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Gegenwart und Zukunft

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Rudolf Lavant
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Titel: Gegenwart und Zukunft
Untertitel:
aus: In Reih und Glied
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: J. H. W. Dietz
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons,
S. 97–99
Kurzbeschreibung:
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[97]
Gegenwart und Zukunft.


Mit Waffenklirren und mit Völkerstreit
Und Ränkespiel erfüllen sie die Zeit,
Mit stetem Hader um des Nachbars Habe,
Und jeder wähnt, daß, wenn er einst entschlief,

5
In ihre Tafeln die Geschichte tief

Mit ehr’nem Griffel seinen Namen grabe.

[98]
Doch die Geschichte hat für solchen Wahn

Ein bittres Lächeln nur – die Lebensbahn
Der Stolzen führt in Nebel und Vergessen.

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Ein Monument sogar von Erz und Stein

Kann sie nicht schützen, denn wie sind sie klein,
Wenn man an wahrhaft Großem sie gemessen!

Nein, die Geschichte hält beim Lebenslauf,
Bei den Intriguen derer sich nicht auf,

15
Die der Poeten Sippe angeleyert;

Doch stützt die Stirn sie lange in die Hand
Wenn sie verzeichnet, daß in jedem Land
An einem Tag der Arbeit Volk gefeiert.

Vor solchem Schauspiel macht sie sinnend Halt;

20
Es packt sie mit bezwingender Gewalt,

Und zu verstehen es, ist ihr Bestreben.
Sie fragt: Und mußte der Gesellschaft Bau,
Der morsch geworden längst und altersgrau
Nicht ahnungsvoll in allen Fugen beben?

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Jawohl, er hat gebebt – ein Zittern tief,

Ein dumpfes Schüttern und Erbeben lief
Vom Grund zum Dach durch’s bröckelnde Gemäuer;
Jawohl, die Wissenden in der Gewalt
Hat es durchschauert ahnungsvoll und kalt

30
Bei dieser schlichten, imposanten Feier.


Wohl war es stolze, ungewohnte Schau!
Die Lande alle zwischen Trent und Drau,
Was zwischen Ebro liegt und den Fjorden,

[99]
Durchlief der Mahnruf und man fragte nicht,
35
In welcher Sprache wohl der Bruder spricht

Und ganz Europa war ein Reich geworden.

Der Haß ist nicht die Mauer, die er scheint,
Wenn lang Verfeindete in Frieden eint
Ein Hochgefühl, ein führender Gedanke,

40
Wenn dem Vertrauen die Verblendung weicht

Und brüderlich die Hand dem Pommer reicht
Von der Garonne Weingeländ’ der Franke.

Und der Gedanke, der sie all’ erfaßt:
„Acht Stunden Arbeitszeit, acht Stunden Rast,

45
Acht Stunden Schlaf bedingt ein Menschenleben!“ –

Er mag euch noch so sehr zuwider sein –
Ihr lullt und schläfert nie ihn wieder ein,
Und diesen Riß wird keine Kunst verkleben.

Und ob’s euch grimmen und verdrießen mag –

50
Wir feiern fort den schönen Maientag,

Bis ihr erfüllt, was unser Recht auf Erden;
Bis ihr der Pflicht der Menschlichkeit genügt,
Bis ihr euch dieser Forderung gefügt,
Wird sie gestellt vor ganz Europa werden.

55
Und ist erstritten trotz der Gegenwehr

Von Fels zu Fels zuletzt, von Meer zu Meer,
Was wir erbitten nicht, was wir verlangen,
Und athmet auf das seufzende Geschlecht,
Dann wird in tiefem Dankgefühl erst recht

60
Der erste Mai als Feiertag begangen!


Anmerkungen (Wikisource)

Ebenfalls abgedruckt in:

  • "Der Wahre Jacob" Nr.124 S.993 (1891)
  • Lavant, Rudolf (d. i. Richard Cramer): Gedichte. Hrsg. v. Hans Uhlig. Berlin, Akademie Verlag 1965 (Seite 55).