Franz van Mieris (Gemälde der Dresdener Gallerie)
An einem Februarabende des Jahres 1659 kehrten die Andächtigen der guten alten Stadt Leyden aus der in der prächtigen Peterskirche gehaltenen Fastenpredigt nach ihren Wohnungen zurück. Die breite Straße Leidens, eine Straße, wie sie die Metropolen Europas nicht schöner [25] und großartiger aufzuweisen haben, war von dem bunten Gefühle der Heimwandelnden erfüllt. Die meisten der mit silber- und goldverzierten Andachtsbüchern versehenen Männer, Frauen und Mädchen gingen, die Worte des Priesters noch im Gedächtnisse habend, still und nachdenklich und unterhielten sich nur mit halblauter Stimme. Aber bald kam mehr Bewegung in diese scheinbar unempfindlichen, phlegmatischen Massen.
Gruppen von lebensfrohen Studenten mischten sich heiter lachend unter die Bürger mit ihren Familien; von anderer Seite kamen die treuen Genossen der Studenten bei jeder öffentlichen Lustbarkeit, die Malerschüler, sammt den jungen, zu Lust und Scherz noch aufgelegten Meistern – und es begannen harmlose Neckereien: die Jünglinge redeten die ernsten Alten an, erboten sich, die ehrsamen, dicken Bürgerfrauen zu geleiten, oder suchten sich zu Paladinen der jungen, sittsam dahin wandelnden Mädchen aufzuwerfen.
In diesem Menschengewirre wanderte auch ein etwa sechsundzwanzigjähriger Mann, dessen sorgloser Blick sich beobachtend nach allen Richtungen wandte. Er war eben so schlank als zierlich gewachsen und sein Anzug war, wie man in dem Lichte der allenthalben strahlenden, großen Staatslaternen und Wachsfackeln sehen konnte, geschmackvoll und reich zu gleicher Zeit. Sein schwarzsammtnes, mit Silberschnuren geziertes Barett ließ ihn als einen Maler erkennen. Seine reichen, stark gelockten Haare umgaben ein etwas blasses, aber feines, geistreiches Gesicht. Den kurzen Mantel hatte der Maler von beiden Armen zurückgeworfen und die an den Gelenken mit reichen Manschetten gezierten Hände nachlässig in die Taschen der weiten Pluderhosen gesteckt.
Die alten Männer und Frauen schüttelten die Köpfe, als dieser junge Mann stolz durch die Menge dahinschritt. Die schönen Mädchen aber stießen sich verstohlen an und flüsterten, nicht ohne einen wohlgefälligen Blick auf denselben zu werfen:
– Das ist der leichtsinnige Maler; das ist Franz van Mieris!
Franz van Mieris, sicherlich einer der ausgezeichnetsten Künstler der niederländischen Schule, der sich mit seinen Werken dreist neben seinen Meister Gerard Dow und neben Terbourg stellen konnte, war’s wirklich. Der Künstler, seiner ungebundenen, genialen Laune folgend, war auf der Jagd, um irgend ein pikantes Abenteuer zu suchen.
Zwei junge Männer seines Alters erreichten ihn und hielten ihn an.
– Wohin, Franz? rief der eine, eine derbe, kräftige Gestalt, der Busenfreund Franz van Mieris’, der Maler Johann Veen.
– Geh mit uns zum italienischen Kaffeehause! sprach der andre, Gottfried Schalken von Dortrecht, welcher unter Dow mit Mieris seine Studien gemacht hatte, ein bärtiger, schöner junger Mann, dessen Mienen ebenso düster waren, wie seine herrlichen nächtlichen Bilder mit der unvergleichlichen Beleuchtung.
– Ich danke für Eure Einladung! erwiderte Mieris ziemlich zerstreut; ich habe heute Abend etwas Interessanteres, als den Kaffee und den Rothwein Signor Bertini’s zu suchen. Bleibt nicht stehen; nehmt Abschied für heute, oder geht mit mir . . .
– Sicherlich wieder eine Deiner Liebesgeschichten; murmelte Johann Veen, sehr mißmuthig bei dem Gedanken, daß der heitere Kumpan in der fröhlichen Zechgesellschaft an diesem Abende fehlen sollte. Ich frage Dich, Mieris, wozu dieses ewige Umherrennen? Bedarf man etwa mehr als ausgezeichneten Wein, um sich wirklich wie ein Heiliger in der Verklärung zu befinden? – In [26] Bacchi aedem feramus pedem . . . Komm, Mieris! überlaß es heute Deiner Geliebten, den Weg nach Hause allein zu finden.
– Ihr irrt, sagte Mieris; es ist nicht daran zu denken, daß Diejenige, welche ich suche, meine Geliebte ist . . .
– Gut, sie soll’s also werden! bemerkte Schalken.
– Wie man’s nimmt! Kennt ihr den reichen Mynheer van der Werff? Er hat seine Fabriken am alten Rhein. Wohlan, dieser ehrliche Bursch besitzt nicht allein eine der schönsten Kunstsammlungen, sondern auch in seiner Tochter Julia eines der schönsten Mädchen der siebzehn Provinzen. Das würde mich an sich wenig interessiren, aber diese Julie, dies achtzehnjährige, reizende, lebenswarme Geschöpf, welchem, jung, schön und reich, wie sie ist, der ganze Himmel der Erde zu Gebote steht, hat den Einfall, eine Heilige werden zu wollen, und wirklich wird sie in den nächsten vierzehn Tagen schon Profeß thun und sich in einem Kloster in Brüssel lebendig begraben lassen. Ist das nicht originell genug, nicht zu herausfordernd, um zu versuchen, dieser Kleinen einen Begriff vom Leben beizubringen und ihr zu dem Zwecke die Empfindungen der Liebe einzuflößen, um sie aus den Klauen der Klosterfrauen und der Pater zu erretten?
– Nein, flüsterte Veen, der, ungeachtet er den ungebundensten Lebenswandel führte, dennoch nicht wenig bigott war, nein, Franz, ich glaube: das ist Sünde.
Schalken lächelte ironisch; Franz van Mieris lachte hell auf.
– Nie noch hatte ich bei meinen Abenteuern eine moralischere Absicht! sprach Mieris. Ist’s denn eine Kleinigkeit, wenn ein solches Menschenleben buchstäblich verloren geht? Ich habe so viele Schulden, daß ich mein Atelier, um nur einige Stunden ungestört arbeiten zu können, wie eine Festung verrammeln muß; ich muß mich in meinen Mauern eben so tapfer halten, wie die Bewohner dieses alten Lugdunum gegen die Spanier, seligen Andenkens, ohne Hoffnung zu haben, daß mir ein neuer Wilhelm von Oranien einen Entsatz in der Gestalt gespickter Geldsäcke zuführt. Dennoch lebe das Leben! Ich werde Julia van der Werff retten und zum Danke hoffe ich ihre schöne Hand mit einigen zwanzigtausend Goldgülden zu erhalten. Ein Dienst ist des andern werth . . . Platz, Schalken; tritt zur Seite, Veen; da kommt Mynheer mit der zukünftigen Nonne . . . Mein Abenteuer hat begonnen . . .
Die beiden Freunde gingen ziemlich unzufrieden fort, indeß Mieris schnell einer Gruppe von drei Personen folgte.
Diese waren Mynheer Cornelius van der Werff, ein reicher Kaufherr, welcher im Besitz der ausgezeichnetsten Tuchfabriken Leydens war. Van der Werff stammte aus einem alten, edlen Geschlechte, und jener Bürgermeister Werff, welcher 1576 Leyden so heldenmüthig vertheidigte und den Bürgern, die ihn, wüthend vor Hunger und Entbehrung, um Lebensmittel bestürmten, zurief: Hier bin ich, theilt meinen Leichnam unter Euch, aber sprecht nicht von Uebergabe an die Spanier! dieser Held war ein Vorfahr des würdigen Mynheer Cornelius. Er besaß, wie Mieris andeutete, wirklich kostbare Gemäldesammlungen, Münzen, Medaillen und Sculpturwerke, war ein guter Kunstkenner und hatte sich längere Zeit in Italien aufgehalten, um die Werke der Kunst zu studiren. Von dieser Zeit schrieb sich auch sein sehr eifriger Katholicismus her, der in noch höherem Grade auf seine Tochter Julia übergegangen war. Uebrigens war Cornelius [27] van der Werff ein höchst biederer, obwohl etwas eigenthümlicher und melancholischer Mann.
An der linken Seite des stattlichen Mannes ging dessen Schwester, welche ihm, dem Wittwer, die Hausführung besorgte: eine alte hagere Jungfer, die in jeder Bewegung wie in jeder Falte ihres Gesichts eine große Frömmigkeit zur Schau trug.
An der andern Seite befand sich Julia. Sie war eine hohe, stolze, ernste Erscheinung und so untadelhaft gebaut, daß Franz van Mieris, welcher sie fest ins Auge faßte, unwillkürlich einen leisen Ausruf der Bewunderung ausstieß und, wie von innerer Gewalt getrieben, eilte, um ihr näher zu kommen. Julia’s Gang war fest und würdig, ihr schönes, etwas blasses Antlitz war von mildem Ausdruck, zeigte aber eine unbeugsame Entschlossenheit. Es mußte nicht so leicht sein, als der schöne Maler glaubte, dies Mädchen in ihren Vorsätzen wankend zu machen.
Vergebens versuchte Mieris, als er ihr sich genähert hatte, unter den gewöhnlichen, galanten Anreden mit ihr ein Gespräch anzuknüpfen. Er hatte ein ausgezeichnetes Bouquet künstlicher Blumen und einen seiner parfümirten Handschuhe, die so klein waren, daß sich ihrer die schönste Dame nicht zu schämen gehabt hätte, zur Hand genommen und bot ihr jetzt beides mit der ernstesten, unbefangensten Miene von der Welt an, als ob sie solches verloren habe.
– Ich danke Euch, Mynheer, war Julia’s einfache, offene Antwort; ich trage weder Schmuck, noch Blumen, noch Handschuhe; ich habe dies nicht verloren.
Franz van Mieris verbeugte sich schweigend und trat zurück. Aber tief war er im Herzen getroffen. Dieser Ton der Stimme, dieser Blick hatte ihn elektrisirt und sein Gemüth in die gründlichste Aufregung gebracht. Wie schön war sie! Und der Ton, mit welchem sie sprach, war ein halb trauriger, als sie ihr schönes Auge nachdenklich auf ihm ruhen ließ. Welche Fluth romantischer Gedanken sprang in seinem Innern mit einem Schlage hervor! Er sah Julia als eine Dulderin, als ein Opfer der finstern Religiosität des alten Cornelius van der Werff und seiner hagern Schwester, und war’s vorhin nur ein genialer Einfall von ihm gewesen, einer künftigen Novize Liebe einzuflößen: so hatte er jetzt den ritterlichsten Vorsatz von der Welt, das schöne Mädchen ihren Peinigern zu entreißen.
Franz wollte mit Julia reden, und o, er fühlte dies bereits, mit welcher Beredtsamkeit, mit welcher hinreißenden Gluth würden seine Worte strömen. Sie konnte ihm nicht widerstehen – noch war er gegen Mädchen immer Sieger geblieben – sie mußte ihn hören und erhören.
Berauscht, fast bezaubert von dieser Gedankenreihe, gewann der Leichtsinnige seine ganze Verwegenheit. Er überlegte seinen Plan einige Augenblicke, dann entschied er sich für den kürzesten als den besten Weg. Er folgte der Familie van der Werffs bis an das prächtige Wohnhaus des Kaufmannes; statt aber hier wieder umzukehren, schlüpfte er, als die Menschen das Gebäude betraten, ebenfalls hinein. Franz hatte nichts Geringeres im Sinne, als ohne Weiteres Julia van der Werff persönlich zu bestürmen, um ihren Entschluß wankend, sich selbst die Schöne aber geneigt zu machen.
Das Haus wurde geschlossen und der Abenteurer befand sich mit einer Art ängstlichen Gefühls auf den langen Corridors in vollkommener Finsterniß allein. Einige Dienerinnen gingen hin und wieder; der Maler ward genöthigt, da die Mägde Licht trugen, sich zu verstecken. Dennoch [28] ward seine erwachte Leidenschaft durch diesen etwas verdächtigen Anfang nicht erschüttert oder abgekühlt, sie steigerte sich gegentheils noch mehr.
Endlich ward’s still im Hause. Er hörte es von den Thürmen die eilfte Stunde schlagen . . . Mieris fing jetzt an, Recognoscirungen zu machen, um die Gemächer Julia’s aufzufinden.
Plötzlich stand er aufhorchend still. Die melodiösen, sanften Töne eines Clavecins erklangen von dem einen Flügel des Hauses her in ernsten, religiösen Weisen. Das mußte Julia van der Werff sein, welche klagend ihre Empfindungen ausströmen ließ. Franz van Mieris lauschte vor der Thür – dann griff er entschlossen an das Thürschloß, öffnete und trat ziemlich großartig in das Gemach.
Er prallte zurück: der alte Cornelius selbst spielte eigenhändig, phlegmatisch zurück gelehnt. Die Augen ließ er sehr ruhig in dem weiten Gemache hin und her gleiten, in welchem seine Gemälde und Kunstschätze aufgestellt waren. Mit großem Erstaunen sah van der Werff den verblüfften Maler an der Thür stehen und erhob sich, um ziemlich verwirrt den unerwarteten Gast zu empfangen.
Mieris faßte sich. Er sagte dem Alten, daß er, von einer plötzlichen Idee ergriffen, die Statue eines Gladiators mit dem Diskus, von dem Italiener Lorenzo Ghisberto gegossen, zu copiren beabsichtige, und wußte geschickt den Grund anzugeben, warum er nicht früher sich gemeldet, sondern im Hause umhergetappt habe.
Cornelius van der Werff war, da er an seiner schwachen Seite gefaßt war, sogleich besänftigt und wurde freundlicher. Ungeachtet der späten Stunde entwickelte sich ein Gespräch über Kunst, das sich bedeutend in die Länge zog und damit endigte, daß der reiche van der Werff dem jungen Maler mehre Aufträge zu Gemälden gab.
Mieris erklärte sich zu Allem bereit. Das Bild aber, welches Werff begehrte, sollte das Thor des alten Leydener Rathhauses darstellen, wie der alte Bürgermeister van der Werff sich erschöpft niederwirft, seinen einen entblößten Fuß zeigt und spricht: – Von meinem Stiefel habe ich heute Mittag Suppe gekocht; jetzt habe ich nichts mehr als meinen Leichnam; schlachtet und verzehrt mich; aber nur laßt mir keinen Spanier in das ehrwürdige Leyden!
Van der Werff war so gütig, Franz van Mieris die Broncestatue des Gladiators auf der Stelle mitzugeben.
Hiermit entfernte sich der Maler, durchaus nicht erbaut von seinem Abenteuer. Johann Veen, der ihn, von dem Weinhause kommend, aufgriff, lachte unmäßig, indeß Mieris sich nach seinem Atelier begab.
Bald ward Mieris im Hause van der Werffs ein täglicher Gast. Er kam mit Julia zusammen, überzeugte sich aber bald, daß auch er, gleich dem ehrwürdigen Handelsherrn, nicht im Stande war, die Richtung dieses ascetischen, ernsten Gemüthes zu verändern. Franz van Mieris gab seufzend seinen Traum von Liebe auf, schloß sich aber dafür innig an den höchst gebildeten Alten, welcher ihm väterlich zugethan ward.
Van der Werff empfing das bestellte Gemälde mit Entzücken. An dem Morgen, als van der Werff das fertige Bild im Atelier des Malers sah, schenkte er demselben außer der Bezahlung die Gladiator-Statue. In eben dem Augenblicke, als van der Werff in dem gewölbten Zimmer Mieris’ war, bestürmten diesen zwei seiner erbittertsten Gläubiger.
[29] – Schert Euch fort! rief der Holländer erbittert. Ich werde Euch bezahlen. Mieris, Ihr malt mir noch ein Bild . . .
– Aber welches? Was verlangt Ihr, edler Herr? fragte Franz gerührt.
– Malt uns Beide und dies Euer Atelier mit Allem, was darin ist, und selbst mit diesem Bilde auf der Staffelei. Ich gebe Euch vergängliches Metall, werde aber in Eurem Gemälde einen Schatz erhalten, den man so lange bewundern wird, als der Name Franz Mieris in der Kunstwelt nicht vergessen ist. Und das wird nimmer geschehen!
Sechs Wochen darauf war das vorliegende ausgezeichnete Bild des Malers und Cornelius’ van der Werff vollendet.