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Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Ouverture zur schönen Melusina

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Die Preissymphonie Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Ouverture zur schönen Melusina
Kritische Umschau (2): I. Ouverturen


Ouverture zum Mährchen von der schönen Melusina.
Von F. Mendelssohn Bartholdy.
(Zum erstenmal in Leipziger Concerten gehört im December 1835.)[H 1]

Vielen macht nichts größere Sorge, als daß sie nicht dahinter kommen können, welche der Ouverturen von Mendelssohn eigentlich die schönste, ja beste. Schon bei den früheren hatte man vollauf zu thun und zu beweisen, — jetzt tritt noch eine vierte hervor. Florestan theilt deshalb die Parteien in Sommernachtsträumler (bei weitem die stärkste), in Fingaller[H 2] (nicht die schwächste, namentlich beim andern Geschlechte) u. s. w. ein. Die der Melusinisten möchte man allerdings die kleinste heißen, da sie zur Zeit, außer zu Leipzig, nirgends in Deutschland gehört worden ist, und England, wo die philharmonische Gesellschaft sie als ihr Eigenthum zuerst aufführte, nur im Nothfall als Reserve zu gebrauchen wäre. –

Es gibt Werke von so feinem Geistesbau, daß die bärenhafte Kritik selbst wie verschämt davortritt und Complimente machen will. Wie dies schon bei der Sommernachtstraumouverture der Fall war (wenigstens erinnere ich mich über selbige nur poetische Recensionen [wär’s kein Widerspruch] gelesen zu haben), so jetzt wieder bei der zum Mährchen von der schönen Melusina.

Wir meinen, daß, sie zu verstehen, Niemand die breitgesponnene, obwohl sehr phantasiereiche Erzählung von Tieck zu lesen, sondern höchstens zu wissen braucht: daß die reizende Melusina voll heftiger Liebe entbrannt war zu dem schönen Ritter Lusignan und ihn unter dem Versprechen freite, daß er sie gewisse Tage im Jahre allein lassen wolle. Einmal bricht’s Lusignan — Melusina war eine Meerjungfrau — halb Fisch, halb Weib. Der Stoff ist mehrfach bearbeitet, in Worten, wie in Tönen. Doch darf man eben so wenig, wie bei der Ouverture zu Shakspeares Sommernachtstraum, in dieser einen so groben historischen Faden fortleiten wollen.[1] So dichterisch Mendelssohn immer auffaßt, so zeichnet er auch hier nur die Charaktere des Mannes und des Weibes, des stolzen ritterlichen Lusignan und der lockenden hingebenden Melusina; aber es ist als führen die Wasserwellen in ihre Umarmungen und überdeckten und trennten sie wieder. Und hier mögen wohl in Allen jene luftigen Bilder lebendig werden, bei denen die Jugendphantasie so gern verweilt, jene Sagen von dem Leben tief unten im Wellengrund, voll schießender Fische mit Goldschuppen, voll Perlen in offenen Muscheln, voll vergrabener Schätze, die das Meer dem Menschen genommen, voll smaragdener Schlösser, die thurmhoch über einander gebaut u. s. w. — Dieses, dünkt uns, unterscheidet die Ouverture von den frühern, daß sie derlei Dinge, ganz in der Weise des Mährchens, wie vor sich hin erzählt, nicht selbst erlebt. Daher scheint auf den ersten Blick die Oberfläche sogar etwas kalt, stumm: wie es aber in der Tiefe lebt und webt, läßt sich deutlicher durch Musik, als durch Worte aussprechen, weshalb auch die Ouverture (wir gestehen es) bei weitem besser, als diese Beschreibung davon. —

Was sich nach zweimaligem Anhören und einigen zufälligen Blicken in die Partitur über die musikalische Composition sagen läßt, beschränkt sich auf das, was sich von selbst versteht — daß sie von einem Meister in Handhabung der Form und der Mittel geschrieben ist. Das Ganze beginnt und schließt mit einer zauberischen Wellenfigur, die im Verlauf einige Mal auftaucht und hier wirkt sie, wie schon angedeutet, so, als würde man vom Kampfplatze heftiger menschlicher Leidenschaften plötzlich hinaus in das großartige, erdumfassende Element des Wassers versetzt, namentlich von da wo es von As durch G nach C modulirt. Der Rhythmus des Ritterthemas in F moll würde durch ein noch langsameres Tempo an Stolz und Bedeutung gewinnen. Gar zart und anschmiegend klingt uns noch die Melodie in As nach, hinter der wir den Kopf der Melusina erblicken. Von einzelnen Instrumentaleffecten hören wir noch das schöne B der Trompete (gegen den Anfang), das die Septime zum Accorde bildet; — ein Ton aus uralter Zeit.

Anfänglich glaubten wir die Ouvertüre im Sechsachtel-Tacte geschrieben, woran wohl das zu rasche Tempo der ersten Aufführung, die ohne Beisein des Componisten Statt fand, Schuld war. Der Sechsviertel-Tact, den wir dann in der Partitur sahen, hat allerdings ein leidenschaftloseres, auch phantastischeres Ansehen und hält jedenfalls den Spieler ruhiger; indeß dünkt er uns immer wie zu breit und gedehnt. Es scheint dies Vielen vielleicht unbedeutend, beruht jedoch auf einem nicht zu unterdrückenden Gefühle, das wir freilich in diesem Falle nur aussprechen, nicht als richtig beweisen können. So oder so geschrieben bleibt die Ouverture wie sie ist. –

2.




  1. Ein Neugieriger frug einmal Mendelssohn, was die Ouverture zur Melusina eigentlich bedeute. Mendelssohn antwortete rasch „Hm — eine Mesalliance.“ –

Anmerkungen (H)

  1. [GJ] Die Ouvertüre zur Melusine wurde zum erstenmal am 23. Nov. 1835 im Gewandhause gespielt. In Abwesenheit Mendelssohns, der zum Begräbniß seines Vaters in Berlin war, hatte C. G. Müller die Direction übernommen. — Das Werk war noch nicht gedruckt, die Partitur, welche Schumann eingesehen hatte, Mendelssohns Originalhandschrift. Sie trägt am Schluß das Datum „Leipzig den 17. Nov. 1835“, componirt ist das Werk schon im Jahre 1833. Ueber die Anregung zu demselben schrieb Mendelssohn unterm 7. April 1834 an seine Schwester Fanny: „Ich habe diese Ouvertüre zu einer Oper von Conradin Kreutzer geschrieben, welche ich voriges Jahr um diese Zeit im Königstädter Theater hörte. Die Ouvertüre wurde da capo verlangt und mißfiel mir ganz apart; nachher auch die ganze Oper, aber die Hähnel nicht, sondern die war sehr liebenswürdig und namentlich in einer Scene, wo sie sich als Hecht präsentirt und sich die Haare macht, da bekam ich Lust, auch eine Ouvertüre zu machen, die die Leute nicht da capo riefen, aber die es mehr inwendig hätte, und was mir am sujet gefiel, nahm ich und kurz, die Ouvertüre kam auf die Welt und das ist ihre Familiengeschichte“. I.337–338. Anm. 51 [WS] Felix Mendelssohn Bartholdy: Das Märchen von der schönen Melusine, Konzert-Ouvertüre op. 32.
  2. [GJ] Die Ouvertüre zur Fingalshöhle war bei der ersten Ausführung in Leipzig (4. December 1834) unter dem Titel: „Ossian in Fingals Höhle“ angekündigt. Ursprünglich nannte Mendelssohn sie „Ouvertüre zur einsamen Insel“. (Brief vom 10. December 1830.)
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