Zum Inhalt springen

Französisch-polnische Umtriebe in Preussen 1689

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Hans Prutz
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Französisch-polnische Umtriebe in Preussen 1689
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 1 (1889), S. 429–442.
Herausgeber: Ludwig Quidde
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Freiburg i. Br
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[429]
Französisch-polnische Umtriebe in Preussen 1689.
Von
Hans Prutz.


Seit er durch die Treulosigkeit seiner Verbündeten in die traurige Nothwendigkeit versetzt worden war, im Frieden von S. Germain den gesammten Gewinn von fünf glorreichen Feldzügen den gedemüthigten Schweden zurückzugeben, hatte der grosse Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg in enger Anlehnung an Frankreich Schutz gesucht gegen die Nachstellungen der offenen Widersacher und geheimen Neider seines jungen Staates, obgleich er sich dadurch unverkennbar neuen Gefahren aussetzte.

Besonders eindringlich offenbarten sich diese bei den Verwicklungen, zu denen es bald danach in Folge der Reunionen zwischen Deutschland und Frankreich kam. Brach der drohende Krieg am Rhein damals wirklich aus, so musste der Kurfürst fürchten, zwischen den beiden streitenden Mächten förmlich zermalmt zu werden: stand er dem geschlossenen Bündniss gemäss zu Frankreich, so hatte er den Anfall seiner zahlreichen deutschen Gegner zu gewärtigen; erfüllte er Deutschland seine reichsfürstlichen Pflichten, so drohte ihm am Niederrhein eine französische Invasion, während im Norden und Osten Schweden und Polen gegen ihn gleichsam losgelassen werden konnten. Nicht bloss im Interesse des Reichs, welches einem französischen Angriff damals ziemlich wehrlos gegenüber gestanden hätte, sondern auch um der eigenen Sicherheit willen bemühte sich der Kurfürst desshalb um die Erhaltung des Friedens, selbst um einen [430] hohen Preis. Seiner Vermittelung vornehmlich war der zwanzigjährige Stillstand vom 15. August 1684 zu danken, welcher zwar die Beute der Reunionen sammt Strassburg in den Händen Ludwig’s XIV. liess, andererseits doch aber dem Kaiser die Fortsetzung des sich eben glücklich wendenden Türkenkrieges ermöglichte und die Rückforderung des vorläufig Hingegebenen für künftige, bessere Zeiten offen liess.

Aber in der Natur der Verhältnisse ebenso sehr, wie in der der massgebenden Persönlichkeiten lag es begründet, dass dieser Stillstand ein vorzeitiges Ende nehmen musste. In der Unersättlichkeit seiner Ländergier und seines Machtstrebens benutzte Ludwig XIV. die Ohnmacht Spaniens und die Beschäftigung des Kaisers in Ungarn, um die vereinbarten Bedingungen vielfach ungestraft zu verletzen. In den angeblichen Orléans’schen Erbansprüchen auf die Pfalz gewann er zudem eine bequeme Handhabe, um das Reich dauernd in Athem zu erhalten und jeden Augenblick einen kriegerischen Anfall fürchten zu lassen. Gleichzeitig leitete der König mit der Aufhebung des Edicts von Nantes und der offenen Begünstigung der kirchlichen Reaction in England eine Politik ein, welche auch die Idee der rücksichtslosesten katholischen Propaganda der Erweiterung der französischen Vorherrschaft dienstbar machte und Europa einem neuen Religionskriege entgegendrängte.

Eben diese Wendung aber machte dem grossen Kurfürsten das Verbleiben in der französischen Allianz unmöglich: er suchte sich derselben allmählich zu entwinden und auf der anderen Seite diejenigen Zusicherungen und Bürgschaften auszuwirken, deren er bedurfte, um im entscheidenden Augenblick für den bedrohten evangelischen Glauben und zugleich für Kaiser und Reich eintreten zu können. Bald befand er sich in vertrautem Einverständniss mit Wilhelm III. von Oranien und war mit Rath und That an der Vorbereitung von dessen grossem Unternehmen betheiligt, das in der schwer bedrohten anglicanischen Kirche und den verfassungsmässigen Rechten des englischen Volks und Parlaments die festesten Schutzwehren gegen die drohende französische Gewaltherrschaft aufrecht erhalten sollte.

Es war Friedrich Wilhelm freilich nicht mehr vergönnt, das grosse Ereigniss sich vollenden zu sehen, welches den unheilvollen Gegensatz zwischen England und den vereinigten Niederlanden [431] endlich ausglich und in der engen Vereinigung der beiden Seemächte die feste Grundlage schuf für eine europäische Coalition gegen Frankreich. Wiederholt war Ludwig XIV. von scharfblickenden Agenten, wie namentlich d’Avaux, auf die von dorther drohende Gefahr hingewiesen worden, aber er hatte nicht an sie glauben wollen oder mindestens sie arg unterschätzt, vielmehr sich gerade in dem entscheidenden Moment aus Anlass der Pfälzer Erbschaft und der Kölner Erzbischofswahl durch den Angriff auf Philippsburg in einen Krieg mit Deutschland eingelassen und damit seine Kräfte nach einer Seite hin gebunden, wo unter den nun so völlig veränderten Verhältnissen ein entscheidender Vortheil für ihn nicht zu hoffen stand.

Durch diplomatische Künste der verschiedensten Art suchte der König den schweren Fehler, den er begangen hatte, wieder gut zu machen. Eine hervorragende Rolle spielte dabei das Bemühen, Brandenburg bei der französischen Allianz zu erhalten oder für dieselbe zurück zu gewinnen. So sehr der neue Kurfürst Friedrich III. als Freund des Hauses Habsburg bekannt war, so musste bei der damaligen Lage seines Staates die Aussicht doch viel Verlockendes für ihn haben, sich der schweren Belastung, welche die Theilnahme an dem drohenden europäischen Kriege zur Folge haben musste, nach Möglichkeit zu entziehen. In diesem Sinne trat die französische Diplomatie, die in dem General v. Schöning am kurfürstlichen Hofe selbst einen besoldeten Vertreter ihrer Interessen besass[1] wiederholt mit dem Anerbieten erst völliger, dann wenigstens theilweiser Neutralität an Brandenburg heran, ja suchte dasselbe schliesslich durch die Aussicht auf die Erwerbung Schlesiens zu sich herüber zu ziehen[2]. Diese Anträge, für deren Annahme es im Rathe des Kurfürsten nicht an Fürsprechern fehlte, kamen aber zu spät; nachdem Oraniens Zug nach England, der Kirche und Verfassung hatte retten und die geplante Allianz Englands mit Frankreich hatte hindern sollen, wider Erwarten weit Grösseres erreicht und dem bedeutendsten Gegner Ludwig’s XIV. die englische Krone und eine leitende Stellung in der grossen europäischen Politik verschafft [432] hatte, konnte es für Friedrich III. keinen Augenblick mehr zweifelhaft sein, dass er unter Hintenansetzung aller anderen Rücksichten sich ganz und voll der nun in ihren Grundzügen gegebenen grossen Allianz anschloss und die Kräfte seines Landes und Volkes zur Verfügung derselben stellte, freilich nicht bloss aus kaisertreuer Gesinnung und auch nicht bloss aus Hingebung an die grosse Sache, die es galt, sondern in der seinem unruhigen Grössestreben entsprechenden Absicht, an Land und Leuten oder mindestens an Ansehen und Einfluss dabei Gewinn zu machen[3].


Diese schliessliche Entscheidung Brandenburgs bedeutete einen zweiten schweren Fehler in den Berechnungen Ludwig’s XIV.: es war nicht gelungen, seinen Gegnern die beträchtliche Verstärkung vorzuenthalten, welche die kriegstüchtige Armee des Kurfürsten ihnen zuzuführen verhiess. Hinfort dachten der König und seine Rathgeber namentlich darauf, wie sie diese treffliche, in zahlreichen Feldzügen auf den verschiedensten Schauplätzen bewährte Armee wenigstens von dem Theil des Kriegstheaters fern hielten, wo nach ihrer Meinung die Entscheidung in diesem neuen Waffengange voraussichtlich erfolgen musste, den rheinisch-niederländischen Gebieten. Die eben auftauchende sachsen-lauenburgische Frage war so wenig wie die holstein-gottorp’sche geeignet, eine Verwicklung im Norden Deutschlands zu erzeugen, welche die daran interessirten deutschen Fürsten von der Theilnahme an dem Reichskriege hätte zurückhalten können, weil dem von Frankreich unterstützten Dänemark alsbald das den Seemächten befreundete Schweden entgegengetreten wäre. Bessere Aussichten schien der französischen Diplomatie die polnisch-preussische Frage zu bieten, da sich dieser vielleicht eine Wendung geben liess, welche durch die Bedrohung der preussischen Souveränität den eigentlichen Lebensnerv der europäischen Stellung der Hohenzollern gefährdete.

Mit tiefem Groll gedachte man in Polen der listigen und rücksichtslos eigennützigen Politik des Grossen Kurfürsten und hatte es nicht verschmerzt, dass deren Triumph im Olivaer Frieden [433] Polen endgültig um die Hoheit über das Herzogthum Preussen gebracht hatte. In Preussen selbst waren die Stände voll bitteren Unmuths über den Staatsstreich, dem ihre bequeme Libertät 1662 zum Opfer gefallen war. Nun hatten der Tod des gestrengen Herrn, dessen eiserner Hand man sich wohl oder übel gebeugt, und die so ganz anders gerichtete Art seines Nachfolgers bei manchen gar die Hoffnung auf die Rückkehr zu der alten Ordnung erweckt. Eben das war der Punkt, wo die französische Politik alsbald einsetzte: mit Hilfe der unzufriedenen preussischen Herren und der leicht entzündbaren Polen dachte Frankreich jetzt die Hohenzollern in Preussen zu bedrohen und dadurch an einem ernsten Eingreifen im Westen zu hindern. In denselben Tagen, da es zwischen Frankreich und Brandenburg zum Bruche kam und des letzteren Gesandter, Ezechel von Spanheim, Paris verliess, im Januar 1689, erfuhr man in Warschau bereits, dass man zu Versailles „die Sache von Polen mit dem deutschen Krieg zu flechten, so gut als richtig halte“[4].

Ohne Frage hätte eine solche Action für Friedrich III. höchst gefährlich werden können, hätte sie nur nicht auf ein so zerfahrenes Staatswesen wie Polen gegründet werden müssen, das zu energischer und einheitlicher Action unfähig war. Mit Rücksicht darauf mussten die französischen Diplomaten ihre Hebel von sehr verschiedenen Seiten her einsetzen und nicht bloss nationale Aspirationen und Erwägungen der hohen Politik wirken lassen, sondern auch die kleinen persönlichen Interessen und die Selbstsucht der endlos zerspaltenen Parteien in der polnischen Republik für sich auszunutzen suchen.

Johann Sobieski, der Befreier Wiens, der damals die polnische Krone trug, hatte nächst der Fortsetzung des Türkenkriegs nur den einen Gedanken, seinem Sohne Jakob die Nachfolge zu sichern, Grund genug, um die Mehrheit des polnischen Adels, der das Schreckgespenst einer drohenden Erbmonarchie nicht los werden konnte, in leidenschaftliche Opposition gegen ihn zu treiben. Gesteigert wurde diese noch durch die Ehepläne, welche der König mit seinem Sohn verfolgte, indem er für denselben um die Hand der verwittweten Markgräfin Ludwig [434] von Brandenburg warb, der geborenen Prinzessin Luise Radziwill, die mit dem 1687 verstorbenen talentvollen zweiten Sohne des Grossen Kurfürsten verheirathet gewesen war. Die grossen Güter, namentlich in Lithauen, welche die Markgräfin ihrem Gemahl zubringen musste, versprachen den Bemühungen Jakob Sobieski’s um die polnische Krone besonders förderlich zu werden, was natürlich die polnischen Magnaten vollends gegen dieses Heirathsprojekt einnahm. Der Berliner Hof dagegen hatte sich dem Vorhaben freundlich gezeigt, ohne darum freilich den Werbungen entgegen zu treten, die von anderer Seite um die Hand der reichen Wittwe begannen. Solche gingen namentlich aus von Pfalzgraf Karl von Neuburg, dem Bruder von Kaiser Leopold’s junger dritter Gemahlin, für den natürlich der Wiener Hof mit sehr nachdrücklichen Empfehlungen eintrat. Aber der Pole schien den Nebenbuhler bald völlig ausgestochen zu haben; nach einer persönlichen Begegnung hatten Jakob Sobieski und die Markgräfin die Ringe gewechselt und einen förmlichen Ehepact vereinbart. König Johann war bereits damit beschäftigt, dem Sohne aus Marienburger und Grodnoer Gütern die Mittel zu einem standesgemässen eigenen Haushalt zu schaffen, als eine unerwartete Wendung eintrat und alle seine Hoffnungen zunichte machte. Fast unter den Augen des Kurfürsten Friedrich III. fand zu Berlin in dem Hause des kaiserlichen Gesandten, angeblich freilich ohne dessen Wissen, die Trauung der Markgräfin-Wittwe mit dem ganz unerwartet dort erschienenen Pfalzgrafen statt. Trotz des Ringwechsels, trotz der feierlichen Verpflichtungen, welche die Fürstin ihm gegenüber eingegangen war, trotz der Geldbussen, mit denen in dem getroffenen Abkommen der Rücktritt davon bedroht war, sah sich der polnische Prinz um seine Verlobte betrogen und hatte zu dem Schaden, den dieses Ereigniss seiner Bewerbung um die polnische Krone thun musste, noch den Spott seiner triumphirenden Gegner zu tragen, welche unmittelbar bei seiner Verlobten gegen ihn intriguirt haben sollten. Es hiess, die Markgräfin habe Briefe erhalten, „worinnen der Prinz aufs Aergste denigriret und ihr abgemalet sei“.

Am polnischen Hofe war man ausser sich: in seinem Unmuth beschuldigte man den Kurfürsten von Brandenburg, um die Sache gewusst, wohl gar die Hand dabei im Spiele gehabt [435] zu haben. Unter solchen Umständen konnte König Johann, der das Geschehene als eine schwere persönliche Beleidigung empfand, durch die Aufreizungen Frankreichs und den polnischen Hass gegen den Räuber Preussens leicht zu einem Acte offener Feindseligkeit hingerissen werden, der dem Kurfürsten angesichts des neuen Krieges am Rhein ernste Verlegenheiten bereiten musste. Desshalb wünschte Friedrich III. angelegentlich, den polnischen Hof davon zu überzeugen, dass er an der so absonderlich ins Werk gesetzten pfälzischen Heirath der Markgräfin-Wittwe völlig unbetheiligt und auch seinerseits überlistet sei. Zu diesem Zwecke ordnete er Ende 1688 den Grafen Alexander Dohna und den Hofrath Dr. Scultetus in ausserordentlicher Mission nach Polen ab[5]), obgleich er dort in der Person des Geheimeraths v. Wichert bereits einen wohlangesehenen und bewährten ständigen Gesandten hatte. Jene beiden erhielten den besonderen Auftrag, des Kurfürsten Unschuld an der „Aventure mit der pfälzischen Heirath“ darzuthun[6]. Derselbe habe, so sollten sie ausführen, den Eintritt der Wittwe seines Bruders in das polnische Königshaus „für ein sonderbahres Glück und Ehre geschätzt“ und sei dem Eheproject daher alle Zeit geneigt gewesen, habe „nur dieses dabei desideriret, dass man dasjenige, was die bienséance in dergleichen Fällen zwischen fürstlichen Personen erfordert, beobachten und sich nicht allzu sehr präcipitiren möge“. „Anstatt aber“, so äusserte sich der Kurfürst weiter, „dass man solchem Unsern an sich ganz raisonnabeln Einrath auszuschlagen ganz kein Ursach gehabt hette, Wir, wiewohl nicht ohne alle mortification erfahren müssen, dass bemeldter Prinz mit Verwechselung der Ringe und andern von gedachter Pfalzgräfin genommenen Engagements vorwärts gegangen, als man sich Uns gestellt, worauf dann erfolgt, dass mehrbenannte Pfalzgräfin, gleichwie Sie ins Geheim und ohne Unser Vorwissen in dieses Vinculum soweit eingetreten, also Sie auch dasselbe eodem modo wieder verlassen.“ „Wie aber dem Allen“ – heisst es in der Instruction für die beiden Gesandten dann weiter – „so hatten Wir uns festiglich vorgenommen, diese und andere bei der Sache [436] vorgegangenen Irregularitäten der Vergessenheit zu übergeben, hofften auch, dass Königliche Majestät Dero weltberühmte Generosität und Grossmüthigkeit auch in diesem Fall à la faiblesse du sexe und sonderlich einer jungen Princess, so allem Ansehn nach durch allerhand artificia und amorces zu dieser démarche inducirt worden, etwas nachsehen und Deren gerechtes ressentiment fahren lassen werden.“

So leicht war nun König Johann freilich nicht zu begütigen. Er empfand das Geschehene um so schmerzlicher, als er früher in Wien sowohl wie in München mit Brautwerbungen für seinen Sohn abgewiesen worden war. Zudem wirkte der Vorgang auch auf die inneren Verhältnisse Polens in einer für ihn nachtheiligen Weise ein. Von dem Reichstage, der Anfang 1689 in Warschau zusammentrat, verlangte der König, auf Grund der Abmachungen bei der Verlobung der nunmehrigen Pfalzgräfin mit seinem Sohne, dass die Güter derselben mit Beschlag belegt würden, da sonst am Ende der Pfalzgraf selbst als Bewerber um die polnische Krone auftreten könnte. Eben das aber wünschte die Opposition, weil alsdann die Candidatur des Prinzen Jakob an Aussicht verlor. Der lithauische Kronfeldherr legte gegen die angeregte Beschlagnahme der Radziwill’schen Güter in Lithauen förmlich Protest ein; ja, die Opposition wollte dem Pfalzgrafen ausdrücklich das Indigenatsrecht verleihen, um ihn erst recht zur Bewerbung um die Krone zu befähigen. Die Schmach, welche König Johann in seinem Sohne zugefügt sein sollte, liess die Herren völlig gleichgültig. „Diese lesion“, erklärten sie, „geht die Republik nichts an, weil man auch deren Hilfe zu der Heirath nicht verlangt habe[7].“ Darüber kam es dann auf dem Reichstage zu ungewöhnlich stürmischen Auftritten. Der König beschwerte sich bitter über die unerlaubte „Correspondenz mit fremden Potentaten", die einige Grosse unterhalten sollten. Die in einer königlichen Proposition mituntergelaufene Phrase von der „perennitas domus regiae“ beantwortete der lithauische Schatzmeister mit einer entrüsteten Verwahrung, „weil solches eine successionem im Reiche nach sich zu ziehen scheine“. Der König erklärte darauf, es sei ein förmliches Bündniss gegen ihn geschlossen, das bestimmt sei, mit Ausschluss jedes Piasten einen [437] Fremden auf den Thron zu bringen, und nannte in leidenschaftlicher Erregung den lithauischen Schatzmeister geradezu einen Verräther. In heller Wuth fuhren die lithauischen Magnaten und Landboten auf: echt polnisch waren sie gleich mit der Drohung mit einem Bürgerkriege bei der Hand. Entsprechend erklärte der lithauische Kronfeldherr Fürst Sapieha dem neuen kaiserlichen Gesandten, Baron von Zarowski, die polnische Freiheit „liege in den letzten Zügen“, so dass mutatio status zweifelsohne bald erfolgen werde, und knüpfte daran die Bitte um die finanzielle Beihilfe des kaiserlichen Hofs, „damit er die lithauische Armee an sich halten und mit derselben die bedrohte Freiheit vertheidigen könnte“. Trotz dieser inneren Wirren aber hielt man doch den Augenblick für geeignet, um wegen Preussens Weiterungen zu beginnen, über deren schliessliches Ziel kein Zweifel obwalten konnte.

Während die Republik mit dem Grossen Kurfürsten zuletzt in einem guten Verhältniss gestanden und sogar wegen der Ueberlassung brandenburgischer Truppen zum Krieg gegen die Türken verhandelt hatte, waren durch die an den inzwischen erfolgten Thronwechsel geknüpften Hoffnungen die nationalen Antipathien wieder stark erregt worden. Ob der König diesem Zuge widerstehen würde, war zweifelhaft, da er ja nur durch grosse äussere Erfolge seinem Hause den Thron zu sichern hoffen durfte. Bereits im Mai 1688 hatte v. Wichert dem neuen Kurfürsten den Rath ertheilt, die Huldigung in Preussen möglichst zu beschleunigen, indem er darauf hinwies, wie unmittelbar nach dem Tode Friedrich Wilhelm’s Polen sich auf Anlass Frankreichs mit Schweden in Verbindung gesetzt habe. Bereits hatte der König Beschwerden und Supplicationen unzufriedener preussischer Herren angenommen. Im Herzogthum herrschte eine gewisse Gährung, und Adel und Städte machten kein Hehl daraus, dass sie die Huldigung nicht eher leisten würden, als ihre alten Privilegien und Freiheiten bestätigt wären. In diesem Sinn wurden die Abgeordneten sämmtlicher preussischen Aemter für den nach Königsberg berufenen Landtag instruirt. „Ich fürchte,“ schrieb v. Wichert, „dass hier die malitz was auszurichten trachten will und dass die dem französischen Interesse dienenden Subjecte sich bemühen, Misshelligkeiten zwischen dem Kurfürsten und seinen Unterthanen anzustiften, damit die kurfürstliche Armee zum Theil [438] in Preussen festgehalten werde.“ Man sah es in Berlin nicht ohne Sorge, dass der französische Friedensbruch die für den Herbst 1688 geplante Reise Friedrichs III. zur Huldigung nach Preussen unmöglich machte.

Diese Dinge sollten Graf Dohna und Scultetus in Warschau ebenfalls mit dem gebührenden Ernst zur Sprache bringen und keinen Zweifel darüber lassen, dass Friedrich III. auch nicht das Geringste von der Stellung aufgeben würde, die sein Vater in Preussen gewonnen hatte. Würde man polnischerseits wirklich preussische Gravamina befürwortend zur Sprache bringen, so sollten die beiden Gesandten das einfach zurückweisen und sich streng an die entgegenstehenden Bestimmungen der geschlossenen Vertrage halten. Das musste auf König Johann um so mehr Eindruck machen, als inzwischen nicht bloss die versuchte Verständigung mit Schweden gescheitert war, sondern dieses rundheraus erklärt hatte, jedes Brandenburg zugefügte Unrecht als ihm selbst geschehen betrachten und ahnden zu wollen. Noch im März 1689 benachrichtigte es den Warschauer Hof, es werde einen Angriff Polens auf Preussen oder auf den Kaiser in Schlesien alsbald durch eine Invasion in Livland beantworten.

In Preussen selbst aber wurden gleichzeitig die nöthigen Massregeln zur Abwehr eines Ueberfalls getroffen. Am 6. Januar 1689 meldet Friedrich III. an Wilhelm von Oranien, er habe sichere Nachricht, dass Polen in das Ermeland einfallen wolle, und begründet damit seine Bitte um schleunige Rücksendung des Marschalls von Schomberg[8]. Auch kam der Feldmarschall Derflinger dorthin, um die Pässe zu besetzen und auf alles ein wachsames Auge zu haben, obgleich man meinte, dass den wilden Reden gegen Brandenburg auf dem polnischen Reichstag die entsprechenden Thaten voraussichtlich doch nicht gleich folgen würden. Denn „es ist nichts Ungewohntes, dass auf den polnischen Reichstagen dergleichen impertinente declamationes bald wider diesen, bald wider einen andern und in specie auch gegen uns zu geschehen pflegen“. Diesmal aber schien doch mehr dahinter zu sein. Erklärte doch der nach Schluss des Warschauer Reichstags zusammengetretene Senat, höchst nöthig sei die Entsendung der Deputation nach Preussen, um bei der Huldigung der Stände [439] vor dem neuen Landesherrn die Polen vertragsmässig zustehende Eventualhuldigung in Empfang zu nehmen, zumal dabei „zugleich wegen den habenden praetensionen Erinnerung geschehen könne, weil die Kurfürstliche Durchlaucht bei jetziger conjunction leichter zur reflexion ad justa nostra desideria gebracht werden könne“.

Was die „habenden praetensionen“ und die „justa nostra desideria“ bedeuten, war klar genug. Schon hatte man in ihrem Interesse mit den preussischen Ständen geheime Verbindungen angeknüpft. Gleich nach dem Thronwechsel im Mai 1688 hatte der Cardinal Radziewski nach dem katholischen Ermeland die Weisung gehen lassen, man möge dem zur Huldigung reisenden Kurfürsten zuvorkommen, denn jetzt sei die gewünschte Gelegenheit geboten, um das Herzogthum Preussen wieder an sich zu bringen, „und brauche man dazu nicht so viel Geld und Truppen wie zur Wiedergewinnung von Podolien und Kaminiez“: d. h. für die Enttäuschung, welche der Türkenkrieg der polnischen Eroberungslust bereitet hatte, dachte man sich durch die Zurücknahme Preussens schadlos zu halten. Der Oberschenk von Podlachien verrieth die Absichten dieser nationalen Heisssporne durch die Erklärung, „er nehme pro vacanti alles in Anspruch, was der verstorbene Kurfürst von Brandenburg der Krone Polens abgedrungen habe“, d. h. der Friede von Oliva mit den ihn ergänzenden Verträgen galt bereits für einen überwundenen Standpunkt.

Auf eigene Hand freilich konnte Polen eine solche Politik nicht durchführen; sie lag auch nicht in seinem Interesse: Vortheil davon hätte zunächst doch nur Frankreich gehabt. Dieses war es denn auch, welches solche Pläne nährte und die polnischen Eiferer in derartigen Absichten bestärkte. Auf Frankreichs Drängen hatte Polen den Frieden mit den Türken abgelehnt, den der Kaiser des französischen Angriffs wegen vorgeschlagen hatte. Bald darnach aber bemühte sich die französische Diplomatie um einen polnisch-türkischen Separatfrieden, damit die Türken dem Kaiser in Ungarn mit ungetheilter Kraft begegnen könnten. Auf ihre Fürsprache bot die Pforte zu Beginn des Jahres 1689 den Polen ausser einer bedeutenden Geldentschädigung die Rückgabe von Kaminiec und einem Theil Podoliens, ja selbst die der Wallachei an. Aber auch direct gegen Preussen [440] wurden in Warschau Pläne gesponnen. Aus einem aufgefangenen Brief des französischen Gesandten in Warschau, de Veil, vom 1. Juli 1689 erfuhr man in Berlin das Vorhandensein eines Anschlages auf Preussen (dessin sur la Prusse), der von de Veil im Auftrage seines Herrn mit Johann Sobieski und dem polnischen Grossfeldherrn erörtert war, und in einer gleichfalls intercipirten Correspondenz des in Kopenhagen beglaubigten Marquis de Béthune mit seinem Collegen Montargis wurde offen von einem Angriff auf Preussen gesprochen, dem Polen vorläufig stillschweigend zugestimmt haben sollte.

Keine Frage also, dass Preussen ernstlich bedroht war. Unter diesen Umständen war es für Brandenburg wirklich ein glückliches Zusammentreffen, dass Johann Sobieski mit dem lithauischen Kronfeldherrn zerfiel und dieser unter dem Vorwande, die polnische Freiheit liege in den letzten Zügen, offen zum Bürgerkriege rüstete und dazu um die Hilfe des Auslandes warb. Desswegen gingen der Kaiser und der Kurfürst denn auch unbedenklich auf die Anträge des Fürsten Sapieha ein. Friedrich III. liess ihm im April 1689 durch Graf Dohna eröffnen, er sei bereit, die ihm sehr am Herzen liegende polnische Freiheit nach Kräften zu schützen[9]. Da zerriss ein unangenehmer Zwischenfall das Netz der Intriguen, das die brandenburgischen Diplomaten in Gemeinschaft mit den einheimischen Gegnern des zu Frankreich neigenden Johann Sobieski gesponnen hatten. Ein Zettel mit Notizen über die finanzielle Beihilfe, die Sapieha zur Durchführung seines Unternehmens bei Friedrich III. nachgesucht hatte, wurde von v. Wichert unachtsamerweise im Palais zu Warschau liegen gelassen, dort gefunden und nun natürlich ebenso gegen die lithauische Opposition wie gegen Brandenburg ausgenutzt. Der König wollte ihn vervielfältigen und in allen Woiwodschaften circuliren lassen, um einmal unwiderleglich darzuthun, mit welchen verwerflichen Mitteln man gegen ihn arbeite. Natürlich gab dies langwierige diplomatische Erörterungen, und dem Kurfürsten blieb schliesslich kein anderer Ausweg, als v. Wichert zu desavouiren und die Sache so zu drehen, als ob der Gesandte ohne Auftrag, auf eigene Verantwortung sich mit [441] Sapieha eingelassen hätte. Um die leidige Sache abzuthun, ehe der bevorstehende neue Reichstag zusammentrat und sie zu einer mächtigen Agitation benutzte, entschloss man sich endlich im September 1689 Wichert abzuberufen und für einige Zeit in Peitz festzusetzen.

Im Uebrigen gestalteten sich die Verhältnisse freilich ungünstig für die polnisch-französischen Entwürfe gegen Preussen. Der Conflict, zu dem die Heirath der verwittweten Markgräfin mit Pfalzgraf Ludwig den Anlass gegeben hatte, wurde durch päpstliche Vermittelung beglichen und die Pfalzgräfin im Besitz der ihr gebührenden Radziwill’schen Güter belassen. Die Furcht vor einer schwedischen Invasion als Antwort auf einen Angriff gegen Preussen legte dem Kriegseifer der Polen doch einen Zügel an. Die Hauptsache aber war, dass die erhofften Erfolge der französischen Waffen ausblieben, ohne die Polen zu offenem Eintreten für Ludwig XIV. freilich nicht bestimmt werden konnte. Unter solchen Umständen hatte auch die lithauische Opposition keinen Grund mehr, ihre Pläne weiter zu verfolgen, für deren Ausführung sie nun auch in Brandenburg und Oesterreich keine Förderung mehr hoffen konnte. So machten denn auch Fürst Sapieha und die Seinen ihren Frieden mit dem König.

Natürlich wirkten diese Vorgänge abkühlend auch auf den anfänglichen Eifer der preussischen Herren Stände. Als Friedrich III. im Frühjahr 1690 in Königsberg erschien, um die Huldigung zu empfangen, da hat kein Mensch mehr daran gedacht, ihm diese zu versagen oder von der vorherigen Erneuerung der alten Rechte und Freiheiten abhängig zu machen. Zur Entgegennahme der vertragsmässigen Eventualhuldigung für Polen erschien damals eine glänzende Gesandtschaft unter dem Kronhofmarschall Fürsten Lubomirski, der man durch eine überaus prunkvolle Aufnahme vollends die Lust benahm, auf alte aussichtslose Differenzen zurückzukommen. Bei der Rückkehr nach Warschau konnten die Herren nicht genug Rühmens machen, wie sehr sie den politisch doch thatsächlich völlig bedeutungslosen Act der Eventualhuldigung „cum gloria gentis“ verrichtet hätten. Niemand war darüber froher als König Johann selbst: „Ich kann gestehen“ – so meldet der brandenburgische Correspondent Werner Ende Mai 1690 nach Berlin – „dass ich den König so lustig und mit einer so tendren expression Ew. Kurfürstlichen Durchlaucht [442] Gesundheit trinken noch niemals gesehen habe.“ Die Gefahr einer polnisch-französischen Action gegen Preussen war glücklich abgewandt, und Johann Sobieski entsagte seinen darauf gerichteten Entwürfen um so vollständiger, als er im Laufe der Verhandlungen von dem Kurfürsten die Zusage erhalten hatte, derselbe wolle der Erhebung Jakob Sobieski’s auf den polnischen Thron unter der Hand nach Kräften Vorschub leisten.



Anmerkungen

  1. Siehe H. Prutz Brandenburg und Frankreich 1688 in Raumer’s Hist. Taschenbuch 1885, hrsg. von Maurenbrecher S. 9–10.
  2. Ebendas. S. 20 ff.
  3. Vergl. die Absicht auf Gewinnung der Statthalterschaft in den Niederlanden für einen seiner jungen Söhne: s. Prutz, Brandenburgische Politik 1689 in der Zeitschrift f. preuss. Geschichte und Landeskunde 14, S. 315.
  4. Chiffrirte Meldung Dohna’s und Scultetus’ 5/15. Januar 1689. Berlin, Geh. Staatsarchiv.
  5. Verschickung des Grafen Alexander Dona und Hofrath Dr. Schulteti auf den Reichstag in Pohlen. Berliner Staatsarchiv.
  6. Instruction vom 28. Oct. bezw. 7. Nov. 1688.
  7. Wichert aus Warschau, 24. Nov. 1688.
  8. Berliner Archiv.
  9. Dohna an Warschau 23. Marz/2. April.