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Friedrich Fröbel und seine Kindergärten/II. Brief

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Textdaten
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Titel: Friedrich Fröbel und seine Kindergärten. II.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Friedrich Fröbel und seine Kindergärten.

(Briefe an eine Mutter.)
II.

Es ist mir jetzt Leid, verehrte Frau, daß ich Ihren Wünschen zu gewissenhaft nachgekommen bin und für den Rückblick auf Friedrich Fröbel’s Leben und Wirken nicht gleich im Anfange einen weiter reichenden Standpunkt eingenommen habe. So leicht es ist, über das Leben eines unbedeutenden Menschen viele Worte zu machen, – geschieht’s nicht oft genug? – so schwer ist es, in der Schilderung des Charakters und Lebens eines Mannes sich kurz zu fassen, der durch seltene und wohlbenützte Gaben des Geistes und Herzens wie durch gute, für die Menschheit nützliche Handlungen gleich sehr vor seinen Zeitgenossen sich ausgezeichnet hat. – Aber Sie verlangen ja daß ich mich beschränke; und in der That wollte ich ganz so mich aussprechen, wie es mir je länger ich schreibe immer mehr Bedürfniß wird, dann würden Ihre Kinderchen wohl noch lange auf den Feiertag warten müssen, der sie in Vater Fröbel’s heitere Kindergärten einführen soll. – Es ist namentlich Eins, worüber ich gern recht ausführlich zu Ihnen gesprochen hätte. Die Vorträge Fröbel’s, durch welche derselbe vornehmlich die Frauenwelt für sein Werk zu gewinnen trachtete, durch welche er die Frauen auf ihren natürlichen Beruf zur Erziehung und auf die hochheilige Pflicht auch geistige Mütter der Kinder zu werden hinwies. Doch ich habe Ihnen für heute einmal die Besprechung der Kindergärten zugesagt, und so muß ich wohl Wort halten. Aber merken Sie wohl, ich thue das nur unter der Bedingung, daß Sie mir erlauben, zu andrer Zeit über ein Thema im Geiste Fröbel’s [81] mich auszusprechen, für welches ja, wie ich weiß, Ihr weiblicher Sinn, Ihr mütterliches Herz so wohlbereitet und empfänglich sind.

Ich glaube Ihnen in meinem letzten Brief schon angedeutet zu haben, daß die Kindergärten nicht das Ganze, sondern nur einen Theil der Erziehungsbestrebungen Fröbel’s ausmachen. Ich nannte sie den Grundstein seines Gebäudes, das er zwar nicht selbst auf- und ausgebaut hat, das wir aber nichts destoweniger vollendet nennen dürfen, weil er uns den Riß, den Plan dazu hinterlassen hat. Wenn Fröbel in den spätern Jahren seines Lebens seine praktische Thätigkeit als Erzieher nur auf das erste Kindesalter richtete, so dürfen wir deshalb nicht glauben, daß er in gleicher Selbstbeschränkung auch seine theoretischen Forschungen von dem Gesammtgebiete der Erziehung abgewendet und im Gegensatze zu dem Streben seiner jüngern Jahre seine vortrefflichen Ideen über Menschenerziehung überhaupt und rational deutsche Erziehung insbesondere aufgegeben und eben noch Kraft gehabt hätte, eine Kleinkinder- oder Spielschule zu begründen. Eine Zahl, ein Punkt sind dem Mathematiker genug, um aus ihnen unbekannte Größen und Verhältnisse mit untrüglicher Sicherheit zu beurtheilen, eine Linie genügt dem Künstler, um nach ihr in überrechnender Aehnlichkeit das Bild eines nie gesehenen Menschen zu schaffen. Woher diese wunderbaren Leistungen? Die in allem Erschaffenen und Lebenden herrschende unwandelbare Ordnung und strenge Gesetzmäßigkeit machen es einmal erkannt dem Scharfsinn des Menschen möglich, aus dem Theile das Ganze zu erkennen, aus einem gegebenen einfachen Gesetz die unbekannte Ordnung und Bewegung eines vielgliederigen Organismus zu finden. Mit Fröbel’s letzter Schöpfung, dem Kindergarten, verhält es sich ähnlich. Fröbel hat in seinem Kindergarten dem denkenden Pädagogen gleichsam einen solchen mathematischen Punkt, eine solche Linie vom Gottesantlitz des Menschen hinterlassen, nach welcher der ganze Mensch in seiner ursprünglichen Herrlichkeit und Schönheit gebildet werden kann. - Gott und Natur, frommer Glaube an jenen, treues Anschließen an diese, waren die Ausgangs- und zugleich Zielpunkte von Fröbel’s ganzem auf Veredlung und Beglückung der Menschen gerichteten Wirken. Wie wohlgeordnet, wie schön und erhaben die Natur unter dem harmonischen Zusammenwirken der ihr verliehenen Gesetze sich darstellt, so wollte er, sollte auch der Mensch in seinem Wesen allenthalben den Frieden, die Größe und Liebe seines Schöpfers offenbaren. Daher fortwährende Beziehung Gottes und der Natur auf den Menschen und des Letzteren auf Jene; daher die Forschung freier, d. h. natur- und vernunftgemäßer Entwicklung des Menschen von der Geburt ab bis zur sittlichen Reife und Selbstständigkeit, ja durch das ganze Leben; daher, und weil das häusliche Leben, das Schul- und Erziehungswesen und der ganze Sittenzustand seiner Zeit mit den göttlichen Gesetzen der Natur und Vernunft vielfach in Widerspruch, die Forderung und das Anstreben einer Grundreform der ganzen hergebrachten Erziehung und Bildung des Menschen in Haus, Schule und Leben. Das wollte Fröbel! Er hat so wenig wie Einer seiner reformirenden Vorgänger auf dem Gebiete der Erziehung das was sein inneres Auge als ein vollkommenes Bild anschaute, der Welt in glücklicher Vollendung und zu allseitig faßlichem Verständniß hinzustellen vermocht; – er sah die Abneigung seiner Zeitgenossen gegen die Selbsterkenntniß oder besser das Eingeständniß ihrer Schwächen, und so wendete er sich in sicherer und beruhigender Voraussicht mit dem Schatze seiner Erfahrung und seiner Liebe an das Geschlecht der Zukunft. So ist, was die mündige, afterkluge Welt als Frucht zu sehen und zu genießen verschmähte, dem reinen unschuldvollen Kindesgemüthe als Keim zur Pflege vertraut. Hier werden Zeit und Liebe ihn sicher reifen.

Der Kindergarten ist zu dem Worte Fröbel’s über erste Erziehung die That, zur Theorie die Praxis. Er ist aufgerichtet zwischen Haus und Schule; zu diesen beiden verhält er sich nicht als ein blos nützliches aber zur Noth entbehrliches, sondern als ein nothwendiges Verbindungsglied. Ausgehend von dem Grundsatz, daß die Erziehung des Kindes vom Augenblicke der Geburt zu beginnen habe, d. h. daß das Kind vom ersten Lebenstage ab nach bestimmten, festen Grundsätzen zu pflegen, zu leiten und in seiner Entwicklung naturgemäß zu unterstützen sei, – mußte Fröbel eine neben andern Mängeln sehr bemerkbare Lücke in der Hauserziehung auszufüllen bedacht sein. Diese Lücke fällt in die dem schulfähigen Alter des Kindes vorhergehenden Jahre. So lange das Kind seiner Glieder, seiner Sinne, und der Sprache unabhängig von der Umgebung noch nicht frei sich bedienen kann, wird für dasselbe von den dazu berufenen Personen wohl oder übel das Nothwendigste geleistet; allein von dieser Zeit, also etwa vom dritten Jahre ab, bis zur Schule, also bis zu erfülltem sechsten oder siebenten Jahre, werden die Kinder im Aelternhause zuviel sich selbst und tausend Zufälligkeiten überlassen. Und doch ist es gerade diese Altersperiode, in welcher die Erziehung schon mehr als nur Pflege sein muß, da ja jetzt nach verhältnismäßig vollendeter Körperkräftigung das geistige Leben im Kinde mächtiger sich zu regen beginnt und immer nach Nahrung von Außen verlangt. Vernachlässigungen in diesen Jahren hindern ein naturgemäßes Fortschreiten des Kindes und erschweren den Uebergang zu der späterem strengeren und methodischen Schulerziehung. Besonders gefährlich für die erste sittliche Erziehung sind aber in dieser Zeit die Fortschritte, wie man es nennen möchte, welche die Kinder unter der Aufsicht unvorsichtiger oder leichtsinniger Aeltern oder Wärterinnen in der Kenntniß der Gewohnheiten, Neigungen und Sitten der Erwachsenen machen, wodurch sie der Sphäre der Kindheit oft frühzeitig entrückt werden. - Hier also nimmt der Kindergarten seine Stelle ein, hier bietet er dem Hause und der Schule seine Vermittelung an.

Der Kindergarten, in seiner äußern Erscheinung ein Spiel- und Tummelplatz munterer Kinder, ist doch seinem Wesen und seinen Wirkungen nach eine für das ganze spätere Leben seiner Zöglinge wichtige Erziehungsstätte. Er bietet seinen Zöglingen eine, die kindliche Natur allseitig erfassende, alle ihre Kräfte und Fähigkeiten naturgemäß eutwickelnde erste Erziehung. Er gewährt demnach den Kleinen was sie im Aelternhause nur mehr oder weniger unvollkommen oder gar nicht empfangen und was die Schule wenn es einmal versäumt ist, in spätern Jahren durch ihre Mittel nicht nachzuholen vermag. Der kindlichen Natur geschieht hier keinerlei Zwang und ebenso wenig entfremdet der Kindergarten, [82] wie so viele fürchten, die Kinder dem Aelternhause. Es war ja vielmehr Fröbel’s Absicht, den Kindern Alles, was das Haus Liebes und Freundliches hat nur noch angenehmer und lieber zu machen, dadurch, daß er es ihnen besser kennen lehrte. In der Kindergärtnerin giebt er den Kleinen eine andre freundliche Mutter, in den Spielgenossen viele liebe Brüder und Schwestern. Den im Hause verlassenen Ball, die Baukästen und Bilderbücher läßt er sie hier wiederfinden. Geschichtchen und Lieder, Blumen und Gartenspiele, Alles was im Hause sie glücklich macht oder machen könnte, der Kindergarten hat es in reicher Fülle. Durch dieses innige Anschließen an die gewohnten freundlichen Formen des Familienlebens verschwindet für das Gefühl der Kinder jeder Gegensatz; die aber in ihren Familien minder Glücklichen erkennen in der Freude des Kindergartens ein Geschenk von Vater und Mutter, das ihre Liebe zu Beiden erhöht.

Blicken wir jetzt zuerst auf die körperliche Pflege und Erziehung des Kindergartens. Der Leib steht in der innigsten Beziehung zu dem Geiste des Menschen. Seine Gesundheit, seine Kraft und Geschicklichkeit sind nothwendige Vorbedingungen eines gesetzmäßigen, gedeihlichen Geisteslebens. In dieser Bedeutung für den Geist erfaßt der Kindergarten den Leib des Menschen, und seine Erziehung ist darauf gerichtet, daß für alle seine Zöglinge die genannten Vorbedingungen erreicht werden. Im Kindergarten wird daher nicht blos darauf gesehen, daß die Kinder an ihrer Gesundheit keinen Schaden leiden, in Hinsicht auf Nahrung und Bewegung keine Fehler begehen; sondern sie werden auch zu bestimmten Körperübungen angeleitet. Diese Uebungen kräftigen den Körper in allen seinen Theilen und tragen so wesentlich zu Erhaltung der Gesundheit bei; sie aber haben auch den weiteren sehr wichtigen Zweck und Erfolg, daß sie dem Geiste frühzeitig die Herrschaft über den Körper gewinnen. Von welcher Bedeutung ist dies für das spätere Berufsleben und die Sittlichkeit! Die Uebungen, durch welche diese Absichten erreicht werden, bestehen einestheils in freien Ball- und Bewegungsspielen, anderntheils in geordneten turnerischen Bewegungen. Der Kindergarten ist kein Turnplatz; die Uebungen die hier ausgeführt werden, sind die Elemente, das A B C der Turnkunst und bezwecken eine leichte, gewandte Ausführung derjenigen Bewegungen, zu denen der Körper ohne Unterstützung äußerer Mittel (sogenanntes Turngeräth), und nur durch die geistige Kraft des Willens veranlaßt werden kann. Zum wahren Glücke für unsere Kinder werden der ängstlichen Gemüther, die das Gängelband allenthalben der freien rüstigen Bewegung der Kleinen vorziehen, jetzt immer weniger und das Wort erfahrener Lehrer und Aerzte finden Gehör und Beifall, daß eine schon frühzeitig gewonnene Kraft und Gewandtheit des Körpers das Kind vor vielen Gefahren schützt, denen träge, linkische und schwächliche Kinder nur zu oft unterliegen. Endlich aber haben diese körperlichen Uebungen noch einen entschieden günstigen Einfluß auf das Gemüth und die Bildung des Charakters der Kinder. Die Bewegung und erhöhte Thätigkeit aller Lebensfunktionen giebt dem Kinde das Vollgefühl des Lebens und der Gesundheit. Dieses Gefühl giebt sich aber geistig als Heiterkeit und Frohsinn, als Muth, Arbeitslust und Zufriedenheit zu erkennen. Welche Seelenstimmungen könnten wohl eine bessere Stütze der Kindesunschuld sein und den Erzieher bei Anleitung der Kinder zum Guten wirksamer unterstützen? –

Ich komme zu der sittlich-religiösen Erziehung des Kindergartens. Sittlichkeit und Religiosität des Menschen beruhen wesentlich auf der ersten erziehenden Pflege des Gemüths und für diese gerade besitzt der Kindergarten die herrlichsten, die wirksamsten Mittel, und solche die selbst in der besten Familienerziehung nicht oder mindestens nicht mit gleich günstigem Erfolge angewendet werden können. Um sogleich an das Vorige anzuknüpfen, so haben die geordneten Leibesübungen auch eine sittlich - bildende Wirkung. Ueberall , wo wie bei diesen Uebungen eine Mehrzahl nach einer und derselben Vorschrift für einen und denselben Zweck gemeinschaftlich thätig ist, bildet sich, – eine vernünftige Leitung vorausgesetzt, – der Geist der Ordnung, des Gehorsames und freier Unterordnung von selbst aus. Sein Wirken ist eine nothwendige Vorbedingung für Erreichung des Zwecks der unternommenen Thätigkeit. Dieser Geist, in den Kindern frühzeitig geweckt und immer nur nach dem Rechten, Wahren, Guten gerichtet, wird zu einer Quelle aller geselligen und bürgerlichen Tugenden werden, die vom einzelnen Menschen die freie Unterordnung seines Willens und seiner Interessen unter die höhereu Zwecke, Rechte und Interessen eines Ganzen, einer Gesammtheit, fordern.

Eine mehr directe Anregung empfangen die sittlichen und religiösen Grundkräfte des kindlichen Gemüths im Kindergarten durch die im Umgange vorkommenden verschiedenen Berührungen und Beziehungen. Die Kindergärtnerin hat hier von Fröbel eine doppelte Aufgabe zugewiesen erhalten. Sie muß als Stellvertreterin der Mutter ihrem persönlichen Umgange mit den Kindern immer einen erziehenden Charakter erhalten; sie hat aber auch den Verkehr der Kleinen unter sich in diesem Sinne zu überwachen und zu leiten. Die Zwecke der Erziehung werden im Kreise einer größern Anzahl von Kindern immer leichter und in vollkommeneren Grade sich erreichen lassen, als im Verkehre mit nur einem oder wenigen Kindern. Ein Kind ist des andern Lehrer; hierin liegt der große Vorzug der gemeinschaftlichen vor der Einzelerziehung im Hause. Der Nachahmungstrieb, später die Nacheiferung, wie man bei Kindern den Ehrgeiz nennen mag, wirken unmittelbar und kräftig auf die Entwicklung ein. Freilich führt der Nachahmungstrieb die Kinder ebenso leicht zur Aneignung schlimmer wie guter Gewohnheiten und Sitten; aber diese Abweichung zu verhindern, der Nachahmung immer das rechte Ziel zuzuweisen, ist eben Aufgabe und Sorge der Kindergärtnerin. So bietet in dieser Richtung der Kindergarten alle Vortheile der gemeinschaftlichen Erziehung, ohne die Furcht zu erwecken, daß diese durch gleich viele Nachtheile wieder aufgehoben werde.

Die Eindrücke, welche die Kinder hier im Umgange nur Geist und Gemüth empfangen, sind eine Erziehung durch das lebendige Beispiel. Fehlt es hierbei auch von Seiten der Kindergärtnerin nicht an ermunternden und strafenden Worten, an Vorstellungen und Ermahnungen, so werden die Kinder hierdurch doch noch nicht zu einer reiferen [83] geistigen Selbstbetätigung, zu prüfendem Nachdenken und Urtheilen veranlaßt. Eine solche Selbstbethätigung der Kinder für ihre Gemüths- und Sittenbildung tritt ein, sobald die Kindergärtnerin dieselben aus dem wirklichen Leben in das erdichtete durch die Erzählung überführt. Die Erzählung stellt sittliche Lebensbilder auf. Die kleinen Zuhörer erkennen leicht, denn auch die Vergleichungsgabe ist bei fast allen Kindern zu finden und immer thätig, in den handelnden Personen der Erzählung sich selbst, ihre Freunde und Freundinnen, Aeltern und Verwandte; die in der Erzählung wirkenden sittlichen Kräfte werden auch in ihnen angesprochen, ihre Gefühle regen sich, bald angezogen, bald abgestoßen durch die vorgeführten Handlungen, und mit diesen Gefühlen sich beschäftigend erwachen in ihnen gute Entschließungen. So bildet sich frühzeitig und auf dem natürlichsten Wege in der Seele der Kleinen ein sicheres sittliches Urtheil (Gewissen), und ihr Wille empfängt für immer die Richtung zum Guten. Einen hohen Werth hat hier besonders die Verstandesthätigkeit, zu welcher die Kinder beim Anhören der Erzählung angeregt werden, theils durch den Inhalt des Gehörten, theils durch die von der Kindergärtnerin in die Erzählung eingewobenen, aber auch vom Eifer und der Wißbegierde der Kinder selbst veranlaßten Fragen. Die Kinder üben hier ihre Denkkraft ohne doch das Denken (wie beim Schulunterricht) als Arbeit zu empfinden. So frühe aber auch die Kinder hier im Denken geübt werden, so schnell sich im Kindergarten die Summe ihrer Vorstellungen und Begriffe vermehrt, nie doch wird ihre wachsende Geistesgewandtheit den Charakter jener Altklugheit annehmen, mit welcher Kinder in diesem Alter so häufig uns entgegentreten und unsere Abneigung wie unser Mitleid hervorrufen. Im Kindergarten kann altkluges Wesen an den Kindern nie sich ausbilden und diejenigen, welche bei ihrem Eintritte hiervon bereits befangen sind, werden von diesem Feinde ihrer Freuden, ihrer Unschuld und Bildung unter dem heiteren Verkehre ihrer neuen Freunde gar bald befreit werden und dafür ihr wahres Eigenthum, harmlose natürliche Kindlichkeit zurückerhalten.

Eine wichtige Stelle unter den für Gemüth und Sitten der Kinder wirksamen Bildungsmitteln nehmen im Kindergarten auch die schon erwähnten geselligen Ball- und Vergnügungsspiele ein. Der erstrebte und immer sichere Erfolg dieser Spiele ist Freude. Die Freude aber und wer hätte das nicht an sich selbst erfahren? ist eine Mutter aller schönen, aller reinen menschlichen Gefühle. Wesentlich zur Erreichung dieses Zieles trägt bei, daß diese Spiele in der Regel von Gesängen begleitet werden. Wahre Freude ist nie stumm , am wenigsten bei dem kleinen, durch conventionelle Formen nicht beengten Kinde. Beobachte man spielende Kinder, immer wird man finden, daß sie alle Spiele wo nicht mit einem wirklichen Liedchen, so doch mit gesangartigen Tönen, man könnte sagen, mit Liedern ohne Worte begleiten. Der Gesang ist für sie Leben. Fröbel hat diese Erscheinung ganz richtig gewürdigt, wenn er, was das Kind selbstthätig sich schafft, von ihm entnahm, um es in vollkommenerer Gestalt als kräftiges Erziehungsmittel ihm zurückzugeben. Indem das Kind singt, was es thut, prägt es sich die Bedeutung, den Begriff seiner Handlungen fester ein und gewinnt damit einen Zuwachs von Vorstellungen für sein Gedächtniß und sein Urtheil. Anderntheils, und das ist noch wichtiger, enthalten die Gesänge Anregungen zur Freude, zur Geselligkeit und zum Guten, zu Aeltern- und Geschwisterliebe und Hinweisungen auf die Güte und Liebe Gottes; ferner Ermunterungen zur Folgsamkeit und Verträglichkeit, zu Fleiß und Arbeitsliebe. Werden nicht die Gefühle und Vorsätze, welche hier das Kind singt und wieder singt, seiner Seele sowie die Worte dem Gedächtnisse für immer sich einprägen? Wird es nicht hierdurch in seinem Gemüthsleben wohlthätig berührt und für das Leben mit einem reichen Schatze sittlicher Lehren und Grundsätze ausgestattet werden? –

Endlich erschließt der Kindergarten seinen Zöglingen auch die reichen Schätze der Natur. Wie beklagenswerth die Kleinen, die an der Hand unwissender, ihre Umgebung gleichgültig betrachtender Dienstmädchen in die Natur eingeführt werden! Kaum kann man sagen in die Natur, sie werden ja nur „in’s Freie“ geschickt, auf staubige Promenaden, Marktplätze und zu Soldatenschauspielen. Wie anders nutzt die Kindergärtnerin die Bewegung ihrer Schützlinge im Freien. Sie führt die Kleinen in einen freundlichen Garten und leitet sie hier zu heiterem glücklichen Genusse der Natur an. So lange Jahreszeit und Wetter es erlauben, bringen die Kinder täglich mehre Stunden im Garten zu, führen hier ihre Bewegungsspiele aus, - meist Darstellungen des gewerblichen und Naturlebens, beschäftigen sich nach dem Maaße ihrer Kräfte mit leichten Gartenarbeiten oder tummeln sich und spielen nach freier Wahl nur unter der fürsorgenden Aufsicht ihrer Erzieherin, auf Rasenplätzen, künstlichen Sandbergen und unter Bäumem. Naturliebe darf nicht gelehrt werden, sie will nur geweckt sein und hier hat die Kindergärtnerin eine leichte Arbeit. Das duftende Gras, die Blumen und Fruchtbäume, die Käfer und Schmetterlinge und der warme freundlich lichte Strahl der Sonne sind zu herrliche Dinge, denen das Herz der Kinder nicht widerstehen kann. Aber die Liebe zur Natur soll nicht allein auf dem sinnlichen Genusse ihrer Gaben beruhen, sie soll auch auf die Kenntniß derselben sich stützen; denn diese erst giebt ihr die rechte Weihe und Dauer und begründet eine richtige Werthschätzung aller Naturdinge. Entsprechend dieser Wahrheit unterrichtet die Kindergärtnerin ihre Zöglinge über alle sie umgebende Dinge und Erscheinungen, soweit kindliche Auffassungsgabe es zuläßt; über Nutzen und Zweck des Erschaffenen und über die Pflichten, welche der Mensch gegen die Schöpfungen der Natur, insbesondere gegen die beseelten Wesen zu erfüllen hat. Einen Schritt nur weiter in diesem Unterrichte, dienen die Herrlichkeiten und Wunder der Natur der Kindergärtnerin dazu, in den empfänglichen Kinderseelen die erste Ahnung eines unsichtbaren Wesens, eines allmächtigen und weisen Schöpfers, eines liebenden Vaters aller Menschen zu erwecken. Hier ist es, wo sie zuerst die Kinder den Namen Gottes mit Ehrfurcht, mit Dank und Liebe sprechen lehrt. Wie kann man auch besser und mit sichererem Erfolge ein Kind anleiten zu der Vorstellung eines über der Natur und dem Leben der Menschen unsichtbar waltenden Wesens und zum Glauben, zur Dankbarkeit und Liebe gegen dasselbe, als dadurch, daß wir ihm die sichtbaren Werke desselben zeigen? [84] Erst wenn das Kind in Blume und Baum, im Lichtglanze der Sonne und im fruchtbaren Regen, im heitern Leben der Thiere in der Luft, im Wasser und auf der Erde die Gaben eines gütigen Gottes kennen gelernt hat, lernt es auch das eigne Leben, den Besitz liebender Aeltern, die Freude im Umgange mit dem Altersgenossen als Wohlthaten erkennen, für welche es Gott zu lieben und ihm durch gut und fleißig sein zu danken schuldig ist. - Daß im Kindergarten Religionsunterricht im Sinne der Schule nicht ertheilt wird, nicht werden kann, glaube ich Ihnen nicht näher ausführen zu dürfen. Er ist nicht Aufgabe des Kindergartens. Er erweckt in den Seelen der Kinder die ersten Regungen religiösen Glaubens, er macht sie mit Gott auf eine ihrem Alter angemessene Weise bekannt und lehrt sie mit Ehrfurcht zu ihm aufblicken und mit dem Herzen ihm nahen. – Kümmern Sie sich, verehrte Frau, nicht darum, wenn Finsterlinge schreien, daß Fröbel’s System der Kindererziehung eine dem Christenthum entschieden abgewandte Theorie zu Grunde zu legen beabsichtige. Wenn Sie nicht schon aus dem zuvor Gesagten es als wahr erkannt haben, so glauben Sie mir es auf’s Wort, Fröbel steht mit seiner Lehre mitten im Christenthume auf festem evangelischen Grunde. Und nun kein Wort über die giftigen Verleumdungen seiner Widersacher.

Und nun noch Einiges über den Einfluß des Kindergartens auf Entwicklung der Geisteskräfte im engeren Sinne. Ich sage Einiges, denn ein Rückblick auf das bereits Gegebene hat mich belehrt, daß ich Vieles unausgeführt, mehr noch ungesagt gelassen habe,was doch wirklich und recht eigentlich zur Sache gehörte. Aber Sie sind selbst Schuld an denn Stückwerk; wollen Sie später, angeregt durch das Gelesene, noch Weiteres erfahren, nun dann fragen Sie getrost, es wird mir immer eine große Freude sein, Ihnen zu antworten. – Die hervorstechendste Eigenthümlichkeit der Fröbel’schen Erziehungslehre für das erste Kindesalter ist, wie Ihnen nun schon bekannt, die, daß Fröbel das Spiel, als das nächste und natürlichste Mittel zur Erziehung des kleinen Kindes benutzt hat. Auch zur ersten Anregung, Betätigung und Uebung der Geisteskräfte kommen im Kindergarten Spiele in Anwendung, Spiele und Spielgegenstände aber, welche nicht an und für sich Etwas sind oder darstellen (wie etwa Puppen, Hausgeräthschaften, Soldaten u. a.), und so allein die Sinne beschäftigen, sondern solche, durch welche das Kind sich selbst Etwas zu schaffen in den Stand gesetzt wird, durch welche also sein schöpferischer Trieb geweckt, seine Phantasie belebt, sein Nachdenken, Unterscheiden etc. hervorgerufen wird. So will es auch die Natur des Kindes. Eine Anzahl Spiele, deren jedes wieder eine unendliche Mannigfaltigkeit der Formen und Verhältnisse darbietet, bildet den Mittelpunkt der erziehenden Thätigkeit des Kindergartens. Diese Spiele gewähren nicht blos den Vortheil formeller Uebung der Geisteskräfte, sie führen zugleich auch dem Geiste den ersten Inhalt an Begriffen und Kenntnissen zu. Die Spiele folgen aufeinander nach dem Grundsatze des Fortschreitens vom Leichteren zu dem Schwereren, und nicht früher wird das Kind mit einem netten Spiele beschäftigt, bis Alles, was das zuletzt dargebotene Lehrreiches enthält, ihm genau bekannt ist. Ich will beispielsweise hier nur Einiges anführen. So lernen die Kleinen bei ihren heiteren Ballspielen in Stube und Garten die verschiedenen Arten der Bewegung kennen und bezeichnen, ferner die sieben Grundfarben (mit denen Fröbel die sieben Bälle eines ganzen Spiels bezeichnet hat), die Bedeutung und die Eigenschaften des Balls oder der Kugel im Gegensatz zu andern Körperformen. Die Bauspiele (die Bausteine bestehen hier nur aus geometrischen Körpern), bieten dem Kinde durch ihre Mannigfaltigkeit eine neue unerschöpfliche Quelle geistig anregender Unterhaltung. Sie beschäftigen den Formensinn und die durch Umbildung selbstschaffende Phantasie. Sie sind ferner die leichteste und doch beste Vorbereitung auf den späteren Unterricht in Mathematik und Geometrie; sie lehren ihm Eigenschaften der Körper, das Verhältniß eines Ganzen zu seinen Theilen, die Gesetze der Theilung, Zusammenfügung, Verwandlung, und dienen endlich auch zur Nachahmung von Kunst- und Industriegegenständen und kommen so dem schlummernden Kunst- und Bautalent zu Hülfe. Auch werden die Bauspiele dazu benutzt, die Kinder mit den Zahlen und den Elementen des Rechnens bekannt zu machen, und wie viel leichter lernen die Kleinen hier gerade die Dinge, welche ihnen in der Schule so schwer eingehen. An die Bauspiele reihen sich sogenannte Legespiele an, die mit flachen Dreiecken ausgeführt werden und dem Kinde eine reiche Anzahl Schönheits- und Lebensformen lehren. Gleichen Zweck verfolgt das Verbinden dünner Stäbchen, das Figurbrechen und Ausschneiden von Papierfiguren, Alles nach leicht faßlichen und aus der Sache selbst ergebenden Regeln in ununterbrochener Steigerung vom Einfachen zu dem Zusammengesetzten, vom Leichten zu dem Schwereren doch auch Schöneren, jedes in eigenthümlicher Weise lehrreich. Was aber von diesen Spielen gilt, das gilt in höherem Grade noch von den technischen Beschäftigungen, welche Fröbel für den Kindergarten eingeführt hat; das Flechten mit bunten Papierstreifchen oder Stroh, das Ausstechen von Arabesken in Papier und namentlich das von Fröbel in großer Vollkommenheit ausgebildete Netzzeichnen. Außer dem, daß diese Beschäftigungen Hand und Auge bilden, erwecken sie vorzüglich auch den Sinn für das Schöne und haben dazu noch den nicht genug zu schätzenden Vortheil, daß sie das Kind mit einer nützlichen und verwendbaren Arbeit bekannt machen, Arbeitssinn und Freude an der Arbeit hervorrufen. Daß außer den hier genannten Spielen und Beschäftigungen auch die oben schon genannten Erziehungsmittel (die gymnastischen Spiele, das Erzählen, der Gesang, Naturlehre etc.), ihren eigenthümlichen Einfluß auf Erweckung des Geisteslebens haben, ist von mir wohl schon angedeutet worden? -

Wenn ich hier meinen Bericht schließe, so wissen Sie nun schon, v. Fr., daß dies nicht deshalb geschieht, weil ich Ihnen nichts mehr zu sagen wüßte. Aber ich denke für den nächsten Zweck wird, was ich Ihnen gegeben habe, ausreichen. Sie sind mit dem geistigen Leben und Wirken eines Mannes bekannt worden, der einer der liebenswürdigsten und edelsten Charaktere, einer der kräftigsten und strebsamsten Geister war, welche unsere Nation, welche die Menschheit gesehen hat. Sie haben einen Blick gethan in das gottgesegnete Haus, welches dieser Edle für den [85] erhabenen Zweck der Menschenerziehung bei seinem Leben aufgerichtet hat. „Kommt, laßt uns unsern Kindern leben!“ steht mit goldener Schrift über der Eingangspforte. Kommt, laßt uns unsern Kindern leben! Hören Sie die Worte? Hören Sie die freundlich ernste Mahnung? – Der theilnehmendste Freund, der treueste Vormund der Kinderwelt ruft sie auch Ihnen zu. Folgen Sie der Stimme, führen Sie Ihre lieben Kinder ein in das ihrer Unschuld, ihrer Freude und ihrer Bildung geweihte Haus und der Geist Fröbel’s wird sie segnen und gut und glücklich machen.