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Flußleben in der Kuilu-Niederung

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Textdaten
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Autor: Eduard Pechuel-Loesche
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Titel: Flußleben in der Kuilu-Niederung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 838–840
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Flora und Fauna am Kwilu
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Flußleben in der Kuilu-Niederung.

Von Dr. Pechuel-Loesche,
Mitglied der ehemaligen, von der deutschen Gesellschaft zur Erforschung Aequatorial-Afrikas nach der Westküste (Nieder-Guinea) ausgesandten Loango-Expedition.

Wer von Chinchoxo, der Küste folgend, sich nach Norden begiebt und endlich über die Bai von Loango hinausgelangt, sieht sich staunend in ein neues Gebiet versetzt, das, reicher und mannigfaltiger in Flora und Fauna als Chinchoxo und die eben durchmessenen Landstrecken, ungleich großartiger in seinem Charakter, sich als das vielbegünstigte Gebiet eines mächtigen Stromes ankündet. Die Savane mit ihren bald feinen und niedrigen, bald schilfähnlichen und bis zu vier Meter hoch aufschießenden dichten Grasbeständen, deren Einförmigkeit malerisch unterbrochen wird von parkartig vertheilten Gebüschen, Bäumen und Gehölzen, geht zu Ende mit den flachen sandigen Erhebungen jener Küstenstrecke. Die oft groteske Gestalt des riesigen Affenbrodbaumes, der schöne dunkle Blätterdom eines seltneren banyanenähnlichen Ficus, verschwinden aus den gewohnten Formen der Landschaft. Das Reich des Kuilu (Hauptfluß des alten Königreiches Loango, Nord vom Congo) beginnt mit dem Auftreten der charakteristischen Typen der Pandaneen, am Fuße der in warmem Roth herüberschimmernden Steilabfälle des thonigen Plateau von Boala und in dessen wunderbaren Erosionsschluchten und Circusthälern. Nur die vertrauten steifen Gestalten der meerliebenden Fächerpalmen (Deleb-Palme, Borassus Aethiopum), die bald in einförmigen Reihen, bald in dichten Beständen den von sich unaufhörlich überstürzenden Wellenkämmen bespülten Strand einsäumen, geleiten noch den Reisenden.

Endlich ist der breite Strom erreicht. Nach Südwesten hin durch eine von der Brandung angehäufte, vielfach wieder in ihrer Form veränderte Landzunge gehindert, biegt er jetzt in kurzem Bogen nordwärts ab und findet dort, den jenseitigen öden Sandgürtel unterwaschend, einen Ausweg in den Ocean. An diesem Orte kämpfen die Wellen des Meeres mit den aus dem Inneren des Continentes kommenden Gewässern um die Herrschaft und werfen sich ihnen in langen schäumenden Wogen über der hierdurch bedingten Barre entgegen, die Einfahrt in die Mündung verbietend. In der trockenen Jahreszeit werden Fluth und Ebbe eine große Strecke landein, sogar bis in das Gebirge fühlbar, in regelmäßigen Perioden den Lauf des Wassers hemmend, oder umkehrend und ihn dann wieder um so mehr beschleunigend, gleichzeitig auch die faulen Seitengewässer der Niederung und deren weite Sümpfe theilweise füllend und leerend. In der Regenzeit aber behauptet der stolze Strom sein Recht und erzwingt für seine aus dem Gebirge herabbrausenden, die niederen Gelände überschwemmenden Fluthen, mit ihrer Bürde von Sand und Schlamm und riesigen Pflanzenleichen, einen ununterbrochenen Abzug in das Meer.

Von der einkommenden Fluth während der trockenen Jahreszeit begünstigt, gleitet das schwerfällige Canoe des Reisenden stromauf. An den Ufern, auch verschiedene kleine Inseln unfern der Mündung fast gänzlich beherrschend, ziehen die dichtverwachsenen Mangroven sich ununterbrochen entlang: hell[r]indige, meist schlanke, oft bis zu dreißig Meter aufstrebende Hochstämme, getragen von dem wunderlichen Gewirr ihrer bald steifen und knorrigen, bald schön gebogenen und weitgespannten Haltwurzeln, eigenartig behangen mit saftigen geraden Luftwurzeln, die oft noch von den höchsten Zweigen, und zwar von diesen selbst, nicht von den cylindrischen Früchten herniederwachsen. Wo, weiter stromauf, das Salzwasser des Meeres mit dem des Flusses sich nicht mehr willig vermischt, sondern nur auf dem Grunde des Bettes noch einfließt, da werden diese an brakisches Wasser gebundenen Rhizophoren spärlicher. Zwischen ihnen erscheinen anmuthige Gruppen wilder Dattelpalmen (Phoenix spinosa), auf schlanken, schön gebogenen Schäften zierliche Wedelkronen und langgestielte, gelbroth schimmernde Fruchttrauben tragend, – auch, wie auf Stelzen ruhend, die niedrigeren gedrungenen und mehrarmigen Stämme des Pandanus, mit ihren stolzen Endbüscheln von schwertähnlichen Blättern, erst einzeln und in Familien, bald aber in dichten Massen geschaart, bis auch diese endlich wieder verschwinden in den ausgedehnten dichten Beständen der schönen stammlosen Weinpalme (Bambus-Palme, Raphia), deren kraftstrotzende Garbe von zwölf bis achtzehn Meter langen Wedeln sich leise im Winde wiegt. Undurchdringliches Gebüsch, kraus und dornig, schiebt sich an höheren Uferbänken mit seinen einförmigen Umrissen zwischen jene auffallenderen Pflanzentypen ein. Aus dieser noch niederen Vegetation erheben sich, erst einzeln, schnell aber zahlreicher und höher werdend, stattliche Laubbäume, und endlich umgiebt den staunenden Reisenden der Hochwald des Kuilu in seiner ganzen Schönheit. Eine ununterbrochene Blättermasse, reich an Formen und Farben, zieht sich an beiden Ufern entlang; aufstrebende Stämme und Gezweig, niederhängende, oft mit herrlichen Blüthen übersäete Ranken, zwischen welchen hier und dort der anmuthige Wedelstrauß der nutzbringenden Oelpalme hervorlugt, flechten sich zu dem Urwalde zusammen, welcher, undurchdringlich scheinend, wie ein zweites Ufer die weite Wasserfläche begrenzt. Ueber ihn hinaus ragen die weitästigen Kronen einzelner mächtiger Bombax (Baumwollenbaum, Silk-cotton-tree: Eriodendron anfractuosum), und, ungleich zahlreicher und charakteristischer, die feinverzweigten Wipfel mehrerer Baumarten, fast den Typus unserer Buchen repräsentirend.

Tritt man an diese Stämme hinan, die, vom Flusse aus gesehen, so schlank und luftig noch über den Wald emporstreben, so staunt man über die gewaltige Dicke dieser Säulen und erhält nun erst eine Vorstellung von ihrer Höhe. An ihrem Wurzelende zeigen sie fast ausnahmslos eine Neigung zur Flügelbildung, in bestimmterer und regelmäßigerer Form, als der stachelrindige Bombax und die kleineren Urwaldsbäume. Drei bis sechs Meter vom Boden treten aus dem Stamme allmählich tafelähnliche Strebepfeiler wie Wände hervor, nach unten weiter und weiter ausstrahlend, bis zu einer Entfernung von drei und vier Meter. Fest in der Erde wurzelnd, geben sie Halt dem bis sechszig Meter hoch aufstrebenden Schafte. In einer Anzahl von drei bis acht bilden sie auf diese Weise um denselben Nischen und offene dreieckige Kammern, zuweilen so geräumig, daß eine Familie darin hausen könnte. Sie stehen auch nicht immer radiär ab, sondern ordnen sich häufig in einer leichten Spirale, [839] als wären sie mit ihrem fernsten Ende stationär geblieben, während der Stamm ein wenig um seine Längsachse gedreht wurde. Die hohen Wipfel sind unerreichbar für die nach Licht ringenden, den übrigen Wald sich erobernden Lianen, deren Netzwerk von Fäden, vielgewundenen und verwachsenen Stricken und Tauen bis zu mannsdicken Kabeln, auf und ab, von Baum zu Baum, von Ast zu Ast sich spannt und schlingt, oder, verderblich geworden durch seine Last für die einstigen Träger und Erhalter, in wirren Massen niederhängt.

Eine Schicht trockenen Laubes lagert auf dem mit offenem Unterholze bestandenen Boden; eingebettet in dieselbe modern die niedergebrochenen Hölzer, welche dort zu einem wüsten Haufwerke vereint liegen, wo einer der Riesenstämme im gewaltigen Sturze den ganzen Wald unter sich niedergeschmettert hat. Sie bieten willkommene Ansiedelungspunkte für niedere Pflanzenformen und für geschäftige Insecten, deren fremdartige, oft kunstvolle Bauten uns zum Untersuchen und Skizziren einladen. Geheimnißvolle Dämmerung, nirgends zur Dunkelheit sich steigernd, herrscht unter dem dichten Blätterdome, nur unterbrochen, wo durch eine Lücke im Laubdache das Tageslicht hereinströmt und in wunderbaren Reflexen spielt.

An solchen Orten gaukeln mit Vorliebe die Tagfalter des Waldes, welche auf dunklem Grunde vorwiegend mit schönem Blau oder mattem Gelb gezeichnet sind. Feuchter Dunst, beängstigend für den Menschen, zieht über dem Boden entlang, Modergeruch mit sich tragend, oft vermischt mit betäubendem Blumendufte. Dann fesseln wohl den suchenden Blick große und farbenreiche, phantastisch gestaltete Blüthen, welche einzeln oder in Trauben an einem der unscheinbaren „Buschtaue“ hervorgebrochen sind. Von ihnen gleitet das Auge zu dem glänzenden Grün einer Familie behaglicher Blattpflanzen und wird dann vielleicht wieder angezogen durch eine Colonie bescheidener, zierlicher Blumen, die man inmitten solcher verwirrender und grandioser Formen freudig, wie eine Erinnerung an die Heimath, begrüßt.

Das ist der Gallerie-Wald des Kuilu, der gleichmäßig die Uferleisten des Stromes und seine Inseln schmückt und an seinen Nebengewässern sich hinzieht, nur an letzteren unterbrochen, wo auf Lichtungen Scitamineen und Farne üppig wuchern, oder trostlose Papyrus-Sümpfe mit ihren typischen Vegetationsformen sich dehnen.

Und dieser Hochwald ist nicht so undurchdringlich und arm an Thierleben wie die verfilzten Gehölze der Savanen und die Buschwälder in den feuchten Thalsohlen um Chinchoxo. Im Gegensatze zu diesen und auch zu den durch viel größere Fülle und Mannigfaltigkeit der Pflanzenarten ausgezeichneten Tropenwäldern Amerikas und der Südsee-Inseln, gesellt sich im Galerie-Walde des Kuilu das Gleichartige mit Vorliebe zu einander und giebt ihm durch Raumvertheilung der Stämme, durch lichtes Unterholz annähernd den Charakter des deutschen Forstes. Der Sammler findet Raum zum Hindurchschlüpfen, zwar nicht immer mühelos, doch genügend für seine Zwecke. Dichte Bestände einer rankenden Blattpflanze, welche üppig wuchernd hier und dort das Buschwerk durchzieht oder gänzlich verdrängt, zwingen ihn, sich mit dem Messer Bahn zu schneiden; nicht immer gelingt es ihm, das Rascheln der harten Blätter, das Zurückschnellen der zähen Ranken zu vermeiden, und so verscheucht er nur zu häufig das gesuchte Wild. Gleich hinderlich für seine Jagdlust ist das grüne Gewölbe über ihm, welches das beschlichene Thier, das deutlich genug zu hören ist, doch hartnäckig verbirgt und, wenn es endlich einen Durchblick gestattet, ihn dasselbe vielleicht hoch oben auf einem der Alles überragenden Wipfel entdecken läßt, erreichbar höchstens für die Kugel, nicht aber für den Schrotschuß, der für solche Höhen machtlos ist – eine Thatsache, welche der Schütze, durch die ungewöhnlichen Formen um sich in seiner Schätzung beirrt, nur ungern und erst nach längerer Erfahrung würdigen lernt. Und wie schwierig ist es, ein herabgeschossenes Thier zu erlangen! Wie oft fällt dasselbe in dichtes Gezweig und ist, unerreichbar hoch hängen bleibend, für den Jäger verloren oder es entschlüpft, zählebig, wie das afrikanische Wild ist, selbst wenn es glücklich zur Erde niederfiel, noch unter der zugreifenden Hand.

Lohnender und müheloser ist die Jagd vom Wasser aus, im leise am Waldrande hingleitenden Canoe. An den selten mehr als mannshohen unterwaschenen Uferstrecken bieten Wurzeln, umgestürzte Bäume, einen brauchbaren Ausstieg[WS 1]; an flachen Rändern dagegen haben die Hippopotamus mit ihren massigen Leibern niedrige Tunnel durch den allzu dichten Saum des hier heckenähnlich auftretenden Ufergebüsches gebrochen, und ihre mehr oder minder tief in den Boden eingestampften Fährten zeigen, wo trügerischer Schlamm, wo fester Grund sich findet.

Das Rauschen der Zweige, das Brechen eines dürren Astes, auch Töne des Wohlbehagens, oft unterbrochen von Gezänk, verrathen dem Eingeweihten die Nähe einer der häufigen Affenschaaren, deren Angehörige, lustig kletternd und springend, zuweilen in den gewagtesten Stellungen an den dünnsten Zweigen hängend, sich an leckern Früchten laben. Es verlangt viel Uebung, daß das Auge geschickt wird, zwischen den Laubmassen die schmausenden Langschwänze zu erkennen, und nur zu oft künden halb ängstliche, halb zornige Warnungsrufe an, daß die scheuen, sehr aufmerksamen Thiere ihren Feind schon entdeckt haben und sich mit hurtigen Sprüngen aus dem Bereiche der Feuerwaffe bringen, oder sich zwischen schützenden Blättern ganz still verbergen. Höchst drollig erscheint eine solche Flucht, wenn ein größerer Affenschwarm überrascht wird, welcher sich auf einem isolirt stehenden, gewöhnlich auch noch blätterlosen Baume zu irgend einem dem Menschen unverständlichen Zwecke versammelt hat. Pfeifend und zeternd springen die entsetzten Kletterer durcheinander; finden sie nicht genug rettende Zweige, von denen sie schnell zu benachbarten gelangen, auch keine Liane, an welcher sie in langer Reihe niedergleiten können, so werfen sie sich in höchster Noth, platt ausgestreckt, auf gut Glück von der Höhe hinunter. Die Fliehenden schauen, trotz ihrer Angst, von Ranken und Gezweig oft possierlich zurück und fallen, bei einem raschen Schützen, noch ihrer Neugier zum Opfer, eine willkommene Zugabe für die Speisekammer des Lagers bildend. Freudiger noch ist die Aufregung im Lager, wenn ein größeres Stück des selteneren Wildes, eine Antilope, ein Schwein, ein Büffel der sichern Kugel erlegen ist, und der Lärm wächst im directen Verhältniß zur Masse, wenn ein Hippopotamus eingebracht wird. Zwar ist die Aufgabe keine leichte, und es erfordert große Anstrengung, die riesige Beute, wie es meistens nothwedig ist, aus dem Wasser auf das Trockene zu schaffen, aber die Schwarzen arbeiten mit fröhlichem Eifer; häuft sich doch nun wieder für sie ein Fleischberg an, welcher, auf primitiven Holzrosten geräuchert, nicht nur für viele Tage ein unbeschränktes Kochen und Braten in Aussicht stellt, sondern auch durch klugen Tauschhandel mit aus oft entlegenen Dörfern herbeieilenden Negern das Erwerben vieler begehrter Dinge ermöglicht.

Wer die Hippopotamus, trotz aller Warnungen, trotz der allgemein verbürgten Gefährlichkeit eines solchen Beginnens, nach echter Jägerart ausnahmslos zu Wasser, und häufig nur in kleinen, morschen Canoes mit Erfolg angegriffen hat, wo immer er sie angetroffen, ohne umgeworfen und zerbissen zu werden, der erkennt wohl, daß sie nur selten so grimmig und böswillig sind, wie die phantastische Fama sie schildert. Er kann sich bald auf seine anfangs ängstlichen Leute verlassen. Diese haben Vertrauen und Zuversicht gewonnen, und vertrauter geworden mit der Führung des Canoes in Momenten der Gefahr, spähen sie scharf aus und rudern furchtlos hinan, wo immer die mächtigen Häupter der wasserliebenden riesigen Grasfresser sich emporheben. In ihrer ungeschlachten Form, auf der weiten Wasserfläche emportauchend, verschwindend, wieder erscheinend, immer kluge Umschau haltend, schnaufend und grunzend die kleinen Ohren schüttelnd, bilden letztere eine charakteristische, fast „fossil“ zu nennende Staffage vieler afrikanischer Gewässer. Wem das Glück geworden ist, am hellen Tage Gruppen dieser Thiere mit halbem Leibe über Wasser auf den Sandbänken des Stromes in ihren ungestümen Spielen und wüthenden Kämpfen zu beobachten, der muß glauben, eine Episode aus der Vorzeit der Erde geschaut zu haben. Mehr noch als der Wal, dem sie in ihren Bewegungen ähneln, als Elephant und Rhinoceros, erscheinen diese Kolosse als die auf wunderbare Weise lebend erhaltenen Reste einer längst vergangenen Periode, von deren Fauna und Flora nur der Schooß der Erde noch stille Zeugen birgt.

Ein anderes eigenartiges Thier, eine Seekuh (Manatus), hält sich fern der Mündung und vom Meere in den Nebengewässern [840] und Sümpfen des Kuilu, an den Uferrändern das vom Wasser aus erreichbare Gras abweidend. Sehr scheu, umfangreich und eine Leibeslänge von vielleicht drei Meter erreichend, vermag es durch schnelle Flucht das Wasser bei geringer Tiefe in so heftige Bewegung zu versetzen, daß kleine, schwanke Canoes davon wohl umschlagen können. Auf flachen Sandhorsten sich sonnend, oder auf angetriebenen Baumstämmen und mühsam erstiegenen Uferbänken zwischen dem Gebüsche ruhend, finden sich mehrere Arten Krokodile in großer Anzahl. Leider sind dieselben so scheu und wachsam, daß sie sehr schwer zu beschleichen sind, meist schon in ziemlicher Entfernung mehr oder minder geräuschvoll in ihr eigentliches Element gleiten und, selbst tödtlich getroffen, spurlos versinken. Letzteres gilt auch für die Hippopotamus. Nicht immer gelangt ein selbst unter Feuer verendetes Thier – dies läßt sich mit den gewöhnlichen Jagdwaffen und den gebräuchlichen Ladungen nur erreichen, wenn die Kugel in’s Auge oder den inneren Augenwinkel geschossen wird – nach seinem innerhalb einiger Stunden erfolgenden Aufsteigen in den Besitz des glücklichen Schützen, welcher erwartungsvoll den Ort überwacht; die vielleicht einbrechende Dunkelheit, der Lauf des Wassers, entziehen ihm unbemerkt die Beute, welche dann nur zu oft von den vielen, in ihren Canoes zeitweise nomadisirenden Negern gefunden und geraubt wird.

Zahlreicher an Arten und Individuen als das Reich der Vierfüßler und Wasserthiere ist die Vogelwelt vertreten. Von überall her klingen die Stimmen der gefiederten Waldbewohner, obgleich man diese selbst viel seltener erblickt, so lange man nicht eine entsprechende Lehrzeit überstanden hat. Wunderschön ist die Strophe eines kleinen Sängers, welcher in abgemessenen Pausen je zwei lang gehaltene Töne erklingen läßt, die anschwellend und ersterbend, im Intervall einer Quart abwärts auf einander folgen, so machtvoll und glockenrein, daß man andächtig lauscht. Der Genuß ist selten, da der nicht häufige Vogel nur für kurze Zeit bei Sonnenaufgang aus dem Ufergebüsch seine köstliche Stimme hören läßt. Nuni mkissi (verzauberter Vogel) nennen ihn die Neger und erzählen von ihm mancherlei Märchen, wie, daß ihn noch Niemand erblickt habe, auch, daß er niemals sterbe. Ein anderer kleiner, aber nicht so seltener Waldbewohner flötet rein und zart die größere Hälfte einer chromatischen Tonleiter abwärts, den letzten Ton länger und leiser, wie nachsinnend, wiederholend und dann verstummend, als hätte er den Rest vergessen. Wie frisch und fröhlich klingt dazwischen, rhythmisch scharf und klar wie ein Signal, die Strophe einer Drosselart, während der Gesang einer anderen dem Schlage unserer Nachtigall an Wohllaut nicht nachsteht. Weniger melodisch, aber sehr anheimelnd, erschallt von fern und nah der „kurrende“ oft wiederholte Ruf des farbenreichen Corythaix, und noch lauter, charakteristischer, bei den größeren Arten fast in ein Heulen übergehend, das kurze dumpfe, viele Male schnell wiederholte „ku! ku[WS 2]! ku!“ verschiedener Kukuke, erst auf einem Ton sich haltend, dann drei bis sechs Noten abwärts folgend und nun gehaltener verklingend, oder in umgekehrter Reihe wieder aufsteigend, nochmals beginnend. Besonders auffallend und aus sehr großer Entfernung hörbar ist der gellende, eigenthümlich modulirende Schrei eines stolzen Adlers (Haliaëtos vocifer), noch mehr aber der weithin schallende bald harmonische, bald einförmig laute Ruf stattlicher, schön gefärbter Baumhühner (Turacus), oder das mißtönige Jammergeschrei der großen Nashornvögel, welchen der unförmliche Schnabel eine ganz besondere Resonanz verleiht. Diese sonderbaren, gewöhnlich paarweise fliegenden Thiere sieht man häufig mit außerordentlich rauschenden Flügelschlägen quer über den Strom vom einen Ufer dem anderen zusteuern.

Gegen Abend, wenn die wahrhaft zahllosen Flüge der wohlbekannten grauen Papageien, dem Stromlaufe folgend, über dem Walde landeinwärts ziehen, übertäubt ihr unaufhörliches Kreischen, ihr lustiges Plappern und Pfeifen fast gänzlich alle übrigen Thierstimmen; nur das rauhe, heisere Trompeten einer Ibisart (I. hagedash) durchdringt noch dieses Tongewirre. Wenn endlich diese lärmenden Schaaren sich verflogen haben, wird es für kurze Zeit überraschend still. Von hier und dort schallt noch ein einzelner Ruf; ein verspäteter Vogel eilt vorüber; eine aufgescheuchte Affenheerde wird noch einmal laut – dann, mit herabsinkender Nacht erfüllt das Zirpen und Schwirren der Insecten den ganzen Wald. Bald klingt aber von der Savane jenseit desselben das durchdringende gedehnte Kläffen der Schakale herüber. Wie aus weiter Ferne tönt dazwischen das Klagen der Wildkatze; vorsichtiger schon lauscht man auf das kurz absetzende Grollen des gefährlichen, am Kuilu seltenen Leoparden und mag wohl erschrocken auffahren bei dem plötzlich losbrechenden abscheulichen Geschrei vielleicht naher Chimpansen.

Ein heller Dunstschleier lagert sich allmählich über dem Wasserspiegel und zieht erkältend unter den Bäumen hin – ebenso wie die heiße Sonne das gefürchtete Fieber bringend für manchen Reisenden. Bald rollt man sich in die wollenen Schlafdecken ein und streckt sich, die treue Jagdwaffe zur Seite, auf das Lager von grünem, mit geschmeidiger Matte überdecktem Laube. Traumbefangen vernimmt man vielleicht noch vom Strome her ein seltsames Rauschen und Plätschern; die schwatzend um die Feuerstätten hockenden Neger verstummen und flüstern: „Simvubu“, und endlich belehrt ein mächtiges Grunzen, mit welchem ein alter Bulle den fremdartigen Schein der verglühenden Lagerfeuer begrüßt, auch den noch Uneingeweihten, daß eine Hippopotamus-Familie eben vorüberschwimmt und zur nächtlichen Weide zieht.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Aussteig
  2. Vorlage: kn