Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Zur Eröffnung des Jahrganges 1835
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Unsere Thronrede ist kurz. Zwar pflegen Journale an ersten Januaren Vieles zu versprechen, nur ohne den künftigen Jahrgang bei der Hand zu haben. Deute sich der Leser das Motto von Shakspeare, welches diese von uns herausgegebenen Blätter schon einmal eröffnete,[1] auf eine Weise, die uns seine Gunst erhalten möge. Ob wir unsere Versprechungen durchaus gelöst und den Erwartungen entsprochen haben, die der weit umfassende Plan allerdings zu großen steigern mußte, wollen wir nicht entscheiden. In der Anerkennung der Jugend des Unternehmens liegen vielleicht auch die Ausstellungen, die man machen könnte. Im Wesentlichen werden Körper und Geist, welchen der Himmel ihm schenken möge, künftighin dieselben bleiben.
Es bleibt noch übrig, uns über die Fortsetzung des kritischen Theils dieser Blätter zu erklären.
Das Zeitalter der gegenseitigen Complimente geht nach und nach zu Grabe; wir gestehen, daß wir zu seiner Neubelebung nichts beitragen wollten. Wer das Schlimme einer Sache nicht anzugreifen sich getraut, vertheidigt das Gute nur halb. – Künstler, namentlich Ihr, Componisten, Ihr glaubt kaum, wie glücklich wir uns fühlten, wenn wir Euch recht ungemessen loben konnten. Wir kennen die Sprache wohl, mit der man über unsre Kunst reden müßte – es ist die des Wohlwollens; aber beim besten Willen, Talente wie Nichttalente zu fördern oder zurückzuhalten, geht es nicht immer – wohlwollend.
In der kurzen Zeit unseres Wirkens haben wir mancherlei Erfahrungen gemacht. Unsere Gesinnung war vorweg festgestellt. Sie ist einfach, und diese: an die alte Zeit und ihre Werke mit allem Nachdruck zu erinnern, darauf aufmerksam zu machen, wie nur an so reinem Quelle neue Kunstschönheiten gekräftigt werden können – sodann, die letzte Vergangenheit, die nur aus Steigerung äußerlicher Virtuosität ausging, als eine unkünstlerische zu bekämpfen, – endlich eine neue poetische Zeit vorzubereiten, beschleunigen zu helfen.
Ein Theil hat uns verstanden, eingesehen, daß Unparteilichkeit, vor Allem lebendiges Mitinteresse die Beurtheilungen leitete.
Ein zweiter hat gar nicht darüber nachgedacht und wohlgemuth auf den Anfang vom Ende des alten Lieds gepaßt. Es wäre sonst rein unerklärlich, wie uns zugemuthet wurde, Sachen zu besprechen, die für die Kritik eigentlich wie gar nicht existiren.
Ein dritter nannte unser Verfahren rücksichtslos, rigoristisch. Wir wollen der entgegengesetzten Weise nicht gemeine, sondern die edelsten Gründe unterlegen, vielleicht den, daß unsere Kunstgenossen im Allgemeinen äußerlich nicht gerade die reichsten sind, deren oft mühsam erworbenen Lebensbedarf man nicht noch durch Aufdecken einer freudlosen Zukunft verkümmern solle – oder den, daß es schmerzt, nach einem lange zurückgelegten Wege zu erfahren, daß man den unrechten eingeschlagen; denn wir wissen wohl, wie der musikalische und jeder Künstler ohne Schaden für seine Kunst etwas Anderes, was ihm im bürgerlichen Leben einen Halt abgäbe, nicht treiben dürfe. Aber wir sehen nicht, was wir vor anderen Künsten und Wissenschaften voraus haben sollen, wo sich die Parteien offen gegenüber stehen und befehden, noch überhaupt wie es sich mit der Ehre der Kunst und der Wahrheit der Kritik vereinbaren ließe, den drei Erzfeinden unserer und aller Kunst, den Talentlosen, dann den Dutzendtalenten (wir finden kein besseres Wort), endlich den talentvollen Vielschreibern ruhig zuzusehen. Glaube Niemand, wir hätten z. B. etwas gegen gewisse Tagescelebritäten. Diese gelten, weil sie die Stellen, die ihnen vom mächtigen Zeitengenius bestimmt sind, vollkommen ausfüllen. Sodann sind sie, wie man sich leider gestehen muß, die Capitale, mit denen die Verleger, die doch auch da sein müssen, den Verlust, welchen sie oft bei Herstellung classischer Werke tragen, in etwas decken. Aber drei Viertel von Andern sind unecht, unwerth veröffentlicht zu werden. Die Masse steckt bis an den Kopf in Noten, verwirrt sich, verwechselt; dem Verleger, Drucker, Stecher, Spieler, Zuhörer wird unnütz Zeit genommen. Aber die Kunst soll mehr als ein Spiel, als ein Zeitvertreib sein.
Das waren unsere Ansichten schon beim Beginnen dieser Zeitschrift, hier und da leuchteten sie wohl durch; wir sprachen sie aber noch nicht so bestimmt aus, weil wir hofften, daß theils die Leistungen mancher jungen edlen Geister, welche wir in Schutz zu nehmen für Pflicht erachteten, theils ein absichtliches Uebergehen aller jener gewöhnlichen Conglomerate die Mittelmäßigkeit am schnellsten unterdrücken würden. Wir gestehen, daß wir später in ein Dilemma geriethen. Mancher Leser wird gesehen und geklagt haben, daß der Raum, den wir der Kritik anwiesen, in keinem Verhältniß zur Zahl der erscheinenden Werke stehe. Er war nicht in den Stand gesetzt, sich einen Ueberblick über alle Erscheinungen, gute wie schlechte zu verschaffen. Nun waren es die drei obengenannten Hauptfeinde, die jenen erschwerten. Damit aber der Leser zu einem Standpuncte gelange, von dem er alles um sich wie im Kreise sehen könne, mußten wir auf ein Verfahren sinnen, wodurch zugleich der Besprechung des Nöthigen und Wichtigen kein Eintrag gethan werde. Es sind nun die einzelnen Erzeugnisse dieser drei Gattungen unter einander sich so ähnlich, die der ersten an Leblosigkeit, die der andern an Leichtsinn, die der dritten an Handwerksmässigkeit, daß sich mit der Charakterisirung einer einzelnen Composition die ganze Classe in ihren Grundzügen hinstellen ließe. Also in Berathung mit Künstlern, denen, wie die Erhebung der Kunst, auch das Leben des Künstlers am Herzen liegt, wollen wir für Compositionen, die sich, nicht nach einseitiger Meinung, sondern nach gewissenhafter Ueberzeugung Vieler in eine der obigen Classen rubriciren lassen, drei einzelne Stereotyprecensionen bereit haben, denen weiter nichts als die Titel der Compositionen untergesetzt werden. Wie sehr wir wünschen, daß dieses Verzeichniß so kurz wie möglich ausfalle, brauchen wir so wenig zu versichern, als wie wir Alles, was sich, wenn auch nur durch einen kleinen glücklichen Zug unterscheidet, besonders und in längern oder in kürzern Aufsätzen besprechen werden.
Und so beginne dieses Geständniß den neuen Jahreslauf! Man sagt oft „das neue Jahr, ein altes Jahr,“ wir wollen hoffen, ein besseres. –
Anmerkungen
Anmerkungen (H)
- ↑ [WS] Dies Motto bildete den Auftakt zum ersten Heft, vom 3. April 1834, der Neuen Zeitschrift für Musik (die Anfang noch Neue Leipziger Zeitschrift für Musik hieß). Das Zitat ist entnommen: William Shakespeare, Prolog zu König Heinrich der Achte in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel und Johann Joachim Eschenburg, Shakespeare’s dramatische Werke, Bd. 16, Wien 1811, S. 5 Google. Korrekt heißt es: „– – Die allein, / Die, um ein lustig Spiel, Geräusch der Tartschen / Zu hören kamen, oder einen Mann / Im bunten Rock, mit Gelb verbrämt, zu sehn, / Die irrten sich. – –“
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