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Franz Liszt (Die Gartenlaube 1886/33)

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Textdaten
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Autor: La Mara
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Titel: Franz Liszt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 584–586
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Franz Liszt.

Von La Mara.


Seit mehr denn sechs Jahrzehnten erfüllt Franz Liszt’s Ruhm die musikalische Welt. Die Triumphe ohne Gleichen, die der Knabe, der Jüngling und Mann als Virtuos feierte, fanden ein Echo in den geräuschvollen Siegen, welche der Greis zuletzt als Komponist erlebte. Unermüdlich war sein Wirken und Schaffen. Vor wenigen Monaten noch erntete er in Brüssel, Paris, London zu dem alten Lorbeer frische Ruhmeskränze, und noch wenige Tage vor seinem Tode ließ er sich in das Wagner-Theater in Baireuth zu der ersten „Tristan“-Aufführung hinauftragen, um durch seine Gegenwart für den Künstler zu zeugen, dessen treuester Freund und Gesinnungsgenosse er von je gewesen war. Und in Baireuth starb er am 31. Juli wie ein Feldherr auf dem Schlachtfelde.[1]

Die wahre Kunst kennt keine Landesgrenzen, und ihre Meister wie Franz Liszt führen die höchste Würde des Weltbürgerthums. Kein Wunder also, daß an Liszt’s Grabe Vertreter fast aller civilisirten Völker Trauerkränze niederlegten. Aber noch aus einem andern Grunde müssen sich in den Schmerz um seinen Verlust die Völker theilen: wie kein anderer Musiker der Gegenwart war Liszt Kosmopolit. Magyarisches und deutsches Blut vererbten ihm die Eltern, und in Frankreich holte er sich ein gut Theil seiner umfassenden Bildung, die er in Italien erweiterte und vollendete. Als Abkömmling eines alten ungarischen Adelsgeschlechts, wurde Franz Liszt am 22. Oktober 1811 in dem Dorfe Raiding bei Oedenburg in Ungarn geboren, Ohne Vermögen, auf frühzeitige Selbständigkeit angewiesen, hatte sein Vater Adam Liszt als Rechnungsbeamter des Fürsten Esterhazy daselbst mit Anna Lager aus Krems in Niederösterreich seinen bescheidenen Hausstand begründet. Seine beste Lebensfreude aber bildete die Beschäftigung mit Musik und der Verkehr mit der von Haydn und Hummel geleiteten Kapelle seines Fürsten in dem benachbarten Eisenstadt, bei der seine auf mehreren Instrumenten erworbene Fertigkeit häufig Verwendung fand.

Die Hausmusik des Vaters, die sonntägigen Meßgesänge in der Kirche, die wild-phantastischen Weisen der oft im Dorfe rastenden Zigeuner warfen die ersten musikalischen Eindrücke in die Seele des kleinen Franz. „So Einer will ich auch werden!“ rief er, auf das Bild Beethoven’s deutend, aus, das neben andern Musikerbildern das Wohnzimmer schmückte. Nachdem aber der Vater auf inständiges Bitten des Sechsjährigen den Klavierunterricht mit ihm begonnen hatte, spielte er mit solcher Leidenschaft, suchte – eher Noten als Buchstaben schreibend – mit so fieberhaftem Eifer nach eigenen Klängen, daß eine monatelange Krankheit in Folge der Ueberanstreygung sein Leben in Gefahr brachte. Aber der Knabe erholte sich rasch und erblühte in neuer Kraft. Neun Jahre alt, erntete er in Oedenburg und Preßburg öffentlich den ersten Lorbeer, und einige ungarische Magnaten erboten sich sofort, durch eim Stipendium von 6OO Gulden sechs Jahre hindurch die Kosten seiner Ausbildung zu tragen.

Er betrieb dieselbe zunächst in Wien unter Czerny’s und Salieri’s Führung und erwarb sich dank dem glänzenden Erfolg zweier daselbst veranstalteter Koncerte die Mittel, seine Studien in Paris fortzusetzen. Dem letzten Wiener Koncerte wohnte auch Beethoven bei, welcher dabei den genialen, ihm in glühender Verehrung anhangenden Knaben durch einen Kuß hoch beglückte. Zwar verschloß das berühmte Pariser Konservatorium vor Liszt, dem Ausländer, hartnäckig seine Thore; doch mit Hilfe seiner Kompositionslehrer Paer und Reicha machte er dessen ungeachtet seinen Weg. Im Umsehen war „le petit Litz“, wie man ihn nannte, der Protégé der Herzogin von Berry und des Herzogs von Orleans – des nachmaligen Königs Louis Philippe – der Liebling der Aristokratie, der Künstler und Gelehrten, der Held des Tages in Paris. Als „dem ersten Klavierspieler Europas“ huldigten die Blätter nach seinem ersten öffentlichen Auftreten (März 1824) dem „unvergleichlichen Kind“, und als dieses im Oktober 1825 mit einer Oper „Don Sancho, oder das Liebesschloß“ in der Académie royale als Komponist debütirte, trug Nourrit, der Sänger der Hauptrolle, den Vierzehnjährigen auf seinen Armen dem jauchzenden Publikum entgegen.

Die in Wien und Paris, wie auf dem Wege dahin in Stuttgart und München gefeierten Triumphe setzten sich in England, in den französischen Provinzen und der Schweiz fort. Da steckte der plötzliche Tod Adam Liszt’s (1827) den Reisen seines Sohnes fürs Erste ein Ziel. Mit seiner Mutter gemeinsam ließ Franz sich in Paris nieder, um durch Klavierunterricht ihre und seine Existenz zu sichern. Jahre tiefster Zurückgezogenheit und innerer Kämpfe folgten. Einem ersten beseligenden Liebestraum mußte er entsagen; der Wunsch, sich ganz der Kirche zu weihen, bei der sein religiöses Gemüth einzig Trost fand, scheiterte an dem Widerstand der Mutter. Erst die Julirevolution erweckte ihn zu neuer Thatkraft, und die mit ihr auf künstlerischem Gebiet zum Durchbruch kommende romantische Bewegung sah ihn neben Berlioz, Chopin, Victor Hugo, Alfred de Musset, George Sand, Delacroix u. A. in ihrer Mitte. Einen entscheidenden Impuls empfing er weiterhin durch Paganini’s Erscheinen in Paris. Am Genie des Italieners reifte das seine. Dessen Meisterschaft in seiner Weise zu erreichen, ja zu überbieten, dahin ging sein Trachten, und so in stiller unermüdlicher Arbeit gewann er die Höhe seines unerreichten pianistischen Meisterthums.

Ein Neuer für die Pariser, betrat Liszt 1834 wieder den Koncertsaal, der zwei Jahre später der Schauplatz seines Sieges im Wettkampf mit Thalberg war. Durch seine Verbindung mit der unter dem Schriftstellernamen Daniel Stern bekannten Gräfin d’Agoult – der Mutter von Richard Wagner’s Wittwe Cosima – veranlaßt, lebte er sodann mehrere Jahre zurückgezogen in Genf und Italien, bis er 1839 jene Virtuosenreisen begann, die ihn in einem Triumphzug ohne Beispiel durch alle Lande und alle musikpflegenden Städte Europas führten. Nie dagewesene Huldigungen wurden ihm zu Theil; wohin er kam, empfing ihn ein Begeisterungsrausch, ein Regen von Gold, von Titeln und Orden. Da schloß er plötzlich seine Siegeslaufbahn als Virtuos – der verwöhnte Liebling Europas nahm, einem Ruf des Großherzogs von Weimar folgend, 1847 als dessen Hofkapellmeister in der kleinen Residenz seinen Wohnsitz. Vereint mit der Herrin der „Altenburg“, der russischen Fürstin Karoline Sayn-Wittgenstein, einer Frau von hervorragenden geistigen Fähigkeiten, versammelte er einen Musenhof um sich und entfaltete als Dirigent, als Lehrer, als Schriftsteller und Komponist eine Wirksamkeit, die für das Musikleben der Gegenwart von weittragender Bedeutung wurde. So ist beispielsweise die Verbreitung der Werke Wagner’s, die Begründung einer neuen Klaviertechnik und einer neuen großen Pianistenschule, die Einführung neuer symphonischer und kirchlicher Formen sein Verdienst.

Leider war seines Bleibens in Weimar nicht allzulange. Der von einer Liszt feindlichen Partei in Scene gesetzte Durchfall der Oper „Der Barbier von Bagdad“ von seinem Schüler Cornelius gab Liszt im December 1859 den Anlaß, die Operndirektion niederzulegen. Im September 1861 kehrte er Weimar den Rücken und ging nach Rom. Den Wunsch, den er als Jüngling um seiner Eltern willen aufgegeben, brachte er dort zur Erfüllung: am 22. April 1865 empfing er vom Kardinal Hohenlohe in der vatikanischen Kapelle die Weihen. Er ward Abbate und später noch Kanonikus.

Gleich den weltlichen Fürsten beschenkte ihn auch der Papst Pius IX. mit seiner Gunst. Ja er erwies ihm sogar die „unvergleichliche Ehre“, ihn in seiner Wohnung auf dem Monte Mario zu besuchen und daselbst seinem Spiele zu lauschen, worauf er ihn, wie Liszt selbst erzählt, „ermahnte, dem Himmlischen im Irdischen nachzustreben und sich durch seine vorüberhallenden Harmonien auf die ewig bleibenden vorzubereiten.“

Seit 1869 kehrte Liszt wieder mit jedem Frühjahr für mehrere Monate in Weimar und zwar in der „Hofgärtnerei“ daselbst ein, von Scharen Kunstbeflissener, die von ihm zu lernen begehrten, von Freunden und Verehrern umdrängt, die sein Genie nicht minder als der Zauber seiner Persönlichkeit an ihn kettete, wie denn die Freundschaft der Männer und die Liebe der Frauen seinem Leben nie fehlten.

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Franz Liszt.

[586] Um künstlerischer Zwecke willen nebenher noch vielfach reisend, theilte er jahraus jahrein seinen Aufenthalt zwischen Weimar, Rom und Pest, wo er seit 1876 das Amt eines Präsidenten der Musikakademie bekleidete. Allüberall wirkte er zu Nutz und Frommen der Kunst und Künstler. Neid, Mißgunst, Selbstsucht, die Schwächen und Gebrechen kleiner Geister, kannte der großmüthige Menschenfreund nicht, der von den Millionen, die ihm sein Virtuosenthum eintrug, für sich selbst nur ein bescheidenes Kapital zurücklegte, aber für künstlerische oder mildthätige Zwecke königliche Summen spendete. Seit seiner Niederlassung in Weimar kam jede öffentliche Ausübung seiner Kunst ausschließlich Anderen zu Gute. Mit seinem Unterricht, dem er auch in der allerletzten Zeit mehrere Tage der Woche widmete, machte er seinen zahlreichen Schülern ausnahmslos ein Geschenk. So oft er spielte und dirigirte – es brachte nur Anderen Gewinn. Der Wahlspruch seines Alters wie seiner Jugend blieb eben sein schönes Wort „Génie oblige.“


  1. Eine ausführliche Würdigung der musikalischen Bedeutung Franz Liszt’s ist in dem Artikel „Franz Liszt. Ein musikalisches Charakterbild“ Von La Mara im Jahrg. 1880, S. 552 der „Gartenlaube“ enthalten.