Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Drei gute Liederhefte
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Auch den hartherzigsten Kritiker wandelt einmal die
Lust zu loben an. „Was hilft es – sagte ich mir –
leidliche Anfänger in der Gesangscomposition passabel
aufzumuntern, oder mittelmäßigen Schreiern die Kehle
verstopfen zu wollen. Lieber setz’ ich mir einen ganzen
Stoß neuer Lieder her, und ruhe nicht eher, als ich
einige gute gefunden, um einmal nach Herzenslust nichts
als loben zu können.“ Lange suchte ich unter den etwa
50 Heften. Endlich hatte ich glücklich drei bei einander,
die mich in Lobesathem brachten, die mich anhaltend
erfreut, erwärmt. Die Namen der Componisten sind
Veit, Esser und Norbert Burgmüller, die ersten
noch lebend und wirkend, der letztere schon gestorben.
Auseinandersetzen, was ein schönes Lied, will ich nicht. Es ist so schwer und leicht, als ein schönes Gedicht. „Nur ein Hauch sei’s“ sagt Goethe. Norbert Burgmüller wußte von den drei Genannten dies am besten. Das Gedicht mit seinen kleinsten Zügen im feineren musikalischen Stoffe nachzuwirken, gilt ihm das [261] höchste, wie es allen gelten sollte. Nur selten, daß ihm ein Zug entgeht, oder daß er ihm, wo er ihn gefaßt, mißglückt. Menschliches freilich überfällt auch die Größten in unbewachtem Augenblick.
Das Liederheft, das ich meine, ist sein drittes und mit Werk 10 bezeichnet. Es bringt ein Lied nach Walther v. d. Vogelweide – von Uhland Scheiden und Meiden, Ständchen und Abreise – von einem Ungenannten ein „Hoffnungslos.“ Der Ungenannte ist, wie vermuthet wird, der Componist selbst. Man vergleiche die Biographie, die früher diese Blätter brachten,[H 1] in der auch der erste Vers des Gedichtes[H 2] mitgetheilt war. Die Composition ist in schmerzlicher Zeit entstanden, tiefmelancholisch, aber zur innigsten Theilnahme anregend, und wahr. Wahr – zittert euch nicht euer kleines Herz, Componisten, wenn ihr dieses Wort hört? Bettet euch immer weicher in eure schönen Gefangeslügen, ihr bringt’s doch nicht höher, als von einigen andern Judaslippen gesungen zu werden, vielleicht verführerisch genug. Aber, tritt dann wieder einmal ein wahrhaftiger Sänger unter euch, so flüchtet mit eurer erheuchelten Kunst, oder lernt Wahrheit, wenn es noch möglich ist. Wahr ist denn auch Burgmüller durch und durch; noch mehr, er gibt die Wahrheit auch meistens in schönem Gewand. Lebte er noch, so würde ich bittend hinzusetzen: er gebe sie auch, wo es das Gedicht will, manchmal in reicherem. Er begnügt sich oft mit dem allereinfachsten. B. Klein trieb diese Liedeseinfachheit, [262] daß man ihn als Sonderling verschrie. Auch gegen dieses Extrem schütze sich der Künstler. Ein Beispiel dazu aus Burgmüllers Liedern. Es ist das oft, und mehrentheils nicht übel componirte „Ständchen“ von Uhland, wo das nach und nach hinüberschlummernde Kind der Mutter von „süßen Klängen“ erzählt, die es weckten, und daß es „keine irdische Musik“ sei, sondern „Engel mit Gesang, die es riefen.“ Das Lied ist sicher eines der trefflichsten der Sammlung, vielleicht die trefflichste Composition des Gedichts überhaupt, die da ist. Doch jener Ruf „von drüben,“ gesteh’ ich, klingt mir doch zu dürftig. Engel, mein’ ich, riefen doch noch anders; aber freilich, wer hat solche Stimmen gehört, und, wer in einzelnen weit von einander liegenden Minuten des Lebens es hat, schwiege nicht lieber darüber! Wie ich aber schon sagte, das Lied bleibt neben dem „Hoffnungslos“ das schönste der Sammlung. Vortrefflich in der getroffenen mißmüthigen Grundstimmung nenn’ ich auch die „Abreise.“ Nur den Schluß, wo der Wanderer, dem es gleichgültig, daß man ihn ohne besondere Abschiedsqualen seine Straße hat ziehen lassen, wehmüthig hinzusetzt „von Einer aber thut mir’s weh’“ – wünschte ich nicht über die Melodie der früheren Verse gelegt, und neu componirt, und bedeutender, wie es denn auch im Vorhergehenden einige kleine Declamationssünden zu rügen gäbe.
In diesen drei Nummern liegt denn der Schatz des Heftes. „Scheiden und Meiden“ und das altdeutsche [263] Lied, wie sie immerhin auch einem echten Dichterherzen entsprungen, sind anspruchloser.[H 3]
Der zweite Liedercomponist, den die Zeitschrift heute ihren Lesern als einen „guten“ empfiehlt, ist W. H. Veit, der junge böhmische Tonsetzer, von dem sie schon öfters Gutes vermeldet. Schwierige Aufgaben für seine Erfindungskraft stellt er sich nicht in dem Hefte, von dem wir sprechen[H 4]; ja es genügen ihm selbst Gedichte geringeren Gehaltes. Haben wir denn etwa Mangel an guten? Ein „Ja“ zur Antwort wäre ein Unrecht, was wir den Poeten thäten. Wie viel Ausbeute geben noch die älteren deutschen Classiker, wie viel die Epoche nach Goethe, wie manches die neuste, wie vieles endlich auch das Ausland! Weshalb also nach mittelmäßigen Gedichten greifen, was sich immer an der Musik rächen muß? Einen Kranz von Musik um ein wahres Dichterhaupt schlingen – nichts schöneres; aber ihn an ein Alltagsgesicht verschwenden, wozu die Mühe? – Das Talent verläßt unsern Componisten nun auch bei Composition solcher schwächeren Gedichte nicht; reicher und frischer äußert es sich aber gewiß in jenen besseren, wie von Heine und Mosen; der Componist wird es selbst gestehen, daß er hier auch mit größerer Liebe schrieb.
Auch Veit wendet auf die Wahrheit des musikalischen Ausdrucks in Wiedergabe der Worte die treuste Sorgfalt. Dies Lob steht über jedes andere. Gesellt sich solchem Streben noch ein ziemlicher Schatz klarer, gesunder Melodie bei, so darf der Künstler doppelten Lobes gewiß [264] sein. Es ist hier so und guter Gesang in jedem der Lieder zu finden. An kleinen, feinen Wendungen in der Begleitung fehlt es gleichfalls nicht, wie freilich auch nicht an kleinen Declamationsfehlern, so klein, daß wir sie Schülern nachsähen, an gebildetern Talenten groß genug, um sie nicht wohlwollend darauf aufmerksam zu machen (so das es S. 3, Syst. 3, T. 2, das du S. 15, Syst. 3, T. 5). Melodiöse Heiterkeit zeichnet im Uebrigen fast alle Lieder des Heftes aus, das wir denn überhaupt gegen ein früher geschriebenes (Werk 8) als einen erfreulichen Fortschritt zur Meisterschaft betrachten müssen.
Ein Liederheft endlich von H. Esser[H 5] [Werk 4][H 6], einem bis jetzt noch wenig genannten Rheinländischen Componisten, beschließe diese fröhliche Kritik. Die Texte sind zur einen Hälfte von Rückert, dem geliebten Dichter, der, großer Musiker in Worten und Gedanken, dem wirklichen leider oft gar nichts hinzuzuthun übrig läßt, – zur andern Hälfte von weniger gekannten Dichtern. Die Compositionen werden auf das wohlthuendste überraschen; wie freut es, dies von einem Werk 4 sagen zu dürfen! Harmonie: rein und gewählt, – Melodie: klar, nicht ohne Eigenthümlichkeit, leicht sangbar, – Begleitung: natürlich, hebend, – Wahl der Texte: sinnig, ernst, – verlangt man einen besseren Paß in „Musiker’s Lande?“ Vorliebe für Franz Schubert, doch nur wie sie erlaubt, spür’ ich namentlich im 3ten und 5ten der Lieder; eine auffallend starke Reminiscenz an Weber („Arabien, mein Heimathsland“) im 4ten. Indeß stört bei so viel Eigenem, [265] bei so offenbarem inneren Wohlstand ein vielleicht unwissend entlehnter Zug nur wenig oder gar nicht. So gehe der Componist, der Theilnahme verdient, diesen Weg weiter; ist er noch jung, so freuen wir uns um so mehr seiner Zukunft.
Dies wäre eine treue Schilderung des kleinen kritischen Liederfestes, das ich mir heute zu begehen vorgenommen, das ich recht oft wieder zu begehen Veranlassung finden möchte.
Anmerkungen (H)
- ↑ [GJ] N. Z. 1840, XII, 1 u. ff. [II.281 Commons]
[GJ] Anmerkung 55: Der interessante, mit „Dr. M.“ unterzeichnete biographische Aufsatz über N. Burgmüller ist auf Schumanns Veranlassung geschrieben von dem Dr. med. Carl Wilhelm Müller, bekannt unter dem Dichternamen Wolfgang Müller von Königswinter. Es ist derselbe „C. W. Müller“, dessen von Burgmüller componirtes Frühlingslied im 12. Heft der musikal. Beilagen zur Zeitschrift (1840) erschien. Als Müller im Herbst 1840 nach Düsseldorf zurückgekehrt war, lieferte er im folgenden Jahre noch einen zweiten Beitrag für die Zeitschrift: die mit „M.“ unterzeichnete Correspondenz aus Düsseldorf, Bd. XV, S. 30. [II.526 Commons] - ↑ [GJ]
Liebe, die sonst nur mit Myrten krönet,
Hüllt in düstre Schwermuth meinen Sinn.
Armes Herz, das sich nach Ruhe sehnet,
Hoffe nicht, – sie ist für dich dahin![II.281 Commons]
- ↑ [GJ] Ein „Frühlingslied“ von N. Burgmüller veröffentlichte Schumann bald nachher im 12. Heft der musikalischen Beilagen zur Zeitschrift. II.282 Commons
- ↑ [GJ] Werk 15
- ↑ [WS] Vorlage: X. Esser
- ↑ Zusatz von [GJ]
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