Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Compositionsschau: Variationen für Pianoforte
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Unsterblich ist keines der obigen Werke, hübsch manches. Es käme nur darauf an zu wissen, was die resp. Componisten selbst über ihre Werke urtheilten. Hielten sie solche für ewig, so müßte man sie von ihrer Idee abzubringen suchen: gäben sie aber lachend zu, daß es
[182] ja Kleinigkeiten, über die nicht viel Worte zu verlieren, so müßte man ihre Bescheidenheit loben; denn Bachs können wir nicht in jeder Stunde sein, obwohl solches wünschenswerth.
Nr. 1. und 2. gehören der blanksten Gewöhnlichkeit an. Hr. K. schrieb der Redaction der Zeitschrift einmal einen Brief, in dem er sehr auf sie loszieht, und den zurückgesetzten großen Künstler überall durchscheinen läßt. Wären wir seine Feinde, wie könnten wir uns jetzt rächen! Denn wer Compositionen, wie Werk 51 herausgibt, darf keine anmaßenden Briefe an die Redactionen schreiben. Aber wozu Feindschaft? Schreibe er also nur nicht noch einmal und ähnlich, sonst müßten wir ganz anders mit ihm reden.
Die Variationen des Hrn. Ruckgaber sind hübsch, etwas fade, aber nicht um darüber in Harnisch zu kommen. Quinten und Octaven, die gräulichsten, könnte man nachweisen; — als ob das die größten Sünden der Variationisten wären! Die so gerne von einer Verschmelzung von Deutsch und Italiänisch[H 1] sprechen, können ihre Träume hier verwirklicht hören. Nehmt einen Baß mit einer Triolenfigur in der Decimenlage, singt dazu eine Melodie, werft einige schwindsüchtige Vorhalte hinein, und die deutsch-italiänische Schule ist fertig.
In Hrn. Stocks lernen wir einen angehenden Saloncomponisten kennen. Fehlt ihm noch manches an feinster Tournüre, so läßt sich das durch eifriges Studium der Herz’schen Werke ja nachholen. Ein junger [183] Pariser, der mit hohen Begriffen von der deutschen Musik hierher gekommen, und sich weiter bilden wollte, gestand mir, wie er sich nicht genug verwundern könne, daß in Deutschland Musik gedruckt erschiene, die in Frankreich schon wegen Mangels an modischer Eleganz nicht gespielt werden würde. Das ist eben das Unausstehliche, antwortete ich ihm, diese geschmacklose Solidität, in die wir unsere Salonkünste tauchen, gegen welche Herz ein wahrer Engel an Musik. Daß wir indeß unserem Componisten nicht Unrecht thun: — er kann Talent haben: wenigstens hat das Finale Bewegung und guten Zug. –
Ein bekannter deutscher Componist antwortete einmal auf die Frage, wie ihm eine neue Oper von Auber gefalle, die gerade in Paris gegeben wurde: „die Taglioni tanzt wunderhübsch“. Aehnlich würde ich, wollte Jemand mein Urtheil über die Variationen des Hrn. C. Haslinger haben: die Wiener sind ein lustig Volk. Loben muß man schon, wenn ein heutiger Componist, der ein kleines scherzhaftes Thema vorhat, nicht mit einer Einleitung anfängt, als gält’ es die Mauern von Jericho umzucomponiren. So hält sich denn das ganze Heft in einer natürlichen heiteren Stimmung, die sich nur in der 2ten Variation etwas erhöht, dann aber sogar Werthvolleres hervorbringt. Der Schluß ist überraschend.
Mitten unter den jungen Gesichtern sieht uns auf einmal eine alte Ruine an. Die grünen Zweige, die [184] sie noch trägt, wolle man ihr lassen; sie erzählen von alten Zeiten und großen Menschen, die sie gesehen. Nicht ohne Theilnahme kann man’s betrachten.[H 2]
Die Variationshefte des Hrn. Chwatal sind fast sämmtlich instructiven Charakters und enthalten, weniges Trockne abgerechnet, allerliebste Sachen, Stübchenmusik möcht’ ich sie nennen. Musikalischen Gehalt hat W. 11 am meisten, und in diesem wieder die Einleitung. Bei der 2ten Variation fällt mir das unleidliche Quinquiliren zwischen kleiner und großer None auf, das noch vor etlichen Jahren zu den Feinheiten des Tages gezählt wurde. Der Componist, sonst ja ein gesunder Harmoniker, erinnere uns nicht mehr an jene Zeiten!
Wenn man die Variationen über ein Thema aus Aschenbrödel demselben Componisten zuschreiben muß, der vor Kurzem gestorben, und ein schätzbarer Künstler gewesen sein soll, so scheint diese Composition einer früheren Periode anzugehören, in der sich noch keine edlere Kunstansicht in ihm entwickelt hatte. Die Variationen sind unter jedem Gesichtspunct unbedeutend, und nicht einmal mit der Leichtigkeit geschrieben, die die Trivialität ähnlicher Werke in etwas vergessen macht. Hätte man sie lieber ganz unterdrückt!
Hrn. Czerny kann man nicht einholen, mit aller kritischen Schnelligkeit. Hätte ich Feinde, nichts als solche Musik gäb’ ich ihnen zu hören, sie zu vernichten. Die Fadheit dieser Variationen ist wahrhaft remarkabel.
Die zwei folgenden Componisten sind Schüler von [185] Kalkbrenner, und vortreffliche Virtuosen, ihre Variationen keine Kunstwerke, aber elegante Pariser Modearbeiten, und immer noch erträglicher, als diese deutschen Plumpsäcke, die oben flüchtig berührt wurden. Gut gespielt müssen die Variationen des Hrn. Osborne W. 21., in Entzücken setzen; sie scheinen mit einer gewissen Selbstgefälligkeit geschrieben und haben den Vorzug, leichter zu sein, als sie klingen. In den Variationen über ein Thema aus den Hugenotten kommt im Finale mehr als überraschend der Choral „ein’ feste Burg etc.“ Bleibt Meyerbeer leben, so werden wir’s noch von den Lerchen in der Luft hören.
Besonderer, ausgesuchter, eigenthümlicher sind die Variationen von Stamaty über ein Originalthema, das freilich selbst wie eine Variation scheint, übrigens aber von weichem, zerfließendem Ausdruck ist. Talent findet man durchgängig, in der zweiten Variation auch viel Empfindung. Die vielen vorkommenden Octavengänge haben ihren Grund wohl mehr in der Bravour, mit der sie der Componist spielt, als in einer aesthetischen Nothwendigkeit.
Sehr schätzenswerth, wie Alles was uns von den Arbeiten des Hrn. Stolze bekannt, sind auch die oben erwähnten Variationen, und zeichnen sich durch interessantere Stimmenführung, eignen Zuschnitt und durch etwas Geistigeres aus, was manchen seiner anderen Compositionen abzugehen schien. Wünschte ich dem Componisten etwas, so wäre es ein Verleger, der sein [186] Werke zeitgemäßer ausstattete. Ein so graues Kleid schadet dem ersten Eindruck beim Durchspielen ungemein. In der Phantasie habe ich mir das Werk aber möglichst schön nachgesungen, und der besten Empfehlung werth gefunden.
Anmerkungen (H)
- ↑ [GJ] Anmerkung 5: Das bezieht sich auf Otto Nicolai, der in seinem Aufsatz: „Einige Betrachtungen über die italienische Oper im Vergleich zur deutschen“ (1837, VI, 99) eine bedenkliche Hinneigung zu der neusten italienischen Opernmusik verrieth. Nicolai, der einige Jahre Organist an der preußischen Gesandtschaftscapelle in Rom war (zu Bunsens Zeit), beklagt darin, daß man unserer Kunst in Italien nicht Gerechtigkeit widerfahren lasse, und kommt bei den Erwägungen, wie ihr Eingang zu verschaffen sei, zu dem Resultat, daß „eine Vereinigung beider Schulen“ angestrebt werden müsse. Schumann, mit den Ausführungen nicht einverstanden, fügte dem Aufsatz folgende Nachschrift an: „Mehr als tragikomisch sah namentlich Florestan aus, als ihm der obige Aufsatz vorgelesen wurde. ,Ein so gescheuter Mann – und Vorschläge, wie Vermischung der Stile etc., murmelte er vor sich hin. ,Indeß jede Ansicht soll gehört werden – und geprüft auch,’ setzte er rasch hinzu. So möchten sich denn unsere auswärtigen Freunde (namentlich du, köstlicher Wedel!) über manches oben Angeregte vernehmen lassen, und mit der Freimüthigkeit, die jenen Aufsatz so sehr auszeichnet. Uns selbst fehlt es heute an Zeit. Die Dblr.“
Daraufhin schrieb Wedel eine Entgegnung (1837, VI, 195), welche mit den Worten schließt: „Ist der Wanderer [Nicolai] erst wieder unter uns, so wird ihm manches in einem andern Lichte erscheinen, und so wird ihn der höhere Ernst deutscher Kunst, den man wohl verspotten aber nicht entwürdigen kann, über vieles, was ihm jetzt bedeutend [erscheint], hinüber heben.“ II.492–493 - ↑ [GJ] Anmerkung 6: Schumann kannte den alten Böhner auch persönlich, „Sie wissen,“ schrieb er 1834 an Fricken, „daß er seiner Zeit so berühmt wie Beethoven war und dem Hoffmann als Original zu dessen Capellmeister Kreisler saß. Aber seine ärmliche Erscheinung hat mich niedergedrückt – der alte Löwe mit dem Splitter in der Tatze – das ist sie. Vorgestern phantasirte er ein paar Stunden bei mir; die alten Blitze schlugen hier und da hervor, sonst ist aber Alles dunkel und öde. Sein früheres Leben rächt sich jetzt. Er hat mit einer Keckheit und einem Stolz der Menschen gespottet, daß diese es nun umdrehen. Hätte ich Zeit, so möcht’ ich einmal für die Zeitung Böhnerianen schreiben, zu denen er mir selbst viel Stoff gegeben. Es ist zu viel Lustiges und Betrübendes in diesem Leben gewesen. So kündigte er einmal in Oldenburg Concert an – das Publicum ist versammelt und gespannt – da tritt er ans Orgelchor, beugt sich herüber und sagt: ,vor so einem albernen Publicum spielt ein Louis Böhner nicht‘. So treibt er alles. Hat er einmal ein gut Concert gemacht, so kauft er sich Körbe voll goldener Dosen; jetzt kommt ein Freund, macht ihm die bittersten Vorwürfe – flugs wirft er den ganzen Goldkram zum Fenster hinaus. Dergleichen Geschichten kenn’ ich an die hundert von ihm.“ Jugendbr. S. 254.) So viel bekannt, hat Schumann keine Aufzeichnungen über Böhner gemacht. II.493
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