Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Concerte und Concertstücke für Pianoforte
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H. W. Ernst → |
Bei dem ersten Stück kommt es mir zu Statten, daß ich es vom Meister selbst gehört in einer seiner glücklichsten Stimmungen.[H 1] Die Clavierstimme läßt nur die Hälfte der Reize ahnen, die es mit dem Orchester zusammen in ganzer Fülle erschließt. Was man von ihm zu erwarten hat, deutet der Titel an: eine Serenade, eine Abendmusik, der ein frisches, gesundes Allegro folgt. Wem die erste zugedacht ist, — wer weiß es! Einer Geliebten nicht, dazu scheint sie nicht heimlich und verstohlen genug; auch nicht einem großen Mann, dazu fehlt ihr Alles; ich denke mir, dem Abend selbst ist sie dargebracht, ein Gruß an das Dasein, den ein schöner Mondabend vielleicht im Dichter geweckt, und weiß man vollends, daß dieser gerade in Sebastian Bach’s Cantor-Stübchen sehen kann von seinem aus, so erklärt sich das
[205] Stück um so leichter. Wozu viel Worte über solche Musik? Die Grazie zu zerlegen, das Mondlicht wiegen zu wollen, was nützt es! Wer Dichters Sprache versteht, wird auch diese verstehen, und wenn neulich irgendwo von Jena aus berichtet wurde, es fehle dem Mendelssohn’schen Phantasieschwung zuweilen an der rechten Höhe, — ei so häng’ dich auf, Liederknirps von Jena,[H 2] wenn dir die schöne Erde zu niedrig vorkömmt.
Das Concert von Bennett hab’ ich leider nicht von ihm selbst gehört, wie überhaupt nicht mit Orchester. Mein Ausspruch sagt und lobt daher vielleicht eher zu wenig, als zu viel. Vielleicht, daß Bennett die Orchesterparthieen noch öfter hätte andeuten, oder auch sie dem Clavierspieler mitspielbar machen können. Die Componisten, die ihr Werk im Kopfe haben, verlangen hier meistens zu viel, und Spieler, die die fehlenden Instrumente etwa durch Mitsingen ersetzen könnten, gibt es eben auch wenige. Die Form des Concerts ist die alte dreisätzige, die Tonart F moll, der Charakter zum Ernst geneigt, nicht düster. Eine freundliche Barcarole leitet den ersten Satz zum letzten; sie namentlich hat, wie ich höre, dem Concerte die Herzen gewonnen, als es der Componist hier in Leipzig spielte. Im andern Sinne, als der Witz von andern Componisten behauptet, spielt das Wasser in Bennett’s Compositionen eine Hauptrolle, als ob sich auch hierin der Engländer nicht verläugnen könnte. Seinen gelungensten Werken: der Ouverture zu den Najaden, den meisterhändigen Skizzen [206] „der See“ – „der Waldbach“ – „die Fontaine“ schließt sich jene Barcarole an, die mit dem Orchester zusammen von reizender Wirkung sein muß. Die andern Sätze bieten nichts Neues in ihrer Gestaltung, oder besser gesagt, sie suchen das Neue nicht im Auffallenden, sondern eher im Anspruchlosen; so läßt Bennett am Schluß der Soli’s, wo[H 3] in andern Concerten Triller über Triller stürzen, den Triller unterbrechen und leise verhallen, als wenn er das Beifallgeklatsche selbst hindern wolle; so ist es im ganzen Concerte nirgends auf Bravour und Beifall abgesehen: nur die Composition soll sich zeigen, die Virtuosität des Spiels ist Nebensache, wird vorausgesetzt. Neue mechanische Combinationen, Fingeraufgaben findet man also in ihr nicht, wenn sie auch zur Ausführung immerhin schon immer bedeutende, mehr musikalische, als fingerfertige Meisterschaft erfordert, die sich dem Orchester hier unterzuordnen, dort es zu beherrschen versteht. Schöne Melodieen findet man die Fülle, die Formen sind reizend und fließend wie immer in Bennett’s Compositionen. Der letzte Satz wird, gegen des Componisten Individualität, humoristischer; seine lyrische Natur bricht aber auch hier zuletzt durch. Dies möge als Andeutung genügen. Bennett’s Name hat schon so guten Klang in Deutschland,[H 4] daß es für echte Clavierspieler nur der Anregung bedarf, daß das Concert da ist. Er schaffe und wirke noch lange zum Segen wahrer Kunst. –
Noch war in der Aufschrift ein Concert von Hummel [207] angemerkt, vielleicht das letzte, was er geschrieben; er hat dessen Veröffentlichung nicht erlebt. Auch hier genügt der Name, im Voraus zu wissen, was man zu erwarten hat. Als ein Werk aus seiner Blüthenzeit, der das A moll-Concert, die Fis moll-Sonate u. A. entsprungen, darf man es freilich nicht ansehen, wird es auch Niemand betrachten. Alter und Kindheit berühren sich so oft im Leben wie in der Kunst. So ist das Concert auch keine Steigerung der früheren, sondern eher ein Rückgang zu den ältesten, anspruchlos, abgeschlossen im Kreise seiner Ideen, an Melodie fast simpel, im Passagenwerk so zierlich und reinlich, wie man es an Hummel kennt. Reaction wird es somit keine hervorbringen, die allgemeine mus. Zeitung mag sagen was sie will. Die Brust des Künstlers zieren ja auch so viel wohlerworbene Orden, daß es kaum nöthig, ihm neue anhängen zu wollen; unbeholfener Eifer macht eher verdächtig. Auf andere nachgelassene Werke des verschiedenen Meisters wird die Zeitschrift in der Folge zurückkommen.
Anmerkungen (H)
- ↑ [GJ] Mendelssohn hat es zweimal öffentlich gespielt: am 2. April 1838 in einem Concert der Geschwister Botgorschek und am 25. Nov. 1839. Er hatte das „Adagio und Rondo“ (so war es auf dem Programm bezeichnet) für das erstgenannte Concert geschrieben und zwar in unglaublich kurzer Zeit. In einem Briefe vom Datum des Concerttages (2. April) berichtete Mendelssohn seiner Familie in Berlin, er habe Frl. Botgorschek das Spielen zusagen müssen, aber erst nachher sich besonnen, daß er durchaus nichts „Kurzes, Passendes“ habe. „So entschloß ich mich denn, ein Rondo zu componiren, von dem vorgestern früh noch keine Note geschrieben war, und das ich heute Abend mit ganzem Orchester spiele und heute früh probirt habe. Es klingt lustig genug; wie ich’s aber spielen werde, wissen die Götter, und auch die kaum, denn an einer Stelle habe ich 15 Tacte Pausen in die Begleitung geschrieben und habe noch keine Ahnung, was ich da hineinspielen soll. Aber Einem, der en gros spielt wie ich, dem geht Vieles durch!“ II.519 Anmerkung 44 Commons
- ↑ [WS] Carl Banck. [GJ] Der Ausdruck im Text verlangt eine Erläuterung. C. Banck kam 1834 nach Leipzig, etwa zwei Monate nach Begründung der neuen Zeitschrift, deren Mitarbeiter er wurde. Er schrieb für sie Skizzen aus Italien etc., vorwiegend aber Kritiken über Gesangsachen und Opern. Im Ganzen hat Banck 65 Beiträge (darunter fünf Selbstkritiken) geliefert, davon sind 31 mit der Ziffer „6“, 21 mit „16“, 4 mit „26“, 5 mit „Serpentinus“, 2 mit „C.—k.“ und nur 2 mit dem vollen Namen „Carl Banck“ gezeichnet. Bei 6 kürzeren, mit „B.“ gezeichneten Recensionen halte ich es für zweifelhaft, ob sie Banck oder Gustav Bergen zuzuschreiben sind. Mai 1836 hörte die Mitarbeiterschaft an Schumanns Zeitschrift auf und zwar — nach Bancks eigener Angabe — weil er sah, „daß das Institut unfähig sei, die nöthige wirkungsvolle Stellung zu erreichen, theils durch Zeitverhältnisse, theils durch innere Schwäche der Führung gehemmt.“ So heißt es in dem biographischen Aufsatz über Banck in O. L. B. Wolffs „Portraits und Genrebildern“ (Cassel und Leipzig 1839) 2. Bd., S. 260. Schumanns „schwacher“ Redactionsführung gegenüber gab Banck 1839 sogar den Musikzeitungen von Fink und Schilling den Vorzug. Wolffs Aufsatz (der theilweise „fast ganz mit Bancks Worten“ niedergeschrieben wurde) weist S. 247 [520] darauf hin, daß die musikalische Kritik auch bezüglich Bancks bewiesen, wie wenig sie sich „bei der Charakteristik hervorragender Persönlichkeiten“ auf den richtigen Standpunct zu schwingen wisse. Banck werde fälschlicherweise „der neusten romantischen Richtung zugezählt“, da man eben „Namen von gutem Klange an der Spitze haben wolle“, allein „auch Chopin und Henselt hätten sich Gleiches gefallen lassen müssen.“ — Banck nahm seit seinem Weggange von Leipzig Anfang 1836, eine mehr und mehr feindliche Stellung zu Schumann und seiner Zeitung ein, und als vom Jahre 1838 an in allen möglichen belletristischen und politischen Blättern anonyme und pseudonyme Artikel auftauchten, die in der Schmähung der „romantischen“ oder „neuromantischen Schule“ (d. h. Schumanns und der neuen Zeitschrift) auffällig übereinstimmten, da war Schumann nicht in Zweifel darüber, daß die meisten derselben direct oder indirect von Banck ausgingen. In einigen der anonymen Angriffe ist Banck kaum zu verkennen. In einem Aufsatz „Standpunct der musikalischen Kritik“ (Hamburger Corresp. v. 9. Jan. 1839) wurde gesagt, daß die musikal. Zeitungen „ihr mühsam karges Leben ohne Einfluß hinschleppen, theilweise mit gutem Willen, aber durchgängig mit einem wunderbaren Mangel an Kräften geführt“. Insbesondere sollte Schumanns Zeitschrift, „welche mit frischen jugendlichen Kräften und einer zeitgemäßen, scharf markirten und wenigstens höchst anregenden Richtung auftrat“, hernach „durch unsichere Redactionsführung Geist und Haltung verloren und die gehegten Erwartungen rasch getäuscht haben.“ Schließlich wurde bedauert, daß „die deutschen Componisten von Bedeutung“ dem verworrenen und verwirrenden Treiben der musikalischen Kritik unthätig zusähen, und daß „manche derselben, z. B. C. Banck, die schon früher ihre große kritische Fähigkeit bewiesen, sich ganz davon zurückgezogen haben.“ — Die anonymen Zeitungsartikel versicherten wiederholt, daß weder Banck, noch „sein Freund Henselt“ der neuromantischen Schule angehöre etc. Die verschiedensten nicht-musikalischen Blätter der letzten dreißiger Jahre brachten Variationen über dieses Thema, lobende Anzeigen (auch Selbstkritiken) Banckscher Lieder, Zusammenstellungen der bemerkenswerthesten neuerschienenen Musikwerke, worin Bancksche Lieder aufgezählt, Schumanns Compositionen aber todtgeschwiegen wurden. (Nürnberger Corresp. 1839. Vgl. Anmerk. 4.) Schumann scheint zu Entgegnungen erst gedrängt worden zu sein, als Banck sich auch der Bundesgenossenschaft Schillings zu erfreuen hatte. Mehrere ironische Notizen finden sich in der Zeitschrift von 1840 (XII, S. 28, 36, 44 u. 48 Google). Der „Liederknirps von Jena“ mag Bancks Selbstbewußsein am empfindlichsten getroffen haben. Zwei Jahre später zog Schumann Banck noch einmal vor sein Forum und zwar in einer unbarmherzigen Kritik seiner „Marienlieder“ (s. S. 377 Commons). Welche besondere Veranlassung Schumann zu solchem Zorn gereizt haben mag, habe ich nicht ermitteln können. Mit dieser Abfertigung scheint wiederum eine im Hamburger Corresp. vom 18. Jan. 1843 abgedruckte anonyme Correspondenz aus Dresden im Zusammenhang zu stehen, die indeß eine Beantwortung seitens Schumanns nicht gefunden hat und nicht finden konnte. Der gallige Artikel liegt zu weit jenseits der Linie des Anständigen, um hier mitgetheilt werden zu können. — Hatte Banck während der Zeit seiner Mitarbeiterschaft an der Zeitschrift Schumanns Thätigkeit günstig beurtheilt, so änderte sich das, nachdem die beiden so grundverschiedenen Männer in eine feindliche Stellung zu einander gerathen waren. Bancks Geringschätzung Schumanns hat sich auch in den nächstfolgenden Jahren schwerlich geändert, wenigstens ist in seiner Abhandlung „Zur Betrachtung der musikal. Kunstzustände [521] in der Gegenwart“ (A. Schweglers „Jahrbücher der Gegenwart“, 1846, S. 771 und 983 Google) davon nichts zu bemerken. Wenn Banck darin beklagt, daß „in Deutschland verkehrte und verflachende Richtungen in der Musik periodisch einen erschreckenden Fortgang gewinnen“, so hätte es nahegelegen, dem gegenüber wenigstens mit einem Wort auf Mendelssohn und Schumann hinzuweisen, falls er dem Wirken derselben überhaupt eine besondere Bedeutung beimaß. — Das persönliche Verhältniß Bancks und Schumanns zu einander war und blieb zerstört, wurde auch in Dresden nicht wiederhergestellt. Wenn Erler (II, 44 Commons) sagt, daß Schumann „später [d. h. 1848, nachdem er fast vier Jahre schon in Dresden gewohnt] sein Unrecht eingesehen und zuerst die Hand bot“, so ist das letztere richtig, das erstere zum mindesten unerwiesen. Der von Erler mitgetheilte Brief Schumanns an Banck (— ohne Anrede und mit dem kühlen „Ihr ergebener“ —) überzeugt nicht, namentlich der Schluß: die Einladung zur Faustprobe als eine Privatsache zu betrachten „zugleich aber auch als einen Anfang der Wiederherstellung des früheren geselligen [!] Verhältnisses zwischen uns, das aufzuheben weder mir noch vielleicht Ihnen selbst in den Sinn gekommen — so will ich es wenigstens glauben.“ Das klingt nicht wie ein Zugeständniß begangenen Unrechts gegen den ehemaligen Genossen. Eher wird man annehmen dürfen, daß Schumann von außen her veranlaßt wurde, die Hand zum Frieden zu bieten. — Beiläufig sei noch bezüglich ungenauer Zeitangaben über Bancks Aufenthalt in Italien berichtigend bemerkt, daß Banck schon im Juli 1830 nach Italien ging. Sein Versuch einer Annäherung an Mendelssohn muß wenig ermunternd ausgefallen sein, wie man nach Mendelssohns Brief (Rom, d. 23. Nov. 1830 Google) annehmen muß, der nicht gerade sehr erfreut berichtet, daß „B.“ (Banck) ihm „ein ganzes Liederheft und ein Ave Maria“ vorgespielt habe. Hieraus bezieht sich, was Banck unterm 26. Jan. 1836 an Hofmeister schrieb: „Ich merke, daß mit Mendelssohn das Kunstleben dort (in Leipzig) unangenehm verändert ist, und daß ich Recht hatte, mich ihm immer drei Schritte, noch von früherer Erfahrung her, entfernt zu halten, — auch hier [in Berlin] höre ich nichts Liebenswürdiges über ihn.“ —
Diese ausführliche Anmerkung erschien nothwendig, um Bancks Stellung zu Schumann etwas näher zu beleuchten, weil Banck eine der Hauptquellen für Wasielewskis Schumann-Biographie geworden ist. (Vgl. Anmerk. 10 am Schluß.) Anmerkung 45, II.519–521 Commons - ↑ [WS] Vorlage: wie
- ↑ [GJ] Rellstab kannte bis zum August 1841 noch nichts von Bennett. Als er dann drei Werke desselben besprach, machte Schumann dazu die Bemerkung: „Die Iris des Hrn. Rellstab fängt jetzt auf W. St. Bennett als auf einen hoffnungsvollen Componisten aufmerksam zu machen an. Bei uns und an andern Orten gilt er schon seit sechs Jahren als Meister“. (1841, XV, 148. Google) II.228 Commons
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