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Friedrich von Matthisson (Die Gartenlaube 1881/11)

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Textdaten
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Autor: Ernst Ziel
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Titel: Friedrich von Matthisson
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 176–178
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[176]

Friedrich von Matthisson.

Zum fünfzigsten Gedenktage seines Todes.

Wie schnell das literarische Schönheitsideal einer Zeit sich wandelt, darüber belehren uns wohl nur wenige Beispiele so eindringlich, wie dasjenige des Dichters, dessen Andenken die deutsche Nation am 12. März d. J., dem fünfzigsten Erinnerungstage seines Todes, feiern könnte – wenn heute überhaupt noch eine Seele in Deutschland des Todten von Wörlitz gedächte. Der von Schiller mit so großer Wärme und einem reichen Aufwande von kunstphilosophischen Beweisführungen auf den literarischen Schild gehobene und trotz [177] A. W. von Schlegel’s feindseliger Kritik von unseren Großeltern und Eltern hochgefeierte Friedrich von Matthisson ist uns heute nur noch der Repräsentant einer längst abgethanen poetischen Geschmacksrichtung, die durch eine einseitig elegisch-sentimentale Gefühls- und Naturmalerei oft genug zu ersetzen suchte, was ihr an innerer poetischer Wahrheit abging. In wie stimmungsvoller Beleuchtung uns auch die Scenerien der Matthisson’schen Gedichte erscheinen mögen, diese geheimnißvollen Mondaufgänge über schilfumkränzten Seen, diese epheuumrankten Trümmer und abendrothbeleuchteten Burgen und wie sonst die träumerischen Bilder der Phantasie des Dichters sich unserem geistigen Auge darstellen – sie sind uns Kindern der heutigen Zeit zu einem großen Theile nur Außendinge der Poesie; wir können uns an ihnen nur selten erwärmen und erfreuen, weil wir die innere Bewegtheit, den geistigen Kern an ihnen allzu oft vermissen.

Wer war Friedrich von Matthisson und welche Stellung gebührt ihm in der Geschichte der deutschen Dichtung? Nicht Viele wissen heute noch auf diese Frage zu antworten – der Schützling Schiller’s ist eben ein längst Verschollener, und diese Zeilen wollen den in mehr als einem Punkte mit Recht vergessenen Poeten auch nicht zu neuem Leben erwecken; sie wollen nur in Kürze seine literarische Bedeutung kennzeichnen. Am treffendsten hat man Matthisson charakterisirt, indem man ihn den Landschaftsmaler unter den deutschen Dichtern nannte. Sein Dichten ist ein Abschreiben der Natur, eine oft bis in’s Einzelne getreue Wiedergabe des von ihm in’s Auge gefaßten landschaftlichen Locals; dieses Copiren der Natur macht die eigentliche Eigenart seiner Schilderungen aus, und so vollzieht sich in ihnen denn auch der höchste, freilich sehr fragwürdige Triumph, den diese Dichtungsart feiern kann: Matthisson’s Gedichte erwecken in dem Leser dieselben Empfindungen, welche der Anblick einer malerischen Gegend in dem Naturbeschauer erregt. Aber es ist doch ein einigermaßen mühsamer, dem Leser nur auf dem Wege der Reflexion möglicher Naturgenuß, den uns hier der Maler, Worte als Farben benutzend, bietet; denn dem Worte fehlt naturgemäß die sinnliche Anschaulichkeit, die unmittelbare Wirkung auf das Vorstellungsvermögen, welche der Farbe eigen ist – unser Dichter vergaß, daß er die Feder und nicht den Pinsel führte: Diese Naturmalerei in Reimen und Rhythmen als Selbstzweck der Poesie ist jedenfalls eine der untergeordnetsten, wenn nicht überhaupt eine unangemessene Ausdrucksweise der Dichtkunst; sie kann, wie Lessing in seinem „Laokoon“ so schlagend nachgewiesen hat, keinenfalls Anspruch machen auf dieselbe künstlerische Rangstufe, welche die Landschaftsmalerei in der Kunst des mit Farbe und Pinsel schaffenden Malers einnimmt – sie ist, im Grunde genommen, nichts als dichterische Decorationsmalerei, die den Anspruch auf geistigen Inhalt nicht befriedigen kann.

Matthisson’s Grab auf dem Friedhofe zu Wörlitz.
Nach der Natur gezeichnet von P. Wernecke.

Aber dennoch – ein so bedingungslos abfälliges Urtheil, wie wir Heutigen, zumal die heutigen Literaturgeschichten, über Matthisson’s Gedichte zu fällen gewohnt sind, dürfte denn doch in der Werthmessung dieses Poeten nicht das unbedingt Richtige treffen. Ein Verdienst wird man Matthisson trotz seiner großen Schwächen nicht absprechen können: er hat – wie einseitig auch immer – gezeigt, daß schöne und maßvolle Naturmalerei bis zu einem gewissen Grade auch dem Dichter natürlich und möglich ist, und wenn er dabei in den Fehler verfallen ist, seine oft zwar schwächlichen und süßlichen, häufig aber auch farbenprächtigen und immer an Gegenständen reichen Landschaftsscenerien als etwas an und für sich und ohne geistige Zuthat Lebensberechtigtes hinzustellen, so war das allerdings ein Anspruch, der den inneren Gesetzen der Poesie widerspricht, aber trotz dieses Irrthums war Matthisson doch in gewissem Sinne ein Lehrer der Nachstrebenden; sie lernten von ihm, die Natur fein beobachten und stimmungsvoll wiedergeben, aber sie malten nicht nur, wie er; sie thaten, indem sie malten, hinzu, woran es ihm gebrach: die Kraft, die Leidenschaft, die tiefere Bedeutung – den Geist. So wurde, was bei ihm Mittelpunkt und Inhalt war, bei den Späteren Folie und Staffage, und so gewann die Landschaftsmalerei sich einen gerechtfertigten Platz in der Poesie. Es könnte ein nicht uninteressantes Capitel deutscher Literaturgeschichte abgeben, nachzuweisen, wie die beschreibende Lyrik nach den Tagen Matthisson’s an Diesen anknüpft und die von ihm ausgestreute Saat zeitigt; es dürfte nicht schwer sein, darzuthun, wie bis in die Lieder Uhland’s und Heine’s, ja Geibel’s und Bodenstedt’s hinein Matthisson’sche Naturmalerei nachklingt.

Und noch Eines müssen wir Enkel dem Lieblinge unserer Großväter nachrühmen: Matthisson hat – was in jener Zeit formeller Verwilderung nicht hoch genug angeschlagen werden kann – als Einer der Ersten sich eine klangvolle, edle Form, die Musik des Rhythmus und die Reinheit der poetischen Sprache zum Gesetze gemacht und ist diesem Gesetze stets mit Strenge gefolgt. Auch dadurch wurde er größeren Nachstrebenden ein achtunggebietendes Muster. Er ist im Reim nicht immer correct – wer war es in jenen Tagen? – in der logischen Gruppirung der Bilder nicht immer unanfechtbar, aber er ist in der architektonischen Gliederung seiner Verse und Strophen stets geschmackvoll, in der dichterischen Sprache stets gewählt. Man höre z. B. nur die nach der Seite der Formenschönheit noch heute ansprechende Naturmalerei in dem folgenden Gedichte:

Abendlandschaft.

      Goldner Schein
      Deckt den Hain;
Mild beleuchtet Zauberschimmer
Der umbüschten Waldung Trümmer.

      Still und hehr
      Strahlt das Meer;
Heimwärts gleiten, sanft wie Schwäne,
Fern am Eiland Fischerkähne.

      Silbersand
      Blinkt am Strand;
Röther schweben hier, dort blässer,
Wolkenbilder im Gewässer.

      Rauschend kränzt,
      Goldbeglänzt,
Wankend Ried des Vorlands Hügel,
Wild umschwärmt vom Seegeflügel.

      Malerisch
      Im Gebüsch
Winkt mit Gärtchen, Laub und Quelle
Die bemooste Clausnerzelle.

      Pappeln wehn
      Auf den Höh’n;
Eichen glühn, zum Schattendome
Dicht verschränkt, am Felsenstrome.

      Nebelgrau
      Webt im Thau
Elfenreigen dort, wo Rüstern
Am Druidenaltar flüstern.

      Auf der Fluth
      Stirbt die Gluth;
Schon verblaßt der Abendschimmer
Um der hohen Waldburg Trümmer.

      Vollmondschein.
      Deckt den Hain;
Geisterlispel wehn im Thale
Um versunkne Heldenmale.

Matthisson’s „Abendlandschaft“ bestätigt in wenigstens zwei Punkten die Kritik, welche Schiller über den Dichter fällte. Nach ihm vereinigt Matthisson in seinen Liedern dreierlei Erfordernisse [178] landschaftlicher Darstellung: seine Stimmungsgemälde gefallen uns durch ihre Anschaulichkeit; sie ziehen uns an durch ihre musikalische Schönheit; sie beschäftigen uns durch den Geist, der in ihnen athmet. Die beiden ersten Zugeständnisse Schiller’s dürften noch heute ihre volle Gültigkeit haben, und nur bezüglich des dritten könnte man angesichts der gegenwärtigen gesteigerten Anforderungen mit dem berühmten Kritiker rechten.

Geboren wurde Friedrich von Matthisson – um die wichtigsten Daten seines Lebens hier nicht zu übergehen – am 23. Januar 1761 zu Hohendodeleben bei Magdeburg, und zwar einige Monate nach dem Tode seines Vaters, eines früheren Feldpredigers. Seine Erziehung empfing er, der Hauptsache nach, im Hause seines Großvaters, eines Landgeistlichen, seine akademische Vorbildung aber auf der Schule zu Kloster-Bergen, von wo er die Universität Halle bezog, um, den Traditionen seiner Familie gemäß, Theologie zu studiren; sein idealistisch gestimmter Geist trieb ihn indessen sehr bald in wissenschaftliche Bahnen, die seinem Brodstudium ziemlich fern lagen, und so wurde aus dem Studenten der Theologie ein Jünger der schönen Literatur, ein Hörer der Natur- und Sprachwissenschaften. Nach einer kurzen Thätigkeit als Lehrer am Erziehungsinstitute zu Dessau begab er sich in der Eigenschaft eines Hofmeisters mit den jungen livländischen Grafen Sievers auf Reisen in Deutschland und lebte dann, vielfach leidend, von 1788 bis 1790 zu Schloß Nyon am Genfersee bei seinem Freunde Bonstetten, wo er die eigentliche Blüthezeit seines dichterischen Schaffens erlebte und unter Anderem sein so berühmt gewordenes Gedicht „Am Genfersee“ verfaßte. Nirgends eine dauernde Stätte findend, war er alsdann eine Zeit lang Lehrer in der Familie eines Handelsherrn in Lyon, darauf Lector und Reisegefährte der Fürstin von Anhalt-Dessau, mit welcher er 1795 Italien, die Schweiz und Tirol besuchte, und endlich Hofbeamter im Dienste des Königs von Württemberg, der ihn zum Legationsrathe, zum Intendanten des Hoftheaters und Oberbibliothekar ernannte. Durch den Tod seiner Frau schwer getroffen und durch vielfach abfällige Beurtheilungen seines literarischen Wirkens innerlich verstimmt und ermüdet, zog er sich um das Jahr 1824 nach dem reizenden Städtchen Wörlitz bei Dessau zurück, wo er am 12. März 1831 im siebenzigsten Lebensjahre starb.

Wir dürfen das Grab auf dem Wörlitzer Friedhofe, in dem der einst so gefeierte Friedrich von Matthisson nunmehr seit fünfzig Jahren schlummert, als eine Stätte bezeichnen, an der in unseren Tagen materieller Lebensrichtung die Mahnung zu uns spricht: ein dem Geistigen und der Schönheit in reinem Streben zugewandtes Dasein, wie unvollkommen und fehlerhaft es auch in seinen einzelnen Aeußerungen sein mag, hat für alle Zeiten eine Art vorbildlicher Bedeutung. Ernst Ziel.