Gerstäcker über die peruanische Auswanderungsangelegenheit
[302] Gerstäcker über die peruanische Auswanderungsangelegenheit. Nachstehende Briefe, die ich schon vor einiger Zeit aus Südamerika erhielt, bringen so manches Interessante, daß ich Ihnen, lieber Keil, wenigstens im Auszuge für die Gartenlaube mittheilen möchte. Sie sind von dem seiner Zeit noch angegriffenen und verleumdeten Demian v. Schütz, der jene Colonisten nach Peru schaffte und die dortige deutsche Colonie am Pozuzu gründete.
D. v. Schütz hatte dadurch allerdings einen großen Fehler begangen, daß er den Versprechungen, ja selbst dem Contract einer peruanischen Regierung glaubte. Er selber handelte aber stets als ehrlicher und braver Mann, und die Colonisten selber bestätigten mir damals an Ort und Stelle, daß er sein letztes eigenes Geld ausgegeben, ja in Cerro de Pasco sogar seine Uhr versetzt habe, um den Einwanderern das Nöthigste zu verschaffen, was er, trotz aller Versprechungen und Zusicherungen, von den Beamten nicht erlangen konnte. Die Sache ist zu verwickelt, um sie hier noch einmal zu erwähnen; nur so viel sei wiederholt, daß sich die peruanische Regierung damals verbindlich gemacht hatte, einen Weg bis zu jener Stelle bauen zu lassen, wohin die deutsche Colonie gelegt werden sollte, indessen D. v. Schütz die Colonisten von Europa holte. Als er aber mit ihnen ankam, hatte die Regierung das Geld für den Weg allerdings an die Präfecten auszahlen lassen, diese aber dasselbe in anderer Weise verwandt und mit der Straße kaum begonnen. Ihm selber wurde später ebensowenig gehalten, was ihm zugesagt worden, und nachdem er sich in Lima eine Zeit lang kümmerlich mit Unterrichtgeben durchgebracht, verließ er das Land wieder. Eben darüber schreibt er in den beiden Briefen.
Der erste von diesen enthielt nur die besonders für mich interessante Nachricht, daß mein Besuch bei dem Präsidenten Castilla doch etwas genützt habe, indem dieser auf alle meine Vorschläge eingegangen war. Für den Wegbau nach der Colonie war eine bedeutende Summe monatlich bewilligt worden, und zum Weg-Inspector der einzige mögliche Mann, der wirklich etwas vom Wegbau verstand, und die Wälder und Berge dort so genau wie seine Cocatasche kannte, ernannt und entsprechend besoldet worden. Es war derselbe, den ich damals dem Präsidenten vorgeschlagen. Bis dahin war ein verunglückter Minenspeculant mit monatlich 50 Dollar dazu angestellt gewesen, der seinen Gehalt ruhig verzehrte und klug genug war, sich um etwas gar nicht zu bekümmern, was er doch nicht verstand. Natürlich bekamen die Colonisten aber auch dadurch keinen Weg. Der arme Teufel, der zugleich als Gobernador oder oberste Polizeiperson in der Colonie fungirte, nahm aber ein trauriges Ende, denn beim Urbarmachen seines eigenen Landes erschlug ihn ein stürzender Baum, und der Indianer Leon Cartagena konnte ohne Weiteres sein Amt als Weginspector antreten. So weit schien Alles gut zu gehen, und wenn die Colonisten über Huancabamba den directen Weg nach Cerro de Pasco gebaut bekamen, so durften sie hoffen, ihre Producte weit besser verwerthen zu können, als dies jetzt bei dem bedeutenden Umwege über Huanaco der Fall war. Präsident Castilla hielt auch darin wirklich Wort, denn der Betrag für den Weg zeigte sich doch noch immer als ein sehr kleiner Posten gegen die ungeheueren Einnahmen des Landes, die nach Millionen zählten, und er nahm in der That Interesse an der deutschen Colonie, wie überhaupt an allen Fremden.
[303] Vom November 1861 schreibt mir nun D. v. Schütz:
„Sie werden wünschen, einige Nachrichten aus der Colonie vom Pozuzu zu erhalten. Die neuesten, die ich habe, sind vom September. Der Weg über Huanaco war damals schon fast fertig. Es fehlten noch zwei Leguas zwischen Muna und Pozuzu und 80 Indianer arbeiteten beständig daran, so daß er jetzt schon beendet sein muß. Die Brücke über den Huallaya bei Muna war fertig. Nur dem Eifer der Bewohner von Huanaco ist es zu verdanken, daß dieser Weg vollendet wurde, und daß jetzt schon an dem Wege vom Pozuzu nach Mairo[1] gearbeitet wird. Der Missionair Pater Calvo war wieder vom Amazonenstrom und Ucayali am Pozuzu angelangt. Gegenwärtig werden in London vier Dampfschiffe für den Amazonenstrom und seine peruanischen Nebenflüsse gebaut, von denen zwei kleine von 60 Tons bis zum Mairo hinaufgehen sollen. Für den andern Wegbau nach Huancabamba schickt die Regierung jeden Monat regelmäßig 500 Dollar nach Cerro, die aber der dortige Präfect ebenso regelmäßig in die Tasche steckt, weil Niemand die Sache betreibt. Mit dem Wegbau nach Huanaco wäre dasselbe der Fall gewesen, wenn die Bewohner dieser Stadt nicht selber so großes Interesse an demselben genommen hätten, indem die Vollendung dieser Straße ihre Stadt ja direct mit dem Amazonenstrom in Verbindung bringt.[2] Im nächsten Jahr werden die Colonisten schon eine volle Kaffeeernte haben (dies Jahr selbst bauen sie schon hinreichend für den eigenen Bedarf) und können dann recht gut 8–10 Dollar pro Centner an Ort und Stelle erhalten. Diese vorzügliche Art Kaffee gilt jetzt in Huanaco 25 Dollar und in Lima 40 Dollar pro Zentner. In Lima fällt dieser Kaffee nie unter 30 Dollar, wenn der von Central-Amerika nur 20 gilt. Jetzt endlich verstehen die Colonisten die Bereitung des Tabaks, was ebenfalls ein guter Erwerbszweig werden wird.“
Soweit der Brief über die Colonie, wonach D. v. Schütz sich noch, und wohl mit Recht, bitter über die vielen Ungerechtigkeiten beklagt, die seiner Zeit gegen ihn ausgeübt wurden. Am meisten hat ihn damals die Allgemeine Zeitung gekränkt, die selbst persönliche Angriffe gegen ihn aufnahm, ihn selber aber stets mit seiner Entgegnung unter die Inserate setzte und schwer dafür zahlen ließ. Er mußte für drei Entgegnungen 104 fl. entrichten.
In dem ersten Brief sagt nun D. v. Schütz noch:
„Was mich betrifft, so ist mir der Antrag gestellt worden, der Leiter eines Unternehmens zu werden, welches die Verschiffung von Häuten und getrocknetem Fleisch, sowie den Anbau von Baumwolle auf den Galopagos-Inseln bezweckt. Eine dieser Inseln, St. Charles oder Floreana genannt, ward vor 30 Jahren von der Regierung von Ecuador einem gewissen General Villamil in Besitz gegeben, welcher damals 60 Kühe nebst ein paar Stieren, wie viele Ziegen und Schweine dahin brachte. Diese Thiere haben sich nun erstaunlich vermehrt und jetzt sollen sich über 10,000 Stück Rindvieh, 20,000 Ziegen und viele Schweine im Zustand der Wildheit auf der Insel befinden. Dies will jener Villamil nun nutzbar machen und einen Contract mit ein paar Engländern abschließen, welche beabsichtigen, das nöthige Capital zu dem Unternehmen herzugeben.
Ich selber soll mit einer Partie Cholos (peruanische Abkömmlinge von Weißen und Indianern) und einigen Yankees dahin abgehen und die Sache in’s Werk setzen. Ein Antheil an dem Geschäft ist mir versprochen. Das Leben dort wird freilich ein trauriges sein, denn die Insel ist ganzlich unbewohnt, aber das Klima prachtvoll.“
In seinem zweiten Briefe hat D. v. Schütz die Reise wirklich angetreten und schreibt darüber:
„Seit Ihrer Abreise von Lima bin ich selber wieder viel gereist und habe Peru am Ende für immer verlassen. Eine englische Gesellschaft, welche die Galopagos-Inseln ausbeuten will, beauftragte mich, jene Inseln zu untersuchen, und demgemäß fuhr ich in Gesellschaft jenes columbianischen Generals, der schon mehrere Jahre auf den Inseln zugebracht, und in Begleitung von einigen Nordamerikanern und peruanischen Eingebornen von Callao ab. Wenige Tage nach unserer Abfahrt bekam das Fahrzeug einen Leck, was die Mannschaft Tag und Nacht an die Pumpen zwang, und zuletzt waren wir genöthigt, Guayaquil anzulaufen. Dort verkaufte ich das Schiff und miethete ein anderes, mit dem wir unsere Reise fortsetzten und die Inseln acht Tage nach unserem Abgang von Guayaquil erreichten. Ich besuchte nur zwei derselben, die Floreana (St. Charles) und die Chatam, auf denen allein wildes Vieh in großer Anzahl angetroffen wird. Derselbe alte General, der die Reise mit mir machte, hatte nämlich im Jahre 1830 sechzig Kühe mit ein paar Bullen, Schweine, Ziegen, Pferde, Esel, Hunde und Katzen nach den Inseln gebracht, welche sich seit der Zeit zum Theil bedeutend vermehrt haben und jetzt gänzlich verwildert sind. Gegenwärtig mögen auf beiden Inseln 15,000 Stück Rindvieh vorhanden sein, nebst vielen Schweinen und Ziegen. Pferde und Esel haben sich nicht stark vermehrt, noch weniger die Hunde und Katzen. Kühe, Ziegen, Pferde und Esel sind, Dank der guten Weide, in vortrefflichem Zustand.
Einige Jahre lang wurden diese Inseln als Strafcolonie für Ecuador benutzt, was jedoch längst wieder aufgegeben ist. Den Sträflingen war es übrigens nicht gestattet, das Vieh zu tödten. Vor der Einführung dieses Viehes gab es nur wenig Thiere auf den Inseln – vierfüßige gar keine; einige Arten von Vögeln, von Amphibien schwarze Iguanas und nur sehr viele Land- und Seeschildkröten, von denen die Inseln auch ihren Namen haben (Galopago ist eine Landschildkröte). Auf den Inseln jedoch, auf denen Schweine ausgesetzt wurden, haben diese die Schildkröten gänzlich vertilgt. Sonst sind sehr große Landschildkröten auf den Inseln vorhanden, und man findet deren bis zu 12 Centner. Sie geben vortreffliches Fleisch und Oel. Der Fischfang ist ebenfalls sehr reich und wird ein bedeutender Industriezweig werden. Namentlich ist eine Art von Stockfisch sehr häufig.
Die Inseln sind neuen vulcanischen Ursprungs, einer Trachytformation angehörend, mit vielen erloschenen Kratern. Die Gruppe besteht aus sechs größeren und vielen kleineren Eilanden. Die Vegetation ist gar nicht tropisch, obgleich die Inseln unter dem Aequator liegen, vielmehr dem Norden von Mexico ähnlich. Sie enthalten viele natürliche Weideplätze und gar keine Palmen. Die baumartigen Pflanzen sind fast sämmtlich Mimosen. Außerdem giebt es viele baumartige Cactus, darunter einige von drei Fuß im Durchmesser. Diese dienen dem Vieh in dürren Jahren als Aushülfe für Speise und Trank, denn sie enthalten sehr viel Wasser. Es ist ein sonderbarer Anblick, mehrere Stück Rindvieh gemeinschaftlich einen solchen Cactusbaum mit den Hörnern fällen zu sehen. Des Klima ist sehr gemäßigt. Dieselbe kalte Südströmung und derselbe Südwind, welche das Klima der peruanischen Küste abkühlen, drehen sich bei Paita (4 Gr. südl. Br.) westlich und passiren die Galopagos-Inseln. Daher ist das Klima dem von Peru ähnlich; im Innern von Floreana und Chatam, 1000 Fuß über der Meeresfläche, nie unter 10° und nie über 26° R. Doch regnet es hier, während es bekanntlich an der peruanischen Küste nie regnet.
Ich ließ einige Nordamerikaner und Eingeborene von Ecuador dort, um für die nachfolgende Expedition Vorbereitungen zu treffen. Auf der Chatam-Insel fand ich zwei Robinsons, einen Dänen und einen Nordamerikaner, die dort Kartoffeln, Gemüse, Melonen etc. für den Gebrauch der Wallfischfänger bauten, für welche diese Inseln ein Hauptlandungsplatz sind. In dem Garten dieser Leute sah ich, wie der fruchtbare Boden hier fast Alles hervorbringt, Salat und Bananen, Kartoffeln und Bataten, Zwiebeln und Zuckerrohr, Kohl und Ananas etc. etc. Nach meiner Rückkehr und Abstattung meines Berichtes beschloß die Gesellschaft, die Sache in Angriff zu nehmen. Die Inseln liegen 500 Miles vom Festlande, gerade im Course der Schiffe, welche nach Californien, englisch Columbien und der Westküste von Mexico bestimmt sind. Außerdem werden sie die Wallfischfänger zu ihrem steten Landungsplatz machen, wenn sie dort sicher Lebensmittel und Wasser vorfinden, und im südlichen stillen Meere kreuzen durchschnittlich in den bestimmten Jahreszeiten 500 derselben. Dann sollen die Galopagos-Inseln auch noch Stationsplatz für die neue Dampferlinie zwischen Panama und Australien werden. Die Gesellschaft will außerdem vorzüglich Baumwolle bauen, wozu der Boden besonders geeignet ist, und die Fischerei im Großen betreiben.
Die zweite Expedition ist nun schon wieder im Gange. Hier (der Brief ist von Guayaquil, November 1861 datirt) nehmen wir eine Anzahl Eingeborener mit ihren Pferden ein, Leute, die mit dem Viehtreiben und Lassowerfen umzugehen verstehen, und außerdem haben wir einige Nordamerikaner engagirt, die ich für Unternehmungen dieser Art allen Anderen vorziehe. Sie sind intelligent und praktisch und erfüllen das, was sie versprochen haben zu thun, so lange der andere Theil auch seine eingegangenen Verpflichtungen hält. Namentlich kömmt bei ihnen das ewige Geklatsche und Gemurre nicht vor, wodurch die „grünen“ Deutschen sich so unausstehlich machen. Nordamerikaner kann und muß man auch als Seinesgleichen behandeln, was bei Deutschen der unteren Classen unmöglich ist. Diesen Fehler hatte ich bei der Colonisation in Peru begangen. Ich war früher fast mit keinem anderen Arbeiter zusammengekommen, als mit amerikanischen, und glaubte, die neuen deutschen Einwanderer auch ebenso behandeln zu können, nämlich als freie, unabhängige Leute, die ihre Vorgesetzten selber zu wählen hätten und sich selbst regierten. Die Folge davon war, daß sie allen Respect verloren und namentlich durch Schimpfen ihre Unabhängigkeit beweisen zu müssen glaubten – –“
Einen kurzen Satz über das Consularwesen will ich aus dem Briefe noch folgen lassen, der zwar leider nur Allbekanntes bringt, aber nicht oft genug wiederholt werden kann.
– „Eine Aenderung des Consularwesen ist vor allen Dingen nöthig: die, daß man sich für überseeische Plätze in Deutschland wenigstens in soweit einige, um nur Consuln oder Geschäftsträger herüber zu senden, die ganz Deutschland zu vertreten hätten. (Schöner Traum!) Die Kaufleute sind ganz gut, um für die commerciellen Interessen an Handelsplätzen einzustehen, allein für diplomatische Geschäfte passen sie ganz und gar nicht. So wurde neulich einem deutschen Büchsenmacher in Lima bei den Wahlen der Laden ausgeplündert. Er wendete sich als Preuße gleich an den preußischen Consul, der ihm erwiderte: „Officiell kann ich für Sie gar nichts thun, vielleicht kann ich durch den Einfluß einiger meiner Freunde etwas erlangen.“
Der Consul hatte vollkommen Recht, denn in diesen Ländern werden die Consuln der verschiedenen deutschen Staaten, deren Machtlosigkeit man gut genug kennt, nicht im Geringsten respectirt. Dann können Kaufleute selten energisch auftreten, weil sie fürchten müssen, ihren eigenen Handelsinteressen dadurch zu schaden. Einen ebenso großen Fehler würde man begehen, wenn man, was von Deutschland aus sehr zu fürchten ist, im Actenwust ergraute Staatshämorrhoidarien hierzu verwenden wollte. Für die unwissenden und oberflächlichen, Alles nach dem Scheine beurtheilenden Staatsmänner der hiesigen Cabinete wäre ein flotter Husarenofficier mit fürchterlichem Schnurrbart am passendsten, vorausgesetzt, daß er eine gute Dosis Grobheit und gesunden Menschenverstand besäße. Gegenwärtig sind die Deutschen hier so gut wie schutzlos.“
Soweit der Brief. D. von Schütz ist nach den Galopagos-Inseln abgegangen, und wir dürfen hoffen, jetzt bald einmal wieder Nachricht von ihm über die dortigen Verhältnisse zu bekommen. Recht von Herzen aber will ich wünschen, daß er sein Unternehmen dort glücklich zu Stande bringe, wie ich auch überzeugt bin, daß die Compagnie keinen passenderen Mann zu der Leitung desselben hätte wählen können. So ehrlich und wacker er sich, trotz aller Anfeindungen, in Peru gegen seine deutschen Landsleute, die Colonisten benommen, so wacker wird er auch dies – und jetzt zwar mit den früher gemachten Erfahrungen bereichert und gewitzigt – zu Ende führen, und wieder haben wir den Beweis, daß fremde Nationen sich immer nach Deutschen umsehen, wenn sie eine Vertrauensstelle mit irgend wem besetzen wollen. Und der Deutsche? – arbeitet in fremden Ländern [304] – Dank unseren weisen und umsichtigen heimischen Regierungen – nur für den Fremden – schafft erst, bevölkert dann und hebt dessen Colonien und wird von Deutschland aus – etwa unterstützt? – nein, höchstens steckbrieflich verfolgt, weil er sich seiner Militärpflicht entzogen hat.
- ↑ Mairo ist jener etwa 12 bis 13 Leguas vom Pozuzu entfernte Punkt am Amazonenstrom, bis wohin Dampfschiffe fahren und dadurch eine Verbindung mit dem atlantischen Ocean eröffnen können.
- ↑ Huanaco liegt schon am östlichen Hang der Cordilleren und also mit an den freilich dort noch nicht schiffbaren Quellen des Amazonenstroms.