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Geschicht-Beschreibung der Stadt Wißbaden/Zweyte Abtheilung: Das Fränckische und Kayserliche Wißbad

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« Erste Abtheilung: Das Teutsche und Römische Wisbad Gottfried Anton Schenck
Geschicht-Beschreibung der Stadt Wißbaden
Dritte Abtheilung: Das Nassauische Wißbad »
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[121]
Zweyte Abtheilung:
Das Fränckische und Kayserliche
Wißbad.

Oder

Beschreibung der Geschichten der Stadt Wißbaden unter den Fränckischen Königen und Teutschen Kaysern, ohngefähr von dem Jahr Christi 500 an, bis gegen das Jahr 1000.

Ursachen dieser Benennung.

Daß diejenige alte Teutsche Völcker, welche Francken sind genennet worden, und diesen Nahmen entweder von dem alten Teutschen Wort Franck, das ist, Frey, oder von ihren spritzigen Waffen, welche Farancken geheissen, überkommen haben, und also Freye, Freyheit-liebende, oder wohl-bewehrte Leute gewesen sind, sich in [122] dem vierdten und fünften Jahrhundert nach Christi Geburt gar starck ausgebreitet, und nicht nur das annoch so genannte Francken-Land in Teutschland, wie auch den größten Theil des benachbarten Galliens (welches nachmals von ihnen Franckreich benennet worden) eingenommen, sondern auch gegen das Jahr 496 die, um den Mayn- und Rhein-Strom, annoch übrig-gewesene Allemannische Völcker völlig bezwungen, und die denselben zugehörig-gewesene Länder sich unterwürffig gemacht haben, das hat, nach dem Zeugnüß aller Geschicht-Schreiber, welche damals gelebet, sonderlich des Gregorii von Tours Hist. Franc. L. 2. c. 30 etc. seine völlige Richtigkeit. Und also ist es auch richtig, daß die Stadt Wißbaden, welche in den gemeldten Gegenden gelegen, ein gleiches Schicksal betroffen, und sie diese Francken, an statt der obgemeldte Allemannier, zu ihren Ober-Herren werde bekommen haben. Die unten anzuführende überbliebene fränckische Denckmale in Wißbaden werden diese, an sich gantz klare, Wahrheit noch weiter bestätigen. Wiewohl auch bloß allein die, in unserer Nachbarschaft liegende, Stadt Franckfurt am Mayn schon Zeuge genug seyn kan, daß die Francken in diesen unseren Gegenden ehemals geherrschet haben. Denn der Nahme dieser Stadt leget klärlich genug an den Tag, [123] daß sie von den Francken sey erbauet worden, und diesen Nahmen von ihnen überkommen habe. Es haben diese Franken hierauf etliche Jahrhundert hindurch ihre eigene Könige gehabt, welche die ihnen unterwürffig-gewesene Lande frey-mächtig beherrschet haben. Es haben aber diese Könige zugleich, besserer Ordnung wegen, allerley besondere Graven, das ist, Richter, und andere dergleichen vornehme Beamten, welche sie gemeiniglich aus ihren Edelingern und Frilingern, das ist Edlen und Freyen, gewählet, in ihren Landen hin und wieder gesetzet, welche dieselbe, im Nahmen der Königen, verwaltet, und davor gewisse Einkünfte genossen, von den Landen selbst aber nichts erblich, ausser was sie etwan, gleich andern Unterthanen, vor eigenthümliche Privat-Güter gehabt, besessen haben. Endlich hat einer dieser Fränckischen Königen, nemlich Carl der Grosse, gar die Kayserliche Würde, um das Jahr 800, an sich gebracht, auch das annoch übrig-gewesene, und zum Fränckischen Reiche nicht gehörige, Theil des Teutschlandes sich vollends meistens unterwürffig gemacht. Da denn bey der Theilung seiner vielen Länder unter seine Söhne, das Teutsche Reich seine besondere Könige aus diesem Fränckischen Stamm überkommen hat, deren einige ebenfalls die Kayserliche Würde behauptet haben; bis solche, samt den Landen, nach Abgang dieser Fränckischen [124] Familie, an andere, und besonders an die Sächsische Hertzoge, um das Jahr 919, gelanget ist. Zu aller dieser Teutschen Königen und Kaysern Zeiten hat das meiste Theil des Teutschen Reiches (einige grosse Hertzogthümer ausgenommen) solchen Königen und Kaysern annoch eigenthümlich zugehöret. Und ob sie zwar ebenfalls überall ihre mancherley Graven und Land-Voigte, welche den besondern Landes-Gegenden oder Gauen vorgestanden, gehabt haben, so sind doch solche Aemter und Landes-Herrschaften noch nicht erblich gewesen, sondern solches ist erst nachher in dem eilften Jahrhundert (wie unten in der dritten Abtheilung weitere Meldung davon geschehen wird) nach und nach in Uebung gekommen. Wie denn der Teutsche Geschicht-Schreiber Rhegino von Prüm, welcher in dem zehenten Jahrhundert gelebet, dieses, als was sonderbares und ungewöhnliches, in seiner Chronick p 105 anmercket, daß der Kayser Otto I einem gewissen Go- oder Gau-Graven, Nahmens Uto (Otto) im Jahr 949 die Erlaubnüß gegeben, seine verwaltete Amts-Lande erblich unter seine Kinder zu theilen. Man hat also gantz sicher zu glauben, daß Stadt und Gegend Wißbaden ebenfalls die gemeldte Zeit hindurch den Teutschen Königen und Kaysern annoch eigenthümlich zugehöret habe, und als ein besonderer Reichs-Gau oder Reichs-Herrschaft von einem Comite [125] provinciali temporatio, das ist von einem Gau-Grafen, auf Zeit und Ziel, werde seyn regieret worden. Es werden unten einige Königliche und Kayserliche schriftliche Urkunden vorkommen, aus welchen deutlich erhellen wird, daß die Teutsche Könige und Kayser annoch um dieselbe Zeit, nemlich in dem neunten und zehenten Jahrhundert, Eigenthums-Herren von Stadt und Gegend Wißbaden gewesen sind. Denn in solchen schriftlichen Urkunden werden zwar verschiedene Grafen genennet, welche der Wißbadischen Gegend damals vorgestanden haben, z. E. Aedewint, Numat etc. Es wird aber zugleich deutlich darin zu verstehen gegeben, daß nicht diese Grafen, sondern die darin benennte Teutsche Könige und Kayser, mit solchen Gegenden geschaltet und gewaltet haben, wie sie gewollt; folglich also nicht die erste, sondern die letzte die würckliche Eigenthums-Herren derselben gewesen sind. Wie denn in der einen Urkunde von dem Grafen Numat das Lateinische Wort praeesse (vorstehen) ausdrücklich gebrauchet, und dadurch angezeiget wird, daß er seinen Gau nur Amtsweise verwaltet, nicht aber denselben eigenthümlich besessen habe. Die Sache selbst ist in den allgemeinen Geschichten des Teutschen Reiches so klar gegründet, wie in denen bisher in den Druck gekommenen vielen Reichs-Historien von Teutschland sattsame Zeugnüsse [126] davon zu finden sind, daß, wenn auch gleich besondere Nachrichten von unserer Gegend, dieser Sache wegen, fehlen sollten, man doch an der Gewißheit derselben gar keinen Zweifel zu tragen hätte. Es wird unten in der dritten Abtheilung annoch eine Urkunde von dem Kayser Friedrich II, die Wißbadische Kirche betreffend, vorkommen, daraus sich ebenfalls nicht undeutlich wird abnehmen lassen, daß Wißbaden, ehe es an die Grafen von Nassau gekommen, ein Proprietarium oder Eigenthum der Teutschen Kayser gewesen sey. Und also wird denn, da Wißbaden, laut dieser bisher angeführten Zeugnüssen, ohngefähr von dem Jahr 500 bis gegen das Jahr 1000, theils den Fränckischen Königen, theils den nachmaligen Teutschen Kaysern eigenthümlich zugehöret hat, solches auch billig, diesen Zeit-Lauf hindurch, das Fränckische und Kayserliche Wißbad von uns benennet.



Einwohner
des Fränckischen und Kayserlichen
Wißbads.

Weil die kriegerische Völcker der damaligen Zeiten, wenn sie ein Land überzogen und eingenommen, eben nicht die alten [127] Einwohner desselben, es wäre denn, daß sie sich, wie bereits oben berühret worden, allzuhartnäckigt widersetzet, gäntzlich vertilget, sondern sie nur allein ihrer Herrschaft unterworffen, auch sich selbst unter sie hin und wieder vertheilet, und nach und nach sich mit ihnen vereiniget haben; so kan man gar wohl vermuthen, daß zwar bey dem obgemeldten Ueberzug der Francken, Wißbaden seiner alten Allemannischen Einwohner eben nicht völlig werde seyn beraubet worden, doch aber auch unter der Hand von neuen Fränckischen Gästen einen starcken Zusatz bekommen haben. Was so denn die Zeit unter dem Fränckischen Regiment selber betrift, so sind dieselbe zwar in den Mittel-Rheinischen Landes-Gegenden, so viel man aus den damaligen wenigen Geschicht-Schreibern ersehen kan, meistentheils ruhig und friedlich gewesen, und mag es also vermuthlich damals keine sonderliche Abänderung bey den Einwohnern unseres Ortes gegeben haben. Was aber die nachmalige Zeiten unter den Teutschen Kaysern dieses Zeit-Laufes anbelanget, so sind solche, zum Theil, desto unruhiger und unglücklicher gewesen. Denn da haben sich in dem neunten und zehenten Jahrhundert die, in den Teutschen Geschichten so sehr bekannte, grausame Einfälle der barbarischen Normänner (Nordmänner, Nordländer) und Hunnen (Hungarn) in Teutschland zugetragen, durch welche so manche [128] Stadt und Gegend desselben ihrer Einwohner durch das Schwerdt völlig sind beraubet worden. Da nun diese Einfälle auch bis in die Mittel-Rheinische Landes-Gegenden, wie aus des Rhegino Chron. p. 103, Trithems Hirsaugischen Chron. T. 1. p. 43. 44, Joannis Maintzischen Geschicht-Schreibern T. 1. p. 413. 416, und andern Geschicht-Verfassern zu ersehen ist, sich erstrecket haben, so ist gar leicht zu vermuthen, daß Wißbaden dabey nicht werde leer ausgegangen seyn, sondern ebenfalls, gleich andern Städten solcher, und der meisten übrigen, Gegenden des Teutschlandes an seinen Einwohnern grosse Noth gelitten haben. Wie denn durch diese Ueberzüge der gemeldten Völcker eine solche erschreckliche Verwüstung in Teutschland ist angerichtet worden, daß man damals GOtt (welcher sich dieser grausamen Völcker, als eine Peitsche über das damals sehr verderbte Christen-Volck in Teutschland, bedienet hat) in den öffentlichen Kirchen-Litaneyen oder Gebäten um endliche Abwendung solches grossen Jammers angerufen hat. Es lässet sich aber von besondern Abänderungen und Schicksalen, welche etwan die Einwohner unserer Stadt Wißbaden hierbey damals möchten getroffen haben, nichts näheres und umständliches, wegen Abgang nöthiger schriftlicher Urkunden, berichten.



[129]
Aeussere Gestalt und Beschaffenheit
des Fränckischen und Kayserlichen
Wißbads.

Diejenige äusserliche Gestalt und Beschaffenheit, welche Wißbaden zu der alten Teutschen und Römer Zeiten, wie in der ersten Abtheilung berichtet worden, gehabt hat, und welche darin bestanden, daß das alte Teutsche Wißbaden in der eigentlichen Bad-Gegend des Ortes, das Römische Wißbaden aber gantz nahe dabey gelegen hat, und von der Heidnischen oder Römischen Stadt-Mauer umgeben worden ist, hat wohl in diesem Fränckischen und Kayserlichen Zeit-Lauf, so viel sich aus einigen Umständen schliessen lässet, keine sonderliche Abänderung erlitten, sondern ist in solcher alten Haupt-Verfassung, vermuthlich, geblieben. Doch mag wohl dasjenige Stück des Römischen Wißbads, welches vormals auf dem Heidnischen Berge gestanden, nach und nach in Abgang gekommen, und die alte Römische Festungs-Wercke der gesammten Stadt mögen auch wohl unter der Hand größtentheils verfallen seyn. Wie denn überhaupt bey den meist-ruhigen und friedlichen Zeiten des Fränckischen, oft sehr schläfrig-geführten, Regimentes fast keine Stadt mehr in dem damaligen Fränckischen Teutschland sich in einem [130] sonderlich-wehrhaften Stande erhalten hat. Und ist es daher kein Wunder gewesen, daß nachmals, bey den vorgemeldten grausamen Einfällen der wilden Normänner und Hunnen, diese Völcker keinen Gegenstand fast nirgends vorgefunden, sondern alles, wie eine Fluth, ungehindert haben überschwemmen können. Doch hat die Furcht vor solchen unvermuthet geschehenen Ueberfällen, wie auch die Verordnung der damaligen Teutschen Kayser, sonderlich Henrichs I, verursachet, daß man damals hier und dar in Teutschland, die Städte wieder in einem haltbaren Stand zu setzen, sich bemühet hat. Wie denn auch das benachbarte Maintz, aus eben dieser Ursache, nach dem Zeugnüß der Maintzischen Geschicht-Schreiber l. c. damals seine Befestigungen wieder erneuert hat. Und kan es also gar wohl seyn, daß auch unser damaliges Wißbad diesem Beyspiel gefolget, und sich ebenfalls wiederum mit neuen Festungs-Wercken hat versehen lassen. Doch ist nicht zu vermuthen, daß diejenige Wälle und Wasser-Gräben, womit Wißbaden vormals verwahret gewesen, allschon um diese Zeit sollte errichtet worden seyn. Denn dergleichen Befestigungs-Art war damals bey den Städten noch nicht gewöhnlich, sondern ist erst in den folgenden Zeiten aufgekommen. In diesem Fränckischen und Kayserlichen Zeit-Lauf aber pflegte man nur noch vornemlich durch Mauern und [131] Thürne die Städte zu befestigen und zu verwahren. Sonst aber hat Wißbaden in diesen Zeit-Begriff annoch einen gar ansehnlichen Zuwachs an seinen Gebäuden durch den Fränckischen Saal oder Pallast, welcher daselbst errichtet worden, erhalten. Es hat derselbe gantz nahe an der eigentlichen Bad-Gegend des Wißbads gestanden, und ist von einem grossen Umfang gewesen, hat auch der Stadt Ehre gebracht, daß sie damals eine Königliche und Kayserliche Saal- oder Pfaltz-Stadt gewesen ist. Weil aber annoch heutigen Tages nicht nur die Gegend, wo dieser Saal gestanden, bekannt, sondern auch der Nahme desselben, nebst einigem alten Gemäuer davon, würcklich übrig ist, und er also billig unter die überbliebene Alterthümer und Denckmahle des Fränckischen Wißbads gehöret, als wird auch unten, in Beschreibung derselben, die ausführliche Nachricht davon am füglichsten können mitgetheilet werden.



Innere Regiments-Verfassung
des Fränckischen und Kayserlichen
Wißbads.

Es ist bey den Fränckischen Königen so wohl, als auch bey den nachmaligen [132] Teutschen Kaysern in diesem Zeit-Lauf üblich gewesen, in denen ihnen zugehörig-gewesenen Landen hier und dar besondere Land-Grafen zu ordnen, die denn, nach den verschiedenen Gauen und Landes-Strichen, auch wieder Gau-Grafen, und diese so denn allerley Cent-Grafen, Voigte und andere dergleichen geringere Beamten unter sich stehen gehabt haben; welcher denn sämmtlich, ein jeder nach seiner Ordnung, die Landes-Herrschaftliche Einkünfte besorget, und die Unterthanen, nach ihren Reichs-Gewohnheiten und Gesetzen, regieret haben. In den Städten sind auch noch überdiß besondere Sculteten (Schultheissen, Schultzen) wie auch Scabinen (Schöppen, Schöffen) oder Banck-Richter gewesen, welche den Einwohnern derselben rechtlich vorgestanden haben. Die Könige und Kayser selber aber sind in ihren Landen immerzu auf- und abgezogen, und haben in denen Städten, darin sich Saele oder Pfaltzen (Palatia, Palläste) befunden haben, Gericht gehalten, und die Haushaltung ihrer mancherley Beamten in solchen Landes-Gegenden untersuchet. Die Saal- oder Pfaltz-Städte haben dabey noch, weil sie mit besonderem Vorzug Villae regiae und imperiales Reichs-Flecken, Reichs-Städte hiessen, ihre gewisse Privilegien und Freyheiten, vor andern Städten und Flecken gehabt. Auch hat sich in einer jeden derselben noch ein besonderer [133] Saal- oder Pfaltz-Graf befunden, welcher die, zu dem Saal gehörige, Güter verwaltet, und andere ihm zukommende Rechte besorget hat. Da nun die Stadt Wißbaden in diesem Zeit-Lauf, wie oben bewiesen worden, den Fränckischen Königen, und den nachmals aufgekommenen Teutschen Kaysern eigenthümlich zugehöret hat, und dazu noch, wie unten ausführlich wird bewiesen werden, eine Königliche und Kayserliche Saal- oder Pfaltz-Stadt gewesen ist, so läßt sich gar leicht erachten, daß die vorbenennte, damals üblichgewesene, Regiments-Gewohnheiten, so viel die Verfassung der Stadt erfordert hat, ebenfalls bey derselben werden üblich und im Gang gewesen seyn; folglich also dieselbe überhaupt unter einem besonderen Gau-Grafen gestanden, dabey ihren eigenen Saal- oder Pfaltz-Grafen, wie auch ihre Sculteten und Scabinen gehabt, und ihre gewisse Privilegien und Freyheiten werde genossen haben. Wir können aber keine nahmentliche Umstände wegen Mangel nöthiger Urkunden, davon anführen, sondern müssen uns bloß an diesen allgemeinen Nachrichten, welche man bey allen denen, die die Geschichten der alten Fränckischen Königen und Teutschen Kaysern beschrieben haben, überflüßig genug bestättiget findet, begnügen lassen. Wir können uns aber dabey versichert halten, daß wir bey diesem Schluß von dem allgemeinen auf das [134] besondere, weil jenes gegründet ist, und dieses aus dem folget, wenig oder gar nicht irren werden.

Da auch eben jetzo gedacht worden, daß damals die Gewohnheit in Teutschland gewesen, die grosse Landes-Gegenden in besondere pagos oder Gauen, Gouen, Gowen, Gohen, Goyen (Geäuen) zu theilen, wie davon in unsern Gegenden, annoch heut zu Tage, die Nahmen Rhein-Gau, Worms-Gau, Gere-Gau, (Gerau) Wetter-Gau, (Wetterau) Ruck-Gau etc. übrig und üblich sind, folglich also Wißbaden damals ebenfalls zu einem solchen gewissen Gau oder Landes-Strich gehöret, und unter dem Gau-Grafen, welcher diesem Gau vorgesetzt gewesen, wird gestanden haben; so fragt sichs hierbey nicht unbillig, wie denn der Gau, zu welchem damals diese unsere Stadt gerechnet worden, geheissen habe? Es giebt einige neuere Land- und Städte-Beschreiber von Teutschland, welche in ihren Schriften vorgeben, es habe Wißbaden in dem Einrich- oder Heinrich-Gau (wie er in den alten Schriften genennet wird) gelegen. Es ist aber solches ohne Grund. Denn es ist zwar ehedessen in unsern nahen Gegenden ein besonderer Gau gewesen, welche diesen Nahmen gehabt, und denselben, vermuthlich, von den Wörtern: Hayn und Rück, Sylvae Dorsum, Jugum, oder Höhe und Rück, [135] Montis Dorsum etc. ursprünglich überkommen hat. Es hat aber derselbe nicht um Wißbaden herum, sondern eigentlich um Nasteden und Catzenellenbogen herum gelegen, und ist derselbe entweder ein eigener grosser Gau, oder, welches vermuthlicher ist, ein kleiner Gau des grossen Lohn Gaues gewesen. Es ist auch noch heut zu Tage der Nahme desselben in der dasigen Gegend einiger massen übrig und üblich, massen dieselbe Gegend noch jetzo der Hayrich oder Härich genennet wird, und kan davon Bernhard in seinem Wetterauischen Alterthümern p. 185 und 327 weiter nachgesehen werden. Der Gau aber, darin unser Wißbaden ehedessen gelegen gewesen, hat, kraft alter, noch jetzo vorhandener, schriftlicher Urkunden, einen gantz andern, und recht besondern, Nahmen gehabt, nemlich den Nahmen Kunigessunder. Schannar in seinen Trad. Fuldens. oder Fuldischen Vermächtnüssen liefert uns p. 131 (wie solches in des Verfassers Merckw. der Stadt Wißb. P. 2. p. 43 angeführet ist) eine schriftliche Urkunde des Kaysers Ludwigs des I oder Frommen von dem Jahr 820, (wie solches Jahr die beygefügte Indict. Rom. XIII. oder 13 Römer Zins-Zahl zu erkennen giebet) darin gemeldet wird, daß Massenheim, welches er dem Closter Fulda damals vermacht hat, gelegen habe in dem Gau Kuningessuntre. Und Kuchenbecker in Anal. Hass. Coll. XI. p. 22 [136] gedencket aus dem Prodromo Chron. Gottwic. eines Briefes des Kaysers Otto I von dem Jahr 970, darin bezeuget wird, daß Wicker und Norenstede (Nordenstadt) zu dem Gau Kunigessundra, welchem der Graf Numat sichtlich vorgestanden, ( – Wickera et Norenstede in Pago & Comitatu Kunigessundra, cui Numat Comes praeesse videtur – ) gehöret habe. Und in des Joannis Maintzischen Geschicht-Schreibern T. 2. p. 531, und, aus denselben, in den gemeldten Wißb. Merckwürd. l. c. findet sich ein Schenckungs-Brief des Kaysers Otto III, von dem Jahr 992, darin er einige seiner Güter in Biburc und Mossebach (Biebrich und Moßbach) dem Closter Seltz, im Elsaß gelegen, vermachet, und dabey meldet, daß diese Oerter gelegen hätten in dem Gau Kunagis sunderun in der Grafschaft des Grafens Ardewints. Wer die, in diesen angeführten Urkunden vorkommende, Umstände nur in etwas erwäget, der wird so bald mercken, daß, da die, darin benannte, zu dem Gau Kunigessunder gehörig-gewesene, Oerter gleichsam im Bezirck von Wißbaden gelegen, also auch dieser Ort selber zu dem vorgemeldten Gau werde gehöret haben. Wie denn um deßwillen der Verfasser des obgedachten Prodr. Chron. Gottw. l. c. ausdrücklich schreibet: „Kunigessundra – ist ein Gau der ehemaligen Fränckischen Landen in der heutigen Herrschaft Wißbaden und Epstein, zwischen [137] den Gauen Nidgow, Rhingow und Lohngow.“ Es wollen zwar einige die Herrschaft Wißbaden lieber theilen, und den einen Theil zu dem Gau Kunigessunder, den andern aber zu dem Gau Einrich ziehen. Es geschicht aber solches ohne Grund, und sind die nöthige Beweisthümer hiervon in den Urkunden-Schriften nicht vorhanden. Doch will man nicht gantz widersprechen, daß sich der Gau Einrich, wie einige darthun wollen, bis nach Urefo, (Aurof) und also bis in die Herrschaft Idstein erstrecket habe, siehe davon des Reinhards Jur. und Hist. Ausfüh. P. II. p. 66–. Denn die so genannte Höhe ist vermuthlich die Gräntze dieser beyden Gauen gewesen. Fraget man nun aber weiter hierbey, was denn der Nahme Kunigessunder, den unser mehrbemeldter Gau vormals gehabt hat, eigentlich bedeute, und woher derselbe seinen Ursprung genommen habe? so ist es freylich an dem, daß die Meynungen der Kenner der Teutschen Alterthümer davon gar sehr unterschieden sind. Zwar was das Vorwort Kuniges anbelanget, so ist es gantz offenbar, daß solches nichts anders sey, als Königes, und ist also davon weiter keine sonderliche Streit-Frage übrig. Was aber das Bey-Wort sunder anlanget, so ist es damit anders beschaffen. Einigen ist dieser Nahme so viel, als eine Königes-Sonderung, oder ein vor den König abgesondertes Gut, [138] etwan ein Leib-Gut, (Leib-Geding) Familien-Gut, (Erb-Gut) Hof-Gut, Tafel-Gut etc. wie denn ja dieser Unterschied unter den mancherley Gattungen der herrschaftlichen Güter nicht nur ehemals gewöhnlich gewesen, sondern auch noch jetzo fast in allen Reichen und Landen bekannt und gewöhnlich ist. Andern ist dieser Nahme Kunigessunder so viel, als Königeshundret oder hundert, das ist ein Königlicher Cent-Gau oder Cent-Gericht von hundert dazu gehörigen Oertern, Gütern oder Unterthanen. Noch andere beweisen aus des alten Geschicht-Schreibers Eginhards Lebens-Beschreibung des Kaisers Carls des Grossen, daß das Wort Sunder in der alten Teutschen Sprache so viel geheissen, als Suden oder Mittags-Gegend; folglich urtheilen sie, daß dieses Wort Kunigessunder so viel bedeute, als ein Königes-Gau, der gegen Mittag zu gelegen, und daß also vielleicht noch ein anderer Königes-Gau damals in unseren Gegenden gewesen, welcher gegen Mitternacht zu gelegen, und Königes-Norderun geheissen habe. Der Leser hat Freyheit von diesen verschiedenen Meynungen diejenige zu erwählen, welche ihm am wahrscheinlichsten vorkommt. Uns ist es genug, daß die Sache selber, nemlich, daß die Wißbadische Gegend ehemals diesen Gau-Nahmen, wie aus den angeführten Urkunden sattsam erhellet, geführet habe, ihre Richtigkeit [139] hat; der Nahme mag nun seinen Ursprung genommen haben, woher er will. Es ist hierbey nur noch dieses, als was bedenckliches, anzumercken, daß in dem Bezirck dieses ehemaligen Gaues Königssunder einige Oerter befindlich sind, welche von dem Wort König ihre Benennung haben, nemlich das ehemalige Berg-Schloß Altkünig ohnweit Cronberg an der Höhe, das Städtlein Königstein in eben derselben Gegend, und das Dorf Königshofen nicht weit von Idstein. Auch ist nahe bey Wißbaden, wie bereits oben berichtet ist, eine merckwürdige Feld-Gegend vorhanden, welche von alten Zeiten her der Königstul genennet wird. Ob nun etwan ein und der andere Nahme dieser Oerter und Gegend, und der Nahme des oft-gemeldten Gaues einerley Ursprung miteinander gehabt? oder, ob vielleicht der eine Theil zu des anderen Theiles Benennung eine Veranlassung gegeben habe? das wird andern zur weiteren Untersuchung überlassen. Noch ist hierbey mit wenigem zu gedencken, daß man vormals grosse und kleine Gauen gehabt hat, und die letztere unter den ersten sind begriffen gewesen. Daher man sichs also nicht darf irren lassen, wenn man in den Urkunden der damaligen Zeit, z. E. in des Schannats Fuldischen Vermächtnüssen etc. einige andere Gau-Nahmen, als der vorbenennte ist, von unsern nahen Gegenden antrift; [140] denn es sind solche nichts anders als kleine Gauen von dem grossen Gau Kunigessunder gewesen. Heut zu Tage heisset man solche kleine Landes-Striche: Gründe, Thäler, Marcken etc. Siehe hiervon des Junckers Geogr. der mittlern Zeit p. 191. des Bernhards Wett. Alterth. p. 118, u. a. m.



Religion und Gottesdienst
der Einwohner
des Fränckischen und Kayserlichen
Wißbads.

Daß das Christenthum in diesem Zeit-Lauf in Wißbaden werde würcklich zu Stande gekommen seyn, daran ist wohl gar keinen Zweifel zu tragen. Denn es haben nicht nur die Fränckische Könige in Zeiten, nemlich schon um das Jahr 499, die Christliche Religion angenommen, und solche auch nachmals in ihren eroberten Landen, so viel sichs nach dem Maaß der damaligen Zeit hat thun lassen, fortzupflantzen gesuchet. Sondern es hat auch Wißbaden die Stadt Maintz in der Nähe gehabt, in welcher das Christenthum schon zu der Allemannen Zeiten, im Jahre 368, wie Ammianus L. 27. c. 9 meldet, [141] zum Theil in Uebung gewesen, zu der Francken Zeiten aber, und unter ihrem Regimente, völlig zu Stande gekommen ist. Daher also leichtlich zu erachten stehet, daß die dasigen Bischöffe nicht werden unterlassen haben, in einem, ihnen so nahe gelegenen, Orte, als Wißbaden ist, den Saamen der Christlichen Lehre, nach Möglichkeit auszustreuen. Es ist aber doch, wie aus den annoch vorhandenen wenigen Schriften derselben Zeit zu ersehen ist, das Christenthum in den Teutsch-Rheinischen und Wetterauischen Landes-Gegenden vor den Zeiten des bekannten Maintzischen Ertzbischofs Bonifacii noch nicht völlig und durchgängig in Uebung gewesen; massen die Liebe zu dem alten Heidnischen Unwesen bey den Einwohnern derselben hier und dar annoch allzusehr eingewurtzelt war, und viele abgöttische Gewohnheiten bey ihren heimlichen Zusammenkünften in Feldern und Wäldern immer noch gar starck im Schwang gegangen. Da aber dieser benennte Bonifacius um das Jahr Christi 738 sich viele Mühe gegeben, das annoch übrig-gewesene Heidenthum in den gemeldten Gegenden vollends auszurotten, und dagegen die Christliche Lehre, doch nicht anders, als nach der Vorschrift der damaligen Römischen Bischöffen, durchgängig einzuführen, so ist auch solche immer mehr und mehr darin in Gang gekommen, und folglich ist also auch, sonder allen [142] Zweifel, unser Wißbad immer besser damit erfüllet, und vermuthlich mit Christlichen Lehrern, wie auch Kirchen und Schulen, mehr und mehr versehen worden. Zumalen auch bald hernach, nemlich im Jahre 755, von des Bonifacii Nachfolger, Lullo, Ertzbischoffen zu Maintz, das ansehnliche Benedictiner-Closter des H. Ferrutii zu Bliden- oder Bleiden-Stadt (das ist, Freuden-Stadt, von dem alten Teutschen Worte Blide, welches Freude heisset, also benahmet) in der Nachbarschaft der Stadt Wißbaden durch die Fränckische Könige, nahmentlich auch durch den König Carl, nachmaligen Kayser, den Grossen, (daher es auch Abbatia regalis, eine Königliche Abtey in den alten Urkunden genennet wird) nach dem Zeugnüß des Trithems Chron. Hirs. T. I. p. 275, des Joannis Maintzischen Geschicht-Schreibern T. I. p. 373. 186 etc., ist errichtet, auch mit reichen Einkünften, insbesondere aus den Wißbadischen Landen, begabet worden. Daher denn also zu vermuthen ist, daß die Mönche desselben (welcher nachmals in dem Jahr 1495 in adeliche Stifts-Herren sind verwandelt worden) hauptsächlich werden verbunden gewesen seyn, das aufgegangene Christenthum in dieser ihrer Landes-Gegend mit allem Fleiß und Sorgfalt aufrecht zu erhalten, und immer mehr und mehr, nach Möglichkeit, auszubreiten. Es ist aber in den Schriften der damaligen [143] Zeit (welche ohnehin in gar geringer Anzahl vorhanden sind) keine nahmentliche Nachricht von der Anrichtung des Christenthums in Wißbaden zu finden; daher wir also auch keine besondere Umstände von dieser, sonst wichtigen und merckwürdigen, Sache melden können, sondern bloß allein mit den benennten allgemeinen Zeugnüssen und Vermuthungen davon zufrieden seyn müssen. Gleichfalls lässet es sich auch nicht melden, was es mit dem äusseren Kirchen-Gebäude in dem damaligen Wißbad vor eine Bewandnüß gehabt, und zu welcher Zeit eigentlich dasselbe zuerst sey errichtet worden. Es ist aber doch so viel gantz sicher zu glauben, daß, so bald die Christliche Religion selbst in demselben sich ausgebreitet, auch eine öffentliche Kirche daselbst werde seyn erbauet worden. Auch ist so viel gantz wahrscheinlich zu vermuthen, daß solche in der eigentlich so genannten Stadt-Gegend des Wißbads, und zwar auch vielleicht auf der Stelle, wo die jetzige stehet, werde seyn errichtet worden. Es lassen sich doch aber keine besondere Umstände von dieser Sache, wegen Abgang nöthiger Nachrichten, weiter melden. Nur so viel lässet sich noch aus einer schriftlichen Urkunde des Kaysers Friedrichs II (welche unten in der dritten Abtheilung wird angeführet werden) deutlich abnehmen, daß um diese Zeit, und ehe Wißbaden an die Grafen von Nassau gekommen, [144] die Wißbadische Kirche (wie die Stadt selbst) ein Eigenthum der Teutschen Kayser gewesen sey.



Nahme
des Fränckischen und Kayserlichen
Wißbads.

Dieser ist in diesem Fränckischen und Kayserlichen Zeit-Lauf, so wohl in Teutscher als Lateinischer Sprache, kein anderer gewesen, als Wißbaden, von welches Nahmens Ursprung bereits in der ersten Abtheilung hinlängliche Nachricht ist gegeben worden. Er kommt vor in einigen alten schriftlichen Urkunden des Kaysers Otto I, vom Jahr 965, deren so bald mit mehrerem wird gedacht werden; denn da heisset es in der Unterschrift derselben ausdrücklich: Actum Wisibadun DCCCCLXV. das ist: Geschehen zu Wisibadun im Jahre 965. Wisibadun aber ist so viel als Wisebaden. Denn die alte Teutsche haben den Buchstaben E gar öfters durch ein I und U ausgesprochen, und also z. E. vor sungen, klungen, gemeiniglich gesprochen: sungin oder sungun, klungin oder klungun etc. wie man davon in des ältesten Teutschen Dichters Ottfrieds Schriften [145] Beyspiele genug finden kan. Uebrigens wird dieser Nahme Wißbaden gantz vermuthlich in mehreren Urkunden der damaligen Zeit befindlich seyn. Es liegen aber solche entweder noch verborgen, oder sind bereits gar verlohren gegangen. Daher sich also dißmal keine weitere nahmhaft machen lassen.



Merckwürdige Geschichte oder
Begebenheiten
des Fränckischen und Kayserlichen
Wißbads.

Solcher merckwürdigen Geschichten und Begebenheiten mögen sich wohl gar manche in diesem langen fünf-hundert-jährigen Zeit-Lauf in dem damaligen Wißbaden zugetragen haben, und zwar theils gute und angenehme, theils böse und unangenehme. Denn da diese Stadt damals, wie bald mit mehrerem wird bewähret werden, eine Königliche und Kayserliche Saal- oder Pfaltz-Stadt gewesen ist, und also sonder Zweifel, nach der Gewohnheit der damaligen Zeiten, die Fränckische Könige, wie auch nachmals die Teutsche Kayser, sich mannichmal darin [146] werden aufgehalten und Gericht gepflogen haben, so wird dieses unserer Stadt, gantz vermuthlich, manchen Vortheil und Glantz zugezogen, folglich also den Einwohnern derselben Gelegenheit gegeben haben, mancherley merckwürdige Begebenheiten dabey wahrzunehmen, und sich deren zu erfreuen. Da aber auch in diesem sehr langen Zeit-Lauf, gantz vermuthlich, manche widrige Schicksale, sonderlich, wie wir bereits oben bemercket, bey denen in dem 9 und 10 Jahrhundert geschehenen grausamen, bis in unsere Wißbadische Gegenden sich erstreckten, Einfällen der Normänner und Hunnen, sich mögen geäussert und unsere Stadt betroffen haben; so ist ebenfalls kein Zweifel, daß nicht solche Zufälle derselben gar manche merckwürdige, aber auch zugleich unangenehme und betrübte, Begebenheiten werden zugezogen haben. Es ist aber niemand in dem Stande, so wohl von dem einen, als von dem andern, einige besondere und umständliche Nachrichten zu ertheilen. Denn die Anzahl der etwanigen Geschicht-Schreiber der damaligen Zeiten ist theils sehr klein, theils sind ihre Schriften sehr schlecht und mangelhaft, und kan also die Erndte von merckwürdigen Begebenheiten, die man bey ihnen zu machen hoffet, nicht anders, als schlecht und mager ausfallen. Und in den alten Schrift-Cammern der Stadt und des Landes Wißbaden [147] hat man von solchen alten Zeiten vollends gar keine schriftliche und bewährte Nachrichten zu erwarten. Folglich bleibet also das meiste, was in diesen Zeit-Lauf in Wißbaden sich merckwürdiges zugetragen hat, größtentheils verborgen, und mit dunckler Nacht bedecket. Es ist aber doch eine eintzige merckwürdige Begebenheit vorhanden, welche sich damals in unserer Stadt zugetragen, und von welcher man eine gewisse und auf bewährte schriftliche Urkunden gegründete Nachricht ertheilen kan; und solche ist der Aufenthalt des Kaysers Otto des I und Grossen in Wißbaden. Dieser hat sich zugetragen im Jahr 965 im Monat April, wie die noch jetzo vorhandene schriftliche Urkunden, welche er damals in dieser Stadt, zu Gunsten des Ertzbißthums Magdeburg, und einiger anderer Reichs-Ständen, ausgefertiget hat, deutlich bezeugen. Man kan solche in des Meibomii Script. Rer. Germ. T. 1. p. 748, so denn bey dem Sagittario in Antiq. Magdeb und bey dem Leubero in Stap. Sax. wie auch in des Verfassers Wißb. Merckw. P. 1. p. 61, und P. 2. p. 45, angeführet finden. Und heißt es in denselben ausdrücklich, und zwar in der einen: Otto I --- Actum Wisibadun III.


Id. Apr. Anno Dom. DCCCCLXV. Imperii IV. Regni XXX. Und in der andern: Data II. Id. Apr. Anno Dom. Incarn. DCCCCLXV. Indict. VIII. Anno Imp. Magni Ottonis [148] Imperatoris Augusti IV. Regni XXX. Actum Wisibadun in Christi nomine feliciter. Das ist: Otto I – Geschehen zu Wisibadun den 11, wie auch den 12, April, im Jahr Christi 965 in der 8 Römischen Zinszahl, im 4 Jahr der Kayserlichen und im 30. Jahr der Königlichen Regierung des Kaysers Otto des Grossen. Es kam dieser Kayser damals aus Italien, und hielte sich erstlich eine Zeitlang in dem benachbarten Ingelheim, wo ein Kayserlicher Saal oder Pallast war, auf, und feyerte daselbst die Ostern. Von dar gieng er nach Wißbaden, und hat sich ebenfalls daselbst einige Zeitlang, wie aus den bemeldten Urkunden zu ersehen ist, gesäumet. Was er aber eigentlich daselbst verrichtet, und ob er etwan in dem dasigen Saal, nach Gewohnheit der damaligen Zeiten, Wohnung genommen und Gericht gepflogen, oder sonst eine Reichs-Versammlung gehalten, oder sich auch etwan der dasigen Bäder bedienet hat? das ist und bleibet uns dermalen, wegen Abgang mehrerer und näherer Nachrichten, unbekannt. Er ist nachmals von Wißbaden weiter auf Franckfurt am Mayn und so fort auf Herrenstein, (an welchen beyden Orten ebenfalls Kayserliche Saele oder Palläste waren) und von dar weiter nach Sachsen gegangen.



[149]
Ueberbliebene Alterthümer und
Denckmale
des Fränckischen und Kayserlichen
Wißbads.

Dahin gehöret

1. Der Saal, oder Königlich-Fränckische und Kayserliche Pallast in Wißbaden. Es hat nemlich in dieser Stadt, und zwar in dem Bezirck, wo die heutige Saal Gasse ist, nahe an der Bad-Gegend, ein Gebäude gestanden, welches von alten Zeiten her, der Saal ist genennet worden. Von diesem Gebäude sind um das Jahr 1617 noch einige ansehnliche Mauern über der Erde zu sehen gewesen. Denn so schreibt Weber in seiner damals herausgegebenen Bad-Beschreibung des Wißbads p. 7, und in der Teutschen Uebersetzung derselben p. 10: „Es ist noch in Wißbaden eine andere Antiquitätoder Alterthum, nemlich ein Ort, welchen die Einwohner den Saal nennen. Es sind vier Mauern, als wenn es ein Fundament eines alten Schlosses wäre. Und dieses wird insonderheit der Saal genennet. Aber die umliegende Weingärten, Aecker und Wiesen werden auch in dem Saal genennet, also [150] daß die vier Mauern das Schloß, die umliegende Oerter aber das Vorgebäu und Vorhof gewesen zu seyn, scheinen.” In den darauf erfolgten langwiehrigen Kriegs-Zeiten, darin in Wißbaden, wie unten wird gemeldet werden, gar vieles mit erlitten hat, ist der Rest dieses Gebäudes vollends zu Grunde gegangen, also daß man um das Jahr 1708, da man eine Gasse in solchem Saal (wie man ihn nannte) oder Saal-Gegend, welche aus Wiesen, Aeckern und Weingärten bestund, hat anlegen wollen, nichts mehr von einem Gebäude über der Erde gesehen, wohl aber in der Erde selbst, bey Aufgrabung derselben, und zwar an verschiedenen Orten dieser gemeldten Gegend, noch allerhand merckwürdiges Mauer-Werck, insonderheit Wände mit allerley Mahlereyen ausgezieret, wie auch erhabene Böden von Estrich, angetroffen hat, welches alles aber auch damals vollends umgerissen, und zu anderweitigem Nutzen verwendet, folglich also dieser gantze Saal, bis auf den überbliebenen Nahmen und einiges Gemäuer, welches man noch in den dazu gehörigen Feld-Stücken, wie auch in einigen Hofraithen der Saal-Gasse, hin und wieder antrifft, und welches vermuthlich ehemals NebenGebäude dieses Saals gewesen sind, ist vernichtiget worden. Fraget man nun, was denn dieser so genannte Saal eigentlich vor Alters vor ein Gebäude gewesen sey? so kan [151] die Antwort, nach angestellter gründlichen Untersuchung der Sache, nicht anders fallen, als daß solcher ein ehemaliges Schloß oder Wohn-Haus der alten Fränckischen Könige, wie auch der nachmaligen Teutschen Kayser gewesen seý. Der Beweis davon ist dieser: 1,. ist das Wort Saal eigentlich ein altes Fränckisches Wort, und heisset in solcher Sprache ein Schloß oder eine herrschaftliche Wohnung. Dieses bezeugen alle diejenige Schrift-Steller, welche die alte Teutsche Sprache, wie auch die Rechte und Gewohnheiten der alten Teutschen, in der Fränckischen Zeit, untersuchet haben, mit einem Munde. Wir wollen nur zwey derselben dißmal anführen, nemlich den Wachter und den Coccejus. Der erste schreibet in seinem Gloss. Germ. oder Wörter-Buch der alten Teutschen Sprache p. 1339 also: Die Francken nennen ein Königliches Haus einen Saal. Und p. 1343 heisset es: Saal-Buch, in welchem die Königlichen Güter aufgezeichnet sind, kommt her von dem Wort Saal, welches ein Schloß oder einen Pallast bedeutet. Und der andere schreibet in seinem Jur. publ. p. 90: Saal ist so viel, als ein Pallast oder öffentliches Hof-Gebäude, nemlich ein Ort, wo die öffentliche Zusammenkünfte des Reichs angestellet wurden. Es ist auch dieser Nahme Saal annoch heut zu Tage bey einigen solcher alten Königlichen und [152] Kayserlichen Gebäuden in verschiedenen Städten unserer Nachbarschaft würcklich übrig. Z. E. so heisset das alte, von dem Fränckischen König und Teutschen Kayser Carl dem Grossen erbauete, oder doch gantz erneuerte Schloß zu Ingelheim in der Pfaltz, noch jetzo, der Saal. Und der, von seinem Sohn, dem Kayser Ludwig dem Frommen, erbauete Kayserliche Pallast zu Franckfurt am Mayn heisset der Saal-Hof etc. Denn die alte Fränckische Könige, wie auch die nachmalige erste Teutsche Kayser, hatten die Gewohnheit, daß sie nicht beständig an einem Orte sich aufhielten, sondern in ihren Landen herum reiseten, und in den ansehnlichsten und bequemesten Städten derselben, auch öfters nur vor oder bey denselben in dem Felde unterm freyen Himmel, öffentliches Gerichte, wie auch Zusammenkünfte der Reichs-Stände hielten. Damit sie nun bey solcher Verrichtung schickliche Wohnungen vor sich und ihren Hof-Stat haben möchten, so liessen sie in solchen Städten hier und dar öffentliche Schlösser aufrichten, welche damals insgemein Saele, oder auch Pfaltzen, (von dem Lateinischen Wort: Palatium, Pallast) benennet wurden. Und sind dergleichen Saele oder Pfaltzen gar viele, sonderlich in den vornehmsten Städten an dem Rhein-Strom, damals aufgerichtet worden. Obgemeldter Coccejus schreibet daher l. c. p. 98. 99: Die Königliche [153] Gerichte sind vor Alters mehrentheils in der Rheinischen Landes-Gegend gehalten worden. Daher trift man in den meisten alten Städten solcher Provintz dergleichen alte öffentliche Gebäude an, welche noch jetzo die Pfaltz oder der Saal genennet werden. Nicht nur das bereits angeführte Ingelheim und Franckfurt, sondern auch das alte und ehemals so ansehnlich- gewesene Trebur in unserer Nachbarschaft, wie auch Maintz, Worms, Speyer etc. haben alle ehedessen, wie die alte Geschicht-Schreiber unseres Teutschlandes bezeugen, solche Saele oder Pfaltzen gehabt, welche aber meistentheils, bis auf einige wenige, durch die Länge der Zeit und allerley Zufälle, nach und nach eingegangen, doch an theils Orten annoch einige Spuren davon übrig geblieben sind. Es gehöreten insgemein zu solchen Saelen oder Pfaltzen auch ansehnliche Königliche Ländereyen, damit der Hof bey Anwesenheit des Königes oder Kaysers seinen Unterhalt davon haben konnte, wie auch Wälder zur Jagd, und andere dergleichen nöthige Güter. Wie denn auch, ordentlicher Weise, ein jedes solcher Saal- oder Pfaltz-Schlösser seinen besondern Saal- oder Pfaltz-Grafen hatte, welcher die dazu gehörige Güter verwaltete, und sonsten noch allerley ansehnliche Verrichtungen im Nahmen und in Abwesenheit des Königes zu besorgen hatte. Die Städte selber aber, wo [154] solche Saele oder Pfaltzen waren, hiessen Saal-Städte, Pfalentz- oder Pfaltz-Städte, Königstühle, Villae regiae, imperiales, Fisci publici etc. das ist, Reichs-Flecken, Reichs-Städte, gemeiner Reichs-Schatz etc. Und war es keine geringe Ehre vor eine Stadt, wenn sie mit einem solchen Königlichen Schlosse versehen, und also zu einer Saal- oder Pfaltz-Stadt war erhöhet worden. Wie sie denn auch mehrere Freyheiten, als andere Städte des Reiches, zu geniessen hatten; davon die Zeugnüsse bey gar vielen Geschicht-Beschreibern der alten Teutschen Reichs-Geschichten hinlänglich genug zu finden sind. 2, heißt unser Wißbadischer Saal in einer, im Jahr 1123 ausgefertigten, schriftlichen Urkunde des Kaysers Heinrichs V (welche unten in der dritten Abtheilung mit mehrerem wird genennet werden) in der Lateinischen Sprache: Curtis regia. Dieses Wort aber bedeutet nichts anders, als ein Königliches Schloß oder Pallast. Und darf man nur den einigen alten Geschicht-Schreiber Lambert von Aschaffenburg, welcher zu den damaligen Zeiten gelebet, nachlesen, so wird man fast auf allen Blättern seiner sehr richtigen Geschicht-Beschreibung einen überflüßigen Beweis davon haben können. Denn da nennet er die damalige Saele oder Königliche Palläste zu Trebur, Worms, Northausen, Goßlar etc. immerzu Curtes regias. Und in [155] den brieflichen Urkunden der damaligen Zeit pflegen überhaupt die Lateinischen Wörter: Palatium regium, das ist, Königlicher Pallast, und Curtis regia allezeit mit einander umgewechselt zu werden, wie man nur allein in des Schannats historischen Schriften sattsame Zeugnüsse davon antreffen kan. Z. E. so wird in seiner Hist. Worm. T. II. p. 6. 7. 9 der vorhin benahmte Saalhof zu Franckfurt am Mayn in einigen Urkunden von dem neunten Jahrhundert genennet Palatium Regium; und p. 13. und 14 wird eben derselbe in einigen Urkunden von eben diesem Jahrhundert genennet: Curtis regia etc. Es ist aber das Wort Curtis eigentlich von dem Lateinischen Wort Curia, zu der Zeit, da man die Reinigkeit der alten Lateinischen Sprache nicht mehr beobachtete, entstanden, und hat, seinem ersten Ursprung nach, eigentlich ein Gebäude, darin man öffentliches Gericht gehalten, bedeutet. Es ist aber hernach allen ansehnlichen, sonderlich öffentlichen oder gemeinen, Gebäuden und Höfen ebenfalls beygeleget worden. Und wenn es das Beywort regia, das ist, Königlich, bey sich stehen hat, so wird dadurch allemal, die aus den vorgemeldten Schrift-Stellern, und denen, von ihnen angeführten, zuverläßigen Urkunden, zu ersehen ist, einen Königlicher Pallast, Schloß, oder Residentz-Hof angezeiget. 3, ist die gantze Gegend welcher ehemals zu unserm Wißbadischen Saal [156] gehöret hat, von alten Zeiten her, mit besonderen Freyheiten begabet gewesen, welches eine Anzeige ist, daß das Gebäude, welches daselbst gestanden, kein schlechtes Privat-Gebäude müsse gewesen seyn. Und zwar ist diese Gegend nicht klein, sondern von ziemlicher Grösse gewesen. Denn sie hat nicht nur den Bezirck der heutigen Saal-Gasse, (welche von diesem Saal den Nahmen zu unsern Zeiten überkommen hat) sondern auch noch ein ziemlich-weitläuftiges Stück Land, welches dermalen ausserhalb der daselbstigen Stadt-Mauer lieget, in sich begriffen, welches alles zusammen im Saal genennet worden, und vermuthlich mit besonderen, zu diesem Saal gehörigen, Hof- und Neben-Gebäuden ehedessen ist versehen gewesen. Wie man denn in den Feld-Stücken dieser Saal-Gegend annoch vor nicht gar langer Zeit allerley altes Mauer-Werck über und in der Erde, insbesondere auch im Jahr 1731 ein kleines altes unterirdisches Gewölbe mit Todten-Gebeinen angetroffen hat, und auch noch jetzo einiges dergleichen altes Gemäuer und Hölen oder unterirdische Gewölber daselbst hier und dar antreffen kan. Daß aber dieses ehemals so ansehnlich-gewesene Saal-Gebäude in unserer Stadt nach und nach verfallen, und zu Grunde gegangen ist, das darf man sich nicht sonderlich wundern lassen. Denn die ehemalige Beschaffenheit des Teutschen Reiches hat [157] sich längstens geändert. Die Kayser ziehen nicht mehr in den alten Saal-Städten herum, sondern pflegen an einem gewissen Orte ihre Residentz zu nehmen, und haben also solcher ehemaligen Saele nicht mehr nöthig. Die besondere Landes-Herrschaften aber, denen dergleiche Saal-Städte nachmals zugefallen, haben sich neuere und bequemere Schlösser gebauet. Und da die zu solchen Saelen gehörig-gewesene Güter mit Rath davon abgekommen, und niemand mehr die alt-Fränckische Gebäude (die alt-Fränckisch beschaffen, und auch von alten Francken würcklich erbauet waren) gehandhabet, so haben sie, da ohnehin die Länge der Zeit und allerley andere Zufälle dazu geschlagen, nicht anderst, als nach und nach in den meisten Saal-Städten, und also auch in Wißbaden, verfallen müssen. Uebrigens ist noch zu mercken, daß dieser Wißbadische Saal nachmals, als die Stadt mit Wällen und Gräben (wie unten in der dritten Abtheilung wird gezeiget werden) ist umgeben worden, ausserhalb solcher Stadt-Befestigungen gestanden hat, wie denn die Stadt-Gräben zwischen diesem Saal und der Bad-Gegend sich vorbey gezogen haben. Und ist also zu vermuthen, daß er, nach Gewohnheit solcher Schlösser, von alten Zeiten her, seine eigene Befestigungs-Wercke gehabt haben werde. Man kan das, was von diesem Saal, welcher eines der vornehmsten Alterthümer [158] unseres Wißbads (davor ihn auch Winckelmann in seinen Hessischen Chron. P. 1. c. XI. p. 74 hält) gewesen ist, bisher aus hinlänglichen Gründen, hoffentlich überzeugend, ist dargethan worden, mit einigen mehrerern allgemeinen Zeugnüssen der Gelehrten bestärcket, und gegen verschiedene darwider erregte Zweifel (die jedoch der Wahrheit dieser Sache wenig Eintrag thun) verteidiget finden in des Verfassers Merckw. der Stadt Wißb. P. 1. p. 44. P. 2. p. 29. Der Haupt-Einwurf, den man hierbey vornemlich geäusert hat, bestehet darin, daß man vorgegeben: wenn vormals ein solch ansehnlich Gebäude, als dieser Saal gewesen seyn soll, auf der Stelle unserer Wißbadischen Saal-Gegend gestanden hätte, so müsten die Rudera oder überbliebene Fundament-Mauern davon, die man zu unsern Zeiten in der Erde daselbst gefunden, viel stattlicher und ansehnlicher gewesen seyn, als sie würcklich gewesen sind. Allein wer da weiß, was die Zeit vor grosse Veränderungen bey dergleichen bejahrten Gebäuden, auch selbst bis in ihre tiefste Fundamente und Grund-Mauern hinein, durch allerley Schicksale anrichten könne, und würcklich überall anrichte, der wird Bedencken tragen, sich über diesen Einwurf im geringsten aufzuhalten. Es werden die Fundament-Mauern dieses Wißbadischen Saals, gantz vermuthlich, schon mehr als einmal, zumalen als man [159] denselben in Aecker, Wiesen und Weiden-Gärten verwandelt hat, durch Herumgraben der Erde, klein gemacht worden seyn. Und ist also dasjenige Gemäuer, welches man zu unsern Zeiten von demselben annoch in der Erde angetroffen hat, keinesweges die Grund-Mauer des gantzen Saals, sondern nur ein und der anderen Stücken desselben gewesen. Wiewohl doch auch selbst diejenige unterirdische Mauer-Stücke, welche man, vorgemeldter massen, zu unsern Zeiten in dieser Saal-Gegend gefunden hat, nach dem Zeugnüß dererjenigen, welche solche gegenwärtig betrachtet haben, würcklich so beschaffen gewesen sind, daß man daraus wenigstens überhaupt so viel hat abnehmen können, daß das Gebäude, welches vormals daselbst gestanden, von keiner gemeinen oder schlechten Verfassung gewesen sey.

2. Die drey gelbe Lilien in einem blauen Felde, welche in dem Insiegel oder Wappen der Stadt Wißbaden befindlich sind. Von diesem alten Wappen der Stadt wird insgemein vermuthet, daß es von den ehemaligen Fränckischen Königen herrühre, und also ein würckliches Alterthum der Fränckischen Zeiten sey. Es ist auch diese Vermuthung, wie aus einigen Anzeigungen erhellet, nicht ohne Grund. Denn 1, so sind zwar die Lilien, absonderlich in einer bestimmten Anzahl, noch nicht [160] das ordentliche und beständige Wappen der alten Fränckischen Königen gewesen. Noch viel weniger ist dieses Lilien-Wappen dem ersten Christliche Könige der Francken, Clodowig, durch ein, bey seiner Taufe, von dem Himmel gefallenes, mit drey blauen Lilien bemahltes Schild, von dem Himmel selbst (wie Valdes de praerog. Hisp. vorgiebt) angewiesen worden. Allein es sind doch auch die Lilien in dem Wappen einiger alten Fränckischen Königen nicht gantz und gar ungewöhnlich gewesen. Es wäre denn, daß man solche Figuren, wie einige wollen, vor Fränckische Speer-Spritzen zu halten hätte. Siehe hiervon ausführlich den Montfaucon in Thes. Antiq. Reg. Galliae. 2, ist Wißbaden, wie kurtz vorher dargethan worden, vormals eine Fränckische Saal- oder Pfaltz-Stadt gewesen, und hat also, gantz vermuthlich, auch damals, nach der Gewohnheit der Städten selbiger Zeiten, ihr besonderes Wappen gehabt. Es ist aber kein älteres Wappen bey derselben, weder in alten Schriften, noch an alten Gebäuden, vorhanden, als diese drey Lilien; folglich ist es also sehr wahrscheinlich, daß eben diese drey Lilien das Wappen seyen, welches diese Stadt bey ihrer Erhöhung zu einer Fränckischen Saal- oder Pfaltz-Stadt von den Fränckischen Königen (es mögen nun dieselbe dieses Wappen damals allschon selber geführet haben, oder nicht) überkommen habe. Dazu kommt [161] 3, daß auch die ehemalige Saal- oder Pfaltz-Stadt Trebur in unserer Nachbarschaft ebenfalls vormals drey Lilien in ihrem Wappen, nach dem Zeugnüß des Sauers in seinem Städte-Buch in Beschreibung des Ortes Trebur, geführet hat; wie denn an den öffentlichen Gebäuden desselben diese drey Lilien vormals, eingehauen, sind zu sehen gewesen. Woraus wenigstens so viel abzunehmen ist, daß dergleichen Lilien-Wappen in den ehemaligen Fränckischen Zeiten (darin Trebur in seinem Flor gestanden) bey solcherley Städten nicht ungewöhnlich gewesen ist. 4, ist dieses Lilien-Wappen der Stadt Wißbaden in den vorigen Zeiten, L. U. verschiedene malen von den Teutschen Kaysern bekräftiget worden; welches eine starcke Anzeige giebet, daß dieses Wappen von alten Königlichen und Kayserlichen Begnadigungen seinen Ursprung bekommen habe. 5, ist würcklich bey der Stadt Wißbaden ein schriftlicher, in dem Jahr 1562 aufgesetzter, Bericht vorhanden, des Inhalts, daß die Stadt ihr Lilien-Wappen, nebst andern Freyheiten, sonderlich vor die dasigen Bäder, ehemals nahmentlich von dem Fränckischen Könige und Teutschen Kayser, Carl dem Grossen, überkommen habe, der selbst-händige Schenckungs-Brief desselben auch bey der Stadt vorhanden gewesen, in dem grossen Brand aber, welchen dieselbe 1547 erlitten (davon unten weitere Nachricht [162] vorkommt) verunglücket sey. Nun ist es zwar freylich an dem, daß man dermalen von der Richtigkeit dieses angegebenen alten Kayser-Briefes eben nicht hinlänglich genug versichert seyn kan; denn er ist nicht mehr vorhanden, und kan also auch nicht eingesehen, und gebührend geprüfet werden. Es ist aber bekannt, was dergleichen alte Kayser-Briefe, sonderlich von dem Kayser Carl dem Grossen, (als welcher zumal sehr alt und selten sind) vor wichtigen Zweifeln, ihrer Richtigkeit wegen, insgemein unterworfen sind. Es ist auch bekannt, daß dergleichen Zweifel nicht wohl anders, als durch eine genaue Einsehung und Prüfung solcher Briefen selber, und aller Worten und Sachen derselben, können abgethan werden. Da nun aber solches bey dem vorgegebenen Wißbadischen Kayser-Brief, wegen dessen gäntzlichen Abgangs, nicht mehr thunlich ist, als kan man auch wegen dessen gehabten Richtigkeit freylich wohl keine endliche und völlige Versicherung erlangen. Allein es ist doch allerdings sehr wahrscheinlich, daß derselbe seine Richtigkeit würcklich gehabt haben werde. Denn da der gedachte Kayser Carl der Grosse ehemals gar öfters, wie die Geschicht-Schreiber seiner Zeiten bezeugen, in unsern Gegenden, um Franckfurt und Ingelheim herum sich aufgehalten hat, auch dabey, wie eben diese Schrift-Steller melden, ein besonderer Liebhaber der [163] warmen Bäder gewesen ist, so stehet fast gar nicht zu zweifeln, daß er nicht zuweilen auch unser Wißbad, zumalen dasselbe mit einem Königlichen Saal versehen gewesen, werde besuchet, und demselben eine und die andere Begnadigung, nach der Gewohnheit der ehemaligen Teutschen Kayser, erzeiget haben. Wie man denn auch überdas keine sonderliche Ursache absehen kan, warum ein solcher Brief, der bloß allein das Wappen der Stadt, und einige, wie es scheinet allgemeine Freyheiten der Bäder, (die ohnehin niemand gerne anfichtet) betroffen hat, gantz ohne Grund von den ehemaligen Einwohnern der Stadt sollte auf das Tapet gebracht worden seyn. Doch stehet es einem jeden frey, hiervon zu halten, was er will. Denn der gedachte Brief ist, wie gemeldet, dermalen nicht mehr, auch nicht in Abschrift, vorhanden.

3. Ein Stein mit einer alten, in diesem Zeit-Lauf vermuthlich verfertigten, Schrift, welcher vor einigen Jahren in dem Schützen-Hof zu Wißbaden in der Erde ist gefunden worden. Dieser Stein ist länglicht und eckigt, und einer kleinen Säule nicht gar ungleich. Die Schrift, welche an demselben sich befindet, ist zwar, so viel man abnehmen kan, Lateinisch. Die Gestalt derselben aber ist nicht Römisch, sondern von derjenigen Gattung, welche nachmals in den Gothischen [164] und Fränckischen Zeiten durch die Mönche ist eingeführet worden. Was aber diese Schrift eigentlich in sich halte, das ist schwer zu sagen. Denn es sind nicht nur die auf dem Stein befindliche Buchstaben, wie gedacht, alt und unbekannt, sondern es ist auch ein Stück von diesem Stein, mit sammt der Schrift, abgerissen, folglich also der Zusammenhang der enthaltenen Sache dadurch unterbrochen. Zwar haben einige (wie aus Hellmunds Anhang zu Spethens Wißbadischen Bad-Beschreibung zu ersehen ist) vorgeben wollen, es sey auf demselben eine Grab-Schrift eines Canonici von Maintz, Nahmens Idec, von dem Jahr 500 befindlich. Es kan aber solches, vieler Ursachen wegen, gar nicht vor gegründet gehalten werden. Andere haben eine Nachricht von dem, in dem Schützen-Hof befindlichen, warmen Wasser darauf entdecken wollen. Und diese scheinen eher Grund zu haben, weil dieser Stein würcklich über dem Wasser-Gang des daselbstigen warmen Wassers aufrecht in der Erde, als man ihn gefunden, gestanden hat. Es ist aber alles noch zur Zeit, wegen der unleshaften Schrift, unerörtert, und muß man also die eigentliche Beschaffenheit und den wahren Inhalt dieses Alterthums annoch von einem Kenner solcher alten Schriften gelegenheitlich erwarten. Ex Antiquitate, heisset es hier, wie Balutzius in seinen [165] Anmerckungen über den Salvianum p. 385 schreibet amamus etiam quisquilias, et semesos[WS 1] lapides. Das ist: Aus dem Alterthum lieben wir auch die geringe Sachen, und halb-verzehrte Steine.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Im Original ist abweichend von den übrigen lateinischen Zitaten ein langes „s“ verwendet worden.
« Erste Abtheilung: Das Teutsche und Römische Wisbad Gottfried Anton Schenck
Geschicht-Beschreibung der Stadt Wißbaden
Dritte Abtheilung: Das Nassauische Wißbad »
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