Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Kammermusik: Duo’s
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Der gütige Leser erhält mit dem Folgenden den Anfang einer Uebersicht der neuerschienenen Kammermusik. Zu bedauern ist freilich, daß Redactionen nicht zugleich Könige, die nur zu winken brauchen nach einer Capelle und nicht nöthig haben, die Stimmen im Kreise um sich zu legen und das Beste, Alles sich herauszusuchen. Wenn Schreiber dieses also deshalb Manches im Detail übersehen hat, so spricht er bei denen, welchen es geschehen, im Voraus um Nachsicht an, wie sie auf seine rechnen können, sollten sie z. B. ein Beethoven’sches B dur-Trio u. dgl. geschrieben haben. Wir fangen mit den Duo’s an.
Hr. Kücken ist, seinen Duo’s nach, ein glatter, freundlicher junger Mann, dem man nichts anhaben
[145] kann, und schüttelt’s aus den Fingern. In Leichtigkeit der Form und Melodie streifen die Sonaten an Reißigers Compositionen in dieser Art, der indessen bei Weitem besser erfindet und mehr auswählt. Die Form ist eine alte gewöhnliche: C dur, G dur, ein wenig A moll, C dur; die Melodie hält sich zwischen deutscher Prosa und Bellini’scher Weichlichkeit; namentlich klingen im 1sten Satz in Nr. 2. die weltberühmten Triolen aus dem Montecchi-Finale doch zu mächtig hindurch. Dem Scherzo fehlt alle Feinheit des Witzes, dagegen er sich im sogenannten „à la Russe“ mit Geschick und Natürlichkeit auszudrücken versteht. Die Octaven auf S. 11, Syst. 4, sind gehörige und hoffentlich Druckfehler. Zusammengenommen: die Sonaten werden jungen Talenten weder viel nützen noch schaden, jedenfalls sie unterhalten.
Bei den drei folgenden Sonaten befinde ich mich in einiger Verlegenheit, weil ihr Componist früher einige Sonaten für Clavier und Violine geschrieben, mit denen sich die neuern, meiner Meinung nach, nicht wohl messen können.[H 1] Liebt Jemand Reinheit und Unverfälschtheit der Gedanken, so glaube man es vom Referenten. Weist aber Jemand auch Alles zurück, was die Sache etwas interessanter machen könnte, so darf es ihn nicht wundern, wenn man sich eben weniger dafür interessirt. Das Genie kann der Schönheitsmittel entbehren, das Talent benutze sie aber alle. Es ist jene Simplicität ein trockener Seitenweg, zur ursprünglichen Classicität der Haydn-Mozart’schen Periode zurückzugelangen. An dem [146] größern Reichthum der Mittel der neuern Zeit liegt es aber sicher nicht, daß keine jenen ähnliche Meister entstehen, wohl aber an deren falscher Benutzung, und dann an hundert anderen Ursachen; vorzüglich muß man gleich als Mozart auf die Welt kommen. So finden wir denn hier die Sonate, wie das Instrument, in ältester Weise behandelt, und ist die Composition freilich deshalb so leicht worden, daß sie leidliche Spieler vom Blatt verstehen. Wollte der Componist aber überhaupt zur Bildung mittlerer Geister schreiben, so hätte er lieber Sonatinen geschrieben, die weniger Raum eingenommen und dasselbe genützt haben würden. Dies Alles hindert aber nicht zu erklären, daß die Sonaten viel gute Musik enthalten. Es ist etwas Ausgelerntes, was man überall gewahren kann, es ist der ruhige Fluß der Formen, bewegt er sich auch in einem breiten und nicht zu tiefen Bette, die Sicherheit der Erfindung, sangbare, natürliche Melodie, äußerste Correctheit, die sich nur einmal (Sonate 2, S. 11, vorletzter Tact) eine kleine Kühnheit erlaubt. Die schwungvollste unter den drei Nummern scheint mir die 3te, namentlich in der Mitte des letzten Satzes; auch das Andante dieser Nummer nimmt mehr für sich ein. Wäre es, daß diese Zeilen den tüchtigen Künstler aus einer zu stoischen Gleichgültigkeit gegen den Zeitumschwung rissen und er sich an ergiebigen Lebens- und Kunstquellen Kraft zu neuen Werken hole: Kenntnisse, Bildung besitzt er genug.
Die Sonate des Hrn. Hartmann ist eine Arbeit, [147] die Einem Freude bereitet; sie hat nichts Außerordentliches, aber Ordentliches immer; alle Kräfte wirken in einer natürlichen Spannung, daß man sich bis zum Ende angezogen fühlt, ja das Interesse wächst von Satz zu Satz und auf den letzten Seiten geht es einmal recht muthig und sicher in die Höhe. Der erste Satz gefällt sich in jener spielenden Art des Ernstes, wie wir etwa an Hummel’schen Compositionen gewohnt sind. In der Form merkt man die Absicht nach alter Gesetzmäßigkeit, weshalb sie auch correct und bündig worden. Frei gehen lassen kann er sich noch nicht. Das Scherzo hat Leben, die Nachahmungen darin geschehen mit Natürlichkeit; vor Allem gelungen in Melodie und Stimmenführung ist das Trio. Das Andante scheint mir zu seiner Länge nicht interessant genug, ist aber brav und ehrlich gemeint. Der letzte Satz nähert sich dem Charakter der Onslow’schen; dem ersten Thema wünschte ich mehr Eigenthümlichkeit und Grazie; desto erfreulicher geht es im Mittelsatz mit seinen geschickten Wendungen und Nachahmungen von Statten. Die beiden letzten Seiten halte ich, wie gesagt, für das Freiste und Schwungvollste in der Sonate.
Lange ist mir aber keine Composition vorgekommen, von der ich beim ersten Blick in das Heft so wenig gehalten und die ich nach genauerer Prüfung so liebgewonnen hätte, als die Sonate von Genischta, ein so klares Gemüth und Talent spricht sich darin aus, das von einem Unterschied zwischen Gut und Schlecht kaum [148] etwas zu wissen scheint und instinctmäßig immer das Erstere trifft. Sie ist durchaus lyrisch, empfindungsvoll, glücklich in sich, daß man keine Wünsche weiter hat: ein musikalisches Stillleben. Nur einmal hätte ich gemocht, daß der Componist den höhern Aufflug fortgesetzt, zu dem er sich schon angeschickt; es ist auf der 19ten Seite. Seinem anspruchlosen Charakter gemäß kehrt er aber gleich von selbst wieder auf die grüne, feste Erde zurück und erfreut auch so. Nimmt man die Violine zur Begleitung, so würde man den schönen Tenorcharakter vermissen, wie er dem Violoncell eigen; überhaupt scheint mir die Sonate gleich von Haus aus nur mit Cello gedacht. Eine nähere Entwickelung bedarf das Werk nicht; es liegt so offen da, daß man über seine Gültigkeit keinen Zweifel haben kann.
Anmerkungen (H)
- ↑ [GJ] Gestrichen: „Ich möchte sie nicht matt nennen, aber pedantisch und bis zur Langenweile einfach.“ II.53
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