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Festrede zur Enthüllung des Berliner Lessing-Denkmals

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Textdaten
Autor: Erich Schmidt
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Titel: Festrede zur Enthüllung des Berliner Lessing-Denkmals im Thiergarten am 14. Oktober 1890
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Lessing’sche Buchdruckerei (Louis Müller)
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: ThULB Jena, Signatur: 4 Hist.lit.IV,68(4); Commons
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[1]
Festrede
zur
Enthüllung des Berliner
Lessing-Denkmals
im Thiergarten
am 14. Oktober 1890
gehalten von
Erich Schmidt.




Wer die Via triumphalis preußischer Geschichte von Schlüters gewaltigem Kurfürsten bis zur Siegesgöttin des Brandenburger Thores abschreitet, begegnet auf diesem erinnerungsreichen Pfade zweimal dem Genius, dessen Standbild, von einem blutsverwandten Künstler gemeißelt, heute zur Abzahlung einer alten Dankesschuld enthüllt wird, um fortan Bewohner und Gäste der deutschen Hauptstadt zu erfreuen und stummberedt zu begeistern. Die Nationalgalerie zeigt uns den Lessing des siebenjährigen Krieges, wie er halbsoldatisch angethan, den Dreispitz keck über die braunen Locken zurückgeschoben, helläugig in die Welt schaut, der lebensprühende Dichter der „Minna von Barnhelm“. Und auf dem Monumente des großen Königs, im Schwarm der Krieger und Staatsmänner, halten Lessing und Kant Zwiesprach, die tiefsten Denker der deutschen Aufklärung.

Nun steht er hier im Freien der Befreier. Diese Herbsttage, da die Sonne, durch graue Nebel dringend, leuchtet ohne zu stechen und mit sommerlicher Schwüle zu ermatten, da der frische Wind das dürre Laub von den Aesten fegt, grüßen den tapferen Mann, der so viel Klarheit ausspreitete und dessen starker Athem alles Vergilbte und Welke vor sich wegblies.

Mehr als zehn Jahre seines Lebens hat Berlin umfangen. Viermal schlug Lessing, dem ein feuriges Naturell gemächliche Seßhaftigkeit verwehrte, in diesen Mauern seinen Sitz auf. Die Häuser, die er bewohnte, haben stattlicheren Neubauten Platz gemacht oder ihr bescheidenes Aussehen völlig verändert, aber allen Wandel der Zeit überdauert das verpflichtende Erbe seines Geistes, der in fortschrittlicher Bewegung webt und wirkt.

Hierher kam er ein Werdender, von Wissensdurst und Ehrgeiz geschwellt, um in dem aufsteigenden Zukunftsstaat, in der verheißungsvollen Stadt Friedrichs, wo von den Höhen herab eine neue Gedankenfreiheit die zaghafte Literatur durchdrang und allmählich immer weitere Kreise erfaßte, seine Kritik und Dichtung zu entfalten. Hier ward er mündig und legte den Grund zu einer unerhörten Macht, die er niemals mißbrauchte. „Es ist hier ein neuer Kritikus aufgestanden“ melden prophetische Rufe in die Ferne, als der junge Literat sich die journalistischen Sporen verdiente. „Er hat alle Qualitäten zu einem Champion“ meinen die schlauen Werber, die gar zu gern diesen selbständigen Rufer im Streite für ihre Partei geködert hätten. Er aber erhob die Tageskritik, ohne einer zerschlissenen Fraktionsfahne zuzuschwören und ohne dann seine siegreichen „Berliner“ als eine ständige Truppe zu tummeln, zu einem freien Gesundheitsamt. Von den Vossischen Zeitungsblättern an, deren Spitze die Fänge des jungen preußischen Aars und die weckende Drommete zierten, bis hinauf zu den Berliner Literaturbriefen mit dem Homeroskopf, die so schlagfertig und schonungslos wie Friedrichs Reiterschaaren ihre Husarenhiebe austheilten, hat er freie Bahn gebrochen für die [2] schöpferischen Geister. Vor dieser Kritik zerstob der Troß der Sudler und Nachahmer. Das Publikum, zu dem wohlmeinende Satiriker und Fabulisten mit sanftem Mentorlächeln herabstiegen, riß er empor. Hier gewann, unter französischem Antrieb, sein Stil neue Schwingen, von denen der breite Schlendrian bisheriger Wasserprosa nichts ahnte.

Hier gedieh Plan auf Plan, Werk auf Werk des Rastlosen; noch der „Nathan“ wanderte als Berliner Druck in die Lande. Hier rang sich der Neuschöpfer des deutschen Theaters aus dem leblosen Komödientrott und dem Alexandrinerstelzgang los, um mit neuen Stoffen und Ideen, neuen Gestalten, neuen Dialogen zugleich eine neue charakteristische Schauspielkunst herauszufordern. Hier kommt ihm in einer elenden Hanswurstbude der alle Welt verblüffende Einfall, Volksstück und Kunstdrama zu vermählen, und sein Doktor Faust soll über die Hölle triumphiren. Im stillen Potsdam vollzieht er den Bruch mit einer hohlen Aristokratie, die nur deklamirende Halbgötter und Fürsten auf der tragischen Bühne litt, und führt bürgerliche Menschen über die Bretter. Ein Berliner Preisausschreiben ruft die Keime einer modernen Virginia hervor, genannt „Emilia Galotti“. Langsam und nie ohne weise Schätzung, wieviel der arme Deutsche vom französischen Lust- und Schauspiel zu lernen habe, verabschiedet Lessing hier den alten Pariser Tragödienstil, den er dann im Hamburgischen Duell mit Voltaire vollends über die Grenze jagt, ein besonnener Herold Shakespeare’s.

Einst hat hier im königlichen Schloß der unreife sächsische Pastorsohn demselben Meister Arouet, dem größten Schriftsteller der Zeit, gegenübergesessen, gierig aushorchend nach salomonischer Weisheit und doch mitten in aller schülerhaften Bewunderung sein Stachelverslein summend gegen den hageren Schelm; ein Vorwurf für Adolf Menzel. Zum bloßen Diener und Handlanger ist dieser vom kargen Ertrag seiner Feder lebende Jüngling schon zu stolz, zu bewußt seines Werthes und Könnens. Schon reckt er die gelenken Glieder und wirft das Trutzwort hin: „Weiß ich nur, wer ich bin!“ Schon schaut er in einer Zeit, die ihre unmännlichen Kostgänger nach dem knechtischen Sprichwort mit dem Hut in der Hand durchs ganze Land schickte, höhnisch auf die fremde Tafelrunde da oben und schüttet ein bittres Lachen aus über die lustigen Räthe. „Nimmermehr werde ich mich fähig fühlen, eine so niedrige Rolle zu spielen, und wenn auch Ordensbänder zu gewinnen ständen. Ein König mag immerhin über mich herrschen; er sei mächtiger, aber besser dünke er sich nicht.“

Welch ein neuer Ton! Lessings großartiges Selbstgefühl hat nicht nur dem deutschen Schriftstellerstande den Nacken gesteift, seine unantastbare Tapferkeit hat nicht nur die literarischen Gilden zu Paaren getrieben und die Zunftwirthschaft der hohen Schulen gezüchtigt – er half im Zeitalter Friedrichs des Großen die ganze Nation wahrhafter und wehrhafter machen: seine Siege wurden ihre Siege; sein Respekt schuf ihr erhöhte Achtung vor sich selbst und bei den Nachbarn; seine ruhelose Freizügigkeit rüttelte die Stubenmenschen auf; und der Schüchternheit seiner Generation, der Empfindsamkeit des neuen Geschlechts warf er den stählenden Imperativ der Energie entgegen: der Mensch ist zur That, nicht zum Vernünfteln geboren; gut Handeln schwerer und werther als andächtig Schwärmen.

Wenn aber Lessing, bei dem Niemand die gegenwärtige Freude am Staat suchen darf, die damals kein Deutscher hegen konnte, dergestalt den Nationalstolz schürte, so hat wiederum seine humane Weisheit und Milde den Nationalstolz bedeutet, „daß alle Länder gute Menschen tragen.“

Dieser männlichste Dichter und Denker, dessen herzhafte Persönlichkeit selbst dem schlaffen Romantiker mehr imponirte als all seine Talente, fand in Berlin keine Stätte, keinen Mäcen. Noch war es Dänen, Welfen, Ernestinern vorbehalten, den deutschen Genius zu bewirthen. Wer aber möchte Lessing in einen akademischen Hörsal sperren, statt der collegia publica, die er [3] der Nation auf freiem Markte las? Und derselbe König, der früh und spat für Lessings Dasein keinen Blick hatte, gab ihm doch aus der Fülle was köstlicher ist als Geld und Amt, die Wonne, Genoß einer großen Werdezeit zu sein. „Herr Lessing, der nun ein rechter Preuße ist,“ schreibt der Freund im siebenjährigen Kriege. „Singe ihn deinen König! Singe ihn mit dem Kranze des Siegs, tiefsinnig auf dem Schlachtfelde, mit thränendem Auge unter den Leichnamen der verewigten Gefährten“ ruft Lessing. Der preußische Grenadier sang ihn, die weiche Syrinx vertauschend gegen die kriegerische Trompete. Und Lessing selbst verherrlicht in eben der Zeit, wo Friedrich den stoischen Entschluß im Busen trägt, seines Staates Fall nicht zu überleben, den Tod fürs Vaterland im „Philotas“. Das wallende Priestergewand des Messias, das bauschige Watteaukleid der Schäfermaskerade, der schlotterige Schlafrock des Leipziger Magisters wich einem knapp, ja allzueng anliegenden lakonischen Panzer. Noch herrscht, da Lessing „heroische Gesinnungen einem Preußen ebenso natürlich wie einem Spartaner“ nannte, fremdes antikes Kostüm.

Als er aber zum vierten Male nach Berlin kommt, da bringt er als schönste dichterische Kriegsbeute das „Soldatenglück“ mit, das älteste und vornehmste Lustspiel unserer Bühne, das hier im Frühjahr 1768 durch seine Spiegelung der Zeit alle Stände entzückte, auf die Höhen der Gesprächskunst und ohne falsche Delikatesse in die urwüchsige Redeweise des Volkes führte, herbe Soldatenehre und frauenhafte Liebenswürdigkeit, Preußen und Sachsen versöhnte und dem sächsischen Fräulein das Wort lieh: „daß Ihr König, der ein großer Mann ist, auch wohl ein guter Mann sein mag.“ Nie ist ein Herrscher einfacher, schöner, vorbildlicher gepriesen worden.

Drei preußischen Männern bestätigt unser Denkmal ihren Bund mit Lessing, wie das Hamburger Standbild die Profile des lichtscheuen Fragmentisten, mit dessen nachgelassenen Scheitern Lessing den theologischen Brand schürte, und des ehrwürdigen Sprachmeisters der alten Bühne zeigt.

Da ist Ewald von Kleist, „Dichter und Soldat“, der wehmüthige Elegiker des „Frühlings“ und der tapfere Blutzeuge von Kunersdorf, der ideale Empfänger der Berliner Literaturbriefe und ein Urbild des Majors von Tellheim, Lessings geliebtester Herzensfreund.

Da ist Friedrich Nicolai als ein Vertreter des fridericianischen Berlinerthums, ein Achtung gebietender, behender Autodidakt, der in jüngeren Jahren wacker Schritt zu halten strebte, später jedoch seine Buchhandlung und Rezensiranstalt in den Dienst einer Aufklärung gab, welche, während Lessing den Horizont weitete, selbstgenügsam und aberweise mit allem im Reinen zu sein wähnte und zur Zeit der Genies, der Klassiker, der Romantik wie ein alter Uhu von den Vögeln des jungen Tages umschwärmt wurde.

Da ist Moses, Mendels Sohn von Dessau, der jüdische Buchhalter, Popularphilosoph und Aesthetiker, ein sauberer Prosaist, ein reiner Mann, der sein Volk aus der Gefangenschaft führte und dem bewunderten Jugendgenossen mit dankbarer Liebe anhing. In traulichen Stunden der Symphilosophie hat hier sein Scharfsinn Lessing’s Gedankenarbeit befördert, den „Laokoon“ bereichert. Der Treue ward noch ein froher Zeuge des, ach so kurzen, häuslichen Glückes in Wolfenbüttel, und an dem Bilde des philosophirenden jüdischen Kaufmanns hing Lessing’s geistiges Auge gern, als sein dichterisches Schaffen gipfelte in „Nathan dem Weisen“, dessen Entwurf die Nachkommen Mendelssohn’s wie einen urväterlichen Ehrenbrief hüten.

Das goldene Nathanwort:

Es eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurtheilen freien Liebe nach!

erglänzt auf unserem Denkmal. Hier im engen Hause der Behrenstraße ist 1783 dieser „Nathan“ zum ersten Mal über die deutschen Bretter gegangen, die er feiertäglich weiht, so oft er kommt. [4] Und hinter ihm steigen jene heißen Kämpfe auf, die Lessing mit einer polemischen Kraft ohne Gleichen durchfocht, um für alle Zeiten zu erhärten: der Buchstab ist nicht der Geist, die Bibel nicht die Religion, das christliche Dogma nicht die Botschaft Christi… Lessing war kein Bekenner, aber tiefer als die Masse der Aufklärer begriff er die Triebkräfte und den Entwicklungsgang der Religion, so hold der klosterbrüderlichen Herzensfrömmigkeit, wie dem beweisenden Starrsinn einer abgelebten Orthodoxie und dem Schaukeln der Halben feind. Die das Evangelium Johannis trennt, das Testament Johannis soll sie vereinigen: Kindlein, liebet einander! So erhöht Lessing, von der Bühnenkanzel dies A und O predigend, das Theater zum Gefäß des edelsten Gedanken- und Gefühlsinhaltes seiner Epoche. Tretet ein, denn auch hier sind Götter! Wie „Ernst und Falk“ eine weite Idealloge aufthaten, so erschloß Nathan, der gottergebne Mensch, einen lichten Humanitätstempel, worin Sultan, Kreuzritter, Jude zu Einer Familie zusammentreten. Die verschlungenen Ringe unsers Denkmals deuten auf den Einen symbolischen Reif, der das Gelöbniß besiegelt der Toleranz – nein, nicht der Toleranz! denn was kann frostiger sein als das bloße Dulden? – das Gelöbniß der wechselseitigen werkthätigen Liebe.

Zwei allegorische Geschwister[WS 1], die Gestalten der Kritik, der Lessing mit produktiver Kraft diente, und der Wahrheit, deren Suchen ihm theurer war als träger Besitz, halten Wacht an seinem Denkmal. Vorn der hohe Genius[WS 2] mit der Flammenschale der Erleuchtung.

„Ich bin aus dem Geschlechte der Philalethes“ hast du Wahrheitsfreund einst bekannt, nach Wissen hungernd wie Erisichthon, mit der beherzten Losung: Aergerniß hin! Aergerniß her! Du Funkenschläger und Fackelschwinger, der dämmernde Pfade erhellt und so manchem Widersacher heimgeleuchtet hat! Du Phosphoros der deutschen Prosa, der den Hörer zum Finder macht, wenn der Gedanke verfolgt wird, wie vom zielsichern Waidmann das Wild, und die durchsichtige Bildersprache nicht als glitzerndes Geschmeide, sondern als schöne Deutlichkeit leuchtet! Du Schwertfeger, dessen Waffen, so blank und scharf wie am ersten Tag, in jedem deutschen Kampf um geistigen Fortschritt und nationale Ehre mitgefochten haben und mitfechten werden!

Klare Wasser rieseln zu deinen Seiten, wie dein eigenstes Lebenselement die Bewegung war. Sie laden ein zu schöpfen aus dem Quickborn des Geistes und zu tauchen in das Stahlbad deiner Männlichkeit.

Führer scheiden mit einem prophetischen Gruß an die Zukunft. Wie der Große dadrüben seinen von hundertjähriger Last ungebeugten Faust in den getrosten Schlußruf ausbrechen läßt: „Es kann die Spur von meinen Erdentagen nicht in Aeonen untergehn“, so faßt Lessing’s erzieherisches Testament, die Bahnen der Menschheit messend, das ewige Fortwirken, das Gesetz von der Erhaltung der geistigen Kraft, in das für gemeine Augen befremdliche Bild der Seelenwanderung. In diesem tiefen Sinne der Entelechie lautet Lessing’s Scheidegruß: „Ist nicht die ganze Ewigkeit mein?“

Hier befestige sich nun der betrachtende Erbe im unvergänglichen Werth des Ueberkommenen; aber auch der Schlichteste aus dem Volke, dem Tellheim’s Stube, Schloß Dosalo und der Palmengang Jerusalems fremd sind, spüre Lessing’s elektrischen Schlag, wenn er im ahnenden Gefühl, daß ein Gewaltiger auf ihn niederschaue, das alte und neue Evangelium heimträgt:

Es eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurtheilen freien Liebe nach!




Druck der Lessing’schen Buchdruckerei (L. Müller) in Berlin.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. handschriftliche Korrektur, Original: Schwestern
  2. handschriftliche Korrektur, Original: die hohe Frau