Friedrich der Große und die Schauspielkunst
[755] Friedrich der Große und die Schauspielkunst. Der Schützling Voltaire’s, der berühmte Schauspieler Lekain, hatte 1775 auf die Empfehlung des Dichters in Berlin gastirt. Ueber das Gastspiel schrieb Friedrich an Voltaire: „Ich habe Lekain spielen sehen und seine Kunst bewundert. Dieser Mann würde der Roscius seines Jahrhunderts sein, wenn er etwas weniger übertriebe. Ich mag unsere Leidenschaften gern so dargestellt sehen, wie sie wirklich sind: dann bewegt das Schauspiel das Innerste unseres Gemüthes; sobald aber die Kunst die Natur erstickt, läßt sie mich kalt. Ich wette, Sie denken, so sind die Deutschen. Sie lieben bloß schwachangedeutete Leidenschaften; starker Ausdruck ist ihnen zuwider; dafür haben sie keinen Sinn. Das kann sein, ich will mich nicht zum Lobredner meiner Landsleute aufwerfen. Auch ist es wahr, sie reißen keine Mühlen um und verderben keine Saat, wenn sie über Korntheuerung klagen; sie haben bis jetzt weder Bartholomäusnächte noch rebellische Bürgerkriege angestiftet. Da indessen die Welt nach und nach immer aufgeklärter wird, hoffen unsere Schöngeister, daß das mit der Zeit kommen werde, zumal wenn die Wälschen uns die Ehre erzeigen wollen, mit ihrem Geist den unsrigen anzuregen.“
Der alte Fritz liebte also eine maßvolle Schauspielkunst: unsere späteren genialen Shakespeare-Darsteller, die Lears und Othellos, wären ihm gewiß ein Gräuel gewesen. Daß die Deutschen aber für starken Ausdruck der Leidenschaften auf der Bühne wohl Sinn und Verständniß zeigen: das haben sie durch die Huldigungen bewiesen, die sie bis in die neueste Zeit hervorragenden Darstellern im Stile Lekain’s dargebracht haben. Auffallend ist indeß Friedrich’s letzte Aeußerung: die Deutschen haben doch wahrlich genug blutige Bürgerkriege und Religionskriege aufzuweisen, wenn auch nicht gerade Bartholomäusnächte. Darin aber hat er richtig prophezeit, daß sie sich von den Wälschen auf revolutionäre Bahnen würden locken lassen: die spätere Geschichte bestätigt das hinlänglich, †