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Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Mendelssohn’s „Paulus“ in Wien

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Etuden für das Pianoforte (3) Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Mendelssohn’s „Paulus“ in Wien
Sonaten für das Clavier (4)


[76]
Mendelssohn’s „Paulus“ in Wien.
Aus einem Briefe vom 2ten März.


Endlich hat man hier „Paulus“ gegeben, die größte Musikstadt Deutschlands ihn zuletzt. Daß Mendelssohn’s Compositionen bisher hier nur wenig Eingang gefunden, hängt zu tief mit dem hiesigen innern Musikleben zusammen, als daß ich die Thatsache einzeln herausreißen könnte, auf die ich aber wieder zurückzukommen denke. Vor der Hand also nur dieses: Der Wiener ist im Allgemeinen äußerst mißtrauisch gegen ausländische musikalische Größen (etwa italiänische ausgenommen); hat man ihn aber einmal gepackt, so kann man ihn drehen und wenden, wohin man will, er weiß sich dann kaum vor Lob zu lassen und umarmt unaufhörlich. Sodann gibt es hier eine Clique, die Fortsetzung derselben, die früher den Don Juan und die Ouverture zu Leonore auspfiff, eine Clique, die meint, Mendelssohn componire nur, damit sie’s nicht verstehen sollen, die meint, seinen Ruhm aufhalten zu können durch Stecken und Heugabeln, eine Clique mit einem Worte so ärmlich, [77] so unwissend, so unfähig in Urtheil und Leistung, wie irgend eine in Flachsenfingen.[H 1] Zwerge aus der Welt zu schaffen, braucht es nun gerade keiner apostolischen Blitze, wie sie Paulus wirft; sie verkriechen sich ohnehin, faßt sie der Rechte irgend ernsthaft in’s Auge. Aber der Paulus that größere Wunder. Wie ein Freudenfeuer zündete diese fortlaufende Kette von Schönheiten in der Versammlung. Das hatte man nicht erwartet, diesen Reichthum, diese Meisterkraft, und vor allem nicht diesen melodischen Zauber; ja als ich zum Schluß das Publicum überschätzte, es war so vollzählig da, wie im Anfang, und man muß Wien kennen, um zu wissen was das heißt: Wien und ein dreistündiges Oratorium haben bisher in schlechter Ehe gelebt; aber der Paulus brachte es zu Stande. Was soll ich weiter sagen? — jede Nummer schlug, drei mußten durchaus wiederholt werden,[H 2] zum Schluß summarischer Beifall. Der alte Gyrowetz meinte: „das wäre seines Erachtens das größte Werk der neuen Zeit;“ der alte Seyfried „so etwas hab’ er nicht noch in seinen alten Tagen zu erleben gehofft.“ Kurz, der Sieg war passabel. Bedenkt man nun, daß die Aufführung nach zwei Orchesterproben vor sich ging, so muß man vor der Virtuosität der Wiener allen Respect haben. Die Darstellung war im Einzelnen noch keine vollendete, und konnte es nicht sein; aber wie man hier einen Chor singt, aus allen Leibeskräften, daß man ihn eher zu besänftigen hätte, als anzufeuern, das findet man in Norddeutschland nur selten, wo man sich hinter die [78] Notenblätter verpallisadirt, und nur froh ist, nicht geradezu umzuwerfen. Hierin ist Wien einzig, man gebe ihm nur zu singen und es schmettert lustig wie aus einer Canarienhecke. Die Soloparthieen wurden zwar nicht von den bekannten ersten Notabilitäten der Stadt vertreten, doch hinreichend gut; einzelne, wie der Baß sogar ausgezeichnet.[H 3] Wie ich schon geschrieben, geschah die Aufführung auf Veranlassung der Gesellschaft der Musikfreunde, dieses höchst ehrenwerthen Vereins, der in neuerer Zeit ein sehr frisches Leben entwickelt. Besondere Erwähnung verdiente wohl auch Hr. Dr. Edler von Sonnleithner, durch dessen rastlose Bemühungen zumal die Aufführung gelang; denn man glaubt kaum, was hier dazu gehört, ein Orchester von 100 Köpfen zusammenzubringen, während übrigens bei mehr Zusammenhaltung und Beherrschung der Kräfte leicht 1000 und mehr in’s Feld gestellt werden könnten. Ehre also allen denen, die dies Werk, diesen Juwel der Gegenwart, ihrer und des Werkes würdig, mit so großer Lust und Liebe den hiesigen zahlreichen, und echten Kunstmenschen zur Schau gestellt. Die Frucht, auch für die Masse, wird nicht ausbleiben, und das „Wachet auf“ in mancher Seele wiederhallen. Schon spricht man auch von einer zweiten und dritten Aufführung. –




Anmerkungen (H)

  1. [GJ] Das Duodez-Fürstenthum in Jean Pauls Hesperus. II.152 Commons
  2. [GJ] Nr. 8, 25 und 35. II.152 Commons
  3. [GJ] Den Baß sang Julius Krause, Tenor Schmidbauer, Sopran Leopoldine Tuczek, Alt Agnes Bury; J. B. Schmiedel dirigirte. Anmerkung 32, II.514 Commons
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