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Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte/7. Laienbildung

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6. Wissenschaft Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte
von Rudolf Wackernagel
8. Kunst
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Siebentes Kapitel
Laienbildung




Vor uns steht die große Erscheinung einer die zentralen wissenschaftlichen Mächte umgebenden profanen Bildung.

Eine Emanzipation des Geistes von der Kirche und ein Heraustreten freier, ihre Lebensanschauung sich selbst schaffender Laien aus der Menge hat in Basel frühe begonnen. Dann kann die Universität, eine der wenigen durch Bürgerschaften gegründeten hohen Schulen nördlich der Alpen, als Denkmal entwickelter Laiengesinnung gelten. Der Humanismus endlich erweist sich vorwiegend als Laiensache.

Aus diesen beiden Quellen strömt nun Leben in die schon vorbereitete Laienwelt. So scholastisch gerichtet und so kirchlich geordnet die Universität sein mag und so unterworfen der Humanismus seinem Stil und seinem Standesbewußtsein, die Wirkung nach außen ist nirgends zu hemmen. Auf unzähligen Wegen geht das geistige Edelgut durch die Menschheit; der Gelehrte kann seine Erkenntnis über das enge Museum und den innern Verkehr der Fachgenossen hinaus in die Welt der Philister eindringen und hier früher oder später, rein oder vermischt, stark oder geschwächt, weiter walten sehen.

Dem großen Vorgange der Säkularisation einer ehedem durch die Kirche geführten Wissenschaft gesellt sich der andere, der neben der Wissenschaft eine Laienbildung entstehen läßt und neben den Gelehrten die Gebildeten.


Zunächst ist an den Buchdruck zu denken.

Schon an sich ist dieses Verfahren etwas Profanierendes Vulgarisierendes; es legt die Perle und das Gold in Jedermanns Hände.

Doch kann auch hiebei noch eine vornehme Haltung bewahrt werden. Eine solche gibt der Basler Buchdruck lange nicht preis und bleibt bei der Gelehrsamkeit, beim Folioformat, bei der lateinischen Sprache. Noch 1514 [257] kann Wolfgang Angst aus der Gewichtigkeit und dem Ernste des Granschen Verlages in Hagenau heraus die Basler Drucker rühmen, weil auch sie sich nicht dazu verstehen wollen, kleine Schriften von Halbgelehrten zu publizieren. Damit hängt zusammen, daß die Basler Pressen auffallend lange mit dem Drucke deutscher Werke hinter den Offizinen andrer Städte, namentlich Straßburgs und Augsburgs, zurückbleiben und dem im Volk unverkennbar verbreiteten Lesenwollen und Lesenkönnen nicht entgegenkommen. In der gewaltigen Produktion Frobens finden sich nur zwei deutsche Werke. Nach Bergmans und Furters schwachen Anfängen nehmen sich erst Gengenbach und namentlich Adam Petri des Druckes deutscher Bücher und Hefte in stärkerem Maße an.

Aber im Wesen der Zeit liegt eine Tendenz, erlesenes Gut zu allgemeinem Besitztum zu machen; Bedürfnisse dieser Art sind in verschiedenen Abstufungen und Richtungen vorhanden.

Wir nennen die Einzelheit der Übertragung antiker Autoren ins Deutsche; sie kann als Popularisierung gelten oder als Hilfe für den Nichtwissenden; im Tiefsten hat sie, indem sie das Altertum Allen heranbringt, ihre geistesgeschichtliche Bedeutung. Auch in der Produktion dieser Literatur steht Basel hinter Straßburg und Augsburg zurück.

Ein andres Stück sind die durch Thomas Murner gefertigten und durch Adam Petri gedruckten Verdeutschungen der Titelrubriken und Regeln des kaiserlichen und des kanonischen Rechtes 1518, der Institutionen Justinians 1519: Werke, die in den allgemeinen Zusammenhang der damals zahlreich entstehenden populären Rechtsliteratur gehören. Dem Zasius erscheinen sie, wie diese ganze Popularisierung und namentlich wie Alles was Murner tut, als Schändung der ernsten Jurisprudenz.

Sodann die Schule. In allen ihren Betrieben, in der Universität, in den humanistischen Lehranstalten, wird ein neues Leben spürbar und ein Kämpfen geistiger Mächte. Auch niedere Schulen formen sich um und veredeln sich, was schon einzelne Lehrergestalten uns vergegenwärtigen: an der Theodorsschule Jacob Brun, Gregor Bünzli, Jacob Salandronius; an der Martinsschule Ulrich Zwingli, dann zu St. Theodor und zu St. Peter Oswald Myconius, an der Schule auf Burg Hieronymus Artolf. Die Pfarrschule heißt jetzt gut humanistisch ludus literarius, der Schulmeister nicht mehr rector puerorum, sondern ludimagister und ludimoderator. Das alte traditionelle Grammatiklehrbuch des Alexander wird verdrängt, und an seine Steile treten die Klassiker selbst, der Terenz u. A. Neuer Stoff und neue Art wirken Jahr um Jahr auf ihre Weise.

[258] Wir aber müssen darauf verzichten, dieses Werden einer Laienbildung mit einem Blicke zu überschauen. Zu den am Orte selbst sich mitteilenden und übertragenden Kräften treten von viel weiter her und mit allgemeiner Macht die Anregungen der Zeit überhaupt, die dem Menschen keine Ruhe mehr lassen, treten die Antriebe von Einwanderern und Passanten und die auf jeder Reise sich darbietende Lehre aller Welt. Berührungen und Beziehungen, die zu jeder Zeit vorhanden gewesen, haben neue Macht, neuen Inhalt. Wir ermessen, durch wie Vieles und an wie unzähligen Punkten das überlieferte Leben getroffen wird. Aber nicht an Getroffensein einer obern Schicht allein dürfen wir denken. Die Zeit will Alle befreien und heben. Wie die Fähigkeit des Lesens in immer größerer Breite herrscht, so die Fähigkeit und der Wille des Urteilens. Die dem Gemeinwesen zu seinem Gedeihen unentbehrliche Bewegung der alten Grundkraft, das stets wiederkehrende Emporsteigen des Talents aus untern Schichten zu gesellschaftlicher und politischer Höhe, erhält durch die neuen Forderungen und Zustände zwar eine Erschwerung des Weges aber auch eine erhöhte Bedeutung, einen stärkeren Gehalt.

Was sich uns bei diesem Allem offenbart als Wissen mannigfaltigster Art; als Freude an geistiger Kraft und Schönheit; als Empfinden ihrer Wirkung, die nicht Nutzen zu sein braucht, aber Segen ist; als Verlangen nach Emporkommen, nach Reifen und Wachsen; bei Dem und Jenem auch als Mühen um ein ihm stets Unzugängliches — das ist die Laienkultur, die schon alt ist und uns bekannt, aber erfüllt mit frischen Anschauungen und gehorchend neuen Geboten. Sie würde sich auf den verschiedensten Stufen, vom „schlichten“ bis zum „erfahrenen und belesenen“ Laien Nachweisen lassen, im staatlichen Regiment, im Verhalten zu kirchlicher Herrschaft und Lehre, in Geschäft und Gewerb, in Kunstfreundschaft, in Denk- und Lebensart überhaupt. Hier kann nur von einzelnen Personen und Gruppen die Rede sein.

Die gute Tradition studierender Bürgerssöhne lebt noch immer, bei den Bär Sürlin Irmi usw. Damian Irmi setzt seine Basler Studien in Freiburg und Bologna fort und bringts bis zum Magister. Wir erinnern uns auch an die jungen Lachner Oberriet Caramellis Holzach usw., die neben den Amerbachsöhnen auf den Schlettstädter Schulbänken sitzen. Der spätere Gewandmann Wilhelm Wölfflin ist hiefür Student in Basel und Tübingen. Ähnlich zeigt sich Matthäus Bütschi; er wird Magister, geht aber nicht zu den Gelehrten, sondern ins praktische Geschäftsleben; er führt Prozesse, ist Mitglied des Stadtgerichts usw., und heißt dabei überall der [259] wohlgelehrte Meister, der freien Künste Meister. Auch der Schwertfegerssohn Mathis Heckel, der selbst einst diesen Beruf treiben soll, immatrikuliert sich bei der Universität. In Paris studiert Martin Isenflam, und an den dortigen offiziellen Freiplätzen finden wir den Burkart Schlegel, den Antoni Silberberg, Martins des Kochs zum Bock Sohn u. A. m.

Wie der neue Geist in alle Kreise fährt, zeigt sich unaufhörlich. Der Goldschmied Stoffel Osterwald besitzt nicht nur die große Schedelsche Chronik und das Büchlein vom Eulenspiegel, sondern auch den Livius. Beyels Sohn wird Ulpian getauft. Die Altarstiftung der Witwe von Brunn 1514 hat noch ein anderes Ziel als die Devotion; die Donatorin ist der Meinung, daß nur Solche zum Seelenheil unterweisen können, die auf der Universität gelernt haben, und stiftet ein Stipendium in der Theologenfakultät; der jeweilige Stipendiat soll dem Altare dienen.


Eine einzelne Vollfigur endlich bringt zur Anschauung, was diese Zeit aus einem Städter machen kann. Das ist Rudolf Huseneck.

Er versieht die Stelle eines der Amtleute am Stadtgerichte; daneben scheint er auch als freier Anwalt von Parteien aufzutreten. Zu Allem fähig, läßt er sich Fälschungen zu Schulden kommen und muß 1512 Amt und Stadt verlassen. Doch geht er keineswegs unter. Geschicklichkeit und Menschenkenntnis helfen diesem elastischen Menschen sofort. Er wird Bürger von Straßburg, verkehrt mit Edelleuten und hohen fürstlichen Beamten, ist überall wohl gelitten als „Herr Rudolf von Huseneck“. Auch mit Basel tritt er wieder in Beziehungen und wird Agent des Rates, dem er Informationen besorgt.

Auch in Anderem zeigt sich seine Besonderheit. Schon der Besitz, in den Häusern Husenecks an Weißer Gasse und Streitgasse aufgehäuft, ist für einen Kleinbürger, einen Gerichtsamtmann ungewöhnlich. An der Spitze der reichen modischen Ausstattung stehen die Kostbarkeiten und Kunstsachen, Gemälde Statuen Münzen Edelsteine. Natürlich fehlt nicht eine Sammlung musikalischer Instrumente. Anziehend ist auch die große Bibliothek. Neben Pandekten und Dekretalen finden sich da die kaiserlichen Landrechte, der Laienspiegel, der Sachsenspiegel, das Weichbildrecht, die Bamberger Halsgerichtsordnung. Aber auch Schedels Chronik, der Ritter vom Turn, die cento novelle antiche, die Translationen des Niclaus von Wil, Melusine und Hug Schapler, und in zahlreichen Bänden Caesar Ovid Livius Aristoteles, ferner Boccaccio Balla Panormita Filelfo usw. Speziellern Interessen dienen ein deutsches Herbarium und ein altes Büchlein vom Baumzweigen, sowie mehrere Werke über Geometrie und Astrologie nebst dem messingenen Astrolabium, [260] während nebenan im dunkeln Kabinet der Teufelskreis mit Drähten und Buchstaben und die Büchlein der Visionen und Konjurationen sich bergen, Hilfsmittel zum Heben von Schätzen, zum Zitieren von Geistern. Inmitten dieser gewählten Habe sehen wir den Huseneck selbst, der auch sein Äußeres pflegt und sich golddurchwirkte Hemden gönnt sowie silberne Degenscheiden, ein Schreibzeug von Zypressenholz und einen Affen als Haustier. Aber er ist nicht nur Sammler, nicht nur preziöser Amateur. Die Bildung dieses Fürsprechs imponiert seiner Umgebung, die ihn einen „wolberichten Mann“, einen doctus ac ingeniosus interpres legum nennt. Er denkt auch über die deutsche Sprache nach, über die Reinheit ihrer Formen, den Stil, die colores rhetoricales; wie überall, so hier wählerisch, nur das Feine und Ausgebildete schätzend. Er gilt als Autorität in diesen Dingen, daher ihn der Luzerner Etterlin zur Mitarbeit an seiner eidgenössischen Chronik heranzieht. Es handelt sich um Reinigung des Wortschatzes und um Verbesserung des Satzbaues in dem „von einem Welschen oder bösen Teutschen“ redigierten Manuskript. Huseneck übernimmt diese Korrektur und wird so zum Herausgeber des 1507 bei Furter erscheinenden berühmten Buches, der ersten gedruckten Schweizer Chronik.


Ausgiebig bezeugt ist innerhalb dieser gebildeten Laienwelt die Schicht der Schreiber Juristen Sachwalter Agenten und dgl., zu der Huseneck gehört. Eine bemerkenswerte Zwischenstufe, auf der Deutsch und Lateinisch, Deutsch und Französisch, Fachwissen und Halbgelehrsamkeit sich merkwürdig mengen.

Von Peter Hans Baltheimer dem laicus literatus an begegnen uns die Namen der Rechts- und Formenkundigen in langer Reihe bis zu den Beamten der Curien Lienhard Langwetter Sixt Selber Heinrich Karcher usw. Diese großen „Schreiber“, die Unentbehrlichen, erscheinen weniger kurial und geistlich als ehedem. Auch ihre Bildung ist reicher, und ihre Anpassung an die Zeit zeigt sich in Manchem, z. B. wie der Eine oder Andre sich die moderne Humanistenschrift aneignet oder sein Latein veredelt, aber auch wie der Sinn erwacht für Pflege und Ausbildung der deutschen Sprache.

Das sind die Praktiker, Vertreter jener Menschenart, für die der richterliche Klagspiegel Sebastian Brants, der Laienspiegel Ulrich Tenglers, die vielen Expositionen Introduktionen Vokabularien der populären Rechtsliteratur geschrieben worden sind. Aus ihrer Masse treten Einzelne vor wie die Lizentiaten Johann Crus und Johann Gut.

Sodann der vielbewährte Adelberg Salzman, einer alten Schreiberdynastie der bischöflichen Curie angehörend. Schon äußerlich empfiehlt er [261] sich uns durch die Klarheit von Schrift und Stil in seinen unübersehbar zahlreichen Ausfertigungen; er ist befreundet mit dem Berner Thüring Fricker, mit Glarean, mit Cantiuncula. Zu seinem Wesen gehört, daß er auch äußerlich mit der Zeit zu gehen weiß und sich durch allen Wechsel hindurch in Geltung erhält. Nach dem Ratsbeschlusse von 1515 über die Hofsverwandten wird er zünftig zu Gärtnern; er übernimmt Ämter in der städtischen Verwaltung, ohne die alten Beziehungen zu Bischof und Hofgericht zu lösen. Er wird auch die Reformation überdauern und in Basel in Amt Ehren und Verdienst bleiben.

Ähnlicher Art ist Werner Beyel, ein Elsässer gleich dem Notar Niclaus Haller und durch Diesen nach Basel gezogen. Auch er hat seine Tätigkeit an den Curien. Er amtet daneben als Notar der Unversität.

Eine Schreiberfamilie sind ferner die Reinhard: der alte Lorenz und dessen Sohn Hans Erhard, als Notare und Vermögensbesorger oft genannt; später wird Hans Erhard durch seine Kriegsdienste in französischem Solde von sich reden machen.

Volles eigentümliches Leben ist bei den Schweglern zu Hause, von denen diese Jahrzehnte wimmeln: Friedrich Hartman Christoph Johann Caspar Mercurius Salomon; sie Alle scheinen von Konstanz hergekommen zu sein. Unser Interesse aber fordern nicht sie, sondern Gregor und Daniel.

Gregor Schwegler aus Konstanz ist von 1491—1522 an der bischöflichen Curie tätig; daneben versieht er das Amt eines Prokurators bei der Filiale des Konstanzer Offizialats in Kleinbasel. Für Notariatsgeschäfte der städtischen Verwaltung ist er der Bevorzugte. Wichtiger sein Verkehr mit den Humanisten Rhenan u. A., die ihn als einen „fröhlichen alten Herrn“ schätzen.

Auch Gregors Sohn Daniel betreffen wir von 1506 an im Verbande des bischöflichen Hofgerichts. Dann aber, nach der Maßregelung der Curialen durch den Rat 1515, geht er in städtische Ämter über. Er wird Richthausknecht, erhält 1524 um guter Dienste willen das Bürgerrecht geschenkt und wird 1525 Schultheiß von Großbasel. Zur Monotonie dieses Amtslebens treten aber Einzelheiten, die uns den Mann lebendiger und werter machen: seine Sammlung von Musikinstrumenten; sodann daß er den berühmten oberrheinischen Revolutionstraktat besitzt und dieser Handschrift Randnoten beigibt, „durch die er ein besonders lebhaftes Interesse für die Geschichte der kirchlichen Reformbestrebungen Sekten und Ketzereien bekundet und in denen er zugleich seiner ungünstigen Beurteilung des zeitgenössischen katholischen Klerus, wie seiner Abneigung gegen Luther und die läuferische Bewegung Ausdruck gibt.“

[262] Endlich Cosmas Erzberg aus Basel. Er wird Notar; von 1488—1532 arbeitet er in städtischen Amtsstuben, erst als Substitut der Kanzlei (—1494), dann als Kaufhausschreiber. Aber schon in jungen Jahren hat er sich aus der Karthäuserbibliothek Bücher zum Studium geholt, und ein selbständigeres Bücher- und Schreiberwesen zeigt er dann bei seinen geschichtlichen Sammlungen, in denen er eigene chronikalische Aufzeichnungen mit Kopien und Extrakten andrer Texte vereinigt.


Mit dieser „Geschichtschreibung“ steht Erzberg, nicht zeitlich aber sachlich, am dürftigen Ende einer Reihe von Historikerdilettanten. Über vereinzelte Anmerkungen oder Einfälle kommt er nicht hinaus, wie die Laune und der Tag sie bringen.

Besseres leistet auch nicht der Kaufmann Hans Wiler, der in einer Handschrift die sächsische Weltchronik und die Basler Chronik Appenwilers geerbt hat und diese nun in stadt- und familiengeschichtlicher Liebhaberei mit allerlei eigenen Aufzeichnungen begabt. Das Meiste holt er sich aus alten „Registern“, nur zum kleinern Teile vermerkt er eigene Beobachtungen und Erlebnisse. Doch auch hier sind es nur dissolute Notizen.

Daneben aber stehen einige Werke, deren Autoren Darsteller heißen dürfen. Es sind die großen Ereignisse des Schwabenkrieges und der ihm folgenden politischen Umgestaltungen, dann der Mailänder Kriege, weiterhin die mächtige, anderthalb Jahrzehnte füllende Erschütterung des städtischen Wesens, die zu diesen Niederschriften getrieben haben und auch tatsächlich deren Hauptinhalt bilden. Die Verfasser sind uns in der Mehrzahl nicht bekannt; neben vier Anonymi treten Heinrich Ryhiner und Konrad Schnitt. Durchweg aber haben wir es mit fortlaufenden Erzählungen von Teilnehmern oder Zeitgenossen zu tun. Sie schreiben nicht Geschichte, sondern das Gefühl des Selbsterlebten drängt zur Äußerung. Es sind Referate ohne Prätension, Memorabilien sowohl des privaten Lebens als des öffentlichen. Mit Beschränkung auf politische und kirchliche Fakten, auf merkwürdige Vorfälle, Anekdoten, Klatsch, während sie für ganze Gebiete des städtischen Daseins, das Gelehrtenwesen, den Buchdruck, die künstlerische Tätigkeit kein Wort übrig haben. Auch keine Gruppierung oder Gestaltung findet sich; die Bequemlichkeit der chronologischen Folge meistert Alles.

Deutlicher wird uns die Entwickelung des Laienchronisten bei dem Tuchhändler Ratsherrn und Bürgermeister Adelberg Meyer. Sein Vater Klaus hat sich uns s. Z. als modern gerichteten Sammler und Leser vorgestellt. [263] Zu der von ihm ererbten Neigung kommt bei Adelberg noch die ernstere Anregung seines Oheims, des Domherrn und Professors Arnold zum Luft. Meyer zieht dessen reiche Bibliothek an sich. Den Schwabenspiegel, den er später dem Sebastian Münster mitteilen kann, hat er wohl in dieser Büchersammlung gefunden. Er besitzt auch eine Reihe baslerischer Chroniken: den Appenwiler, den Offenburg u. A. Dann aber ist der Beachtung wert, wie die politischen Erlebnisse und Erfolge auf die literarischen Liebhabereien des Tuchhändlers wirken. Sofort nach seiner Erhebung zum Bürgermeister läßt er sich durch Hieronymus Brilinger die lateinische Stadtchronik Beinheims ins Deutsche übersetzen. Und wie dann das stürmische Jahrzehnt vorüber ist, sehen wir wieder ungestörter in Meyers Arbeit hinein. Wir lernen seine Sammlungen von Auszügen aus Chroniken und Urkunden kennen, seine Abschrift der Chronik des Konrad Schnitt, sein Studium der Colmarer Chronik usw. Er kennt den Ammianus Marcellinus und würdigt die historische Bedeutung des bei der Landskron gemachten Münzfundes. Er beschäftigt den Magister Berlinger als Zusammenträger und Kopisten. Er legt eine Chronik der eigenen Person und Familie an und schließt zuletzt an all das Gesammelte noch eigene Aufzeichnungen, in der Hauptsache ein Referat über Selbsterlebtes, jedoch nicht der großen bewegten Zeit, sondern späterer Jahre.


Unser Humanismus läßt sich keine schriftstellerische Pflege der Vulgärsprache angelegen sein. Er tut nicht, was Bembo und andre Humanisten Italiens tun; er folgt auch nicht dem Vorgange Sebastian Brants, der führender Humanist am Oberrhein und zugleich der erste deutsche volkstümliche Dichter der Zeit gewesen ist.

Statt dessen hebt sich neben dem Humanismus die Kraft eingebornen Lebens selbst empor. In dem glänzenden und großen Vorgange dieser Zeiten, der ein allgemeines geistiges Regewerden und eine Verjüngung aller Erkenntnisse und Fähigkeiten bringt, schlägt auch der Sprache des Volkes die Stunde, da sie ihres Rechtes und ihrer Macht aufs Neue bewußt wird.

Bedeutsamer als in den geschichtlichen Arbeiten zeigen sich Äußerungen des Laieningeniums in deutscher Dichtung. Es handelt sich um Volksliteratur, um Schöpfungen, deren autochthone Ächtheit sie siegen läßt über allen Schimmer humanistischer Sprachkunst, wobei wir nicht zu leugnen brauchen, daß zahlreiche Elemente aus jenem Gebiete des hohen Wissens auch in die selbständigen nationalen Werke einströmen.

[264] Wir beachten zunächst die sprachliche Gestaltung dieser Werke.

Brants Monumentalwerk, das in Basel gedichtete Narrenschiff, redet in einer von der neuhochdeutschen Gemeinsprache abweichenden oberrheinischen Schriftsprache. Auch die Sprache andrer Basler Publikationen der Zeit ist durchaus dieser Schriftdialekt. Daneben aber werden hier auch Bücher in völligem Gemeindeutsch gedruckt. Schon die allgemeine Art Basels, dem großen neuhochdeutschen Sprachgebiete näher stehend und seinen Einflüssen zugänglicher als die Schweiz, zeigt sich hierin; außerdem aber ist an die den Satz herstellenden Arbeiter zu denken, die großenteils aus dem Reiche hier eingewandert sind; ihnen sowie den Verlegern und Druckern selbst ist zuzuschreiben, daß in die Werke des ortsüblichen Schriftdialektes, die hier verfaßt und gedruckt werden, gemeindeutsche Laute eindringen. Dies Verhältnis und dieser Widerstreit zeigen sich deutlich bei Pamphilus Gengenbach. Als Volksschriftsteller dichtet er im Schriftdialekt, aber in seinen Drucken dieser Dichtungen stehen zahlreiche Formen der Reichssprache, und auch da, wo er fremde Produkte druckt, z. B. das Namenbuch des Elsässers Konrad von Dankrotzheim, wird der Text vielfach an das Gemeindeutsch angepaßt. Außer Gengenbach ist Adam Petri zu nennen. So wie er 1518 für einen Augsburger Verleger ein Buch „in hochtutsch und sachsischer Sprach" zu drucken übernimmt, so hat er namentlich durch seine Art des Nachdrucks von Werken Luthers sprachgeschichtliche Bedeutung erlangt.

An eine so gewaltige Fülle volksmäßiger Produktion von Liedern Liedlein Tagweisen Sprüchen Zeitungen usw., wie sie später aus den Basler Offizinen Schauber Apiarius Schröter u. A. in die Welt hinausging, ist in dieser frühern Zeit wohl kaum zu denken. Aber auch die spärlichere Liederpoesie unsrer Jahrzehnte hat sich nur in Fragmenten erhalten, in einigen Meisterliedern vom Sündenfall, von Mordtaten usw. Auch die in Basel unaufhörlich entstehenden Momentdichtungen Parteilieder Streit- und Hohngesänge haben naturgemäß ihre Geburtsstunde nicht lang überdauert. Nur einige wenige Stücke dieser Art leben noch heute, wohl durch die Bedeutung der Ereignisse getragen, denen sie gelten, wie die Lieder auf die Niederlage der Venezianer bei Agnadello 1509, auf die Schlachten von Térouanne und Novara 1513, auf die Erwählung Karls V. Derselbe Pamphilus Gengenbach, dem einige dieser Lieder zugeschrieben werden, läßt als Verleger (zugleich als Autor?) Erneuerungen der Legende von den Jacobsbrüdern und des „Rebhänslin" (Begrüßungen und Segnungen des Weins) ausgehen. Seinen Namen tragen auch die Schrift über den Breisgauer Bundschuh und ein Gedicht über das fahrende Volk des Kohlenbergs.

[265] Deutlicher als in diesen losen Einzelheiten verkündet sich dichterische Art und Kunst in einer Reihe dramatischer Schöpfungen. Auf diesem Gebiet ist Gengenbach der die Zeit repräsentierende Meister.


Pamphilus Gengenbach, wohl ein geborener Basler, scheint auf der Wanderschaft bei Koberger in Nürnberg gearbeitet zu haben; Beziehungen zu Nürnbergern und Reminiszenzen dieser Stadt des Meisterliedes und der Fastnachtspiele zeigen sich noch später bei ihm. Zunächst hat er unruhige Jahre in Basel mit Geldschulden Wundtaten Friedbrüchen. Er ist Druckergeselle. Zwischenhinein auch einmal Kochwirt zum Rößlein (Röslein). Erst mit dem Schlusse des ersten Jahrzehnts erscheint seine Existenz als befestigt. 1508 wird er zünftig zu Gartnern, 1509 verheiratet er sich mit Änneli Renkin. Was ihn von jetzt an vor das Stadtgericht bringt, sind weniger eigene Schulden, als Forderungen die er zu stellen hat, oder Bürgschaften die er leistet. Um diese Zeit nimmt auch seine Gesellenschaft ein Ende. Er arbeitet als selbständiger Buchdrucker in seinem 1513 gekauften Hause zum kleinen roten Löwen neben dem Himmelzunfthaus. Aber er druckt nicht nur Werke Andrer, er geht selbst unter die Autoren.

Die Eigenart des Druckers Gengenbach haben wir schon kennen gelernt. Das Deutsche, das Aktuelle, das Kurze, das sofort Wirksame ist sein Thema. Dem entspricht seine eigene Schriftstellerei.

In wechselvollen Jugendjahren reif und stark geworden, von nicht gewöhnlicher Bildung, erscheint er in seinen Werken als der Kommentator alles Dessen, was um ihn ist. In durchaus ernstem Sinne, mit moralisierender Tendenz, mit dem Patriotismus der reichsdeutschen Richtung. Alle diese Qualitäten wirken in Gengenbachs Schauspielen.

Wir erinnern uns an die wenigen ältern Basler Spiele, von denen wir Kunde haben. An das Spiel der Schneider, an das Fastnachtspiel von Bertschis Hochzeit, an das Spiel vom reichen Mann und armen Lazarus. Bei einem Spiel an der Fastnacht 1504, in Kleinbasel, ziehen die Mitwirkenden übermütig in eines der dortigen Frauenklöster; 1511 haben die Buchdrucker ihr Spiel auf dem Marktplatz. Auch das geistliche Schauspiel mit seiner Dramatisierung von heiliger Geschichte und Legende ist in Basel heimisch. Wir hören oft von diesen „Spielen der Pfaffen"; das Peterskapitel verwahrt in seiner Bibliothek Texte eines Osterspieles, eines Himmelfahrtsspieles und dgl.; und wie Weltlichkeit und Laientum auch in diesen heiligen Bezirk der Kirchendramatik einzudringen versuchen, zeigt die Vorschrift der Statuten 1503, daß in Kirchen und Kirchhöfen keine Tänze noch [266] Spiele gestattet sein sollen außer den repraesentationes dei et sanctorum. Aufführungen eines Dreikönigsspieles und eines dramatischen Totentanzes durch Scholaren werden uns gemeldet, und als das Neueste die Aufführung antiker Dramen. Wiederholt gehen im Reinacherhofe Terenz und Plautus vor den Domherren über die Szene.

Hier haben wir es mit Anderem zu tun, mit den wichtigen Dichtungen Gengenbachs. Sie begnügen sich mit Monologreihen und einfachem Dialog. Meist sind sie abgefaßt in Versen von der Art der aller Welt geläufigen des Brantschen Narrenschiffes, weniger sorgfältig geformt als sie, aber frischeren Klanges. Nur einmal, im Spiele vom Alten Eidgenoß, tönen leichtbewegte Strophen. Durchweg sind Form und Aufbau von der bescheidensten Art, so daß in der Tat nur von „Reimspielen“ geredet werden kann. Aber sie bestehen und wirken weit über Basel und den Moment hinaus durch ihre Ideen, ihre Lehren und Warnungen. Durch das Bekennen nationaler deutscher Gesinnung und die Mahnung zu alteidgenössischer ruhiger Kraft im „Wälschen Fluß“ 1513 und im „Alten Eidgenoß“ 1514. Durch die ernste Betrachtung allgemeinen Menschenschicksals und die Darstellung[WS 1] von Lastern und Ungebühren der Zeit in den „Zehn Altern“ 1515. Durch die herbe Züchtigung der Unkeuschheit in der Gäuchmatte. Durch das großartige Überblicken aller Welt und ihrer Händel im „Nollhart“ 1517. Vermöge solches Gehaltes können die Spiele Gengenbachs, bei ihrer Aufführung auf dem Marktplatz oder wo sonst sie ihr leichtes Bretterwesen aufschlagen, ein Höhepunkt nicht nur der Fastnachtzeit, sondern des städtischen Jahres überhaupt sein. Sie werden durch Bürger und Handwerksknechte gespielt, nicht durch berufliche Darsteller, sodaß das Basler Volk selbst in diesen Dramen redet, die ihm seine Zeit zeigen und richten.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Dartellung