Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Die 3te Symphonie von C. G. Müller
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Wär' ich ein Verleger, so müßte schon heute die geschriebene Partitur vor mir aufgeschlagen liegen und in einigen Wochen die gedruckte. Ohne diese kann man wohl etwas darüber sagen, aber nichts urtheilen, denn ein so deutsches Werk läßt sich nicht gleich von allen Seiten besehen, und was z. B. am Straßburger Münster von weitem als Zierrath, Ausfüllung erscheint, stellt sich in der Nähe als in inniger Beziehung zum Ganzen stehend heraus. Doch hat es auch sein Gutes, überläßt man der Phantasie den ersten Eindruck eines Werkes, etwa wie im Mondschein die Massen zaubrischer wirken als im Sonnenlicht, das bis in die Arabesken dringt.
Es ist eine bekannte Erfahrung, daß die meisten jungen Componisten ihre Sache gleich zu gut machen wollen, daß sie z. B. zu viel Material anlegen, was sich dann unter weniger geschickten Händen unbequem aufhäuft und in der späteren Verbindung der Stoffe zu unkenntlichen Klumpen zusammenballt. Man will etwas Aehnliches in den beiden frühern Symphonieen Müller's bemerkt haben; in dieser dritten trennt sich jedoch Alles bei weitem leichter und glücklicher, und es steht zu erwarten, daß, wie sich schon jetzt seine Symphonie in der Zeichnung, die nächste sich auch im Kolorit der Meisterschaft nähern wird. Das Fürnehmste bleibt natürlich immer der Geist mit seinem königlichen Gefolge; hier erhebt er sich (namentlich im letzten Satz) oft stolz, ja so kühn, daß es uns an einem, der früher sich fast zu schüchtern am liebsten da aufhielt, wo er festen Boden sah, jetzt doppelt auffällt und Freude macht. Das Einzelne, was an Beethoven’sche Art erinnert, reizt manchmal sogar zu Betrachtungen, die in gewissem Sinne zum Vortheil des jüngeren Componisten ausfallen, da das gelungene Selbsteigene von dem, wo er es dem fremden Vorbilde nachthun wollte, sich ganz glücklich unterscheidet; dahin rechne ich z. B. den äußerst zarten Rückblick vor dem Schluß der ganzen Symphonie, der wie vom Wohlgefühl über den eignen Gedanken belebt, nun auch völlig frei ausbraust. Bei einer Durchsicht der Partitur würde sich anderes Interessante und einzelnes Schöne besser nachweisen lassen, als jetzt beim bloßen Nachtönen des Ganzen.
So erinnere ich mich nicht mehr genau des ersten Themas im ersten Allegro-Satz, ich weiß nur, daß ich zweifelte, ob ich es für Ernst oder Scherz nehmen sollte; es ist wol beides; aber das zweite Thema spricht sich bei einem sehr lieblichen und eindringlichen Rhythmus viel wahrer und bestimmter aus.
In dem langsameren Mittelsatz fiel besonders das Stringendo auf, wo sich rasch ein zukunftsvolles Leben entwickelt. Eben daß man am Schluß das Vorgefühl erhält, es werde noch etwas kommen, ist ein dramatischer Vorzug vor den Sätzen anderer, namentlich der Symphonieen aus der alten Schule, wo die vier Theile, innerlich wie äußerlich abgeschlossen, einzeln neben einander stehen und ausruhen. Die Leipziger lieben es, nach Adagios zu klatschen, und sie thaten diesmal auch Recht daran.
Den Rhythmus des Scherzos erkennt man bei dem ersten Hören nicht deutlich; doch würde ein einziger Blick in die Noten zum Verständniß hinreichen. Das Alternativ[H 2] kann ein Liebling des Symphonieen-Publicums werden; das gewichtige Drücken auf dem schlechten Tacttheil[H 3] erinnert an die Schläge in der heroischen Symphonie,[H 4]
ist aber in der Wirkung gänzlich verschieden, daß einem die äußere Aehnlichkeit nur nebenbei einfällt. Irr’ ich nicht, so bricht dieser Satz, wie ziemlich alle, etwas kurz ab. Man muß sich sehr hüten, — schrieb ich bei einer früheren Gelegenheit —, dem Zuhörer nach dem Ende hin, wo der Gedanke ruhig ausströmen soll, noch irgend neues fühlen oder überlegen zu geben. Man hat solche spitze Enden oft originell genannt; es ist aber nichts leichter, als einen originellen Schluß zu machen (wie überhaupt jeden), treibt man es auch gerade nicht so weit wie Chopin, der neulich sogar mit einem Quartsextaccord aufgehört hat.[H 5] Ich sage das im Allgemeinen und nicht in Bezug auf unsere Symphonie.
Der letzte Satz ist der leidenschaftlichste, fast durchaus wie von zischenden Violinenfiguren eingestrickt, manches vielleicht nicht mehr schön, aber sehr interessant gearbeitet und gedacht. Den Schluß des Ganzen erwähnte ich schon.
Nach der besten Ueberzeugung ist denn das Werk als ein neues, deutsches Talent hochehrendes vor den meisten dieser Art zu nennen. Dem Componisten selbst, der trotz aller Einflüsterung der Masse, ihr zu huldigen, sich so rein in seinem Streben erhält, möchten diese ohne allen Anspruch auf Untrüglichkeit der Ansicht geschriebenen Bemerkungen in etwas beweisen, mit welcher Erwartung und Freude Viele seinen künftigen Leistungen entgegensehen.
Ich sagte im Anfang ganz mit Absicht, daß ich, wär’ ich ein Verleger, die Partitur nach einigen Wochen drucken ließe. Ich würde nämlich, verständ’ ich etwas von der Sache, den bescheidenen Componisten um einzelne kleine Aenderungen bitten. Etwas vollbracht zu haben, ist wohl ein selig Gefühl, aber von einem Anfange, auf dem die Hand des Genius ruht, hängt auch viel ab. So wünschte ich gleich in der Einleitung, die nur da zu sein scheint, weil es so hergebracht ist, manches anders. Was soll überhaupt das ceremonielle, pathetische Ding? Wie thut es wohl, wenn uns Mozart (in der G moll-Symphonie[H 6]) und Beethoven (in den meisten seiner späteren) gleich in vollen Zügen vom reichen, sprudelnden Leben kosten lassen. Ja! ich halte — selbst an einigen Haydn’schen Symphonieen — jenes plötzliche Ueberstürzen vom Adagio in’s Allegro für einen größeren ästhetischen Verstoß als hundert chromatisch-gehende Quinten. Dann würde ich einzelne vierstimmige Sätze für Blasinstrumente irgend schattiren; denn es klingt solches immer, als wollten sie sagen: „horcht, wir blasen jetzt vierstimmig,“ einer gewissen Verlegenheit des Publicums nicht zu gedenken, welches sehr auf die pausirenden Violinisten aufpaßt. Endlich würde ich vielleicht im letzten Satz bei der Steigerung des Forte und Fortissimo in die f f f einige Instrumente weglassen, um sie bei den f f f bei der Hand zu haben, wie etwa im letzten Satz der A dur-Symphonie, wo sich, als man glaubt, das Lärmen der Gesellschaft[1] könne nicht toller werden, auf einmal ganz neue Stimmen und Kräfte hören lassen, welche das Toben auf die vielleicht höchste (intensive) musikalische Höhe treiben… — Dann aber (wär’ ich Verleger,) müßte die Partitur hinaus in die Welt.
Geschrieben am Morgen nach der Aufführung.
Anmerkungen
Anmerkungen (H)
- ↑ [WS] Christian Gottlieb Müller (1800–1863), Komponist, Violinist und Dirigent. Schumann bittet ihn 1832 um Unterweisung in Instrumentation. Die Symphonie Nr. 3 c-moll, op. 12 wurde 1836 bei Hofmeister in Leipzig als Grosse Sinfonie für Orchester. Op. 12, in Es veröffentlicht, allerdings nur als Abschrift. Zur gleichen Symphonie s. a. GS II.120.
- ↑ [WS] gemeint ist das „Trio“, der Mittelteil eines Scherzos im Sinne von: der andere (Form-)Teil.
- ↑ [WS] auf der unbetonten Zählzeit.
- ↑ [WS] Beethovens 3. Sinfonie Es-Dur op. 55 (1803–1804), die Eroica.
- ↑ [GJ] Vielleicht hat Chopins A moll-Mazurka (Werk 17 Nr. 4) Schumann hierbei vorgeschwebt: sie schließt aber nicht mit einem Quartsext- sondern mit einem Sextaccord. Das Heft war wenige Tage vor Abfassung des obigen Aufsatzes erschienen. I.325 [WS] Der Quartsextakkord ist eine Umkehrung des Dreiklangs, mit dem ein Stück nicht enden sollte. Verlangt ist vielmehr ein Dreiklang in Grundstellung.
- ↑ [WS] Wolfgang Amadeus Mozart, Sinfonie Nr. 40 g-moll KV550, die sogenannte „große g-moll Sinfonie“.
- ↑ [GJ] Vgl. darüber den dritten Schwärmbrief (S. 199). [WS] Die A-Dur-Symphonie ist Beethovens 7. Sinfonie A-Dur op. 92 (1811–1812). Schumann schrieb vier Schwärmbriefe, von denen er nur den ersten und dritten in seine Gesammelten Schriften übernahm.
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