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Fliegende Blätter Heft 3 (Band 1)

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Titel: Fliegende Blätter Heft 3 (Band 1)
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aus: Fliegende Blätter, Band 1, Nr. 3, S. 17–24
Herausgeber: Kaspar Braun, Friedrich Schneider
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1845
Verlag: Braun & Schneider
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Erscheinungsort: München
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Quelle: MDZ München, Commons
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[17]



Nro. 3.
München, Erscheinen zwanglos. Preis der Nummer 9 kr. R. W.
Verlag von Braun & Schneider. od. 2 ggr. 24 Nummern bilden einen Band.


Die Marienkrone zu Filisur.

Im Graubündt’ner Lande in dem Flecken Filisur lebte vor geraumer Zeit Herr Peter Buol, ein rechtschaffener, gottesfürchtiger Mann, weit und breit im „Ländle“ als tüchtiger Bergmann bekannt. Er hatte viel Gruben in der Nähe, und die Erzknappen hielten auf ihn als einen wackeren, wohlgesinnten Herrn und ihren erfahrensten Steiger. Der Himmel segnete auch seine Arbeit, und wo er Stollen schlug, traf er auf edle, erzhaltige Gänge. So hatte er auch in letzterer Zeit einen mächtigen Gang aufgemacht, und die Steiger waren bis in eine Tiefe von achtzehn Lachtern auf Silberadern gestossen. Der Gang that sich aber noch immer mehr auf, und der fromme Bergmann nannte ihn in dankbarer Anerkennung des Himmelssegens: „Marienkrone“, und empfahl ihn dem Schutze der heiligen Mutter Gottes.

So groß aber der Gewinn war, welchen er aus der Grube zog, so vergällte ihm doch ein böser Spuck die Freude über sein Glück. Seit längerer Zeit war kein Freitag in der Woche vergangen, daß nicht ein kleiner, mißgestalteter Bergkobold in der Grube sein Unwesen trieb, die Stollen auf und ab fuhr, die mit Erz gefüllten Eimer umstieß, die Grubenlichter auslöschte, und den Knappen sonst noch manchen Schabernack spielte. –

[18] Das hätte wohl Allen die Arbeit in der Grube verleiden können; da aber der Kobold nur den lustigen Schalk spielte, auch gerade Niemanden ein Leides zufügte; so gewöhnten sich die Erzknappen allmählig an den drolligen Kunden mit der schwarzen, schmutzigen Lederkappe und dem blinkenden Berghammer im Gürtel, ließen sich durch seine Schwänke nicht irre machen in der Arbeit, ja, hatten selbst ihren Spaß mit dem Zwerglein, dem sie den Namen „Silbernickel“ beilegten.

Das war nun gut, und da Herr Peter Buol merkte, daß seiner Leute Arbeit gedieh, auch der Segen nicht aus der Grube wich; gedachte er so mancher Sage, wie ein freundlich gesinnter Gnom den Steigern Glück brachte, und grämte sich nicht weiter um des Spuckes willen. Silbernickel schaltete nun ungestört in der Grube fort, und da er gewahrte, wie man ihn duldete, und freundlich gegen ihn verfuhr, so vergalt er’s den Bergknappen mit manchem guten Dienste, warnte sie vor bösem Wetter oder sonst einer drohenden Gefahr, und that hie und da mit seinem Berghammer eine Silberader auf, woran keine Seele gedachte.

Unter den Knappen der Marienkrone war Einer mit Namen Klaus, ein böswilliger Mensch, feindselig gegen alle Grubenleute, und selbst gegen den Herrn barsch und unhöflich. Hätte ihn dieser nicht als einen tüchtigen Arbeiter gekannt und um seines Weibes und der zwei unmündigen Kinder willen seiner geschont, er würde ihn längst vom Brode gejagt haben. Denn Klaus war nebstdem ein böser Trinker, und verspielte nicht selten unter anderen wilden Gesellen am Samstage Abend den ganzen Lohn, so daß Frau und Kinder die Woche hindurch am Hungertuche zu nagen hatten. Wie er sich an keinem unschuldigen Scherze erfreute, so war ihm auch Silbernickel im Herzen verhaßt, um so mehr, als es dieser just auf ihn abgesehen zu haben schien. So faßte er denn den Entschluß, die kleinen Neckereien, welche ihm der Kobold angethan, diesem bei nächster Gelegenheit tüchtig entgelten zu lassen.

Zur selbigen Zeit waren die Erzknappen auf eine Kluft im Schachte gestossen. Sie mochte sich wohl auf zwanzig Klafter in die Tiefe erstrecken, und das Rauschen eines Bergstromes tönte gar schauerlich aus dem Schlunde herauf. Hart daran arbeitete Klaus im Gesteine. Er war die Woche über in böser Stimmung, denn das Kartenspiel hatte seinen Verdienst aufgezehrt, und da ihm seine wüsten Gesellen noch darüber geborgt, so hatten sie auch Anwartschaft auf seinen nächsten Wochenlohn. Zudem war aber der Winter vor der Thüre, und er wußte nicht wie der Seinigen Noth zu stillen. Da tobte der Ingrimm in seinem Herzen, und weil er just nichts Anderes hatte, um d’ran seinen Zorn zu kühlen, so schlug er mit seinem Hammer so heftig gegen das Gestein, daß ihm der Schaft in den Händen blieb, das Eisen aber von der Wand zurückprallte, und in die Tiefe hinabstürzte.



Wie leises, höhnisches Gelächter tönte es an der Seite des Knappen. Hurtig wendete er sich dem Schalle zu; da gewahrte er Silbernickel, welcher schadenfroh sich über den Schlund hinausbeugte, und dem versinkenden Hammer nachlugte. In der Brust des Erzürnten aber kochte es, und er dachte nicht anders, als der Kobold sei auch an diesem Ungemache schuld. Mit einem derben Fluche packte er sofort [19] den Zwergen rücklings bei der Ledergurte; – ein kräftiger Stoß – und dieser stürzte dem versinkenden Hammer nach in die schwarze Kluft, und es war deutlich zu vernehmen, wie die Wasser über den fallenden Körper zusammenschlugen!

Schwerathmend stand Klaus an der grausigen Tiefe. Es ward ihm schauerlich zu Muthe und wie Mord lastete es auf seiner Seele. Angstvoll schaute er in die tiefe, dunkle Nacht des Schlundes, als harrete er der rächenden Rückkehr des Kobolds, – und harrete nicht vergebens. Denn das Wasser in der Tiefe fing an zu brausen und zu leuchten, wie das Erz im Schmelzofen, und das Gewände der Kluft brannte, wie glühendes Silber, und an dem steilen Schachte klimmte Silbernickel empor, hohnlachend, den abgebrochenen Hammer in die Höhe haltend. Den Bergknappen rüttelte es wie im Fieberfroste. Als aber der Gnom die Höhe erreicht hatte, warf er ihm den abgeschlagenen Hammer zu, und wo er niederfiel, erbebte das Gestein, und die Wände ließen nach. Da dröhnte es wie ein Bergsturz die Grube entlang, ein gellender Schrei drang aus der Tiefe, darauf ein Getöse wie nachrollendes Gestein.

Bleich und bebend schlugen die Erzknappen auf die Brust. Es war ein großes Unglück in der Grube geschehen; der Gang, darinnen Klaus arbeitete, war verschüttet. –

Von dem Tage an ließ sich Silbernickel in dem Schachte nicht mehr blicken; aber mit ihm blieb auch der Segen aus. Die Gänge zerschlugen sich und wurden taub, und die Grubenleute stießen häufiger als je auf Erzräuber, ein schlimmes Zeichen für den Bergmann. So ging die Marienkrone ein. –

Mehr denn fünfzig Jahre darnach, da Zeit und Wetter gehaust in der zerklüfteten Grube, hatten sich große Felsenmassen abgelöst, und waren in die Tiefe nachgesunken. Waghalsige Bursche, die sich in den Schlund hinabgelassen, stießen auf einen Berghammer, der bis über die Hälfte eingekeilt war in das härteste Gestein. Bald hierauf brachte man einen Leichnam zu Tage, welchen Niemand kennen wollte. In der kalten, lichtleeren Gruft des Schachtes war er unversehrt geblieben, als hätte ihn der Tod erst gestern die Augen geschlossen. Dennoch war er gar schauerlich anzusehen; denn das Haupt saß ihm verdreht auf dem Rumpfe mit dem Gesichte gegen den Rücken. Es war Klaus. –





Jaromir.


Ja er ist’s, der Unglücksel’ge!
Ja er ist’s, denn ihr genannt,
Ist’s, den wir schon lange suchen,
Ist’s, dem alle Lippen fluchen;

5
Der in Landmanns Nachtgebet

Hart an, an dem Teufel steht,
Den der Vater seinen Kindern
Nennt als furchtbares Exempel,
Leise warnend: hütet euch

10
Nicht zu werden diesem gleich.

Ja er ist’s, der Unglücksel’ge,
Ja er ist’s, den ihr genannt,
Ist’s, den jene Wälder kennen,
Ist’s, den Mörder Bruder nennen,

15
Ist der Räuber Jaromir.



[20]
Künstlers Wanderjahre.
Aphorismen aus meinem Tagebuche.



I.


O gold’ner Frühlingsmorgenschein – –
Wie freudig funkelt die Sonne d’rein!
Wie winkt es vom Gebirge her
So wonnebang, so sehnsuchtsschwer!

5
Ich hör’ der Lerche freudig Schmettern –

Was fesselt mich noch an die düst’re Stadt?
Noch ist die Welt vernagelt nicht mit Brettern;
Wohlan – ich bin der dumpfen Mauern satt.
Die Pinsel ausgepackt; zur Hand die Mappe,

10
Der Malstock sei mein Wanderstab;

So wand’re ich im frohen Trappe
Der duft’gen Ferne zu, Berg auf, Thal ab!
Umschwebe mich, holdsel’ge Frau,
Du Poesie, die ich stets liebt’ im Stillen,

15
Daß ich mit Hilfe meiner guten Brillen

Die Schöpfung bei dem rechten Licht’ beschau;
Daß ich den Geist, der in ihr haust,
Vermag so recht herauszuwühlen,
Daß mir’s gelingt, wie Meister Göthe’s Faust,

20
Alle sieben Tagwerk in der Brust zu fühlen.

Und spür’ ich dann den Geist recht vehement,
Laß mich den Augenblick beim Schopfe fassen:
Die schwerste Kunst ist, den Moment
Nicht unbenützt vorübergehen lassen. –



[21]
25
Dann frisch die Kreide zugespitzt,

Die Leinwand her, die Farben aufgetragen!
Denn – was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen!


II.


Ich habe manche dunkle Nacht

30
Auf den Gebirgen zugebracht.

Auf hoher Kuppe, einsam und allein
Saß ich im stillen Mondenschein
Ganz in der Schöpfung Majestät versunken – –
Nicht Worte hat ein jegliches Gefühl – –

35
Wie seufzt’ ich oft, in tiefer Wonne trunken:

O guter Mond, was gehst du doch so still! –



Ja, Mondenlicht in jeder Phase
Versetzt, man weiß es selbst nicht wie,
So recht in eine schwärmende Ekstase!

40
Und hätte nur die Industrie

Die Kunst nicht gar so weit zurückgelassen,
Gäb’s eine Farbe, gleich den blassen
Gebrochnen, schwärmerischen Strahlen – –
Was wollt’ ich da für Mondlicht malen!

45
So aber – ach, man räsonnirt,

Man schilt den Künstler, der sich müht und quälet,
Und denkt nicht d’ran, daß uns das Mittel fehlet,
Das unsere Zwecke sanktionirt.
Gebt uns nur einen archimed’schen Stand,

50
Und aus den Fugen heben wir die Welt! –

So lang jedoch der Stoff den Geist gefangen hält,
Bleibt auch der Genius gefesselt an den Sand!


So sinnend stieg ich vom Gebirge nieder.
Schon schwang die Nacht ihr düsteres Gefieder;

55
Doch – eh’ ich dessen mich versah,

War ich der stillen Kneipe nah,
Darinn’ ich meinen Wohnsitz aufgeschlagen,
Mein Pathmos und mein Tivoli! –
Schnell ward, was ich begehrte, aufgetragen,

60
Und bald war ich – ich wußte gar nicht, wie –

Von ewigen Gedanken trunken –
Ganz in mich selbst und – in den Krug versunken!



[22]
III.


’S’ist trüb! – Der Nebel hüllt der Berge Spitzen!
Da sitze ich in Mitte meiner Skizzen.

65
Nun, liebe Seele, lab’ dich erst daheim!

Laß deiner Dichtung gold’ne Ader fließen;
Der Nachgenuß – das ist erst recht genießen;
Dem trunk’nen Dichter holpert jeder Reim.
Doch – ehe du dein Werk beginnst,

70
Geziemt es sich, daß du dich wohl besinnst.



Seyn oder Nichtseyn, das ist hier die Frage!
Ob ich, wie große Geister uns’rer Tage
An einem mächtigen Carton soll schwitzen?
Ob ich die Geister zu entfesseln wage,

75
Die schlummernd in der Blase sitzen?

– Frisch d’ran, frisch d’ran! Im Oel liegt Harmonie;
Die Farbe – ja, das ist die Melodie,
Die um das kalte Wort sich schlinget!
Was der Verständigsten Verstand nicht zwinget,

80
Das wird im Liede einem Kind verständlich,

Und mit der Farbe da verhält es sich ganz ähnlich.
Die Farbe nur gibt Licht, – und wie man jetzt
Die Töne massig auf einander setzt,
Läßt sich doch auch die Wirkung gut erkennen;

85
Man möchte die Manier schier plastisch nennen!

D’rum wacker darauf los! Auf die Palette
Die Farben aufgelegt. – Ha, wie sie strahlen!
Heran, du Staffelei, nun gilt’s zu malen,
Als ob ich tausend Hände hätte.

90
Ich fühl’ von Genialität ein Meer

Durch alle meine Adern rinnen!
Kaum kann ich folgen. Ach, ich fühl es schwer,
Daß zu des Geistes Flügeln nicht so schnelle
Ein körperlicher Flügel sich geselle!

95
Doch – Muth mein Herz – hier – hier die Sonne –

Sie leuchte halb in sommerlicher Wonne,
Halb sei sie zugedeckt von Wetternacht;
Nur der Contrast ist’s, der die Wirkung macht!
Hier eine stille, lange, große Haide,

100
Recht melancholisch hingepinselt,

Darob der Sturmwind seine Elegieen winselt;
Und hier, vom Tannenbaume überdacht,
Der Hütte freundliches Asyl,
Die Quelle d’ran, des weichen Rasens Pfühl,

105
Und d’rüber hin ein warmer Sonnenglast,

Als hielte hier Waldfräulein seine Rast,
Und wer es sieht, dem lacht das Herz vor Freude.


Das Hochgebirge schließ’ den Hintergrund,
Das macht die Landschaft fertig erst und rund!

110
Ein kühner Pinselstrich – der läßt sich gut –

Die Farben nicht gebrochen, ganz und satt,
Wie sie der Chemiker bereitet hat, –
Ich hasse Halbheit! – Auch ist wohl d’rauf anzutragen,
Daß die Lasur noch ihre Wirkung thut;

[23]


115
Die gibt dem Meisterwerk erst Glanz und Gluth;

Das kann dir jeder Töpfer sagen!
Was das Format betrifft – ich hab’ mich stets ergötzt
Am Uebermächtigen und Grandiosen.
Auch tappt die Welt nur nach dem Großen,

120
Ob auch der Neid d’ran seine Hauer wetzt.

Was mir die Seele dehnt so weit und mächtig,
Das faßt kein Rähmchen ein, eng, schmal und schmächtig; –
Was ich empfind’ in Künstlerbrunst, –
Entfalte in der Länge sich und Breite,

125
Nur groß, nur groß – zwölf Schuh nach jeder Seite –

Kurz ist das Leben, – aber lang die Kunst!


[24]

Traum und Wahrheit.
Der Lotteriespieler.
Schuldner:

Hier ist Ihr Geld, nun fort zur Thür hinaus,
Und wagen nimmer Sie zu kommen mir in’s Haus.

Gläubiger:

Bin Excellenz Ihr unterthänigster Knecht;
Der reiche Mann hat grob zu sein das Recht.

Schuldner:

Sie sehen, Fortuna hat mich nicht erhört.
Die Nummern kamen, aber all’ verkehrt.

Gläubiger:

Was kümmern mich Ihre hoffnungslose Qualen.
Ich frage nur, wann Sie mich denn bezahlen.

Schuldner:

Wie? Sie fragen, wie’s mit der Zahlung steht?
Das weiß ich nicht, ich bin ja kein Prophet.

Der deutsche Auswanderer.

Ja, ja, so ist’s, es kann nicht anders sein,
So stell’ ich mir das Leben drüben vor;
Auf schnell! Schifft nach Amerika mich ein;
In Deutschland bleibt wohl künftig nur ein Thor.

O weh! O weh! Welch gräßlicher Betrug!
O Vaterland! Wie sehn’ ich mich nach dir!
Ich sterbe hier elendiglich am Pflug –
Und Frau und Kind holt Löw’ und Geier mir.