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Fleiß und Faulheit. Sechstes Blatt

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Fleiß und Faulheit. Fünftes Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp
Fleiß und Faulheit. Sechstes Blatt
Fleiß und Faulheit. Siebentes Blatt
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Fleiß und Faulheit.


Sechstes Blatt.



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FLEISS UND FAULHEIT.
INDUSTRY AND IDLENESS.
Proverbs Ch. XII. V. 4.
VI.

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Fleiss und Faulheit.
(Industry and Idleness.)




Sechstes Blatt.
Der Fleißige vermählt sich, nach überstandener Lehrzeit,
mit der Tochter seines Principals.
The industrious ’Prentice out of his time, and married to his master’s daughter.
Spruch: 

Ein fleißig Weib ist die Krone ihres Mannes, aber eine
unfleißige ist ein Eiter in seinem Gebeine. 

Sprüchw. Sal. Cap. 12. V. 4.

Hogarth hat hier die Geschichte seiner beiden Helden so künstlich verbunden, daß nicht allein, welches freilich strenge gefordert werden konnte, Stück und Gegenstück richtig gepaart erscheinen, sondern auch die Paare selbst wieder so geschickt an einander anzuschließen gewußt, daß je Eins in das Andere eingreift. Das letzte Vergleichungspaar waren die Blätter vier und fünf, das nächste sind die Blätter sechs und [542] sieben[1]. Aber auch fünf und sechs sind verbunden. Vier und fünf enthielten Herrn Wests Vertrauen auf den Einen und Mißtrauen gegen den Andern der beiden Lehrlinge. Die natürliche Folge war: der Eine wurde beibehalten und der Andere fortgejagt. Dieses Fortjagen wird bei dem letztern zugleich zur Epoche eines neuen Lebens. Dieses wird nun auch hier, auf dem sechsten Blatte, dem ersten eines neuen Paares, jenes Beibehalten für den ersten. West vermählt ihn mit seiner Tochter, und auf dem siebenten vermählt sich auch der Weggejagte, nach seiner Art versteht sich. Auf dem zehnten Blatte kommen beide wieder zusammen, daher denn am Ende die große Entwickelungspaarung, die sechste der Vergleichung, sich, eben so gerecht gedacht als üblich gezählt, mit verdientem Lohn und den Nummern 11 und 12 schließt.

Was im Himmel längst beschlossen war, kam nun vorige Nacht auf der Erde wirklich zu Stande. Hier stehen die Neuvermählten am Vorsaalfenster, und empfangen die Glückwünsche des Volks in ihren hochzeitlichen Nachtkleidern. Sehr brav. Man kam sich in jenen Zeiten viel näher. Man that alles Mögliche, und wußte sich doch zu helfen. Die Chokoladebecher hatten noch keine Henkel, und man wußte sie doch zu fassen, ohne sich zu verbrennen. Wie geschickt die junge Dame den Becher hält, und wie schicklich sie sich dem gutmüthigen Volke präsentirt! Weniger konnte nicht geschehen und auch nicht füglich mehr. Es sind der Berührungspunkte gerade genug. Wissen mußte man freilich, daß sie da wäre, und dazu war schon der flüchtigste Linon- oder Band-Blick, der nicht von der nämlichen Mütze kam, hinreichend. Nachdem sie ihre Gegenwart blos signalisirt hatte, zog sie sich sogleich mit Anstand hinter den Gemahl zurück. Da hört sie das Instrumentalgetöse, ohne doch den muthwilligen Text zu vernehmen, der, ihr zu Ehren, oder wohl gar zu Gefallen, von der Menge, mit gut gemeinter Bengelei, [543] aus dem Stegreif sogleich hinzugelächelt, geflüstert und geblickt werden würde, wenn sie sich länger am Fenster hätte zeigen wollen. Sie zieht sich zurück. Die Empfindung, aus der es geschieht, ist höchst verehrungswürdig, und sicherlich die schönste Mitgift, womit die Jungfräulichkeit die junge Frau beim Abschiede aussteuern kann. Sie ist selbst mehr als schön, sie ist nöthig. O! mit der Telegraphik der Liebe ist es schon vor undenklichen Zeiten zu einem fast undenklichen Grad von Vollkommenheit gekommen! Nicht blos im Ansprechen, sondern auch im Antworten. Jammerschade, daß der Telegraph, durch einen Naturfehler vielleicht, immer Etwas vom Echo hat. Es ist, als wenn Frage und Antwort an einem und eben demselben Faden hingen. – So viel ist wenigstens gewiß: nicht zu antworten, ist unmöglich. Zu antworten, aber zugleich der Verständlichkeit der Antwort vorzubeugen, ist vielleicht in den meisten Fällen möglich: erstens durch Nebel, die jede Dame, so gut wie die Sonne immer in ihrer Gewalt hat, und zweitens durch Richtung des Telegraphen in dem Augenblick, da er antworten muß, nach einem andern Punkte des Horizonts, als dem, aus welchem gefragt wurde, welches nicht schwerer zu bewerkstelligen ist, als eine ähnliche Bewegung, nicht der Sonne, sondern der Windmühle. – Jedoch ich gestehe gerne, daß diese ganze Materie, wenigstens die psychologische Behandlung derselben, große Schwierigkeiten hat, weil es unmöglich ist, in einige der Hauptcapitel Deutlichkeit zu bringen, ehe eine andere große Frage beantwortet ist, nämlich: ob ein Frauenzimmer im Dunkeln roth werden könne? Wie aber diese beantwortet werden soll, dazu sieht, so viel ich weiß, selbst das achtzehnte Jahrhundert, dem so Vieles möglich war, keine Möglichkeit. Denn offenbar kann man im Dunkeln nicht sehen, und, wo man sehen kann, ist es nicht dunkel. Hiermit hätte es denn mit der Antwort, auf dem Wege der Erfahrung, mit einem Male ein Ende. Gottlob aber, daß auch hier die gütige Natur zur Ehre des einen, und zur völligen Beruhigung des andern Geschlechts, das Räthsel mit einem Glauben löst, der wenigstens für die Haushaltung den Werth einer Demonstration hat. –

[544] Wo ein Geldbeutel klingelt, da versammeln sich gewöhnlich die Klingelbeutel, wie die Weibchen mancher Insekten da, wo ein Männchen zirpt. Gutkind ist gestern nicht blos Tochtermann, sondern auch, wie man aus dem Schilde des Hauses sieht[2], Handels-Compagnon des begüterten West geworden. Bei solchen großen Conjunctionen ertönt öfters die entzückende Musik der vollen Börse, deren süßem Lockschlage keine Beutelgattung so willig folgt, als die der perennirend-durchsichtigen und die nicht immer ganz leeren einiger Bastardarten der schönen Künste. Auf diese hat sich hier vorzüglich unser Geschichtsmaler eingelassen. Es erscheint hier 1) die hölzerne Gratulationstrommel der Bürgerschaft mit hölzernen Klöppeln und durch eine Art menschlicher Knüppel gedroschen; 2) ein derbes Straßen-Violon, das aber so eben eine gefährliche, zeitliche Pause hält, die es wahrscheinlich bald mit einer ewigen verwechseln wird; 3) eine Hackmesser-Harmonika, ebenfalls gedroschen, und zwar mit Ochsenknochen von einer Art congenialischer Fäustchen geführt und endlich 4) ein Gedicht, unter dem bescheidenen Titel, ein Lied (a Song), vermuthlich aber eine Ode. Es scheint nämlich die in Deutschland nicht unbekannte Gattung, ohne Flügel und Füße zu sein, die sich auf dem Rutsch-Ende an der Erde so gut forthilft, als sie kann. Ihr positives Hauptattribut, woran man sie gleich erkennen kann, ist außer den schon erwähnten negativen, die unaussprechliche lederne Schürze der Bergknappen, als natürliches Emblem des Sinkens, so wie es die Flügel von der Erhebung sind.

Nun noch ein Paar Bemerkungen zur näheren Kenntniß dieser Gratulanten. Daß die Trommelschläger sämmtlich durch ihr eigenes, [545] dringendes Interesse zu diesem einträglichen Dienst für diesen Morgen gepreßt worden sind, sieht man ihnen nicht undeutlich an. Der Schmiedehammer, die Zimmeraxt und die Pflasterer-Ramme mögen wohl die Hauptinstrumente gewesen sein, die hier den leichteren Trommelstöcken haben weichen müssen. Doch scheint Einer darunter ein leichteres Werkzeug dafür zurückgelassen zu haben, nämlich die Nähnadel, und das ist der etwas galante Wortführer vor dem Fenster. Man hat über diesen ehrlichen Mann und das Compliment, das er da vor den Augen des Publikums macht, hin und wieder gelächelt und gespottet. Warum aber, das sehe ich doch in Wahrheit nicht ein. Daß er als Tambour den Hut abnimmt, dazu hat er, Kraft seiner Haarbeutel-Perücke, unwidersprechlich das Recht. Ja, er hätte sogar Chapeaubas trommeln können, wenn er gewollt hätte, selbst wenn seine Trommel von Messing wäre. Freilich ist nicht zu läugnen, seine Stellung hat etwas vom Sägebock, aber doch so gar außerordentlich viel nicht, und dann wünschte ich, daß einmal ein solcher Spötter versuchen möchte, ob er unter solchen verwickelten Umständen ein besseres Compliment machen könne. Wahrlich, wenn eine Sache immer desto künstlicher ist, je näher sie an das Unmögliche grenzt, so ist diese Stellung, zumal wenn die Trommel von Messing wäre, fürwahr höchst künstlich, denn sie ist alsdann beinah völlig unmöglich. Wer je in seinem Leben einen Tambour, mit der Trommel versteht sich, so stehen gesehen hat, der hat ihn gewiß gesehen, wenn er die Trommel auf dem Rücken trug, und das ändert die Sache gar sehr. Ich glaube daher bis diese Stunde noch, daß der Schneider mit der Trommel ein so schlecht berechnetes Compliment machte, daß sich die Trommel genöthigt sah, ohne Rücksicht auf Eleganz, in der Geschwindigkeit einen neuen Unterstützungs-Punkt für sich und ihren Herrn zu suchen, und an der Mauer auch wirklich fand. Ja man ist sogar nicht einmal recht sicher, ob nicht die Hand mit dem Hute auch so etwas von Unterstützung vor hat. O! der Mensch ist nie erfindungsreicher, als wenn er ein verlornes Gleichgewicht sucht! Aber ohne allen Scherz: das Lächerliche bei dieser Stellung besteht eigentlich darin, daß der Mann das Unmögliche möglich machen will, ich meine, einen Bauch tragen [546] und zugleich dünne thun. So was ist gegen die ewigen Gesetze des Schwerpunkts und der Natur. Wer einen Bauch trägt, der thue dick, das ist ihr ewiger Wille. Dieser Bauch sei nun eine Trommel oder eine hängende Boutique mit Glas oder mit Nürnberger-Waare, oder ein gesegneter Leib, und dieser Segen bestehe nun aus Schmalz oder aus guten Hoffnungen, das ist alles einerlei. Doch dies ist nicht der Rede werth. Desto mehr ist es vielleicht für manche Leser das Fleischer-Chor.

Es ist nämlich in England, wenigstens in London, der Gebrauch, das die Fleischer am Morgen nach Hochzeiten, wobei es der Mühe werth ist, vor den Häusern der Neuvermählten eine Art von wilder Janitscharen-Musik dadurch machen, daß sie ihre Hackmesser mit den Markknochen ihrer Ueberwundenen schlagen. Um diese Musik nicht so wohl erträglich (denn das gehört nicht hieher) als eigentlich bloß verständlich zu finden, muß man wissen, daß sich die Breiten der dortigen Hackmesser zu den unsrigen fast verhalten, wie die Durchmesser der englischen Ochsen zu denen der deutschen. Sie geben daher, gehörig angeschlagen, keinen schlechten Klang, wenigstens einen bessern als Scheitholz beim Abladen, das auf die Strohfiddel geführt haben soll. Ja, gehörig gestimmt und abgewogen, wie etwa die Hämmer des Pythagoras, müßte sich immer mit englischen Fleischhackemessern Etwas machen lassen, das manche Nägel-Gurken und Ziegel-Harmonika bei weitem überträfe. Nicht zu gedenken der großen Neben-Ideen an Rinder-Braten, die sich hier unaufhaltsam in jene seinem Gefühle mischen. Es ist unglaublich, was für subtile Zeichen der Magen hat, wenn er dem Herzen zu verstehen geben will, daß er sein naher Nachbar in der gemeinschaftlichen Bastille ist. Die große Wahrheit, von der hier die Rede ist, gilt auch umgekehrt. Wenigstens ist der Erklärer dieser Blätter, für seine Person, überzeugt, daß er einmal in einer italienischen Oper eine Dido, die am Ende gebraten wurde, nicht würde haben verdauen können, wenn die Arien-Sauce nicht gewesen wäre, die sie selbst erst einrührte, ehe sie in den Ofen kroch. – Aber freilich so wie diese Metzger-Purschen jetzt ihre Hackmesser schlagen, ist der ganze Bettel wenig werth. Man hört [547] es wohl, sie verstehen besser Markknochen mit Hackmessern, als Hackmesser mit Markknochen zu schlagen. Indessen klingt doch dieses Geklimper nicht ganz unangenehm. Es hat einige Aehnlichkeit mit dem verwirrten Geräusche der Posthörner, wenn sie ehemals zum neuen Jahre gratulirten, und gerade so damals wenigstens an erfochtene Siege erinnerten, wie hier die Hackmesser an Rinderbraten. – So viel vom Hören dieser Musik. Gesehen! O! da nimmt sie sich ungleich besser aus. Die Kerle sind größtentheils stark, frisch, gesund, jung und schön, wie es auch bei deutschen Metzgern häufig der Brauch ist, dabei in die Farbe der neu gewaschenen und gebleichten Unschuld gekleidet! Ich muß daher die Leser bitten, bei jeder Kritik dieses Hackmesser- und Markknochen-Spiels, die etwa der meinigen widersprechen sollte, ja auf das Geschlecht des Kritikers Rücksicht zu nehmen. Denn es wäre gar wohl möglich, daß manche andere Phantasie, um sich diese rohe Kost schmackhaft zu machen, die Würze, nicht wie wir, von der Bratenschüssel herholte.

Hogarth hat, ich gestehe es, alles was ich so eben von Jugend und Schönheit der englischen Fleischer gesagt habe, seiner Gewohnheit nach, ganz vernachlässigt. Das war des wackern Mannes Sache nicht. Selbst mit der Stärke hat er sich übel benommen. Die Wahl des Ausdrucks ist wenigstens nicht ganz glücklich ausgefallen. Die vereinte Macht der Markknochen eines Metzgers und eines Ochsen, mit einer Kraft gespannt, als sollte ein Stadt-Thor gesprengt werden, ist hier in einem bloßen Rangstreite gegen die Brust eines armseligen französischen Violoncellisten gerichtet. Hogarth wälzt den centnerschweren, eichenen Hack-Klotz des britischen Fleischers, um eine französische Geige zu zerknirschen. Freilich wird nur noch blos gedroht. Aber man hat Beispiele, daß, nachdem die Personen sind, Drohungen lethal werden können. Hier ist wenigstens der Fall nah. Man sehe nur die rechte Hand des armen Teufels. Der Fiddelbogen ist fort und vermuthlich der Puls auch. Nicht ein Finger wird zur Vertheidigung gekrümmt. So lange die Welt steht, hat noch keine Hand in dieser Stellung Etwas gethan, das der Rede werth gewesen wäre. Und nun gar das Gesicht! Todesschrecken und ein Paar Nasal-Töne von gebrochenem Englisch ist [548] alles was sich darin lesen läßt. – Ich habe einmal von einem Virtuosen gelesen, der mitten in einem Solo, das er geigte, am Schlage starb. Was für eine Vignette vor das Leichen-Carmen dieses Mannes zu drucken wäre nicht diese Gruppe, wenn es, wie billig, Mode würde, den bekannten Knochen-Mann so abzubilden, wie hier den Mann mit den Knochen.

Wer sollte nun nicht glauben, daß hiermit die Sache abgethan wäre? Aber sie ist nichts weniger als das. Franzosen und Katholiken, wenn sie unser unerschöpflicher Künstler zu fassen kriegt, kommen so wohlfeil nicht weg. Im Hintergrunde sieht man den Fuß der berühmten Säule, die zum Andenken des großen London’schen Brandes von 1666 errichtet worden ist, und unter dem Namen des Monuments schlechtweg bekannt genug ist. In einer der Inschriften, die sich auf demselben befinden, werden die Katholiken beschuldigt, und zwar sehr merkwürdig in englischer Sprache, da alle übrigen Inschriften lateinisch sind, daß sie das Feuer angelegt hätten. Diese Inschrift gibt nun Hogarth hier auf einer der Seiten des Würfels, wo sie eigentlich gar nicht steht, mit großer Deutlichkeit, vermuthlich blos, dem armen Musikanten und seinen Glaubensgenossen eins anzuhängen. Gerade über dem Hute des Musikanten stehen die Worte: of the popish faction (von der papistischen Rotte). Sind das nicht die Hörner der Kuh über dem Haupte des Blaufärbers in dem Abend?[3] Also der Fleischer ficht nicht blos um den Rang der Hackmesser vor der Geige, sondern zugleich für den protestantischen Glauben, und gewiß so gut, als nur immer ein Metzger-Knecht dafür fechten kann. Mit dieser, wie ich glaube, echt hogarthischen Idee, die aber die Ausleger übersehen haben, kehre man nun einmal zu der Stellung des Kerls und seinem Mundstücke zurück. Es ist unmöglich, eine gewisse Art von Salbung darin zu erkennen. No popery here (kein Papstthum hier), oder sonst irgend eine Controvers-Formel, ist es gewiß, was da hervorfährt; Fluchpartikelchen [549] versteht sich, die mehr zur Form als der Materie gehören, abgerechnet. – Ich habe einmal gehört, und gewiß, es läßt sich hören, daß die Thätigkeit der englischen Fleischer bei Religions-Streitigkeiten mit der römischen Kirche sich etwas mit auf die Fasten und Fasttage überhaupt gründen soll. Es wäre auch fürwahr kein Wunder. Denn sobald der Magen, wie es in jener Kirche gewöhnlich ist, nach animalischer Nahrung nicht mehr auf dem festen Lande, sondern im Wasser, sucht und untertaucht, so stehen natürlich die Fleischwaagen und Hackmesser stille, und dieser Stillstand kann in manchen Gegenden leicht, die Fasten und Fasttage zusammen gerechnet, über ein Drittel des Jahres betragen, wodurch also der Gilde über 33⅓ Procent Profit jährlich gestrichen wird. So was kann wirken, zumal auf den Magen, der seiner eingeschränkten Auster-Talente, ja, möchte ich sagen, seines einzigen Sinnes ungeachtet, bisher meistens seine Processe gegen alle vier Facultäten mit ihren fünfen gewonnen hat. – Lustig wäre es in der That, wenn hier Fastenzeit wäre, und der britische Ochse also dem französischen Häringe seine Markknochen an den Milcher setzte. Schlechtweg so was zu behaupten, wage ich nicht. Denn hier war gestern Hochzeit und ich kenne die englischen Sitten viel zu wenig, um sagen zu können, ob nicht dort, so wie in manchen Gegenden, sogar des protestantischen Deutschlands, Hochzeiten und Bälle in den sonst sehr gelinden Fasten noch unter die verbotenen Speisen gerechnet werden oder nicht.

Linker Hand, ganz an der Erde, kriecht, unmittelbar unter dem Hackmesser, die Ode, fast in Gestalt einer Napf-Schnecke. Dieses Winkelchen des gegenwärtigen Blattes ist von den Auslegern gut bearbeitet, wenigstens historisch. Der arme Teufel von einem Barden, der da seinen Glückwunsch anzubringen strebt, war unter dem Namen Philipp in the tub (Philipp in der Mulde) damals sehr bekannt. Er hatte keine Beine, oder das Wenige, was er davon übrig hatte, war nicht der Rede werth. Um diesen Mangel zu ersetzen, warf er sich mit seinem untern Ende in einen hölzernen Napf (eine rundliche Mulde), der zwar auch keine Beine hatte, aber doch diesen Mangel besser ertrug, [550] als sein Herr[4]. Seine Arme erhob er dafür zu Vorderbeinen, durch eine Art von hölzernen Tatzen, wovon hier die rechte abgebildet ist. So kroch er und seine Hochzeits-Oden mit ihm, nach der Versicherung der Ausleger, gratulirend durch ganz England, Irland und die sieben Vereinigten Provinzen. Ob er wohl auch nach Deutschland gekrochen sein mag? Ich habe mich danach erkundigt. Alles, was ich habe auftreiben können, waren Nachrichten von Oden à la Philipp in the tub, nämlich ohne Flügel und Füße, aber von einem deutschen Sänger ohne Beine habe ich nichts gehört; von welchen ohne Beinkleider wohl, männlichen Geschlechts versteht sich, so genannten Ohne-Hosen, erotischen und politischen. Sie waren aber alle neuer als Philipp. In der Hand hält er sein Epithalamium und sucht damit, wie mit einem Spiegel nach dem Gnaden-Fenster hin zu blenden. Er wird auch gewiß gesehen werden, wenn nur der Schneider erst wieder im Gleichgewicht ist.

Bei allen so genannten titulirten Gedichten, zumal den Epithalamien, ist der erste Anblick, und folglich der Titel, Alles. Mit Recht ahmte daher die gratulirende Dichtkunst hier der gratulirenden Baukunst nach, ich meine derjenigen, die ihre Ehren-Pforten und Tempel aus geöltem Papier aufführt und von Nachtlichtchen bescheinen läßt, O! es war ein großer Gedanke, Ehren-Pforten, durch die Niemand einzieht, und Gedichte, die Niemand liest, nach einem und demselben Plane zu bearbeiten. Das mochte Philipp in der Mulde wissen. Das Portal zu seinem Gedichte ist gut angelegt, und fast noch besser erleuchtet: Jesse, or the happy pair, a now song (Jesse, oder das glückliche Paar, ein neues Lied) heißt es. Sehr stark freilich[5], aber, mit Dedications-Maß gemessen, doch immer erträglich. Wer auf dieser umnebelten Erde einen entfernten Gegenstand sicher treffen will, muß den Bogen so halten, als ziele er nach des Gegenstandes [551] Bilde, von der Klarheit des Himmels reflectirt, der sich über demselben aufgethan hat. Dieses thut Philipp wirklich, so demüthig auch seine Stellung ist. Sie ist offenbar die der personificirten Dedications-Courtoisie; denn etwas Unterthänigsteres, etwas plus très humbleres und plus très-obéissantres, oder Etwas das humillimius wäre, läßt sich doch kaum gedenken. Wie sich Autoren vor die Titel-Blätter ihrer Werke in Kupfer stechen lassen, ist so bekannt, daß man die ganze Verewigungs-Operation ohne Gefahr den Fabriken übertragen kann. Allein wenn sie sich einmal einer hinter das Titel-Blatt, vor die Dedication, wollte stechen lassen, so kenne ich doch fürwahr keine schicklichere Stellung, als die vom Dichter Philipp in der Mulde. Ob unser Barde sein Lied singt (denn in England werden die Noten zu neuen Straßen-Gesängen gewöhnlich mündlich gegeben), läßt sich hier eben so schwer sehen, als es unter Hackmessern, Markknochen und Trommeln an der Stelle selbst zu hören gewesen sein würde.

Einer der schönsten Züge auf diesem Blatte ist wohl die Verbindung des armen Philipp mit seinem Hunde. Das treue Thier! Mit geneigtem Haupte und mit sichtbarer Ergebung in den Willen seines Herrn, der, das Dichter-Talent abgerechnet, wohl so arm und obendrein auch wohl so hungrig ist, als er, achtet er nicht der Markknochen-Musik, und selbst der reichlichen Brod- und Bratenspende an der Hausthüre kehrt er den Rücken zu. O! wie leicht wäre es ihm nicht, mit seinen Paar Füßen seinem Richter und der strafenden Gerechtigkeit zu entgehen, die, obgleich hier für ihn zu Einer Person verbunden, nicht einmal ein einziges Paar haben. Allein er bleibt. Ich will nicht richten; aber, wenn mich, welches ich kaum fürchte, mein Gefühl nicht ganz trügt, so hängt hier die Aufschrift the happy pair (das glückliche Paar) nicht vergeblich an der Seite der Treuen herab. Sie geht auch auf eure Verbindung und euren Compagnie-Handel, armer Philipp und armes Thier!

Die Austheilung der von gestern noch übrigen Brocken an der Hausthüre ist sehr verständlich. Sie geschieht durch einen Bedienten, [552] aus dessen Anstand und Livereischnitt man wohl sieht, daß die ganze Haushaltung, zu ihrem großen Vortheil, nicht unter dem Einfluß des Moden-Mondes steht. Er warf im gestrigen Getümmel nichts weg und wird daher auch selbst nicht weggeworfen werden. Die Augen des Kindes scheinen, zur Ehre der armen Mutter, mehr auf den schönen Ermel des Bedienten, als auf das Brod und Fleisch gerichtet, sie hat also wenigstens ihr Kind nicht, wie dort manche Mütter thun, durch Viertels-Pension eingetrocknet, um die mitleidige Großmuth damit in’s Garn zu locken. In ihren Mienen lächeln wahre Freude und Dankbarkeit. Es ist auch in diesem Stande keine Kleinigkeit, sich auf ein Paar Tage der Mühe überhoben zu sehen, einen Küchenzettel zu machen.

Die Straße, in welche man auf diesem Blatte hineinsieht, ist wohl Fishstreet-Hill; sie streicht hier, vom Auge ab, von Süden nach Norden. Da steht nämlich das berühmte Monument, dessen südliche Seite man hier erblickt. Es wäre möglich, daß Hogarth auf diese Weise einen neuen Gebrauch von dem Monument gemacht hätte, nämlich den, einer gewissen Familie ein Compliment zu machen; denn das glückliche Haus müßte sich leicht nach diesem Aufrisse finden lassen und ist vermuthlich damals auch von Neugierigen gesucht worden. Daß die Schilder keine Wirthshäuser oder Herbergen bedeuten, ist schon bei einer andern Gelegenheit erinnert worden. Sie waren eine Art von Telegraphen, die Wanderer, die ein Haus suchten, oft schon auf eine große Strecke gehörig zu leiten. Allein es wurden der Zeichen am Ende so viele, daß man sie vor den Zeichen selbst nicht mehr sehen konnte. Wer einen Habicht suchte, konnte ihn oft nicht finden, weil gerade eine Taube über ihn hergefallen war, oder den Mond nicht, weil er hinter einem Sterne stand. Endlich wurden sogar die Straßen, zumal die engeren, ganz dadurch verdüstert. Um also Licht zu machen, riß man endlich Sonne, Mond und Sterne u. s. w. weg, und so ist es noch bis auf den heutigen Tag. Das West- und Gutkindische Haus führt einen daherschreitenden Löwen (Lion rampant), zu beiden Seiten mit umgestürzten Füllhörnern; weiter hin hängt eine Sonne, die etwas fallirt zu haben scheint, und noch weiter hinaus wohl gar das Chaos [553] selbst. Daß Hogarth uns von dem Löwen am Westischen Hause heute blos die regionem hypogastricam, mit ihren Anhängseln, den Hinterbeinen, zeigt, also ungefähr gerade die propositionem inversam vom armen Philipp, kann ein bloßer Zufall sein. Ich muß aber gestehen, ich bin sehr geneigt, dieses – – nicht zu glauben. Warum? Die Antwort ist nicht schwer. – Hogarth hat den halben Löwen angegeben, dazu paßt am besten eine halbe Erklärung, und so schneide ich die Note, so wie er den Text, hiermit mitten durch. –


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An dieser Stelle endet der vollständige Commentar Lichtenberg’s. Das Werk wurde durch den Tod des Verfassers unterbrochen. Seine nachfolgenden Erklärungen sind skizzenartig und unvollständig. Um den Zusammenhang durch zu häufige Nachträge nicht zu unterbrechen, folgen deßhalb von hier an die Erklärungen des Herausgebers dieser Ausgabe.






  1. Daß die Paarungen durch Stück und Gegenstück in dieser Geschichte mit 2 und 3, 4 und 5, 6 und 7 gezählt werden müssen, rührt daher, daß das erste Blatt beiden gemeinschaftlich ist, der Stamm.
  2. West and Goodchild (West und Gutkind). Mit dieser Aufschrift ging es unserem Künstler wie dem Apelles. Auf den ersten Abdrücken stand Goodchild and West. Dieses wurde ein vorübergehender Kenner solcher Inscriptionen noch zu rechter Zeit gewahr, und sagte dem Künstler, der Name des Tochtermanns müsse nachstehen. Einsichtsvoller, oder wenigstens klüger, als des Apelles Schuster, muß dieser Recensent gewesen sein; denn von einem weiteren Urtheil desselben weiß man nichts.
  3. S. die vier Tageszeiten, drittes Blatt.
  4. Bei den Franzosen, die für Alles in der Welt ein artiges Wort haben, heißen diese Leute Culs de Jatte, Napf-Sassen.
  5. Jesse zeugte den König David u. s. w. heißt es.