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Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Ouverturen

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Franz Schubert’s letzte Compositionen Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Ouverturen
Erster Quartettmorgen


[241]
Ouverturen.
Kalliwoda, J. W., 5te Ouverture. Werk 76. – Hesse, A., Ouverture Nr. 2. Werk 28. – Weyse, C. F. E., Ouverture zur Oper Kenilworth zu 4 Händen für Pianoforte eingerichtet. – Bennett, W. St., Die Najaden. Ouverture zu Händen fürs Pianoforte. Werk 14.


An Kalliwoda haben wir das erfreuende Beispiel eines schnell zur Blüthe und Anerkennung gekommenen Talentes, und das traurige eines eben so raschen Verblühens und Vergessenwerdens. Er hatte viele Hoffnungen erweckt, viele erfüllt. Seine Symphonieen, wenn auch natürlich keine Beethoven’schen Diademe, so doch weißen, durchsichtigen Perlen zu vergleichen, werden sich unter seinen Werken der Zukunft am längsten erhalten. Was er aber außerdem und namentlich in der letzten Zeit zu Tage brachte, war kaum mehr als Flittergold, unechter Schmuck; wir sind wohl Alle darüber einverstanden. So auch diese fünfte Ouverture, ein hübsches Stück für Dilettantenorchester, nicht schwer, klingend instrumentirt, im Ganzen gewöhnlich und aus [242] den bekanntesten Redensarten zusammengesetzt. Der Componist wird ihr wohl selbst kein Gewicht beilegen.

Die Ouverture von A. Hesse, ein früheres Werk dieses Componisten, mag sich gut zur Eröffnung etwa eines Kotzebue’schen Stückes schicken; sie hat ein allgemeines comfortables Gesicht, rundet sich, wie alle Arbeiten von Hesse, sehr glücklich ab und ist in guter Stunde gemacht. Der alten Richtschnur entgegen, nach der das zweite Thema nach der Dominante mußte, weicht dieses in der Ouverture in eine ziemlich entlegene Tonart, nämlich in die kleine Terz der Dominante aus. Es wäre dem, wo so geschickt wie hier modulirt ist, gar nichts anzuhaben; aber die Thema’s sind eigentlich gar nicht verschieden und das, was wir das zweite nannten, nur eine geringe Veränderung des ersten, der Arrangeur müßte denn die Melodie, die zum zweiten Gedanken sehr wohl gedacht werden kann, im Clavierauszug nicht haben anbringen können.

Der Componist der Ouverture zu Kenilworth ist als ein kraft- und geistvoller Mann bekannt. Doch hätte ich nach der Handlung, der die Ouverture zur Einleitung bestimmt ist, ein phantastischeres, complicirteres Gemälde vermuthet. Es kömmt wieder auf den Streit hinaus, ob die Ouverture ein Bild des Ganzen geben oder nur einfach einleiten soll. Zu beiderlei finden sich bekanntlich Muster. Hier scheint keins von beiden Principien beobachtet. In der Wiederholung des Adagios in der Mitte könnte man vielleicht Amy Robsartsche[H 1] [243] Anspielungen finden, im Ganzen aber hat die Musik nur einen festlichen, gastlichen Charakter, als ob die Oper, die uns nämlich unbekannt, ihren Mittelpunct im Fest auf Kenilworth hätte. Abgesehen davon ist sie durchweg klar und gediegen, vielleicht etwas zu lang und jedenfalls, wie die vorige Ouverture, in den beiden Hauptthemen zu wenig contrastirend.

Die Bennett’sche Ouverture, die Najaden genannt, wurde schon früher einmal erwähnt[H 2] und dort als ein „reizendes, reich und edel ausgeführtes Bild“ bezeichnet; das ist sie, frisch, wie eben gebadet und, trotz ihrer Stoffähnlichkeit mit der Mendelssohn’schen Melusine, der eigenthümlichen Züge voll, die wir schon mehrfach an diesem musikalischsten aller Engländer hervorhoben. Es gehört wenig Phantasie dazu, und jede irgend lebhafte wird es von selbst, während des Hörens der Ouverture sich allerhand schön verschlungene Gruppen spielender badender Najaden zu denken, wie denn die weichen Flöten und Oboen auf umstehende Rosenbüsche und kosende Taubenpaare gedeutet werden können; prosaischen Köpfen kann man aber wenigstens einen jenem ähnlichen Eindruck versprechen, den Goethe mit seinem „Fischer“ bezweckt, das Gefühl des Sommers nämlich, das sich in den Wellen abkühlen will, so wohlthuend und spiegelhell breitet sich die Musik vor uns aus. Eine gewisse Monotonie war ihr indeß schon früher vorgeworfen worden; es mag dies auch zum Theil in den vielen Parallelstellen, Wiederholungen [244] einzelner Perioden in der obern und untern Octave etc. ihren Grund haben, eine sehr leichte Art der Gestaltung, die aber, wenn wir sie bei andern Tonsetzern oft als einen Schlendrian bezeichnen müssen, bei unserm weniger eine Folge vom Nachlaß der Erfindung, als ein Festhalten an gewisse Lieblingsgedanken und Wendungen zu nennen ist.




Anmerkungen (H)

  1. [WS] Amy Robsart, die Protagonistin des Romanes Kenilworth von Walter Scott, ist die Tochter von Sir Hugh Robsart of Devon und ist im Auftrag Graf Leicesters, des Favoriten Elisabeths I. entführt worden.
  2. [WS] Seite 211
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