auf das Ionische. Andere Schriften wie Makkabäer II und III, die Weisheit Salomos sind hellenistisch geschrieben, aber doch von Ausländern. Das gilt auch noch von Paulus, obwohl Griechisch seine Muttersprache war, beeinträchtigt aber nicht den auch in dieser Hinsicht einzigen Wert seiner Briefe, denn wie später bei Epiktet sprudelt hier frisch die gesprochene Rede, und nur selten greift er nach den schlechten Künsten der Rhetorik, wie er sie in der tarsischen Schule gelernt hat, auch für sie ein wichtiger Vertreter. Auch noch Philon ist von dem Klassizismus nicht verdorben und wohl geeignet, uns seine stilistischen Vorbilder einigermaßen zu ersetzen.

Das plebejische Griechisch in den ägyptischen Papyri klingt anders. Da sollte man zunächst abziehen, was halb oder ganz ungebildete Ägypter schreiben; ihre orthographischen und grammatischen Schnitzer gehören gar nicht in die hellenistische Grammatik. Wilckens neue Ausgabe hat viel Licht verbreitet, indem er die Handschrift des κάτοχος Ptolemaios und seines nichtsnutzigen Bruders Apollonios erkannt hat. Weg mit ihnen und ihresgleichen. Wir haben auch genug von ungebildeten Griechen aus Ägypten, und es dünkt mich, daß da nur weniges nach dem Ionischen klingt. Sie stammten auch mehr aus hellenisierten Gegenden Asiens, aus Makedonien, Thrakien, Kreta. Die Juden dürften ihr Griechisch aus dem Seleukidenreiche haben, in dem wir eine starke Einwanderung aus den echt ionischen Städten nachweisen können. Über die Niederungen erhebt sich die [34] Korrespondenz der höheren Beamten der ersten Ptolemäer, mit der man die offiziellen διαγράμματα der königlichen Kanzlei vereinigen mag. Wir brauchen eine handliche Sammlung, die sich um die Zenonpapyri gruppieren mag, unter Euergetes I. aber nicht herabgehen[39], damit die Sprache des dritten Jahrhunderts rein herauskomme.

Das gut kenntliche Übersetzergriechisch des römischen Senates steht nicht höher als das der rohesten Bibelübersetzer, aber die Formen sind trotzdem während der Republik beibehalten. Die Briefe der vornehmen römischen Beamten stehen höher, schon weil sie gleich griechisch abgefaßt sind. Zwischen Antonius und Augustus fällt die Abwendung von dem „asianischen“ Stil. Offenbar hat der Schulunterricht bereits Anleitung zum Briefschreiben gegeben, wie er es schon bei den Ägyptern getan hatte. Vornehme Sprache in künstlichen Perioden ward gefordert. Musterbriefe sind in Memphis erhalten, und Wilcken[40] sagt treffend, daß sie ebensogut aus einem anderen Königreiche stammen könnten. Gern vergleicht man damit die Widmungsbriefe, welche Apollonios von Perge den Büchern seiner Κωνικά vorausgeschickt hat, denn ihr Stil kontrastiert scharf mit seiner wissenschaftlichen Prosa. Nach dem formelhaften und doch besonders abgetönten Eingange folgt bald eine ungeheure Periode, die aber glatt und übersichtlich abläuft. Die Sprache ist in allem hellenistisch, Hiatus nicht vermieden[41]. Die Verwandtschaft mit den Urkunden, die [35] auf Stein erhalten sind, ist unverkennbar. Auch sie streben Fülle und Würde an, die alte klassische Kürze ist aufgegeben; die Gehaltlosigkeit hatte den rhetorischen Aufputz als Ersatz auch bitter nötig. Der Aufbau der Sätze und die Formeln sind überall im wesentlichen dieselben, wo sich in den hellenischen Gemeinden Selbstverwaltung oder doch ihr Schein erhalten hatte. Daher gelingt den Epigraphikern die sichere Ergänzung schwer verstümmelter Urkunden, wenn ihr Gedächtnis die Parallelen beizubringen weiß[42]. Die Epigraphik ist auch imstande, aus den Schriftformen die Zeit oft bis auf ein Menschenalter zu bestimmen. Die durch die Königsjahre datierten Urkunden Ägyptens treten dazu, so daß sich wenigstens von diesem Stil die Entwicklung vom vierten bis in den Anfang des ersten Jahrhunderts verfolgen läßt. Die Briefe und Erlasse der Könige, so weit sie aus der Kanzlei stammen, reihen sich hier leicht ein. W. Schubart[43] aber hat mit feinem Stilgefühl einige wenige ausgesondert, deren individuelle Fassung die Hand oder das Diktat des Königs erkennen läßt, was dann immer ganz besondere Beachtung verdient, gerade weil es von dem Kanzleistil absticht. Damit dieser in seiner Entwicklung uns die Sprachgeschichte zeige, ist eine zusammenfassende Prüfung der Formeln nach Zeit und [36] örtlicher Verbreitung notwendig; Beobachtungen über den Wortgebrauch werden sich von selbst einstellen, sicherlich auch manches für Erklärung und Ergänzung abfallen[44].

Die Urkunden der Städte, welche im inneren Dienst an ihrem Dialekt festhalten wollten, tragen bald fast überall nur noch in den sprachlichen Formen ein heimisches Gewand, selbst die Wörter sind zum großen Teil entlehnt, der Stil durchaus. Da erwächst uns die Aufgabe, die Verdrängung der Dialekte zu verfolgen, und das ist mit der verdienstlichen Sammlung der Dialektinschriften nicht möglich, die nur die vereinzelten alten Formen ausnotierte. Athen ist wie in allem am konservativsten; in Ionien ist nach Alexander etwas Ionisches eine Rarität; nur einzelne, sogar ungriechische Wörter finden sich[45]. Die Äoler haben sich bemüht, ihre Sprache beizubehalten, aber schon in den großen Urkunden aus Eresos und Nasos liegt die allgemeine Kanzleisprache zugrunde, für die Athen vorbildlich war, und es ist schwer zu entscheiden, wann die Äolismen archaistische Künstelei wurden[46]. Eine Frage ohne Antwort bleibt, ob sich das Volk die Barytonese abgewöhnt hat[47]. Die Böoter werden schwerlich die Vokale anders gesprochen [37] haben, als sie aufhörten, ihren Dialekt zu schreiben; das Land war in den Kriegen Sullas ganz verwüstet und entvölkert; künstlicher Dialekt ist schon damals unverkennbar, wenn so etwas wie ῥαψαϝυδός geschrieben wird. In dem Bunde der Achäer ist eine Art dorischer Gemeinsprache ausgebildet, an die sich auch die Ätoler, Messenier und Eleutherolakonen gehalten haben; dem wird die gebildete Umgangssprache entsprochen haben, aber es ist nur der Vokalismus und etliches in den grammatischen Formen von der panhellenischen Sprache verschieden. Diese Sprache dringt über die Grenze nach Arkadien, dessen niemals ganz einheitlicher Dialekt sich früh zersetzt[48]. Es ist für das von Epaminondas geförderte Streben nach einer Einigung der Arkader bezeichnend, daß die μύριοι attisch geschrieben haben[49]. Das alte Sparta hatte nicht geschrieben; die Urkunden sind nach seinem Untergang teils achäisch-dorisch, teils attisch; aber im Volksmunde hielt sich die alte Mundart, natürlich immer mehr verwildert. Die erhaltenen Glossen sind noch aus vorchristlicher Zeit; einiges holte die Romantik des zweiten und dritten Jahrhunderts mit der spielerischen Erneuerung der alten ἀγωγά für die Knaben wieder hervor[50]. Die kretischen Urkunden hellenistischer Zeit sind von Einflüssen der Schriftsprache ziemlich frei[51]; Fehler, die sie erzeugt, sind der stärkste Beweis für die kretische Unbildung, und die kretische Zwietracht sorgt dafür, daß kein [38] einheitliches Kretisch entsteht, selbst als es ein κοινὸν Κρηταέων gibt. Der Verfall der Sprache ist stark; alles macht sie dem Grammatiker besonders interessant. Mit der römischen Herrschaft versinkt die Insel ins Dunkel. Kein Zweifel, daß die Volkssprache in den Bergen dauerte; so mag manches Wort noch heute leben. Ganz anders stand es um die Doris von Knidos, Kos und Rhodos[52], die an Wohlstand und Bildung in der ersten Reihe standen. Eben darum schrieben ihre Bürger keine Bücher im Dialekt, wohl aber noch Timachidas die Tempelchronik von Lindos[53]. Die Blüte von Knidos war kurz, die von Kos zerstört der Tyrann Nikias; es hat sich niemals ganz erholt, und auf die sprachliche Färbung der späteren Ehreninschriften kommt nichts an. Aber Rhodos blieb ansehnlich und hielt an einer Doris fest, die der Volkssprache noch in der Kaiserzeit entsprochen haben wird. Gerade diese Doris wird den übrigen Griechen am leichtesten verständlich gewesen sein, denn sie enthält kaum anstößige Laute[54], hat die Härten in vielem gemildert, und da der geistige Einfluß des früher entwickelten Ioniens stark gewesen war, der Verkehr des großen Handelsplatzes nach allen Seiten ging, war auch der Wortschatz ziemlich ausgeglichen.

Im Westen hatten die ionischen, achäischen, lokrischen Städte ihre Sprachen eingebüßt; höchstens Neapel hat sich der Doris entzogen, die wir nach spärlichen Proben sonst überall voraussetzen können. Nach dem Fall von Syrakus hört alles literarische Leben in Westhellas auf, wenn die [39] Sprache der Romanisierung auch nicht erliegt und auf das gesprochene Latein einwirkt. Aber Syrakus hatte noch zuletzt in Archimedes einen Mann ersten Ranges gehabt, und der schrieb sein Dorisch, obgleich er auf Verständnis seiner Entdeckungen zu Hause nicht rechnen konnte. Wenn wir seine Werke jetzt zumeist in das gewöhnliche Griechisch umgesetzt lesen, so ist der Schade gering, denn was kommt auf α für η und ω, ein paar Pronomina und etliche Flexionen an. Lese man den Brief an Eratosthenes: diese einfache, klare, ganz sachliche Sprache hat nicht derjenige gemacht, der ihr die dorischen Farben abgewischt hat[55], sondern Archimedes dachte nicht anders als Konon oder Eratosthenes und drückte sich auch nicht anders aus[56]. Es ist die wissenschaftliche Prosa des reifen Hellenismus, nicht nur in den streng mathematischen Partien, und es wird schwer fallen, etwas von den Erscheinungen aufzuzeigen, die für die Entartung der κοινή charakteristisch sind.

Da kommt gleich an den Tag, wie unbrauchbar dieser Begriff ist, sobald man an die hellenistische Literatur geht. Denn was haben ihre Formen anders gemein als das von einigen Besonderheiten (ττ z. B.) befreite Attisch. Man lernt in der Schule überall das h sprechen und α purum setzen, und was solcher Bagatellen mehr ist. Die Wortwahl ist frei, der Stile gibt es mehrere, auch bewußter Gegensatz zu dem klassischen Attisch des vierten Jahrhunderts kommt vor, und wie sollte er nicht auch in der Prosa seine Vertreter gefunden haben, wo die Poesie des hohen Hellenismus [40] sich von den attischen Gattungen abkehrt. Diese Stile gilt es erst einmal einzeln zu fassen. Das ist schwerer, aber nicht minder wichtig, als die absterbenden Mundarten und das Halbgriechisch der Barbaren zu untersuchen, obgleich meine flüchtige Übersicht auch dazu anfeuern möchte. Hier empfinde ich meine Unzulänglichkeit auf das stärkste, aber eben darum weise ich auf das hin, was uns fehlt.

Nehmen wir einmal Epikur, der ist zwar ein Athener, aber zu den Attikern oder den Klassikern hat ihn niemand je gerechnet. Er kann zwar den Brief an Menoikeus ganz nach dem rhetorischen Rezept in wohlgerundeten Perioden mit Antitheta und Parisa schreiben, vielleicht mit völliger Vermeidung des Hiatus; aber das ist Ausnahme. Aus den Briefen haben seine Gegner gewaltsame Neubildungen und verstiegene Wendungen aufgegriffen, und ich gestehe, daß mir in dem Briefe an Pythokles recht vieles unverständlich bleibt, in den Resten des Hauptwerkes erst recht, und das kann nicht allein an der Verstümmelung liegen. Er ist ein eigenwilliger Schriftsteller und doch so bedeutend, daß er eine eingehende stilistische Behandlung verdient, zu der eine vollständige Aufnahme seines Sprachschatzes gehört, wie sie jetzt jeder wertlose Papyrusfetzen findet. Dann sein Enkelschüler Polystratos, ein nachlässiger Schriftsteller, der sich endlos wiederholt, aber nur die Wortwahl, die hier ein Index zu übersehen gestattet, bringt Modernes. Sonst dürfte es schwer fallen, die sprachlichen Erscheinungen aufzuzeigen, welche für die κοινή als bezeichnend gelten. Das gilt erst für Philodemos; da besitzen wir in Crönerts Memoria Herculanensis eine sehr dankenswerte grammatische Arbeit, die aber zum Teil die Gewohnheiten der Schreiber angeht. Syntax und Stil fordern noch eine zusammenfassende Darstellung, damit die Ergänzung eine größere Zuverlässigkeit erlangt; es wird sich dann auch über die Verfasserschaft anonymer Rollen sicherer urteilen lassen. Es ist ja damit [41] nicht abgetan, daß der Verfasser anmutiger Epigramme eine unausstehliche Prosa schreibt. Seiner Zeit kann sie nicht so erschienen sein, und wenn Dionysios auch von seinem Standpunkt die meisten hellenistischen Prosabücher unlesbar fand, so steckt doch auch in ihm noch viel von der breiten Geschwätzigkeit.

Das waren drei Vertreter einer Schule. Für die anderen steht es nicht so gut. Von der Stoa übersehen wir zwar die philosophische Terminologie, aber weiter nichts, und von Chrysippos ist doch so viel im Wortlaut erhalten, daß es Anhalt bieten muß, auch in Referaten seine Worte zu erkennen. Wir wissen, daß er sich Vulgarismen wie μέντον erlaubte, doch wohl um den Hiatus zu vermeiden. Ein Künstler ist der Vielschreiber schwerlich gewesen, aber wie Epikur mag er in populären Schriften auch rhetorische Eleganz angestrebt haben. Das haben von den Peripatetikern Lykon und Ariston getan, und für Kritolaos spürt man dasselbe in dem Referat bei Philon in der reichen Schrift über die Unzerstörbarkeit der Welt. Endlich Poseidonios, dessen Einfluß, auch wenn Reinhardt den Übertreibungen ein Ende gemacht hat[57], in der Philosophie stark gewesen ist. Dazu hat sein Stil nicht wenig beigetragen, weil er sich hoch über die dürre Schulsprache erhob. Hier haben wir dank Gunnar Rydberg[58] eine eindringende Untersuchung der Sprache, die auch die Nachwirkungen verfolgt. Natürlich hatte sich Poseidonios auch sprachlich an den Klassikern, Platon vor allem, genährt, aber daß er ein großes originales Talent besaß, lehren schon die Reste seiner Geschichte, [42] deren Stil wir zwar nicht unmittelbar auf die anderen Schriften übertragen dürfen, aber wenn sich hier das Ethos des Philosophen, die allseitige Gelehrsamkeit und Liebe und Haß des rhodischen Politikers verrät, so wird er allem eine persönliche Note aufgedrückt haben. Er zog auch die Rhetorik in den Kreis seiner Vorlesungen; da mag der Gegensatz zu Panaitios und Diogenes von Babylon stark gewesen sein, denen wir stilistische Vorzüge nicht wohl zutrauen können. Wenn Strabon auch in den geographischen Schilderungen eine ῥητορεία fand, die ihm zuwider war, so hat Poseidonios sich immer über das reine διδασκαλικόν erhoben. Es wird wohl dabei bleiben, daß er auf die rhodische Rhetorik, wie sie später Theodoros vertrat, bestimmend gewirkt hat, und daß Philon und die Schrift περὶ ὕψους in diesen Kreis gehören.

Aus der Akademie haben wir in den νόθα die Thrasyllos seiner Platonausgabe beifügte, Nachahmungen, von denen höchstens der Axiochos etwas ausgibt, weil er die jüngste Schrift ist. Auch Krantors vielbenutzte Trostschrift gegen die Trauer ist unergiebig. Dann haben Arkesilaos[59] und Karneades, von denen die Gedanken stammen, überhaupt nicht geschrieben, und der Karthager Kleitomachos spricht nur in Übersetzungen zu uns. Da heißt es auf Nachklänge achten, denn wenn Plutarch gelehrt gegen Stoiker und Epikureer polemisiert, liegt Jungakademisches zu grunde, in der Schrift über die ethische Tugend Peripatetisches, bei Sextus die akademische Skepsis und die des Ainesidemos. Die Untersuchung muß in solchen Fällen immer von den Benutzern ausgehen.

Unschätzbar ist, was uns Photios (cod. 250) von dem [43] Knidier Agatharchides erhalten hat. Er nennt ihn geradezu einen Attizisten[60], was freilich ein voreiliger Schluß aus der Kritik des Hegesias ist. Denn in seiner Schilderung der ἐρυθρὰ θάλασσα redet er zwar sachlich und verfügt über eine Fülle wohlgewählter und bezeichnender Wörter und will klar und bestimmt sprechen, γένος διδασκαλικόν, aber das ist keine Nachahmung, und in der Kritik der Mythologie, die uns recht überflüssig vorkommt, gibt es auch sehr modisch gebaute Sätze, auch mit modernen Wörtern[61]. Uns ist am wichtigsten seine erregte Kritik des Hegesias, denn sie beweist, daß dessen Stil für viele vorbildlich war, was durch Titel in dem neu gefundenen rhodischen Bücherverzeichnis und die offenbar aus dem Gedächtnis genommene Verherrlichung Athens bei Strabon bestätigt wird[62]. Ein Rhetor, den Varro hochhielt, Cicero noch bekämpfen mußte, kann unausstehlich, aber unbedeutend kann er nicht gewesen sein. Da haben wir einen kommatischen Stil in bewußtem Gegensatz zu den Perioden des Isokrates, dabei trotz vulgären Wörtern ein μεγαλοπρεπές, und die drei bekannten Klauseln, nur den Doppeltrochäus zum Ithyphallikus erweitert. Wenn er diese Klauseln erfunden haben sollte, sind ihm auch Gegner gefolgt und muß er unter die einflußreichsten Gesetzgeber, besonders für die Lateiner gelten. Das ist die Hauptsache, [44] daß wir einigermaßen begreifen, wie nichtssagend ein Schlagwort wie die κοινή ist, wenn wir mit ihm an den Reichtum und die Gegensätze in der Literatur des Hellenismus gehen. Die bombastische Inschrift des Antiochos von Kommagene hat die Klauseln des Hegesias, aber sie strebt das Fortissimo der Erhabenheit an. Mit den drei σχήματα oder χαρακτῆρες oder γένη (es ist praktisch ziemlich einerlei, welcher Terminologie man folgt) kommt man nicht aus. Die rhodische Rhetorik, die wir bei dem auctor ad Herennium finden, reicht auch nicht, so unentbehrlich sie ist. Die Gerichtsrede, für die Hermagoras allein etwas bedeutet, kennen wir vollends nicht.

Sehen wir zuletzt noch die Geschichtsschreibung an, so leuchtet wenigstens so viel ein, daß nicht alle in ihr eine Aufgabe des Rhetors fanden, wie es im vierten Jahrhundert geschehen war. Ein alter Verwaltungsbeamter wie Hieronymos, ein Staatsmann wie Arat, würde gar nicht imstande dazu gewesen sein. Daß sie gleichwohl schrieben, daß die Fähigkeit zum Schreiben ganz weit verbreitet war, ist die Hauptsache, wie es geschah, aber damit durchaus nicht gesagt. Nur ist immer vorauszusetzen, daß keiner schrieb, wie er im Leben sprach, aber auch keiner ein klassisches Muster nachahmte. Vom Stile der Duris, Phylarchos, Timaios sogar haben wir kaum eine schattenhafte Vorstellung. Polybios und Poseidonios sind im Wollen und Können ganz verschieden, obwohl beide von allen archaistischen Anwandlungen frei sind, also manches zulassen, was dem Klassizisten ein Vulgarismus ist. Poseidonios ist ein geistvoller Mann und ein Künstler. Daß Polybios zum Schriftsteller nicht geboren war, darüber darf uns die Dankbarkeit für das Viele und Große nicht hinwegtäuschen, das wir ihm inhaltlich verdanken. Er hat es sich auch nicht träumen lassen, daß er zum Historiker werden sollte, wenn er auch eine Biographie als Nekrolog für Philopoimen verfaßte. Die unfreiwillige [45] Muße in Rom wies ihn an eine große Aufgabe; an Timaios setzte er an, der ihm zuwider war, aber doch abgefärbt haben dürfte. Seine weitschweifige Art zu erzählen und noch mehr zu belehren wiederholt oft dieselben Worte und Wendungen, die Berührung mit der Sprache der Urkunden ist unverkennbar und hat zu der Ansicht verführt, daß es für die hellenistische Sprache allgemein gelte. So viel ich sehe, trifft es für keinen anderen Historiker zu, aber bei dem Offizier, der in Rom die vornehmsten Herren in das Griechisch einführte, das für sie wichtig war, ist das begreiflich. So wird diese Sprache dem gesprochenen Diplomatengriechisch näher stehen als die Werke der Literaten[63].

Noch nachdem die sprachliche Reaktion eingesetzt hatte, finden die hellenistischen Stile ihre Vertreter, außer den asianischen Rhetoren bei Seneca und Philodem haben wir in Diodor einen Kompilator, der seine Vorlagen in verwaschenem, farblosem Griechisch so auszieht, daß sie öfter durchscheinen; er meint aber gut zu schreiben. Strabon schreibt mit sachlicher Nüchternheit klar und verständlich eine wissenschaftliche Prosa; er weiß von den Kämpfen der Rhetoren und verachtet sie (S. 625). Der Wortschatz ist bei beiden noch ganz hellenistisch. Über Philon und Paulus habe ich schon oben ein Wort gesagt. In die nächste Periode trete ich nicht ein.

[46] Drei große Aufgaben habe ich vorzuführen versucht, die auf dem Gebiete der Sprachgeschichte vor uns liegen, die Ansätze zu einer Prosa in den Dialekten, die es zu keiner Schriftsprache gebracht haben, was uns auch zu der Erfassung des Unterschiedes in der Sprache der ersten Einwanderer und der dorisch im weiteren Sinne zu nennenden führen soll. Zweitens die ionische Schriftsprache, drittens das geschriebene Hellenistisch in seinen verschiedenen Stilen. Wie sollen wir diese Aufgaben bewältigen? Von einem Thesaurus linguae Graecae will ich gar nicht erst reden. Er wird wohl nie kommen, und wer jetzt von ihm träumt, ahnt nicht, was alles vorher getan werden muß, ahnt nicht, daß ein Lexikon nicht mehr als den Wortschatz und allenfalls den Bedeutungswandel angeben kann; schon die Synonymik bleibt draußen, und die Entwicklung des Stils vermag weder Lexikon noch Grammatik zu geben. Sollen wir nun eine große Organisation schaffen, Grundsätze aufstellen, Pläne entwerfen, Leiter einsetzen, Bearbeiter werben? Gott bewahre uns davor. Organisationen der Art sind gut, um Material zu beschaffen, und selbst da erfährt man, daß sie nur Erfolg haben, wenn Männer da sind, welche wissen, worauf es ankommt und selbst mitarbeiten, und wenn Arbeiter da sind, die befähigt und gewillt sind, auszuführen, was die Wissenschaft jetzt gerade verlangt. Ist der rechte Mann da, so vermag er als einzelner in derselben Weise zu wirken. Es ist mir Herzenssache, hier einmal öffentlich auszusprechen, daß ein solcher Mann in Hugo Rabe unter uns wirkt, denn was er und seine Mitarbeiter für die griechische Rhetorik geleistet haben und hoffentlich auch weiter leisten werden, ist darum nicht geringer, daß nur wenige darauf achtgeben. Möge er sich entschließen, das viele, was er allein über die Rhetoren und die Byzantinerzeit weiß, noch einmal zusammenfassend, sei es auch noch so kurz, auszusprechen.

[47] Ich habe versucht, die Aufgaben der Sprachgeschichte im groben vorzuführen, aber immer gesucht, das zu bezeichnen, was ein einzelner ohne weiteres angreifen und bewältigen kann. Darauf kommt es an, daß er etwas persönliches leistet, an dem er seine Freude hat, denn Arbeit muß Freude machen: darin hat sie den wahren Lohn, und schöneres als freudige Arbeit gibts im Menschenleben nicht. Aber verlorene Arbeit darf es auch nicht werden. Täuschen wir uns nicht. Auch in unserer Wissenschaft wie in der der Natur gilt es da anzusetzen, wo der Moment die Aufgabe stellt; demgegenüber muß zurücktreten, was dem einzelnen gerade Spaß macht. Glauben Sie mir, daß es Überwindung kostet, alles Begonnene beiseite zu werfen, um eine neue Entdeckung allgemein zugänglich zu machen. Da dünkt mich, daß es denjenigen, welche weit genug zu blicken gelernt haben, um die nächsten Forderungen der Wissenschaft zu erkennen, auch zusteht, auf diese Aufgaben hinzuweisen, in der Hoffnung, freudige Arbeiter zu gewinnen. Was wir alle der Wissenschaft leisten, ist Dienst und fordert auch von jedem Arbeit, die an sich kein Genuß ist. Aber Kärrnerarbeit ist es nicht, wenn nur das Ganze vor unsern Augen steht.

Und noch eins. Die deutsche Wissenschaft läuft Gefahr, ihre Führerstellung in der Welt zu verlieren, weil es ihr an Arbeitern fehlt, mit andern Worten, weil die Lehrer an den höheren Schulen, zum Teil sogar die Doktoranden in der Studentenschaft durch die Nöte der Zeit, aber auch durch unerträgliche Überlastung versagen. Die Studenten brauchen Jahre, nicht nur um nachzuholen, was ihnen eine Schule nicht mehr mitgibt, deren Prinzip ist multa, non multum, sondern um denken und arbeiten zu lernen, was die alte enge Lateinschule ihnen mitgab. Es ist mir Pflicht und Freude zugleich, zu erklären, daß unsere Jugend trotz allem Kraft und Mut genug besitzt, um zu ernster wissenschaftlicher [48] Arbeit tüchtig zu werden. Mein letztes Seminar stand hinter keinem der mehr als hundert Semester zurück, in denen ich solche Übungen geleitet habe. Aber wenn sie dann in den Schuldienst treten, wird die Elastizität des Geistes durch die Last der Examina, später der über jedes Maß erhöhten Pflichtstunden und anderes mehr so schwer bedrückt, daß bei den meisten der beste Wille erliegen muß. Dagegen müssen wir nicht nur um der Wissenschaft, sondern ebenso sehr um der Schule und um der Schüler willen immer wieder unsere Stimme erheben.

Und ein letztes. Wir sind hier zusammen, weil wir zusammen gehören. Denn wir sind Lehrer, das ist unser Beruf, an der Universität ganz ebenso wie an der Schule. Aber Diener der Wissenschaft sind wir auch; daß ist auch der, welcher nur den Keim zur Empfänglichkeit für sie in die jungen Seelen legt. Und so rufe ich Ihnen meinen Scheidegruß. Wecke und erfrische unser Zusammensein in uns allen das Gefühl unserer Zusammengehörigkeit, wecke und erfrische es die Freude an unserem Lehramt und unserem Forschen, und erhalte es uns den Glauben an die Majestät der Wissenschaft, an unsere Jugend und nicht zuletzt an die Zukunft unseres deutschen Vaterlandes.

  1. Es sei nur an ein bekanntes Beispiel erinnert, κοντός ist jetzt das allgemeine Wort für kurz und κοντοπορεία heißt schon bei Polybios der kürzeste Weg von Korinth nach Argos; aber das ist ganz vereinzelt in dem antiken Schrifttum.
  2. Origenes (Philokalie S. 71 Robinson) bezeugt, daß Epiktet eben wegen seiner Sprache viel weiter wirkte als Platon. Aus demselben Grunde ist das Neue Testament lebendig geblieben, als die großen Kirchenlehrer nur noch als Heilige verehrt wurden.
  3. Für spätere Zeit geben die griechisch-lateinischen, bisher kaum verwerteten Schulgespräche einiges aus, aber auch da mischt sich gewählte Rede ein. Der Statthalter, den man in gewöhnlicher Rede klassizistisch ἡγεμών nannte, heißt ὁ διέπων τὴν ἐπαρχίαν. Aus dem diokletianischen Edikt über die Maximalpreise lernt man zahlreiche Wörter kennen, die jeder täglich sprach, aber keiner schreiben durfte.
  4. Eine Frage für sich ist, wie weit Justinian und Theodora samt ihren zum Teil ungriechischen Würdenträgern die Verse überhaupt verstehen konnten. Sie werden sich mit Anstand gelangweilt haben, wie einst mancher Fürst bei lateinischen Reden.
  5. Vergleichbar ist der Ciceronianismus, der im 15. Jahrhundert das bis dahin lebendige Latein durch die Nachahmung einer anerkannten Vollkommenheit verdrängt und damit seiner Weltgeltung ein Ende bereitet, das selbst die katholische Kirche nicht abwenden kann.
  6. Das läßt sich mit der Umsetzung in jungböotische Orthographie vergleichen, wie sie Korinna erfahren hat, deren Gedichte wir umschreiben müssen, dann werden sie dem Pindar ähnlich, wenn auch der Unterschied bleibt, daß Korinna neben den homerischen Entlehnungen nur ihren Dialekt anwendet.
  7. εποειοεν für ἐποίεσεν, sigeische Inschrift, Schwyzer 731.
  8. Siedlungsgesetz aus Westlokris, Sitz. Ber. Berl. 1927, 12.
  9. Wir sprechen so, wie es der Prozeß des Τ gegen das S bei Lukian voraussetzt, sollen uns aber darüber nicht täuschen, daß das böotisch-attische ττ von dem sonst herrschenden σσ in der Aussprache nicht so gar verschieden war; die Ionier haben leider aufgegeben, einen überflüssigen semitischen Sibilanten für diesen Laut zu verwenden. Wenn sich in hellenistischer Sprache ein attisches Wort wie ὀττεύομαι findet, so haben sie das mit tt gesprochen; ὄσσα hatte es in den Sprachen des Mutterlandes nie gegeben. Kretisches θάλαθθα tritt bestätigend hinzu; da gibt es auch Ττῆνα für Ζῆνα. Böotisches δδ war auch Sibilant (κριδδέμεν = κρίζειν). Die aspirierte Aussprache des δ hat auch viel weiter als in Elis gegolten, wo man früh ζ schrieb. τόζε Rhodos [12] IG XII Ι, 737. Besonders bezeichnend δισυροποιός auf Kreta, GDI 4759, was man ändert, weil nicht verstanden wird, daß δ das weiche s bezeichnet; δίζημαι ist dasselbe. Nur so erklärt sich rosa = ῥόδα, aus dem Plural genommen. Die Ionier begannen zur Zeit des Timotheos ζ als weiches s zu sprechen, und im ersten Jahrhundert war das durchgedrungen, wie z. Β. Catulls Zmyrna zeigt. Es ist Archaismus gegen die Sprache des Lebens, wenn die Poesie immer weiter ζ als Doppelkonsonanz behandelt.
  10. Der lakonische Dialekt darf nicht auf die spärlichen spartanischen Steine beschränkt werden; Tarent und Herakleia gehören dazu, und nun sind wir berechtigt, Thera und Kyrene zuzunehmen. Man erkennt, wie jung das Σ für Θ, das Η für S ist. Und ich halte nun für ausgemacht, daß Alkmans sog. Äolismen bodenständig sind, und wir uns mit einer Anomalie wie Μῶσα anders abzufinden haben. Da ist einfach das homerische Μοῦσα übernommen. Die Dorer hatten die Göttin gar nicht gekannt.
  11. Da in den Kolonien die gentilizische Verbindung in den Phratrien fiktiv sein mußte, ist die Phratrie später nichts als eine Schmausbrüderschaft. [14] Dagegen war die πατριά der „Dorer“ eigentlich das Geschlecht, wenn auch in Olympia (Inschr. 2) schon die γενεά darunter tritt; der Vater ist bereits ein Ahn geworden, und die einzelnen „Familien“ haben sich abgesondert, wenn sie auch in der πατριά zusammengefaßt bleiben.
  12. Ferri alcune iscrizioni di Cirene (Abh. Berl. Ak.) S. 21.
  13. Eupolis (Suid. χαίρειν) wirft dem Kleon vor, daß er an den Rat χαίρειν geschrieben habe, d. h. die Form des Privatbriefes in einem offiziellen Berichte angewandt.
  14. Sylloge 1259. Später würde es gelautet haben καλῶς ποιήσεις ἀποπέμπων.
  15. IG XII 3, 183.
  16. An Milet denkt man wegen der großen Schriftsteller, die doch erst um 550 zu schreiben beginnen. Das zwingt nicht. Man sprach dort γλάσσα, nicht γλῶσσα, πεμπάς, ἱέρεως.
  17. Die reichlichen antiken Zitate, aber auch die Rezension R zeigen, daß die archaistische Orthographie nicht durchaus galt, namentlich die sinnlose Vermeidung des paragogischen ν, diese auch nicht für Nachahmer wie Arrian. Wer die Psilose durchführen will (was praktisch Unzuträglichkeiten mit sich bringt), der werfe jeden Spiritus ab; der sog. lenis ist überhaupt ein Unfug. Die Grammatiker haben ihn nur vereinzelt zur Unterscheidung von mehrdeutigen Wörtern gesetzt. Daß wir den späten Byzantinern folgen, ist Trägheit; aber man fährt ja fort, das Iota hinter langem Vokal zu subskribieren, auch wo es gesprochen ward und wir es sprechen sollen, ἵππωι ist nicht schwerer zu sprechen als italienisches noi, ῥᾶι als mai usw.
  18. Ἡρώιδας war den späteren Schreibern so befremdlich, daß Athenäus Ἡρώνδας geschrieben hat oder es vorfand. Bei Plinius Ep. IV 3, 4 finden wir Herodas und so meist. Es ist Verkennung der difficilior lectio, wenn man sie nicht in Ἡρώιδας finden will.
  19. Akron hatte offenbar gar nicht geschrieben, von Philistion ist nichts im Wortlaut erhalten. Daß Alkmaion von Kroton in seiner achäischen Muttersprache geschrieben hätte, kann ein einziges ἔχοντι (Indikativ) neben Κροτωνιήτης und Πειρίθου nicht sicherstellen. Neben dem Dorisch des sog. Philolaos, das örtlich nicht bestimmbar ist, hat es ionische Schriften unter dem Namen des Pythagoras gegeben, die für hellenistische Fälschungen zu halten Willkür ist. Den Samier konnte man doch nur ionisch schreiben lassen. Erst durch Archytas ist Pythagoreisch und Dorisch in der Vorstellung der Menschen zusammengefallen. Sein Dialekt ist ganz verwüstet: da steht διαγνώμεναι, φρονέειν, ἄμμες, ζατεῖν, um nur die gröbsten Fehler aufzugreifen. Daß der Tarentiner seine Mundart schreiben wollte, ist so begreiflich oder auch unbegreiflich wie später bei Archimedes, denn der Dialekt ist nur ein Kleid, das der innerlich von der Literatursprache beherrschten Rede übergeworfen wird.
  20. Literaturwissenschaft tut sich als eine neue Disziplin auf, die sehr bequem sein mag, um sich der Philologie zu entziehen, denn zu der muß man [20] die Sprachen beherrschen. Da sollen wir Philologen sie ruhig abwelken lassen, denn Früchte kann sie nicht bringen. Aber freilich müssen wir beherzigen, daß die antiken Literaturen nur der verstehen wird, der befähigt ist, sie mit denen der anderen Völker zu vergleichen, χρὴ εὖ μάλα πολλῶν ἵστορας φιλολόγους ἄνδρας εἶναι.
  21. π. γονῆς, περὶ φύσιος παιδίου, περὶ νούσων IV. Ilberg, Die Ärzteschule von Knidos, Leipzig 1925, S. 9.
  22. Ilberg hebt hervor, daß das Werk mit einer γνώμη anhebt, νόμος μὲν πάντα κρατύνει (VII 470 L). Das ist ein Sprichwortvers; der Verfasser hat das μὲν eingeschoben, um ihn einzuordnen. Ursprünglich lautete es offenbar τὰ πάντα, denn die Senkungen sind frei, Griech. Verskunst 382.
  23. Auch inhaltlich spürt man die rhetorischen Schlagworte, συμφέρον, καλόν, δίκαιον in den symbuleutischen Reden. Wer ohne Kenntnis der alten Rhetorik an den Thukydides geht, also nicht merkt, daß seine Reden als rhetorische Kunstwerke wirken wollen, muß ebenso irre gehen, wie wer über die sprachlichen Anstöße hinwegliest. Er mag sich dann in der Überlegenheit seiner Unwissenheit blähen.
  24. III 53: Eine Tochter Perianders redet ihrem Bruder Lykophron gut zu: παῦσαι σεαυτὸν ζημιῶν. ἡ φιλοτιμίη κτῆμα σκαιόν. μὴ τὰ κακὸν κακῶι ἰῶ. πολλοὶ τῶν δικαίων τὰ ἐπιεικέστερα προτιθεῖσιν. πολλοὶ δὲ ἤδη τὰ μητρῶια διζήμενοι τὰ πατρῶια ἀπέβαλον. τυραννὶς χρῆμα σψαλερὸν· πολλοὶ δὲ αὐτῆς ἐρασταί εἰσιν, ὃ δὲ γέρων τε δὴ καὶ παρηβηκώς. μὴ δῶις τὰ σεαυτοῦ ἄλλοισιν.
  25. Ich lasse fort, was ich nicht genügend verstehe, μάλιστα χρημάτων, und vorher den Zwischensatz, dessen Sinn unsicher ist, zumal ἱερόν von Grenfell als zweifelhaft bezeichnet ist. Hier wird besonders deutlich, daß die Geschichte im Präsens erzählt wird, Nebenumstände im Imperfektum. Ebenso in dem folgenden Stück des Pherekydes.
  26. Pherekydes Fr. 18. βαλών für βαλῶν ist Druckfehler bei Jacoby.
  27. Ich ahme gegen unsere Sprache und ebenso gegen den späteren griechischen Gebrauch die Wortstellung nach, damit man nicht übersehe, wie der Erzähler gleich das Verbum setzt und die adverbialen Bestimmungen einzeln nachträgt, wie sie ihm einfallen, offenbar spricht er langsam ὃ αὐτὸν[25] ἐφόρει σὺν τοῖς ἵπποις, ἐπὴν δύνηι, διὰ τὴν ὠκεανόν, τὴν νύκτα, πρὸς ἑωίην.
  28. Gerade was Heinze in der Festgabe für Streitberg über das Praesens historicum im Lateinischen ausgeführt hat, zeigt den Unterschied sehr deutlich.
  29. Wir dürfen das nach der Sprache von Rhegion annehmen, Schwyzer 794, von Preuner am besten ergänzt.
  30. Es ist peinlich, daß wir nicht wissen, in welcher Sprache das einflußreiche Lehrbuch des Korax oder Teisias gehalten war, also ob der Syrakusier seine Sprache oder wie Antiochos ionisch schrieb. Da das Buch immer neu bearbeitet ward (es steckt ja noch viel in der Rhetorik des Anaximenes), ist es natürlich attisch geworden.
  31. Daß er für die Gerichtsrede einen ganz anderen Stil anwandte als für die ἐπίδειξις des Epitaphios und das παίγνιον der Helene, zeigt der Palamedas. Nur wenn man ihm diese Versatilität zutraut, kann man ihm diese Reden alle lassen. Aber das muß man und muß ihn danach einschätzen. Nur lag seine Stärke nicht in der Gerichtsrede: da hat ihn Thrasymachos übertroffen, und dessen Streben nach Rhythmus ist auch gesunder gewesen als die σχήματα.
  32. Πολιτ. Ἀθην. II 8. Antiattizistische Sammlungen belegen manche unattische Wörter und Formen aus der Komödie.
  33. ὀί Aristoph. Fried. 930; aber kein Athener sagte οἶ im Dativ, sondern προβάτωι. ὄκως Aristoph. Triphales.
  34. In Fr. 31 Wellm. findet sich die Anrede τί ψής ὦ Ἱππόκρατες. Das weist auf eine höchst lebhafte Form der Polemik, zu der ich keine Parallele alter Zeit im Gedächtnis habe. An einen Dialog kann man doch nicht denken.
  35. In Syrakus schreibt Philistos attisch; aber es ist nicht wohl denkbar, daß Dionysios bereits das Attische in seiner diplomatischen Korrespondenz angewandt hätte. Er selbst beherrschte die Mundart so weit, daß er Tragödien dichten konnte. Leukon, der König des Kimmerischen Bosporus, schreibt an die Mytilenäer attisch, IG XII 2, 3.
  36. Poseidippos bei dem Kritiker Herakleides. Das attische ει für ηι ist dialektisch geblieben und durch die Schule allmählich wieder dem ηι, d. h. η gewichen.
  37. Die Grammatiker sagen immer noch, daß die Böoter den Lokativ an Stelle des Dativs gesetzt hätten. In Wahrheit sind beide zusammengefallen, [31] weil ωι so wenig gesprochen ward wie ᾱι, das αε oder η geworden war, und ηι = ει.
  38. Im Neuen Testament stecken ganz verschiedene Sprachen, die der synoptischen Evangelien, in denen oft noch Aramäisch durchklingt, daneben ungebildetes Judengriechisch, auch in der Apokalypse, dasselbe gebildeter und anspruchsvoller im Johannesevangelium, der Rest ist ziemlich gleichgültig, der Hebräerbrief will Literatursprache geben. Paulus aber steht ganz für sich, einzig in seiner Art. Daher würde es nur gerecht sein, ihn für sich zu behandeln, nicht nur von der Grammatik, sondern auch von der Stilistik her, da erst offenbart sich seine Individualität und kommt die leere Imitation im Epheserbrief und den Pastoralbriefen sofort an den Tag.
  39. Die Rosettana ist Übersetzung aus dem Ägyptischen.
  40. Urkunden der Ptolemäerzeit I 622 Nr. 144. 145.
  41. Ich setze den Anfang des ersten Briefes her, weil er vielen fern liegen dürfte und besonders charakteristisch ist. Ἀπολλώνιος Εἰδήμωι χαίρειν. Εἰ τῶι τε σώματι εὖ ἐπανάγεις καὶ τὰ ἀλλὰ κατὰ γνώμην ἐστί σοι, καλῶς ἂν ἔχοι. μετρίως δ’ ἔχομεν καὶ αὐτοί. καθ’ ὃν δὲ χρόνον ἤμην μετὰ σοῦ ἐν Περγάμωι, ἐθεώρουν σε σπεύδοντα μετασχεῖν τῶν πεπραγμένων ἡμῖν Κωνικῶν, πέπομφα οὖν σοι τὸ πρῶτον βιβλίον διορθωσάμενοι, τὰ δὲ λοιπά, ὅταν εὐαρεστήσωμεν, ἐξαποστελοῦμεν. οὐ γὰρ ἀμνημονείν οἴομαι σε παρ’ [35] ἐμοῦ ἀκηκοότα, διότι τὴν περὶ ταῦτα ἔφοδον ἐποιησάμην ἀξιωθεὶς παρὰ Ναυκράτους τοῦ γεωμέτρον, καθ’ ὃν καιρὸν ἐσχόλαζε παρ’ ἡμῖν παραγενηθεὶς εἰς Ἀλεξάνδρειαν, καὶ διότι πραγματεύσαντες αὐτὰ ἐν ὀκτὼ βιβλίοις ἐξ αὐτῆς μεταδεδώκαμεν αὐτά, εἰς τὸ σπουδαιότερον διὰ τὸ πρὸς ἔκπλωι αὐτὸν εἶναι οὐ διακαθάραντες, ἀλλὰ πάντα τὰ ὑποπίπτοντα θέντες ὡς ἔσχατον ἐπελευσόμενοι, καὶ ἐπεὶ συμβέβηκε καὶ ἄλλους τινὰς τῶν συμμεμιχότων ἡμῖν μετειληφέναι τὸ πρῶτον καἢ τὸ δεύτερον βιβλίον πρὶν ἢ διορθωθῆναι, μὴ θαυμάσηις, ἐὰν περιπίπτηις αὐτοῖς ἑτέρως ἔχουσιν.
  42. Neben Adolf Wilhelm, der schon lange hierin der Meister ist, hat ein junger französischer Gelehrter, Charles Robert, neuerdings ganz überraschendes zu finden gewußt.
  43. Archiv für Papyrusforschung VI 324.
  44. J. Kirchner hat die Chronologie der attischen Formeln in dem ersten Hefte seines Index zu dem neuen IG II zusammengestellt, aber eben nur um der Chronologie und der Beamtenlisten willen. Es wird aber leicht sein, das Stilistisch-Sprachliche zu ergänzen.
  45. ἀττηγος Böckchen, Inschr. von Magnesia 98; solch ein Wort zu akzentuieren ist Täuschung. Bechtel hat es in seiner überaus wertvollen Sammlung der ionischen Wörter nicht verzeichnet. Hier liegt eine sehr schöne Aufgabe vor, das Ionische aus dem Hesych herauszuholen. Viel stammt aus dem ionischen Iambus, aber es gibt auch Glossen, die von Glossographen und Grammatikern frisch aus dem Volksmunde oder für uns verschollenen Schriften stammen. Übrigens sind gerade späte Inschriften Asiens nicht ganz unergiebig.
  46. Sicher gilt das von einem Psephisma von Kyme, Schwyzer 647, wohl auch von den mytilenäischen, IG XII 2, 67. 68.
  47. Jetzt wird der Name der Stadt Ἐρισσό gesprochen; aber die heutigen nordgriechischen Dialekte drängen nach der Oxytonese.
  48. Bezeichnend besonders die eben darum schwer herstellbare Urkunde von Stymphalos IG V 2, 357.
  49. Beschluß für Phylarchos IG V 2, I.
  50. Das Tzrakonische, das auf diese Sprache zurückgeht, nun durch Deffner in letzter Stunde für die Wissenschaft gerettet, läßt uns ahnen, daß das Landvolk auch in Arkadien und Elis noch Reste der alten Dialekte bewahrte, als Pausanias den Peloponnes bereiste, dem die Verständigung mit den illiteraten Bauern schwer gewesen sein wird. Außer den römischen Kolonien Korinth und Patrae war alles schon in tiefem Verfall.
  51. In Itanos herrschen die Ptolemäer; da schreibt man panhellenisch.
  52. Halikarnassos war der Doris verloren gegangen. Man schreibt nach Kos panhellenisch, die Antwort ist dorisch, koische Inschrift 63 Paton.
  53. Aber die berühmte astronomische Inschrift bietet ἡ μοῖρι στιγμῶν, IG XII 1, 913.
  54. Nur die kaum begreiflichen Nominative Ἑρμοκρηυν u. dgl. sind singulär; daß sie sich bisher auf Rhodos selbst nicht gefunden haben, verschlägt nichts, denn die abhängigen kleinen Inseln haben keine eigene Sprache.
  55. In dem Bruchstück des Στομάχιον ist auf die Dorismen geringer Verlaß, denn es findet sich zweimal σχᾶμα neben σχῆμα, wie Archimedes schrieb. Das meiste ist attisch.
  56. Er macht auch im Eingang des Briefes keine Phrasen wie Apollonios, sondern begnügt sich Ἀρχιμήδης Ἐρατοσθένει εὖ πράττειν und kommt gleich zur Sache ἀπέστειλά σοι πρότερον τῶν εὑρημένων θεωρημάτων ἀναγράψας αὐτῶν τὰς προτάσεις usw., worin ich übrigens αὐτῶν nicht einordnen kann; es wird αὐτάς gewesen sein, sehr gut griechisch, wo wir „nur“ sagen.
  57. An einen Timaioskommentar habe ich nie geglaubt, vielmehr den Gedanken immer als unvereinbar mit allem, was wir über die hellenistischen Philosophen wissen, zurückgewiesen.
  58. Forschungen zu Poseidonios, Upsala 1918. Was man auch im einzelnen abziehen mag, beeinträchtigt den Wert des Ganzen nicht. Es ist da recht viel zu lernen.
  59. Von Arkesilaos steht ein Privatbrief bei Diogenes IV 99. Er hält sich an den herkömmlichen Aufbau, χαίρειν, δέδωκα – διαθήκας κομίσαι πρὸς σέ; Begründung, πειρῶ οὖν … δίκαιος ἡμῖν εἶναι. Schlußformel ist fortgelassen. Die Worte sind schlicht und doch individull, voll edlen Ethos.
  60. Phot. 454a 33, wo er sich über καμάρα wundert, von dem er wußte, daß es nicht attisch war; in seinem Lexikon ist καμάριον als Ἑλληνικόν bezeichnet. Das ursprünglich karische Wort hatte doch schon Herodot aufgenommen, bei dem Halikarnassier begreiflich.
  61. 444a 32. τὸ μὲν Ἀθῆνας μέγεθος εἰς χελιδόνος συχκαταβῆναι ὄγκον, τὸ δὲ τοῦ Διὸς ἀξίωμα εἰς κύκνου κατασταλῆναι τάξιν, τὸ δὲ τῆς Δήμητρος κάλλος εἰς τὴν αἰσχίστην μετασταθῆναι διάθεσιν. Er drechselte auch antithetische Gnomen, 445a, die dem Photios der Aufnahme würdig schienen.
  62. Wir können so auch feststellen, daß im dritten Jahrhundert selbst in Athen der Gegensatz bestand, Anschluß an Demosthenes, wofür die erste Rede gegen Aristogeiton und die Berliner Verteidigung des Leptines zeugen, und Anschluß an Lysias, auf den sich Charisios berief.
  63. Die peinliche Vermeidung des Hiatus nimmt sich dabei seltsam aus; gerade solche Äußerlichkeit ließ sich bei jedem Stil durchführen und zeigte immerhin, daß der Schriftsteller sich mit der Form Mühe gegeben hatte. Gelegentlich baut Polybios auch eine elegante Periode, aber selten, und die Reden heben sich im Stil kaum ab. Ich gebe eine Probe, VI 3: τῶν μὲν Ἑλληνικῶν πολιτευμάτων ὅσα πολλάκις μὲν ηὔξηται, πολλάκις δὲ τῆς εἰς τἀναντία μεταβολῆς ὁλοσχερῶς πεῖραν εἴληφε, ῥάιδιον εἶναι συμβαίνει τῆν ὑπὲρ τῶν προγεγονότων ἐξήγησιν καὶ τὴν ὑπὲρ τοῦ μέλλοντος ἀπόφασιν· τὸ γὰρ ἐξαγγεῖλαι τὰ γινωσκόμενα ῥάιδιον, τό τε προειπεῖν ὑπὲρ τοῦ μέλλοντος στοχαζόμενον ἐκ τῶν ἤδη γεγονότων εὐμαρές. περὶ δὲ τῆς Ῥωμαίων usw. Wie viele Worte überflüssig sind, wie modern die meisten, sieht jeder leicht.