Zum Inhalt springen

Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte/5. Die Regenten

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
4. Regiment Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte
von Rudolf Wackernagel
6. Wissenschaft
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

[117] 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000

Fünftes Kapitel
Die Regenten




In einer Fülle von Erscheinungen entfaltet sich vor uns das Regiment. Wir aber sehen uns nach Denen um, die Hauptvertreter dieses Regimentes sind, nach den Regenten. Sie zeigen sich uns in verschiedenen Schichten.

Wir treffen Männer im Rathause, die wesentlich Gestalten des voreidgenössischen Basel sind, auch wenn sie noch einige Jahre der neuen Zeit miterleben: Niclaus Rüsch, Friedrich Hartman.

Andrer Art sind Diejenigen, die auch schon im alten Basel mitgewirkt, aber noch Frische genug haben, um jetzt dem neuen sich wieder zu eigen zu geben: Hans Hiltbrant, von der Hausgenossenzunft im Rate 1484 bis 1508; Walther Harnisch, von der Metzgernzunft 1486—1510; Mathis Iselin, von der Safranzunft 1489—1511; Ludwig Kilchman, von der Hohen Stube 1491—1517. Was diese Männer darstellen, ist das Mittelmaß, auf dessen starker und stäter Vertretung die Gesundheit des Regierens ruht. Dies gilt zumal von den ausdauernden Veteranen, von Caspar Koch, der vierzig Jahre lang, 1485—1525, in Rat und Kollegien arbeitet; von Michel Meyer, der fünfunddreißig Jahre lang von der Hausgenossenzunft her und sieben Jahre lang von der Hohen Stube her, 1476 bis 1518, dem Rat angehört. Auch Heinrich von Sennheim hat seine Bedeutung, 1486—1491 und 1498—1510 als Zunftmeister zu Safran im Rate, der letzte namhafte Vertreter eines Geschlechtes, das mit dem Ruhme Basels durch Jahrhunderte hindurch alt geworden ist.

In hohem Maß aber gilt dies von der vollkommenen Gestalt des Peter Offenburg. 1458 geboren, 1514 gestorben, erreichte er nur dasjenige Alter, in dem sein Großvater Henman noch wohlgemut nach Jerusalem gefahren war. Aber ihn den Enkel zeichnet aus, daß sein Leben völlig unzersplittert dem Gemeinwesen gehörte. Vor Andern befähigt vollbrachte [118] er während der Jahrzehnte des Überganges das Verschiedenartigste und immer gerade Dasjenige, was für die Stadt bedeutend war. Nach einigen Jahren Verwaltung der wichtigen Landvogtei Farnsburg, 1486—1494, trat er in den Rat und war von da an in ihm unausgesetzt tätig, schon von 1496 an als Oberstzunftmeister, dann bald als Bürgermeister. Seine denkwürdigste Leistung der frühern Periode war die Gewinnung des kaiserlichen Privilegs von Antwerpen 1488. Dort führte er Basel enger dem Reiche zu, dreizehn Jahre später der Eidgenossenschaft. Als das Haupt der Stadt schwor er 1501 den Schweizern. So hat er die entscheidenden Jahre der Basler Geschichte an höchster Stelle miterlebt; aber wir vermögen nicht zu sagen, wie weit er Urheber der Ereignisse gewesen ist und wie weit nur ihr Benützer. Nach dem Jahre des Bundes war er jedenfalls der am häufigsten handelnde Vertreter Basels in eidgenössischen Dingen. Daher auch in der ganzen Schweiz wohl der bekannteste und angesehenste Basler dieser Zeit. 1502 Gesandter zu König Ludwig, 1512 Gesandter zu Kaiser Max; aber auch Kommandant des ersten eidgenössischen Heerzuges Basels 1503. In solcher Kraft und Gewandtheit überdauerte er Perioden und Schwankungen baslerischer Politik, und als er 1514 starb, konnte er zurückblicken auf eine mit seiner Person enge verbundene gewaltige Entwickelung der Vaterstadt. Im Momente höchsten Glanzes erlitt er den Tod. Wie viel aber sein Leben und nun sein Tod galten, zeigt die ungewöhnliche Betätigung von Rat und Bevölkerung bei seinem Grabgeleite.

Ähnliche Beachtung fordert Offenburgs Genosse Lienhard Grieb. Eine eigenartige Gestalt voll Feinheit und Leben. Im Dienst am Gemeinwesen war er der würdige Erbe seines Vaters, er wurde zu einem Führer gleich Offenburg. Seit 1494 im Rate, versah er von 1504 bis zu seinem Tode 1516 das Oberstzunftmeisteramt. Das ihn besonders Auszeichnende aber war seine Bildung. Schon an seinen Akten erkennen wir die geistige Eigenart des Mannes; sie treten aus den übrigen Skripturen vor vermöge der individuellen Schrift sowie der Klarheit und Leichtigkeit des Satzbaus. Aber auch alles Übrige läßt die Kultur Griebs erkennen. Seinen akademischen Jugendjahren und dem 1482 zu Basel erworbenen Magistertitel verdankte er, daß er an den eidgenössischen Konferenzen Doktor Grieb hieß, als der einzige Tagherr dieser besondern Qualität neben dem Berner Thüring Fricker, seinem Freunde. Daher er auch, wie wir gesehen haben, in einem solennen Momente und am feierlichsten Orte der Welt, im Vatikan vor Papst Julius, als Orator der Eidgenossen seine Bildung erweisen konnte. Aber wie er hier mit seinem Latein vor kritischen Hörern Ehre einlegte, so [119] war er im folgenden Jahre fähig zum Kommando der Basler Truppen im Dijonzuge. Noch besitzen wir das Testament, das er damals vor dem Abmarsche machte, mit der Erbseinsetzung seiner Verwandten, da er ohne eheliche Kinder war, und mit großen Vergabungen an die Kirche und die Stadt. Noch erlebte er die Katastrophe von Marignano und die Entrechtung der Hohen Stube; im Sommer 1516 starb er.

Eine denkwürdige Periode waren die 1510er Jahre. Ihre Fülle und Macht ergreift uns überall; hier ist festzuhalten, wie das staatliche Leben Basels während dieser Jahre in der Gewalt weniger Männer steht. Wir suchen sie kennen zu lernen.

Vorerst den überall bei politischen Geschäften beteiligten, jedoch nirgends eigenartig vortretenden Eucharius Holzach. Er ist Oberstzunftmeisterssohn und eine der kleinen Größen der Mindern Stadt, wo er als Schultheiß amtet, mit den Kilchman verschwägert ist und Beziehungen zur Karthause hat. Seit 1507 sitzt er im Rate; 1516 erwirbt er, offenbar für die Stadt, die Herrschaft Hüningen. — Hans Stolz sodann gehört dem Rate schon seit 1495 an. Ihm eigen sind die englischen Beziehungen, in die er vielleicht durch seinen Weinhandel gekommen ist und die ihn 1514 als Unterhändler für ein englisch-schweizerisches Bündnis an den königlichen Hof führen. — Bei der Bürgerschaft beliebt ist der Tuchhändler Hans Trutman, 1503 Ratsherr zum Schlüssel, 1507 Oberstzunftmeister; nach Jahrzehnten noch wird er darum gepriesen, daß er toga saqoque als Magistrat und als Feldhauptmann, sich ausgezeichnet habe.

Diese Alle zeigen Durchschnittliches. Lebendiger stellt sich Hans Lombard dar. Kein alter Basler, sondern erst 1494 vom üchtländischen Freiburg her eingewandert. Vom Krämer zum Großkaufmann emporsteigend und vom Neubürger zum Schlüsselzunftmeister und Ratsherrn, um seiner Intelligenz und Gewandtheit willen sofort für die öffentlichen Interessen vielartig in Anspruch genommen. Doch tritt er politisch weniger ins Licht. Er ist vor Allem der Mann der Administration. Aber durch eine unsaubere Geschäftsmacherei bringt er sich 1517 um seine Stellung. Er wird „aus dem Rat und von Ehren gestoßen“ und schimpflich aus der Schlüsselzunft ausgeschlossen. — Auch Hans Oberriet ist ein Eingewanderter, aus dem breisgauischen Freiburg. Schon sein Bruder Simon hat in Basel gelebt, als Student 1470; seine Schwester Elisabeth wird Frau des Hans Wiler; er selbst faßt hier 1492 Fuß; er heiratet die Amalia Zscheckabürlin und kommt mitten hinein in die Zirkel der mächtigen Gesellschaft. Nach üblicher Art treibt er Großhandel und Detailgeschäft in allen möglichen Waren; er [120] ist sowohl Krämer als Kaufherr. Der Stadt dient er 1498—1503 als Wechsler am Finanzamte, von 1513 an als Ratsherr der Safranzunft, auch wiederholt in Gesandtschaften. Die zahlreichen Vergabungen an die Karthause gehören zum Ganzen dieser Existenz, ebenso der Besuch der Schlettstädter Schule durch seine Söhne; in solcher Gesinnung auch läßt er durch Hans Holbein das große Altarwerk malen, das ihn selbst uns zeigt, mit seinem ausdrucksvollen Gesicht eines klugen Rechners, und bei ihm seine zahlreichen, merkwürdig unschönen Söhne und Töchter. — Hans Gallizian endlich ist Einer aus der zweiten, vetternreichen Generation der piemontesischen Papiererfamilie, die seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts im Sankt Albantal arbeitet. Er steht mitten im Gewerbsleben; gleich den Wissenburg Oberriet Lombard Winter usw. gehört er zu der beweglichen und vielseitigen, die Stadt vorwärtsbringenden Kaufmannschaft. Er hat einen Verkaufsladen, treibt aber auch große Geschäfte; 1503 arbeitet er am städtischen Finanzamt; 1510 ist er Seckelmeister, 1512 Zunftmeister zu Safran, wiederholt Gesandter Basels zu eidgenössischen Tagen. Hier im politischen Leben gewinnt diese Gestalt Umrisse. Gallizian ist eines der Häupter der Franzosenpartei; er vertritt die Stadt bei der Besiegelung des Allianztraktates 1521.

Wir wenden uns zu den paar Herrschern des Rates.

Ulrich Falkner, von dem 1520 ein Verehrer rühmte, daß er ganz Basel in der Gewalt habe, war ein Kleinbasler gleich Eucharius Holzach. Seines Gewerbes ursprünglich Sattler, dann Herbergswirt. Was wir bei Lienhard Pfirter, Heinrich Rieher u. A. wahrgenommen, wiederholt sich hier: unaufhörlich mit aller Welt verkehrend, von überall her das Neueste hörend, den Menschen jeder Art nahekommend, können diese Inhaber großer Herbergen an ihrem Beruf eine Schule für öffentliche Geschäfte haben. 1508 wurde Falkner Meister seiner Weinleutenzunft, 1516 Ratsherr, 1519 Oberstzunftmeister. Alles trifft in voller derbster Sichtbarkeit in diesem Manne zusammen: die kriegerische Bravour beim Pavierzug und bei den gewaltigen Schlachten von Novara und Marignano, dann die unausgesetzte, nie subalterne sondern führende Tätigkeit im Rat und in zahllosen Kommissionen; neben Offenburg, später neben Meyer ist Falkner der an den meisten Tagsatzungen anwesende Basler. Im Jahre 1515 weilt er monatelang in Mailand als Mitglied des dem Herzog beigegebenen Kriegsrates. Hinter diesen öffentlichen Diensten aber betrachten wir den Menschen Falkner, wie er uns gezeigt wird in seinen Inventarien, in noch vorhandenen Trümmern einer luxuriösen Ausstattung, und in seinem Porträt, dem Bilde des [121] herrenmäßig lebenden Plebejers. Alles an ihm ist unverhüllt, ist Kraft, ist Freiheit von Skrupeln, ist Lust an Macht und Glanz und Gut. Völlig lebenswahr auch, wie diese Laufbahn auf der Höhe eines von Vielen nur mit Widerstreben bewilligten Ansehens jäh abbricht und der Gestürzte dann noch ein Menschenalter in Vergessensein auszuhalten hat.

Mit Falkner alternierte als Oberstzunftmeister der schon 1516 an dieses Amt erhobene Heinrich Meltinger. Als junger Mann hatte er Zeuge der Schmach seines Vaters, des Schlüsselzunftmeisters Ulrich Meltinger, sein müssen, der wegen Unterschlagung von Anstaltsgeldern war infam erklärt worden. Die natürliche Folge für den Sohn war das Verlassen der Heimat. Er ging fort in Solddienst, um hier eigene Ehre und eigene Geltung zu erwerben. So diente er dem König von Frankreich im Kriege von Roussillon; mit andern Basler Reisläufern begegnet er uns zu Chalon. Dann zu Beginn des Jahrhunderts kommt er wieder nach Hause, in das inzwischen eidgenössisch gewordene Basel, er selbst ein neuer Mensch. Heinrich Meltinger will mehr sein als sein Vater war. Fremde und Kriegsleben haben ihn aus allem Angestammten gelöst. Er tritt nicht in die väterliche Zunft, sondern findet Aufnahme in der Hohen Stube und heiratet die Tochter des Junkers Meyer von Baldersdorf. Er will Vasall des Markgrafen Philipp zu Ötlingen werden, er wird bischöflicher Vogt auf Birseck. Der Weg zu der Stellung in Basel, die er anstrebt, ist ihm damit geöffnet. Statt des alten kaufmännischen Meltingerwesens vertritt er ein selbsterworbenes Herrenwesen, und dieses führt ihn vom Schlosse des Bischofs auf ein Schloß der Stadt. Er wird 1509 Vogt auf Waldenburg und bleibt hier bis 1512. Das sind die Jahre, da für Basel alles Große beginnt. Inmitten dieser allgemeinen Steigerung tritt der Junker Meltinger 1512 in die Regierung ein. Als neuer Ratsherr von der Stube macht er den Pavierzug mit; er kämpft bei Novara; bei Marignano wird er schwer verwundet. Im Jahre darauf, 1516, kommt er zur Oberstzunftmeisterwürde. Durchweg erscheint er als der Mann vor Allem des Befehlens und der Tat. Aber auch seine Redegewalt wird gerühmt. Eine bestimmte, wenn auch nicht durch Tradition legitimierte Vornehmheit gibt ihm einige Distanz von den übrigen Führern; Diese sind Plebejer, mit hervorragenden Qualitäten. Politisch ist Meltinger ganz der päpstlichen Sache zugetan. Er ist einer der eidgenössischen Deputierten, die 1512 den Massimiliano Sforza in das Herzogtum einsetzen; auch später rufen ihn die Mailänder Angelegenheiten wiederholt hinüber.

Jacob Meyer zum Hasen war der 1482 geborene Sohn des Krämers Jacob Meyer, den wir als Wühler gegen die Obrigkeit kennen gelernt [122] haben. Doch wird die besondere Stimmung des Kreises, in dem der Junge aufwuchs, deutlich dadurch bezeichnet, daß die Gallizianen sowie Peter Wolfer dazu gehörten, die flinken Geschäftsleute, die kecken Unternehmer, die kein Mittel scheuen und sich nicht mit Kleinem abgeben. Zu solchen Traditionen paßte, daß Jacob auch in die Sippe Bär hinein kam durch Verheiratung mit Magdalena Bär, der Tochter des großen Kaufherrn Hans. Ihn selbst nehmen vorerst die Geschäfte ganz in Anspruch. Er spekuliert in Liegenschaften, er treibt Verlegerei mit Büchern, er steht in Handelsgemeinschaft mit Hans Gallizian. Hauptsächlich aber ist er Wechsler und hat die Wechselstube im Hause zum Hasen neben dem Rathause. Wiederholt bricht dabei seine eigenmächtige und habsüchtige Art durch; er hat Konflikte mit dem Stadtwechsler, er gibt dem Gericht unaufhörlich zu tun. Da die Tagsatzung ihm in seiner Verlegersache mit dem Erzbischof von Besançon nicht sofort zu Diensten ist, will der hitzige Mann sich selbst sein Recht holen, das Bürgerrecht aufgeben und außer Landes gehen, damit er doch tun kann, was ihn gut dünkt. Bei solcher Betriebsamkeit kommt er zu Reichtum; er kann sich neben seinem Stadthaus ein Landgut in Gundeldingen kaufen. Den Genuazug 1507 macht er als Fähnrich mit. Aber im folgenden Jahre bringt ihn eine Verfehlung — die wir nicht kennen — in die Haft des Rates. Er vermag zu entweichen und nimmt Solddienste bei den Franzosen in Italien. Nicht für lange Zeit. Denn im Jahre 1510 wählt den noch nicht Dreißigjährigen seine Zunft der Hausgenossen zum Meister, und so wird er ins Rathaus geführt, wo er nun ein Jahrzehnt voll Arbeit Macht und Ehre erleben wird. Dieses Jahr seines Eintrittes in das städtische Regiment ist das Jahr des Bündnisses der Eidgenossen mit Papst Julius; dem Bündnisse folgt sofort der erste schweizerische Heerzug in päpstlichem Dienste, der Chiasser Zug, und bei diesem Zug ist Jacob Meyer der Hauptmann der Basler. Von da an geht Alles in mächtigem Tempo. Deutlich sehen wir die Kraft Meyers wachsen und siegen. Das eine gewaltige Jahr 1512 bringt ihm die Gesandtschaft nach Venedig im März, im Sommer die Führerschaft beim Pavierzug, im November die Gesandtschaft nach Mailand zur Inthronisation des Herzogs. Dann im Dijonerzuge 1513 ist Meyer Leutnant der Basler, und beim Aufgebot im Herbste 1515, nach Marignano, ist ihm wieder die Hauptmannschaft zugewiesen. Neben diesem wiederholten Dienst im Felde ruht auf Meyer die Last und Ehre sehr häufiger Gesandtschaft zur Tagsatzung. Und zur außenpolitischen Tätigkeit kommt, was ihm in Basel selbst zufällt. Hauptstück ist dabei die Führung der Revolution von 1515 und dann der Genuß [123] ihrer Frucht: auf Johannistag 1516 wird Jacob Meyer zum Hasen der erste zünftische Bürgermeister Basels. Jedenfalls übte er eine nicht gewöhnliche Macht über Parteigenossen und Ratskollegen, vermöge seiner Intelligenz, aber auch seiner rücksichtslosen und leidenschaftlichen Eigenwilligkeit. Wie der große Künstler diesen Bürgermeister gezeichnet und gemalt hat, so erscheint uns dessen Bild auch in der schriftlichen Bezeugung. Homo astutissimo et bene corragioso nennt ihn der Florentiner Pucci. Damit sind seine Haupteigenschaften, die Schlauheit und der Mut, genannt, ist sein Wesen umgrenzt. Dem entspricht, wie aus der Gesamtheit der Nachrichten die Gestalt dieses Menschen uns entgegentritt: ohne Adel der Gesinnung selbstsüchtig listig; aber sein sind die Unerschrockenheit, die Kraft, der mächtige und leicht aufbrausende Wille, der überlegene scharfe Verstand. Dies Alles macht ihn für seine Zeit wichtig und seine Erscheinung auch heute noch eindrücklich. Nicht nur seine gute päpstliche Gesinnung — die der Legat wohl für ausschließlicher und treuer hielt, als sie wirklich war —, sondern auch die gescheite unwählerische Art Meyers überhaupt und seine Fähigkeit zu politischer Konzeption ließen ihn Freund des Kardinals Schiner werden. Jacob Meyer zum Hasen war der stolze Zünftler, der Alles erreicht hat. Der kräftigste kompletteste Typus der die Stadt damals leitenden Menschenart. Einige Jahre lang der mächtigste Mann Basels.


Der diesen Ratsgewaltigen unmittelbar zur Verfügung stehende Diener ist die Kanzlei. Zu jeder Zeit das erste Organ der Administration.

Vom Kanzleipersonal dieser Zeit sind zu nennen: Marquard Müller von Pforzheim 1503—1505; der aus einer Schaffhauser Schreiberfamilie stammende Johannes Baumann 1506—1513; Niclaus Haller genannt Leonhardi aus Masmünster 1508—1519; endlich, fremdartiger als die Übrigen, Claudius Cantiuncula aus Metz.

Das zum Teil neu orientierte, jedenfalls sehr erweiterte Regierungswesen hat auch einen, bisher in dieser Stärke fehlenden Verkehr mit Metz geschaffen. In den 1510er Jahren beginnt eine häufige Berührung der beiden Städte, und ohne Zweifel ruht hierauf die Heranziehung des jungen Metzer Rechtsgelehrten zur Ratschreiberei. Er ist seit 1518 an der Basler Universität tätig als einer ihrer glänzendsten Lehrer. Das neue Regiment aber wünscht einen Sekretär zu haben, der perfekter Jurist ist und zugleich neben Deutsch und Lateinisch auch das Französische beherrscht; der alternde Stadtschreiber Gerster bedarf eines solchen Gehilfen, und Cantiuncula [124] erfüllt alle Forderungen. Der Rat gewinnt Diesen in der Tat; von 1520 an erscheint er als Mitglied der Kanzlei. Er ist der oft erwähnte „Doctor Gladi“, notre secétaire docteur Claude, protonotarius urbis Basiliensis.

Aber das sind Nebenfiguren. Alles Interesse sammelt sich auf Johann Gerster. Dieser kluge, jeder Lage gewachsene Mann war durch vier Jahrzehnte im Rathause heimisch. Er hatte ehedem, in einem andern Basel, seine Arbeit mit dem Ordnen des Archivs begonnen; jetzt stand er inmitten des tätigsten politischen Lebens. Zum Rats- und Kanzleigeschäft, zur Arbeit in Delegationen Kollegien Schiedsgerichten kamen große Gesandtschaften; was wir ihm dabei wohl zuzuerkennen haben, waren nicht allein Fleiß sowie Geschick der Formulierung, sondern auch originale Gedanken. Gerster gehörte zur Papstpartei. Daher seine Beziehungen zu Schiner, mit dem er etwa an eidgenössischen Tagen geheime Besprechungen hatte. Daher sein Lob durch den Legaten Pucci: „Dieser Basler Stadtschreiber ist zuverlässig und brauchbar wie Wenige in der Schweiz. Er ist völlig der Unsrige. Wer in die Schweiz geht, verlasse sich auf ihn; er wird gut bedient sein.“ Daß Gerster diese Verbindung für sich und seine Söhne zu nützen suchte, ist natürlich. Aber bezeichnend sind auch seine Beziehungen zur Herrschaft Österreich in früherer Zeit und seine privaten Mitteilungen an diese Macht. Zum Nutzen oder zum Schaden Basels? Es war ein Verfahren gleich demjenigen, das sich auch Gersters Schwiegersohn und Substitut Marquard Müller in der Rötler Sache erlaubte. Wir haben es nicht „vom Standpunkte moderner Moral und Dienstpragmatik aus“ zu verdammen; allenthalben wurde damals so gehandelt. In der Reihe der Führer unsrer Stadt zur Zeit der päpstlichen Allianz und vor dem Bunde mit Frankreich, zur Zeit des Kampfes mit Bischof und Hoher Stube, zur Zeit einer einzigen und Großes planenden Territorialpolitik, ist Gersters Geist und Gestalt nicht zu missen. Dem Staate von hohem Werte, war er für Manche ein Gegenstand der Furcht, ja des Widerwillens. Eher solchem Respekt als eignen literarischen Neigungen mochte er verdanken, daß Johannes Adelphus Müling ihm 1520 sein Leben des Barbarossa dedizierte; zur gleichen Zeit erhob ein andrer Humanist, Bürer, anläßlich der Denunziation eines renitenten Priesters durch Gerster bittre Klagen über Diesen als über den Feind aller viri boni probi et docti.


Diese Regentengruppe als Ganzes hat Geschlossenheit, trotz starken persönlichen und politischen Abweichungen. Die päpstliche Partei, anfangs durch Offenburg und Grieb, später durch Meyer Meltinger Gerster geführt, [125] verliert an Macht seit dem Tod Offenburgs und zumal seit Marignano. Die Fraktion der Franzosenfreunde im Rat ist hauptsächlich durch Falkner und Gallizian geleitet. Über Alles hinweg geht doch die Einheitlichkeit der Art. Vermöge dieser ist die Gruppe herrschend und können die zu ihr Gehörenden dem päpstlichen Agenten erscheinen als die principali del senato.

In welcher Mischung an der Hingabe der Einzelnen für die Regierungsdinge Gemeingeist Patriotismus Ambition Machtsinn beteiligt sind, vermögen wir nicht zu sagen. Das Entscheidende ist die Hingabe selbst. Diese Männer sind durch die Geschäfte offenbar ganz in Anspruch genommen. Sie gehen im öffentlichen Dienst auf. Überall tätig und brauchbar, an den Beratungstischen, auf Gesandtschaftsreisen, bei Feldzügen. Auch der Repräsentationspflichten und -ehren regierender Herren bewußt; wie Stolz den gelehrten Botschafter Heinrichs VIII., Richard Pace, gastiert, so bereitet Jacob Meyer dem päpstlichen Legaten Feste im Stadthaus und auf der Villa. Sie wollen die Macht völlig in ihren Händen halten. Sie halten sie tatsächlich und haben demnach alle Lasten auf sich, alle Arbeit Mühe Sorge; aber auch Glanz und Ehre, und vor Allem jeden Genuß der Macht.

Es ist ein entschlossenes Regiment, eine geschickte Geschäftsführung. Nicht nach traditioneller Zünftlerweise, sondern mit weiteren Aspirationen. Das Gefühl der unbekümmerten Frische und des Mutes, das aus den Akten dieser Männer uns entgegenkommt, ist auch dadurch bestimmt, daß sie meist noch im kräftigsten Alter stehen, nicht erfahrungsreiche Greise sind, sondern junge Männer voll Initiative und Ruhmbegier.

Ihre Bestimmung ist, innerhalb der alten Verfassungsformen und noch im letzten Momente des Bestehens dieser Formen die höchste politische Kraft darzutun, deren ein demokratisches Regiment fähig ist. Ihr Sturz bedeutet zugleich das Ende der alten Verfassung. Die neue Verfassung tritt in Wirksamkeit zugleich mit dem Beginne gewaltiger geistiger und politischer Kämpfe, in denen Andre die Sache der Demokratie auf ihre Weise führen und bewähren sollen.